Читать книгу Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 8

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„Doch nicht den Schlips, Kurt!“ Eves Stimme klang vorwurfsvoll.

„Welchen dann?“ Kurt Olsen zerrte vor dem Badezimmerspiegel grimmig seine Lieblingskrawatte vom Hemdkragen.

„Den, den du von mir zum Vatertag geschenkt gekriegt hast zum Beispiel.“

Sie stellte sich neben ihn an das Doppelwaschbecken und musterte zufrieden ihr eigenes Spiegelbild, richtete sich die Haare ein wenig und frischte den Lippenstift auf. Korallenrot. Ja, damit sie zum Schlips passte, knurrte Kurt innerlich, während er ihn gehorsam aus dem Garderobenschrank holte, wo alle seine schicken Krawatten in Reih und Glied am Krawattenhalter hingen. Selbst die riefen bei ihm nostalgische Erinnerungen an sein vergangenes Arbeitsleben hervor. Er erinnerte sich, welche Krawatte er bei jeder einzelnen Pressekonferenz im Polizeipräsidium getragen hatte.

„Warum müssen wir auch so verdammt schick sein“, knurrte er weiter, als er wieder neben Eve vor dem Spiegel stand und routiniert seinen doppelten Windsorknoten band. „Das ist doch verflixt nochmal nur ein Abendessen - sogar in unserem eigenen Zuhause.“

Nachdem sie beide in Rente gegangen waren, konnten sie ihr Sommerhaus durchaus als ihr Zuhause bezeichnen. Auf jeden Fall im Sommer.

„Du weißt, wie tadellos Poul Erik und Lissi immer gekleidet sind, nicht? Ihre Ausstrahlung zeigt, wie gut es ihnen geht.“

„Hmm. Sie verkauft Klecksereien, die sie feine Kunst nennt, und er lebt von - Scheiße. Was ist daran schick?“

„Scheiße? Was ist das für eine Ausdrucksweise, Kurt! Lissi hat erzählt, dass Poul Erik einen riesigen Auftrag für die neue Verbrennungsanlage bekommen hat. Nicht aller Abfall ist Scheiße. Viel wird zur Wiederverwertung weiterverkauft, erzählte Lissi. Sie helfen damit, die Umwelt der gesamten Erde zu verbessern. Und wie kannst du die Werke in ihrer Galerie nur Klecksereien nennen?! Wir haben selbst ein paar davon im Wohnzimmer hängen.“

Kurt Olsen schüttelte den Kopf. Wenn es nach ihm ginge, würde diese Art Kunst auch nicht an den Wänden hängen.

„Es ist doch bewundernswert, dass sie beide selbstständig arbeiten und weitermachen, obwohl sie sich schon längst hätten zurückziehen können. Viele könnten etwas von ihnen lernen“, fuhr Eve enthusiastisch fort. Sie holte ihre vergoldete Georg Jensen-Margeriten-Halskette aus der Schublade und legte sie an, zusammen mit den passenden Ohrringen, während Kurt Olsen überlegte, ob die Worte als Vorwurf an ihn gemeint waren.

Es war schon bewundernswert, was Eves Freunde geleistet hatten. Aber machten sie weiter? Was taten sie eigentlich? Es kam ihm so vor, als ob sie immer auf Reisen wären. Eve musste das Datum für die Einladung verschieben, weil sie auf einer Kreuzfahrt ans Nordkap waren, also wie viel hatten sie eigentlich mit ihren Firmen zu tun? Darum kümmerten sich sicher andere.

„Lissi ist doch nur in ihrer Galerie, wenn irgendein bekannter Künstler, mit dem sie sich gerne für irgendeine Zeitung fotografieren lassen will, da ausstellt“, murmelte er.

Eve senkte die Parfümflasche und schaute ihn im Spiegel wütend an.

