Читать книгу Verfluchtes Drachenherz - Inka Loreen Minden - Страница 14
Kapitel 9 – Ein unglaublicher Fund
ОглавлениеFay zog sich in ihrem wunderschönen »Feenzimmer« eine legere Stoffhose sowie ein T-Shirt an und überlegte, ob sie tatsächlich schon ins Bett gehen sollte. Sie war kein bisschen müde. Loans plötzliche Flucht wühlte sie zu sehr auf. Zu allem Übel befiel sie auch noch ein seltsames Gefühl, als ob Loan sie brauchen, nach ihr rufen würde. Kurz darauf glaubte sie sich beobachtet und blickte schnell zum Fenster. Hatte sich dort draußen im Dunkeln gerade etwas bewegt?
Als sie an die Scheibe trat, war dort natürlich nichts zu sehen. Bloß ein paar Regentropfen klopften zart dagegen. Ein wenig hatte sie gehofft, dem süßen Eichhörnchen zu begegnen. Dann wäre sie jetzt nicht so allein.
Sie wurde hier bald verrückt!
Ob sie auf ihrem Smartphone im Internet surfen sollte? Aber sie hatte in dieser Einöde absolut keinen Empfang. Sonst hätte sie Loan vielleicht mal angerufen … nur um zu fragen, ob es ihm gutging.
Ach, ihm geht es sicher bestens!, schalt sie sich und tigerte weiter durchs Zimmer.
Sie könnte etwas lesen, ein paar E-Books hatte sie gespeichert, doch sie entschied sich für die Arbeit. Bis jetzt hatte sie noch nicht herausgefunden, was sie hier suchte! Ständig dachte sie an ihre Visionen, die sie hergeführt hatten.
Das sinnliche Intermezzo mit Loan konnte ja wohl unmöglich alles gewesen sein. Außer irgendeine höhere Macht wollte sie demütigen. Vielleicht war das aber auch einfach nur die Strafe, weil sie zu dämlich gewesen war, auf das verschlüsselte Tagebuch aufzupassen.
Kurzerhand beschloss sie, sich noch einmal in der Bibliothek umzusehen. Die schien wichtig zu sein, zumindest laut ihrer Zukunftserinnerung. Dort gab es außerdem einen Computer mit Internetanschluss. Sollte sie nichts finden, könnte sie eventuell mit Noir chatten. Die war eine Nachtgestalt und jetzt bestimmt noch nicht im Bett … außer vielleicht mit Vincent.
Fay schob sich ihr Handy in die Hosentasche, falls sie die integrierte Taschenlampe bräuchte, und zog sich Frotteesocken über. Die nahm sie überallhin mit, weil sie nachts oft kalte Füße bekam. Es war ihr egal, falls Loan ihr über den Weg laufen würde und sie so sah. Im Moment hatte sie nicht das Bedürfnis, für ihn schick aussehen zu müssen.
Über das Treppenhaus schlich sie nach unten und verursachte dabei kein Geräusch. Frotteesocken waren durchaus praktisch! Nur ab und zu knarzte eine Holzdiele leise.
Da die Notbeleuchtung brannte, musste Fay kein zusätzliches Licht anmachen. Lediglich in der Bibliothek war es stockdunkel.
Wo war Loan bloß? Das würde sie wirklich brennend interessieren. Und wo trieb sich sein Butler herum? Alles wirkte völlig verlassen, und doch hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein.
An diesem Ort stimmte definitiv etwas nicht und Fay würde schon noch herausfinden, was Loan vor ihr verbarg!
Sie machte kein Licht, als sie die Tür leise schloss. Nur der Schein einer Laterne fiel durch die hohen Fenster der Bibliothek, doch es reichte nicht aus, um genug zu erkennen. Die meisten Regale und vor allem die Ecken des Raumes lagen in völliger Dunkelheit. Fay verspürte jedoch keine Furcht. Sie war in einem uralten, knarzenden Haus aufgewachsen, in dem sogar der Geist eines jungen Mädchens umging. Zum Glück hatte sie sich schon als Kind mit Jeannette – so ihr Name – angefreundet und wurde nicht länger erschreckt. Ansonsten machte ihr so schnell nichts Angst, außer Dämonen. Es gab üble Gesellen, gegen die selbst eine Hexe machtlos war. Wenigstens schienen sich die Unterweltler nicht in diese Einsamkeit zu verirren. Sie bevorzugten eher Städte mit vielen Menschen, da sie dort größere Auswahl hatten, um an Seelennahrung zu kommen und was sie sonst noch zum »Leben« brauchten.
