Читать книгу Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 11

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Ihr Sohn lief voran. Messi 10, was mit gelber Schrift auf den Rücken des gestreiften Trikots des FC Barcelona gedruckt war, hüpfte vor ihnen her und glänzte in der Sonne. Ein Sechsjähriger mit Pfeffer im Hintern konnte nicht einfach gehorsam neben seinen Eltern an der Hand herlaufen. Er war hyperaktiv, bei Janus ein Zeichen von Gesundheit. Ein Wunder. Sie schlenderten eng umschlungen hinter ihm den Weg entlang, daneben plätscherte der Odenser Fluss. Diese Pfade waren der schönste Heimweg zur Villa im Munkevænget. Der Spaziergang würde weniger als eine Viertelstunde dauern, aber mit seiner Familie zusammen könnte er ewig so laufen.

Sander Lindholm zog Alberte noch dichter an sich. Roch an ihren Haaren. Ein neues Shampoo. Zitrus. Dieses Mal hätte er sie wirklich verlieren können. Es war knapp gewesen. Sie waren eine Zeitlang getrennt gewesen nach dem, was passiert war, aber die Trennung hatte bewirkt, dass sie einsahen, sie konnten nicht ohneeinander, trotz der Differenzen, die ihre Ehe oft in Gefahr brachten. Und dann waren da die Zwillinge, die man unter Albertes leichtem Sommerkleid gerade so im Ansatz erahnen konnte und Janus, auf den sie die allermeiste Rücksicht nehmen mussten. Scheidungen gingen immer auf Kosten der Kinder und sie waren sich einig gewesen, dass sie zu erwachsen waren, um den Problemen, auf die sie so oft stießen, zu erlauben, das Leben ihrer Kinder zu zerstören. Oder ihr eigenes.

„Er redet über nichts anderes als die Löwenbabys. Nicht mal der riesengroße Burger und die Eiswaffel haben ihn auf andere Gedanken gebracht. Es war eine gute Idee, seinen Geburtstag im Zoo zu feiern, Sander“, lachte Alberte.

„Ganz bestimmt, die Kleinen waren ja auch süß.“ Er tätschelte ihr vorsichtig den heranwachsenden Bauch. „Hier könnten auch problemlos ein paar Löwenjunge liegen“, lächelte er.

„Das hoffe ich wirklich nicht!“

„Natürlich keine Löwen. Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, nicht?“

Alberte schnitt eine Grimasse.

„Findest du nicht doch, dass wir es beim nächsten Ultraschall erfahren sollten? Es wäre doch schön zu wissen.“

„Nein, Sander, ich freue mich, wenn es einfach Kinder sind. Zwei gesunde Kinder.“

„Das werden sie, Alberte.“

„Das glaube ich auch und das ist das Wichtigste!“ Er schaute einem gelben Kanu mit zwei jungen Menschen nach, die es durch das braune Wasser gleiten ließen. Alberte drückte seine Hand und schwang seinen Arm im Takt ihrer Schritte froh vor und zurück. Er hatte es ihr lange erzählen wollen, konnte es aber nicht. Wenn es so mitten in seinem Bauch brannte, kam ihm immer der Gedanke, ob es ein Magengeschwür sein könnte.

„Wo ist Janus!“, rief Alberte.

„Er ist gleich dort drüben beim Tunnel.“

„Dass er bloß nicht in den Fluss fällt“, meinte sie unruhig. „Er ist heute besonders wild. Vielleicht war zu viel Zucker in diesem Eis.“

„Dahinten ist ein Zaun, da springt er nicht drüber.“

„Dieser niedrige Holzzaun?! Der ist auch nicht nach dem Tunnel, da ist kein Zaun.“ Sie schirmte mit der Hand die Augen vor der Sonne ab. „Janus!“, rief sie so laut, dass es Sander im Ohr wehtat.

„Ruhig, Schatz. Ich kann ihn sehen.“

„Kannst du? Wo ist er denn jetzt? Heute sind ja fast keine Menschen unterwegs, also würde niemand merken, wenn ihm etwas passieren würde.“

Sie riss sich von ihm los und lief schnell zum Tunnel. Er schüttelte den Kopf. Das war eines der Dinge, über die sie sich uneins waren, Albertes ewiges Verhätscheln, das jetzt natürlich noch schlimmer geworden war. Ihm graute davor, wie es werden würde, wenn erst die Zwillinge da waren. Als Janus kleiner war, hatten die ersten ernsthaften Streits angefangen. Sander wollte keine überbehüteten, unselbstständigen Kinder haben, die nicht selbst denken konnten. Aber er verstand auch Albertes Sorge. Auch die, die bei der neuen Schwangerschaft aufkam. Die spürte auch er. Würde es wieder passieren?