„Was hast du denn für eine Laune? Die darfst du gerne ändern, bevor die Gäste kommen. Vielleicht war es doch zu früh für deine Entscheidung, deinen Ruhestand zu genießen!“

Es war gar nicht seine Entscheidung gewesen, schon in Rente zu gehen. Das wusste Eve bloß nicht. Tatsächlich hatte er es im letzten Augenblick bereut und versucht, den Polizeidirektor zu überreden, ein bisschen länger bleiben zu dürfen. Zumindest, bis ein wenig Ruhe eingekehrt war um den Neuen, nach dem Skandal in seiner Familie, wo der Vater - ebenfalls ein alter Polizeibeamter - wegen Mordes verhaftet worden war. Aber der Polizeidirektor hatte Anker Dahl in die Stellung gehoben, und es war - aus einem ihm unbekannten Grund - offenbar unmöglich, die Beförderung ungeachtet der Umstände zu verschieben. Wenn das die Belohnung für die Aufklärung des letzten großen Mordfalls war, dann konnte Anker Dahl ja nicht allein dafür belohnt werden. Das war ein Team-Einsatz gewesen, wie alle Polizeiarbeit es nun einmal war, und sie hatten alle gemeinsam mitgewirkt. Nicht zuletzt er selbst. Einfach die Lorbeeren für die Arbeit anderer zu ernten, das mochte er nicht. Er selbst hatte nie … okay, vielleicht ein paar Mal, aber dann auch nur, weil Roland Benito die Ehre und Aufmerksamkeit nicht mochte, also warum sollte er dann nicht? Irgendwer musste es ja.

„Jetzt mach mal hin mit diesem Schlips, Kurt. Du musst auch noch die Weine raussuchen“ drängte Eve und tänzelte aus dem Bad, duftend wie ein Rosenstrauch. Mit Dornen.

Mit dem zweiten befreundeten Paar, das an diesem Abend am Elsegårde Strand ankam, war Kurt Olsen sehr viel mehr auf einer Ebene. Obwohl auch sie seiner Meinung nach einen komischen Beruf hatten. Aber Emil Kraz war nicht humorlos, wenn er sich ,Bankdirektor’ nannte.

„Also ich verstehe das mit diesen Halmen nicht, Emil, das klingt ja fast wie Landwirtschaft“, sagte Lissi und sah ihren Nebenmann über den Rand der Sonnenbrille hinweg an. Sie hatten sich entschieden, den Tisch draußen auf der großen Terrasse zu decken, jetzt, wo das Wetter so gut war, und Kurt hatte schnell viel bessere Laune bekommen, als er die Weine probiert hatte, die er zum Abendessen servieren wollte. Das Meeresrauschen unter der Böschung am Ende der großen Rasenfläche half auch dabei, die Erregung zu dämpfen, von der er nicht wusste, woher sie kam.

„Ein Halm ist ein Plastikrohr mit der Menge Spermien, die man für eine Insemination benötigt“, erklärte Ella Kraz, da ihr Mann den Mund mit Entenbrust vollgestopft hatte und nicht antworten konnte.

„Wie viel ist das?“, wollte Lissi wissen.

„Ein halber Milliliter“, antwortete Ella.

„Dann sagt er also, dass die Samenzellen in einem Plastikrohr bei minus 196° Celsius aufbewahrt werden, bis sie in irgendeine Frau gesteckt werden, um ihr Ei zu befruchten?“

Emil Kraz nickte bestätigend, während er kaute. „Das Wichtigste für uns als Samenbank ist es, dafür zu sorgen, dass der Halm nicht weniger als fünf Millionen Samenzellen guter Qualität enthält“, fügte er hinzu.

Lissi kicherte und stieß Poul Erik den Ellbogen in die Seite. „Die könntest du nicht liefern, was, Schatz?“, Das Gesicht ihres Mannes rötete sich noch mehr als normal. Aber er trug weder Krawatte noch Anzug. Als tadellos gekleidet galt dieses Mal nur seine Frau und sobald Kurt Olsen die beiden ankommen sah und die Kleidung registrierte, hatte er sich beeilt, den korallenroten Schlips zu entfernen und in die Hosentasche zu stopfen. Eve hatte es nicht geschafft, es zu verhindern.

„Und stimmt es wirklich, dass der Spender sich einfach entscheiden kann, anonym zu bleiben?“, fragte Kurt und nippte am Wein.