Fay legte den Kopf in den Nacken und holte ihr Handy aus der Hosentasche. Besser, sie ließ das Deckenlicht aus, damit niemand bemerkte, dass sich hier jemand aufhielt. Denn sie musste dringend an die oberen Regalreihen herankommen – und das schaffte sie nur mit einem Schwebezauber. Zum Glück hatte sie reichlich zu Abend gegessen, ihre Energietanks waren mehr als voll.
»Corpus volantes, humana corpus«, murmelte sie, während sie die Taschenlampe ihres Smartphones einschaltete, und stellte sich geistig vor, wie sich ihre Füße vom Boden lösten und sie den Gesetzen der Schwerkraft trotzte. »Volantem hominem, altiorem …«
Fay spürte einen Anflug von Schwindel, bevor sie eine angenehme Leichtigkeit befiel. Sie spannte ihren Körper an, sagte weiter den Spruch auf. Denn nur solange sie redete – oder die magischen Worte gedanklich wiederholte –, würde sie schweben.
Ihre Füße verloren den Halt und sie hob ab. Nun musste sie sich genau vorstellen, wohin sie »gleiten« wollte – wie es korrekt hieß –, und ihr Ziel waren natürlich die oberen Regalreihen. Höher und höher ging es hinauf, wobei sie bloß nicht vergessen durfte, weiter zu sprechen, sonst würde es eine harte Landung geben.
Ein wenig stolz war Fay schon, dass sie diesen Zauber beherrschte, denn das konnten nur sehr wenige Magier. Dazu brauchte man, neben einer speziellen genetischen Veranlagung, vor allem die Fähigkeit, ausreichend Energie, die schnell abrufbar war, in den Zellen speichern zu können. Unendlich lange in der Gegend herumzufliegen, war deshalb nicht möglich. Acht Minuten und bis zu zehn Meter hoch waren das Maximum – länger und höher hatte es noch niemand geschafft. Fays Rekord lag bei fünf Minuten und neun Metern. In der Magierschule hatte sie die Schwebezauber-Prüfung als Einzige ihres Jahrgangs mit Auszeichnung bestanden.
Selbst darüber hatten ihre Eltern nie ein Wort verloren …
Fay sollte jetzt weder an ihre Erzeuger noch an Loan denken, denn sie hatte nicht viel Zeit. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihr den leeren Raum und die geschlossene Tür. Sie war allein, auch wenn ihr Bauchgefühl hartnäckig behauptete, jemand würde sie beobachten. Aber sie spürte ebenfalls, dass sich in den oberen Regalen jede Menge besonderer Bücher befanden, denn einige sandten sanfte magische Impulse aus.
Fay hielt das Licht der kleinen Handylampe nah an die Buchrücken, um hastig die Titel zu überfliegen – sofern überhaupt welche darauf standen – und staunte, denn ihr kamen einige Ausgaben bekannt vor. Loan besaß eine beachtliche Sammlung der wichtigsten Hexenwerke und anderer Kompendien der Magierwelt.
Woher hatte er all diese Bücher und warum waren sie nicht in seiner Datenbank verzeichnet?
Kurz flackerte die alte Vision wieder auf, die der Goyle Nick ausgegraben hatte. In genau dieser Bibliothek hatte sie einen schwarzen Donnertrommler gesehen. Ob hier ein Drache lebte? Ob … Loan ein Drachenwandler war?
Sie schnaubte belustigt und vergaß beinahe, weiterhin den Zauberspruch zu murmeln. Wenn sie einen Drachen finden würde, wäre das ja wie ein Hauptgewinn im Lotto. Ach, das war noch untertrieben. Es wäre die Sensation des Jahrtausends!
So viel Glück hatte sie bestimmt nicht. Aber eines wusste sie jetzt ganz sicher: Loan war kein gewöhnlicher Mann.
Ein dicker, in blutrotes Leder eingeschlagener Wälzer ohne erkennbare Schriftzeichen auf dem Rücken erregte Fays Aufmerksamkeit besonders, denn ihr kam das edle Material bekannt vor. Thomas Elwoods Tagebuch war in genau solch einem roten Leder eingebunden gewesen.
Ihr Puls raste und ihre Fingerspitzen kribbelten, als sie den schweren Band aus dem Regal zog. Weiterhin den Spruch murmelnd, versuchte sie, das gewichtige Buch in einer Hand zu balancieren und mit der anderen, in der sie auch ihr Handy hielt, aufzuschlagen. Irgendwie schaffte sie es, und las, was mit schwarzer Tinte auf dem Deckblatt geschrieben stand:
Lexikon über magische Wesen und ihre Eigenschaften – herausgegeben von Thomas Elwood.