„Er ist nicht hier!“, schrie Alberte mit schriller Stimme und lief den Pfad weiter.

Im Tunnel unter dem Weg hörte man den Lärm der Autos darüber deutlich. Hier im Schatten war es kühl, aber es stank nach Pisse. Es war leicht, die Böschung hinunterzuhuschen und hier ungesehen zu pinkeln. Er rief nach seinem Sohn und wurde langsam unruhig, denn Janus war nicht zu sehen.

„Sucht ihr den hier?“

Sander und Alberte drehten sich schnell zu der Stimme um, die im Tunnel gehallt hatte. An dessen Ende zeichneten sich drei Silhouetten ab. Sander konnte ihre Gesichter nicht sehen, da das Licht hinter ihnen blendete, aber er konnte Janus’ erschrockenen Augen über der großen weißen Hand mit der Tätowierung sehen, die einer von ihnen hart auf seinen Mund drückte, während er ihn festhielt. Sander blinzelte mehrmals, um den Blick zu klären. Er hatte eine Messerklinge am Hals seines Sohnes aufblitzen sehen.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass du hier heil rauskommst, oder? Wenn nicht bald was passiert, Freundchen, dann passiert dem hier was!“ Der Mann rüttelte Janus, sodass das Messer einen kleinen Schnitt in seinem Hals hinterließ.

„Lass ihn los!“, sagte Sander so ruhig, wie er es gelernt hatte. Er konnte diese Situation hier in den Griff bekommen. Er war dafür ausgebildet, aber trotzdem konnte er hören, dass seine Stimme nicht so klang wie sie sollte. Sein Herz schlug, als ob sein Brustkorb gleich platzte. Das hier war etwas anderes. Es war die Familie, sein eigener Sohn.

„Vielleicht sollten wir den Jungen behalten. Wir können ja tauschen!“

„Tauschen? Sander, wovon redet er? Tu doch etwas!“ Albertes Stimme war um einige Oktaven höher und das Entsetzen ließ ihre Augen fremd und erschreckend aussehen. Sie umklammerte ihren Bauch mit beiden Händen, wie um die ungeborenen Zwillinge zu beschützen.

„Lass ihn los!“, wiederholte Sander und griff sich aus Gewohnheit an den Gürtel, aber die Dienstpistole lag auf der Polizeistation, wie sie es sollte.

„Nimm ihn mit!“ Der Mann, der aus der Gruppe hervortrat, nickte dem zu, der Janus festhielt. Er hatte trotz der Wärme eine schwarze Adidas-Mütze auf dem Kopf. Sander konnte das weiße Logo im Dunkeln sehen. Aber er sah auch, dass sich der Ausdruck in Albertes Gesicht von Entsetzen in Wahnsinn verwandelt hatte. Er konnte sie nicht aufhalten, als sie ohne Vorwarnung auf den sprang, der am nächsten stand. Sie schlug und trat und rief unverständliche Worte, während der Bemützte mit Janus abzog. Sander war sich darüber im Klaren, dass Alberte reagierte, weil er es nicht tat, und der Schlag, den der ihr weit überlegene Mann ihr direkt in den Bauch verpasste, zwang auch Sander zum Handeln.

Die nächsten Sekunden oder Minuten oder Stunden, er wusste es nicht, fühlten sich an, als wäre er in einer durchsichtigen Gummiblase, die vor und zurück, auf und ab getreten wurde. Er spürte heftige Schmerzen und abwechselnd Blut, Beton, Asphalt. Alberte lag leblos auf dem Weg, während der Mann ihr weiter in den Bauch trat. Er rief nach ihr, glaubte jedenfalls, dass er das tat. Er sah jemanden sich nähern, ein paar Gesichter in den Tunnel gucken und schnell wieder verschwinden. Mehr Blut, der Asphalt, der Himmel, der Beton, der Holzzaun, der knackte, als er hinein und anschließend gegen die Betonwand des Tunnels geschleudert wurde. Er konnte nicht zählen, zu wievielt sie waren. Zwei von ihnen hielten ihn fest, ein Dritter schlug. Vielleicht sah er doppelt. Die Aussicht durch die Blase wurde immer verschwommener, als hinderte ihn das Blut daran, hinaus in die andere Welt zu sehen. Obwohl er das Blut wegblinzelte, verschwand die Sehkraft blitzartig zusammen mit den Kräften. Was hatte er denn getan? Die Schmerzen und das Blut füllten die Blase, dann platzte sie mit einem lauten Knall und alles wurde rot.

Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9

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