„Ja, es gibt mehrere Möglichkeiten für den Samenspender, falls du interessiert bist, Kurt“, entgegnete Emil spöttisch. „Als anonymer Samenspender wirst du immer vollständig anonym bleiben. Du lieferst bloß deine Spermien bei einer Samenbank ab, am besten natürlich bei uns, dann schicken wir die weiter an die Kliniken.“

„Die Frau - oder das Paar - weiß also nichts darüber, was das für ein Typ ist, der der Vater ihres Kindes ist?“, schauderte Lissi.

„Die Information über die Haar- und Augenfarbe, die Größe, das Gewicht und die Hautfarbe des Spenders kann man natürlich angeben. Danach suchen viele ihren Spender aus.“

„Gilt das in beide Richtungen?“, fragte Lissi wieder interessierter.

Emil nickte. „Selbstverständlich. Der Samenspender kann auch nie erfahren, wer seine Spermien bekommen hat und wer seine Kinder sind. Der Spender kann auch ,erweitertes Spenderprofil‘ wählen, was bedeutet, dass er in einem gewissen Umfang nicht anonym ist. Samenspender mit diesem Profil sind bei uns mit einer Nummer registriert. Darunter sind detaillierte persönliche Informationen hinterlegt über beispielsweise Werdegang, Familienverhältnisse, ethnische Herkunft und anderes, was von Belang sein könnte. Darüber hinaus können Stimmproben, Babyfotos und so etwas abgegeben werden.“

Emil nahm einen Mundvoll Wein und nickte Kurt Olsen anerkennend zu, der sich stolz aufrichtete. Roland Benito hatte ihm diesen charakteristischen Weißwein über seine Tante in Neapel beschafft. Er stammte von einem kleinen Weingut in der Nähe des Vulkans.

„Das würde ich wohl bevorzugen, wenn es um mich ginge“, beteuerte Lissi. „Man muss doch wissen, dass es keine Person ist, die krank im Kopf ist.“

„Das kannst du ja anhand dieser Informationen trotzdem nicht wissen“, meinte Eve. Kurt ärgerte sich bloß darüber, dass der Fokus von seinem guten Wein abgelenkt worden war, über den er sehr viel lieber sprechen wollte.

„Der Spender bleibt auf diese Art immer noch geschützt. Wenn alle Informationen auf den Tisch sollen, muss man ,offener Samenspender‘ wählen. Hier hat der Spender unterschrieben, dass die Kinder ihn kontaktieren können, wenn sie 18 geworden sind.“

„Was ist dann mit Unterhaltspflicht und so etwas?“, fragte Poul Erik.

Emil schüttelte den Kopf. „Der Spender hat den Kindern gegenüber keinerlei juristische Verpflichtungen oder Rechte und die Kinder wiederum haben keinen Erbanspruch gegenüber dem Spender.“

„Ich würde mich das trotzdem nicht trauen“, beschloss Eve.

„Das ist für dich wohl auch nicht mehr aktuell, oder, Eve? Aber viele junge Menschen haben das verzweifelte Bedürfnis nach unserer Hilfe, ganz zu schweigen von alleinstehenden Frauen oder Homosexuellen, bei denen es in der Natur der Sache liegt, dass sie selbst keine Kinder bekommen können“, predigte Ella.

Poul Erik setzte an, etwas zu sagen, schwieg aber. Kurt Olsen wusste, was er sagen wollte. Freisinn hatte ihm noch nie gelegen.

„Du kannst dich auch entscheiden, deinen eigenen Samenspender zu nehmen, fuhr Ella fort wie bei einem Verkaufsgespräch. „Du wählst den Mann selbst aus, er muss dann nur einwilligen, seine Spermien zur künstlichen Befruchtung zu spenden, dann kümmern wir uns um den Rest.“

„Ich habe gelesen, dass ein Samenspender Vater von über hundert Kindern werden kann. Ist das nicht ein bisschen - unnormal?“, wandte Poul Erik ein.

Kurt Olsen schenkte sich Wein nach.

Eve hielt Kurt ihr Glas hin, damit er auch ihr nachschenken konnte.

„Wenn du das vermeiden willst, kannst du die Spermien deines Spenders reservieren oder dir das alleinige Nutzungsrecht für ihn kaufen“, erklärte Ella Kraz.