Fay keuchte auf und sank gut einen Meter tiefer, bevor sie schnell wieder den Zauber sprach.
Von genau diesem Magier stammte auch das gestohlene Tagebuch!
Zu aufgeregt, um den Schwebezauber länger aufrechterhalten zu können, glitt sie nach unten und begab sich sofort zum Tisch, auf dem der Computer stand. Dort legte sie das Buch ab und beleuchtete es mit ihrer Handylampe.
Ihr Herz donnerte gegen ihre Rippen, ihre Hände zitterten und sie bekam kaum Luft. Sollte es das Schicksal endlich einmal gut mit ihr meinen?
Der Zauber hatte viel Kraft gekostet, ihre Knie fühlten sich also nicht nur wegen der Aufregung butterweich an. Deshalb setzte sie sich schnell und blätterte behutsam in dem Buch. Es enthielt handgeschriebene Eintragungen und selbst gezeichnete Bilder aller möglicher Wesen, ihrer Anatomie und Eigenarten. Fay konnte kaum begreifen, was sie entdeckt hatte. Welch wertvoller Schatz!
Ja, hier war sie richtig.
Am liebsten würde sie sofort Noir Bescheid geben, dass sie vielleicht eine Spur gefunden hatte. Womöglich war dieses Kompendium der Schlüssel zur Wiederbeschaffung des gestohlenen Tagebuches! Falls die Dämonen es nicht sofort nach dem Diebstahl vernichtet hatten. In Noirs Detektei arbeitete eine Hexe namens Shiela Torres. Sie hatte sich auf Suchzauber spezialisiert und konnte mit den entsprechenden Mitteln, wie persönlichen Gegenständen, so ziemlich alles aufspüren.
Noir, ich muss es Noir sagen …, hallte ständig durch ihren Kopf, aber ihre Hände gehorchten ihr nicht. Fay wollte noch ein paar dieser wertvollen Seiten durchsehen, weil sie sehr neugierig auf den Inhalt war. Sie wusste nicht, dass Thomas Elwood ein Lexikon geschrieben hatte. Es musste sich um ein Unikat handeln!
Ein breites Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Jetzt hatte sich der Ausflug hierher doch noch gelohnt.
***
Loan hatte alles getan, um seine Bestie zu beruhigen, hatte vehement versucht, er selbst zu bleiben und einen klaren Verstand zu behalten. Zum Glück war es ihm gelungen. Nun befand er sich in einem Dämmerzustand, zusammengerollt auf dem kühlen Boden, und war kurz davor, einzuschlafen. Der harte Untergrund machte ihm in seiner Drachengestalt nichts aus, doch in seiner menschlichen Form bevorzugte er sein weiches Bett. Was würde er dafür geben, endlich wieder nachts darin liegen zu dürfen!
Als er tapsende Schritte nackter Füße hörte, die sich schnell näherten, wusste er, dass Baxter im Anmarsch war – und zwar unbekleidet. Das bedeutete, dass er sich gerade noch in seiner Eichhörnchengestalt befunden hatte und ihm nun etwas Wichtiges mitteilen musste. Ansonsten würde er Loan nämlich nicht stören.
Ob er Fay gefunden hatte? War sie womöglich noch hier?
Loan hob den Kopf von seinen Pranken und schlug die Augen auf, gerade als Baxter auf ihn zulief. Wie die meisten Wandler schämte er sich seiner Nacktheit nicht, weshalb er keine einzige Stelle seines hageren Körpers bedeckte.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie störe, Herr«, sagte er atemlos, als er vor Loan hielt. »Aber ich bringe brisante Neuigkeiten über Miss Ravenwood! Ich habe sie durch das Fenster in der Bibliothek beobachtet und … sie ist geschwebt! Sie sah aus wie ein Engel. Sie kommt aus unserer Welt!«
Loan war heilfroh, dass Fay nicht das Weite gesucht hatte. Er war so erleichtert darüber, dass er den zweiten Teil von Baxters aufgeregten Ausführungen erst nicht richtig verstanden hatte.
Fay … war geschwebt? Wie ein Engel?
