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Äthiopien

Silje schwitzte. Nicht nur aufgrund der hohen Temperatur und Luftfeuchtigkeit, sondern auch wegen der Arbeit. Sie hatte geradezu gewünscht, die Regenzeit möge bald einsetzen, obwohl sie den anderen im Lager zufolge viel schlimmer war als die Hitze. Die Mücken übertrugen Malaria, die Latrinen flossen über in Überschwemmungen, Krankheiten verbreiteten sich schneller und die Kleidung brauchte länger zum Trocknen. Die anderen sagten, sie habe Glück, wenn sie sie überhaupt nicht erlebte, während sie hier war.

Samanta war seit vielen Jahren in Äthiopien und erzählte, dass die Klimaveränderung auch hier spürbar sei. Die Temperatur stieg und der Regen wurde unvorhersehbarer, was es für die Bauern schwer machte, eine gute Ernte zu erzielen. Entweder kam der Regen zu spät oder es kam unerwartet so viel Regen innerhalb kurzer Zeit, dass die Ernten zerstört und die Nährstoffe in der Erde weggespült wurden.

Aus dieser Perspektive betrachtet waren Siljes Sorgen Bagatellen, dennoch seufzte sie laut. Der Strom war wieder ausgefallen, sodass es weder Zugang zum Telefon noch zum Internet gab. Die Fliegen nervten, weil das Büro direkt neben der Latrine lag, und sie musste das Fenster offen haben, obwohl es eigentlich nicht viel brachte. Es ging überhaupt kein Wind. Die Arbeitszeit war von Montag bis Samstag mit einer oder anderthalb Stunden Mittagspause, je nachdem, wie viel es zu tun gab. Sie hatte um 17.30 Uhr Feierabend, aber die letzten paar Tage war es viel später geworden. Sie war dankbar für ihre Stirnlampe, sonst hätte sie nicht so spät arbeiten können, wenn der Strom ausfiel. Die Abrechnung, die sie im Lager erledigen sollte, lief auch nicht so leicht, gar nicht wie die, die sie in Dänemark gewohnt war. Ihr Vorgänger war wegen Krankheit überstürzt zurück nach Norwegen gereist, sodass es niemanden gab, der sie einarbeiten konnte. Im Lager waren nur noch vier Personen. Samanta, der Fahrer Alem, ein Projektkoordinator aus Frankreich und sie selbst samt drei sogenannten delocalized staff, Äthiopier aus anderen Teilen des Landes, die angeheuert wurden, weil es nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte im Umkreis gab. Aber für die bereitete sie gerade die Gehaltsabrechnungen und die Papiere für ihre Abreise vor. Gleichzeitig war sie sehr müde von der Reise und den vielen neuen Eindrücken, und auch, weil sie um halb sechs morgens vom Gebetsruf der Moschee geweckt worden war, wo eine Menge unverständliche Worte über einen Lautsprecher gerufen wurden. Sie war gewarnt worden, dass es freitags am schlimmsten sei, wo mehrere Male am Tag zum Gebet gerufen wurde. Darüber hinaus hatte sie Durchfall wegen des Malaria-Medikaments - und vielleicht auch wegen der neuen Kost -sodass sie sich offen gestanden recht elend fühlte, aber versuchte, sich aufrecht zu halten.

Ihren Vater hatte sie noch nicht getroffen. Die Enttäuschung war groß gewesen, als sie beim Abendessen erfahren hatte, dass er zurzeit nicht im Lager war. Er war vor einer Woche in ein Gebiet weiter nördlich in Afrika gereist. Da hatte er manchmal etwas zu erledigen, erklärte Samanta. Es quälte Silje, schließlich war sie hergekommen, um ihn zu treffen. Aber er kam wohl zurück, hoffentlich, bevor sie selbst herumreisen musste. Sie holte den Ordner mit der Mitarbeiterkartei hervor. Schlug ihn auf der Seite auf, wo es ein Foto von ihm und eine Beschreibung seiner Qualifikationen gab. Er hatte offenbar jahrelang in Afrika gewohnt und war in der Universität der größten Stadt Tansanias, in Dar es Salaam, zum Arzt ausgebildet worden. Sie lächelte. Er sollte doch erfahren, was sie geopfert hatte, um ihn zu treffen, das musste doch auch etwas bedeuten. Konnte er wirklich auf die Idee kommen, sie zurückzuweisen? Mehrmals war sie kurz davor gewesen, Samanta zu erzählen, dass dieser hübsche, sonnengebräunte Arzt mit den azurblauen Augen und den blonden Haaren ihr Vater war. Sie war stolz darauf. Richtig stolz. Sie klappte den Ordner wieder zu und legte ihn auf den Tisch neben all die anderen mehr oder weniger verstaubten Ordner.

Es drückte in der Brust, als sie an ihren anderen Vater dachte. Sie konnte ihn nicht anders nennen. Stiefvater würde völlig verkehrt klingen. Er war kein Stellvertreter. Er hatte sie großgezogen und war während ihres gesamten Aufwachsens für sie da gewesen. Wenn sie hingefallen war und gepustet und getröstet werden musste. Am ersten Schultag. Beim ersten Liebeskummer. Als sie die Abiturientenmütze bekommen hatte. Er hatte stolz vor dem Prüfungsraum auf sie gewartet. Er hatte sie in der Kirche zum Altar geführt und sie an Tao übergeben. Er war da gewesen, als Anya geboren wurde und Silje eine postnatale Depression bekam. Er war einfach immer da gewesen und war es immer noch. Solange es dauerte. Als sie am Abend zuvor kurz miteinander telefoniert hatten, bevor der Akku ihres Handys leer war, wirkte er besorgt um sie und bat sie, schnell nach Hause zu kommen. Sie war bereit gewesen, sofort aufzubrechen, aus der unvermittelten Angst heraus, dass sie es nicht schaffen würde, ihn wiederzusehen und es überkam sie das Gefühl, dass es ihm mit ihr ebenso erging. Der Zweifel, ob sie das Richtige tat, kehrte zurück.

Sie schaute aus dem Fenster, als sie plötzlich hitzige Stimmen und lautes Rufen hörte.

„Was ist los, Samanta?“, rief sie, als sie sie zusammen mit den anderen entdeckte. Sie wirkten alle sehr aufgewühlt. Samanta war offenbar nach dem Mittagessen noch nicht ins Krankenhaus zurückgekehrt.

„Hast du Assefa gesehen?“, rief Samanta zurück.

„Wen?“

„Die Frau mit dem Albino-Kind. Sie ist verschwunden!“

Silje eilte nach draußen. Die Hitze traf sie wie eine Mauer und sie lief schnell in den Schatten unter dem Mangobaum, wo sich die anderen aufhielten.

„Nein, ich habe sie seit gestern nicht gesehen, als sie mit dem Kind hier saß. Ist das Kind auch verschwunden?“

„Ja, seit gestern Abend hat sie keiner mehr gesehen. Farsiris hat Fareem und seinen Opa aufgesucht, zu denen sich Assefa manchmal zu Besuch wagte, aber sie sind auch weg. Ihr Haus ist verlassen.“

Samanta wirkte sehr besorgt.

„Was kann passiert sein?“

„Ich weiß es nicht, aber ich befürchte das Schlimmste. Alem ist rausgefahren, um nach ihnen zu suchen. Ich hoffe, dass nicht die Verkehrten sie gefunden haben“, erwiderte Samanta.

Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9

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