Читать книгу Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 7

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Anne Larsen rutschte auf dem Stuhl unwillkürlich ein kleines Stückchen tiefer, als sie sah, wer durch die Tür gekommen war, obwohl sie deutlich versuchten, das unbemerkt zu tun; es waren Kommissar Roland Benito und die Beamtin. Sie erinnerte sich nicht an den Namen der jungen Blonden mit Pferdeschwanz, die nun so oft anstelle des Kriminalbeamten Mikkel Jensen der Partner des Kriminalkommissars war, dass es sehr verdächtig wirkte. Würde sie Roland nicht so gut kennen und nicht zuletzt seine liebevolle Ehrerbietung gegenüber seiner Frau, hätte sie glatt auf den Gedanken kommen können, dass zwischen ihnen etwas lief. Sie setzten sich auch ziemlich dicht zusammen, ahnte sie, auch wenn es halbdunkel war. Und das, obwohl die Beamtin mit Mikkel Jensen zusammenwohnte. Auch im Polizeipräsidium gab es Schmutz und Intrigen. Sie hatte überhaupt kein Gefühl mehr dafür, was dort vor sich ging. Nicht, seit sie ihren Job als Kriminalreporterin verloren hatte, als das Tageblatt aufgrund finanzieller Schwierigkeiten schließen musste wie so viele andere kleine lokale Zeitungsredaktionen. Damit verlor sie auch ihren Zugang zu Roland Benitos kleinem, unaufgeräumtem Büro. Aber vielleicht änderte sich das jetzt, wo sie in vollem Gange war, auf Freelancebasis etwas zusammen mit ihrem früheren Praktikanten Nicolaj zu starten. Deswegen war sie hier. Nach dem Putzjob, den sie leider immer noch beibehalten musste, um die Miete bezahlen zu können, hatte Nicolaj sie zu dem Vortrag im Scandinavian Congress Center geschickt, obwohl sie an einem anderen Artikel über die illegale Zucht von Kampfhunden arbeitete. Der Vortrag handelte von Persönlichkeitsspaltung und wie Verbrecher die Diagnose gebrauchen könnten, um das Strafmaß zu verringern. Nicolaj hatte sie geschickt, weil sie sich weigerte, an solche Krankheiten zu glauben. Sie hatten darüber diskutiert, als er ihr von dem Vortrag erzählte. »Wir haben nur eine Persönlichkeit, und die haben wir durch Gene, Erziehung und Umwelt. Wir schaffen sie selbst im Laufe des Lebens«, hatte sie gesagt. Aber nun sah sie, dass der Vortrag auch ihr Stoff zum Nachdenken und für die Arbeit als Kriminalreporterin gab. Ein Wissen, das nützlich werden könnte. Es freute sie, dass Nicolaj darauf bestanden hatte, sie teilnehmen zu lassen. Redakteur Thygesen beim Tageblatt hatte sie nie zu Vorträgen oder Kursen geschickt. Das sei nur Zeitverschwendung, meinte er. Vielleicht existierte die Redaktion deswegen nicht mehr. Sie waren einfach nicht ehrgeizig genug gewesen. Hatten den Finger nicht am Puls der Zeit gehabt.

Sie setzte sich in die hinterste Reihe. Der Kriminalkommissar saß ganz vorne an der Tür am anderen Ende der gleichen Reihe, sodass er sich hätte vorbeugen und die Reihe entlang schauen müssen, um sie zu entdecken. Sie freute sich insgeheim darüber, nicht besonders groß zu sein, sodass sie sich gut verstecken konnte. Wenn der Beamte sie sähe, würden sie ihr Anliegen hier sicher verschieben, selbst wenn Roland natürlich nicht das Geringste von ihrer Zusammenarbeit mit Nicolaj und davon, dass sie vielleicht wieder auf dem Weg in die Branche war, ahnte. Er glaubte sicher, dass sein Quälgeist für immer weg war und zur Putzfrau verdammt. Aber was machten sie hier? Wenn sie gekommen wären, um den Vortrag zu hören, wären sie doch wohl gekommen als er anfing, jetzt war er fast vorbei. Sie konzentrierte sich wieder auf die Rednerin, als ein neues Bild von dem Projektor aufleuchtete. Anne musste zugeben, dass der Vortrag sehr interessant war, und er hatte tatsächlich auch ein wenig an ihrer Auffassung gerüttelt. Wenn so viele Forscher mit Hilfe von Scannings und Versuchen dokumentieren konnten, dass normale Menschen faktisch mehrere unterschiedliche Persönlichkeiten haben konnten, dann war das wohl so. Was war mit ihr selbst? War sie nicht mit Adomas eine andere als mit Esben und eine dritte, wenn sie mit Nicolaj zusammen war? Eine vierte, noch andere, bei ihrer Mutter, wo sie sich nicht wie die Tochter, sondern eher wie die Erwachsene fühlte? Es war ja ganz richtig, dass sie unbewusst ihr Verhalten änderte, je nachdem, mit wem sie zusammen war. Ohne schizo­phren zu sein. Nach den Schlussworten der Referentin begann sich der Raum schnell zu leeren. Anne bemerkte, dass Roland und die Polizistin sitzen blieben, und als sie aufstanden und zu der Vortragenden gingen, entgegen dem Strom, wurde sie neugierig. Vielleicht war die Therapeutin eine Betrügerin. Vielleicht sollte sie verhaftet werden, dann könnte Anne nach Hause fahren und Nicolaj sagen, dass das Ganze eine Luftnummer war. Man hat nur eine Persönlichkeit, wie sie es die ganze Zeit gesagt hatte. Sie folgte den anderen in Richtung Ausgang, von der Gruppe verdeckt, aber als der Letzte draußen war, schloss sie die Tür und ging schnell in die Hocke hinter den Stuhllehnen, unbemerkt von den drei Personen, die vorne bei der großen, weißen Leinwand standen. Aber dank der guten Akustik dieses Raumes konnte sie alles hören, was sie sagten.

Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5

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