Unruhig lief Baxter vor ihm auf und ab, wobei er sich ans Kinn tippte. »Was sie wohl ist? Ein himmlisches Wesen oder eine Fee vielleicht? Womöglich sogar eine Lichtelfe? Können die überhaupt fliegen? Eine Sylphe eventuell … Oh, ich bin schrecklich neugierig und würde sie am liebsten gleich fragen – was ich natürlich nicht tun werde, Herr.«
Langsam sickerte in Loans Bewusstsein, wovon der Junge sprach. Wenn Fay aus seiner Welt stammte, machte das alles so viel einfacher! Er wollte am liebsten sofort zu ihr und ihr alles erklären! Doch er würde sich erst in einigen Stunden zurückverwandeln, und solange er sich in seiner Drachengestalt befand, war er zudem viel zu gefährlich.
Auch seine Bestie hatte nun begriffen, dass Fay noch auf dem Schloss weilte, und drängte nach vorne. Sein Untier versuchte, sich von den Ketten loszumachen, stemmte sich in die Eisen und riss daran – glücklicherweise vergeblich. Sie gaben nicht einen Millimeter nach.
Das machte sein Biest unglaublich wütend.
Loan musste zu ihr! Fay durfte nicht gehen, denn sie war die Richtige. Er spürte es!
Muss sie töten!, dröhnte die Stimme der Bestie in Loans Kopf. Sein Drache riss an den Fesseln, brüllte und tobte – schließlich versuchte er sogar, mit seinen großen, scharfen Zähnen eines der unnachgiebigen Glieder aufzubeißen.
Loan dankte Mr Crumbs hervorragenden Schmiedekünsten und den stabilen Mauern. Fay war in Sicherheit.
Baxter stand in einiger Entfernung vor ihm und hielt sich die Ohren zu. »Bitte beruhigen Sie sich, Herr! Miss Ravenwood ist morgen Früh bestimmt auch noch da und dann können Sie mit ihr reden!«
Das Monster in ihm wollte nicht reden, sondern Blut kosten, ihr zartes Fleisch schmecken und sie zerfetzen.
Loan spürte bei diesem Gedanken eine gewaltige Übelkeit in sich aufsteigen. Er war kein Mörder, und schon gar nicht würde er die Frau, die er als Gefährtin auserwählt hatte, bestialisch töten, nur weil ein schwarzmagischer Zauber auf ihm lag. Er war stärker als dieser Fluch. Musste es sein!
»Bitte, beruhigen Sie sich doch!«, rief Baxter verzweifelt. »Miss Ravenwood könnte Sie hören!«
Das war ihm egal. Sollte sie ruhig kommen. Er erwartete sie …
Es gab ein leises »Plopp«, als würde etwas implodieren, und Baxters Menschengestalt transformierte sich von einer Sekunde zur anderen in ein Eichhörnchen. Sein Körper zog sich so schnell zusammen und rotbrauner Pelz schoss hervor, dass er eine Sekunde lang in der Luft zu stehen schien, bevor er auf seinen Pfötchen landete.
Sofort stellte er sich auf die Hinterbeine, drückte die Vorderpfoten an den hellen Bauch und schaute Loan mit seinen schwarzen Kulleraugen zuckersüß an. Der Junge wusste ganz genau, dass er bei diesem Anblick jedes Mal lachen musste. So präsentierte sich ihm der Kleine immer, wenn Loan schlechte Laune hatte.
Sein Untier zog sich zurück, beruhigte sich. Loan war froh, dass noch immer genug von ihm selbst in ihm steckte, sodass er den von Aurora verwunschenen Drachen meist irgendwie bändigen konnte. Doch so extrem schwer zu beherrschen wie heute war er noch nie gewesen. Das lag allein an Fay – und dem verfickten Fluch!
Loan versuchte, sich abzulenken, indem er seinen quirligen Butler beobachtete, der nun in seiner Eichhörnchengestalt Kunststücke vollführte. Er stand auf einem Bein, wedelte wild mit dem puscheligen Schwanz, gab lustige, keckernde Geräusche von sich und probierte sogar einen Purzelbaum. Der ging jedoch gehörig daneben, sodass Baxter auf seinem pelzigen Rücken landete und alle viere von sich streckte. Doch er gab nicht auf und sprang auf die Beine. In einer Ecke fand er drei runde Steinchen und versuchte, diese wie ein Akrobat mit dem einen Pfötchen in die Luft zu werfen und mit dem anderen Pfötchen aufzufangen.
Ein jonglierendes Eichhörnchen – wenn das mal keine Attraktion war!