„Na, ist es nicht Zeit für ein bisschen Nachtisch?“, unterbrach Kurt Olsen und stand auf. Die Damen halfen ihm dabei, die leeren Teller in die Küche zu tragen und setzten sich anschließend wieder in den Garten. Durch das Fenster sah er, dass sie all ihre Aufmerksamkeit immer noch auf den ,Bankdirektor‘ und seine Gattin gerichtet hatten. Er schnaubte leicht, während er im Kühlschrank die Schüssel mit diversen Früchten und Schokolade fand, in der das Eis angerichtet werden sollte.

„Ich mach das schon, Schatz“, sagte Eve hinter ihm und nahm sie ihm ab. Er konnte an ihren Augen ablesen und an ihrer Stimme hören, dass der Wein schon seine Wirkung zeigte. Sie wurde immer leicht betrunken, dazu brauchte es nicht sehr viel.

„Geh nur wieder raus zu den anderen, ich kümmere mich darum, Kurt“, sagte sie, als er stehen blieb.

„All dieses Gerede über Spermien ist ja nicht besonders interessant, kann ich dir nicht helfen?“

Eve gab ihm einen leichten Klaps. „Jetzt geh schon raus. Dann sprich mit Poul Erik über den großen Auftrag, den er für die Verbrennung bekommen hat, er scheint das Thema auch nicht sonderlich spannend zu finden“, flüsterte sie. „Nimm das hier mit raus.“

Sie reichte ihm den Dessertwein, den er aus seinem Weinschrank geholt hatte. Samen oder Scheiße in einer Verbrennung liefen doch auf dasselbe hinaus.

Eine kühle Brise hob seinen spärlichen Pony, als er wieder zurück in den Garten kam. Lissi und Emil waren auf den Rasen gerückt, wo sie sicher ihr Samen-Gespräch weiterführten. Sie hatten beide eine Zigarette angezündet. Der Geruch erreichte den Tisch, wo Kurt die Flasche abstellte.

„Mochtest du den Weißwein, Poul Erik?“, fragte er und setzte sich neben ihn.

„Ja, das kann man wohl sagen. Ausgezeichneter Wein. Aber was hast du da?“

„Das ist ein Moscato. Fürs Dessert. Möchtest du probieren?“

Poul Erik nickte begeistert. „Lissi fährt, daher schenk ruhig ordentlich ein“, flüsterte er. „Das Italienische hat es dir wohl angetan, was?“, fuhr er fort, während Kurt randvoll einschenkte.

„Ja, mein Kriminalkommissar … äh, ein ehemaliger Kollege ist Italiener und hat mir einigen guten Wein besorgt.

Kurt Olsen räusperte sich, da er auf einmal einen Frosch im Hals hatte.

„Vermisst du den Job?“, fragte Poul Erik, der die Sehnsucht in seinem Gesicht gesehen haben musste.

„Tja, ab und zu. Dreiundvierzig Jahre am selben Arbeitsplatz geben einem ja ein gewisses … Zugehörigkeitsgefühl.“

Er drehte das Glas und schaute auf den Rebensaft, der darin schwenkte.

„Ja, das ist klar. Deswegen mache ich auch weiter. Nur zu Hause zu sein, liegt mir nicht.“

„Verbrennung läuft ja wohl ganz gut. Wie ich hörte, habt ihr einen großen Auftrag bekommen.“

„Ja, ich kann mir vorstellen, dass Lissi es sicher Eve erzählt hat“, gluckste Poul Erik vergnügt. „Wusstest du, dass wir in Dänemark Abfallexperten sind? Wir sind faktisch Europameister. Die neue Anlage hat eine viel größere Kapazität als die alte, aber ich kann noch nicht so sehr ins Detail gehen. Der Vertrag ist noch nicht in trockenen Tüchern, doch wir sprechen hier wohl über einen größeren Milliardengewinn.“

Kurt Olsen nickte und hörte mit halbem Ohr dem anderen Tischgespräch zu, das sich immer noch um Spenderkinder und Ethik drehte. Lissi und Emil waren an ihre Plätze zurückgekehrt, und als Eve mit dem Nachtisch kam, waren ihre Gedanken schon wieder ganz woanders.

Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9

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