Loan lachte, und da er gerade ein Drache war, hörte es sich wie ein heiseres Knurren an. Baxter war wirklich eine Nummer für sich. Allein sein Wesen als Eichhörnchen-Wandler hätte ihn schon außergewöhnlich gemacht, aber seine Persönlichkeit war das wirklich Besondere an ihm.
Loan hatte sich als Kind immer gefragt, wie es überhaupt möglich war, dass ein Mensch zu solch einem kleinen Geschöpf mutieren konnte, noch dazu so schnell. Zwar war Baxter ein relativ großes Eichhörnchen – zumindest im Gegensatz zu seinen echten Artgenossen –, aber es faszinierte Loan heute noch. Eine Erklärung hatte er in Thomas Elwoods Lexikon gefunden, das er aus der ehemaligen Bibliothek seines Vaters mitgenommen hatte. Darin stand, dass bei einer Wandlung immer Magie im Spiel war, bloß hatte auch die ihre Grenzen. Zwar konnte man die Naturgesetze etwas beugen, jedoch nicht unendlich. Wenn die Wesenform größer war als der menschliche Körper, wie bei Loan, gab es weniger Probleme. Bei der Wandlung in einen Drachen dehnten sich seine Moleküle aus, die Knochen wurden hohl, die Haut elastischer. Außerdem »saugte« er Materie aus seiner Umgebung ab, die seine Vorfahren nach ihrem Tod in dieser Welt zurückgelassen hatten. Die war überwiegend nötig, um seine schwarzglänzenden Schuppen zu bilden. Verwandelte sich Loan zurück in einen Menschen, gab er diese geliehene Materie wieder ab.
Wandler, die sich in ein kleineres Tier transformierten, mussten genau den umgekehrten Weg gehen und überschüssige Materie »ablegen«. Das passierte in Form einer Aura – »Energiekörper« nannte es Thomas Elwood.
Gewöhnliche Menschen und viele andere Wesen konnten diese Aura nicht sehen, Dämonen leider schon. Sie besetzten diese Energiekörper, um sich selbst eine neue Gestalt anzueignen oder gleich das Leben des Wandlers zu übernehmen, um unerkannt unter den Menschen zu wandeln. Auf diese Weise konnten sie den größten Schaden anrichten. Tötete ein Unterweltler dann den Wandler, der sich gerade in seiner Tierform befand, gehörte ihm dessen Körper für immer. Deshalb gab es auch fast keine Eichhörnchen-Wandler mehr auf der Welt.
Baxters Familie hatte sich bei seinem Vater sicher gefühlt und gerne für ihn gearbeitet, weil Drachen diese Aura ganz schwach wahrnehmen konnten und zudem stark im Kampf gegen Dämonen waren. Doch das hatte den Eichhörnchen-Wandlern nicht geholfen, denn Aurora hatte sie vor zehn Jahren alle verraten. Nur Francis hatte überlebt.
Nachdem Loan das Hexen-Miststück bekämpft und umgebracht hatte, musste er damals auch Francis’ Familie töten – dessen Eltern und die ältere Schwester. Niemals hatte er etwas Schwereres machen müssen. Loan hatte zwar gewusst, dass in den Körpern der Baxters nun Dämonen steckten und es keine Rettung mehr für sie gab, da sie längst tot waren. Aber die Familie war seit Jahren bei seinen Eltern angestellt gewesen, Loan hatte sie gut gekannt und sehr gemocht. Wenigstens hatte der damals erst achtjährige Francis nicht mit ansehen müssen, wie seine Liebsten starben, da Loan ihm befohlen hatte, sich zu verstecken.
Jetzt gab es nur noch Francis, den einzigen Überlebenden der Familie Baxter, und er war vielleicht der letzte seiner Art, genau wie Loan. Immer noch rollte sich Francis auf dem Boden herum und machte seltsame Verrenkungen, während sein Materiekörper unbeweglich in der Nähe stand. Er war völlig durchscheinend und schimmerte leicht. Nur wenn Loan ganz genau hinsah, erkannte er ihn. Baxter ließ seine »Aura« oft in Loans Nähe zurück, als würde der Junge denken, er könnte sie beschützen. Baxter hatte mehr Vertrauen in ihn als Loan in sich selbst. Wahrscheinlich würde sein Untier den Kleinen ohne mit der Wimper zu zucken töten. Doch Loan hoffte mit aller Macht, dies auf Dauer zu verhindern. Aurora, dieses bestialische Miststück, sollte niemals triumphieren dürfen, dafür würde Loan sorgen, auch wenn es ihn das Leben kosten sollte.