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Kapitel 2 – Die Legende des schwarzen Drachen
ОглавлениеFay stieß einen gelangweilten Seufzer aus und nippte an ihrem Wasserglas. Über dessen Rand beobachtete sie im Wirtshaus die alten, feiernden Menschen, die lieber lachten, Scones mit Clotted Cream aßen und Tee mit jeder Menge Gin, Whisky oder Rum tranken, als ihr etwas über die Drachensage zu erzählen. Nur wegen dieser Geschichte war sie extra von London bis in dieses abgelegene Kaff gefahren. Einzig interessant war der breitschultrige, schwarzhaarige Schönling gegenüber im Saal, der bereits den halben Nachmittag von Tisch zu Tisch schlenderte. Er hatte etwas Erhabenes an sich oder machte den Eindruck, als würde er vom Adel abstammen. Mit seiner einem Tick zu großen, aber geraden Nase, dem leichten Bartschatten und den markanten Wangenknochen könnte er aber auch als Model durchgehen. Und allein diese Figur! Fay wollte ihn gar nicht zu sehr mustern, da würde ihr nur das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Gerade unterhielt sich Mister Supersexy angeregt mit einer etwa Achtzigjährigen. Bloß verstand Fay kein Wort. Die Leute redeten zu laut und grässliche Musik tönte aus den Lautsprechern. Ihr entging jedoch nicht, dass der heiße Kerl – dem der dunkelblau schimmernde Anzug ausgezeichnet passte, wie sie neidlos anerkennen musste – ständig in ihre Richtung spähte. Der Mann war ungefähr ihr Jahrgang, auf jeden Fall nicht über fünfunddreißig, weshalb sie beide den Altersdurchschnitt in diesem Raum beträchtlich senkten. Vielleicht sah er sie auch aus diesem Grund immer wieder an, als wäre sie ein exotisches Tier, schließlich passte sie hier genauso wenig rein wie er. Dabei wirkte sie für gewöhnlich eher unscheinbar und hatte nicht oft das Gefühl, irgendwelchen Männern – oder einem extrem sexy Gargoyle aus Vincents Klan, in den sie sich ein wenig verguckt hatte – aufzufallen. Das störte sie aber auch nicht weiter. Wer sie nicht wollte, hatte eben Pech gehabt. Eines Tages würde Mr Right schon aufkreuzen. Sie lief gewiss keinem Kerl hinterher.
Wegen der Hitze draußen hatte Fay ihr braunes Haar locker im Nacken zusammengebunden und trug einen hauchdünnen beigen Jumpsuit. Sie überlegte, den Hosenanzug aus Viskose öfter anzuziehen. Anscheinend machte der sie attraktiver.
Fay schnaubte amüsiert. Was für dämliche Gedanken! Sie wollte diesem Typ ganz sicher nicht gefallen, das hatte sie doch eben beschlossen! Er starrte bestimmt nur zu ihr her, weil sie eine völlig Fremde war. Sicher fragte er sich, was die Reporterin, für die sie sich ausgab, hier suchte. Und dass er bisher kein Wort mit ihr gewechselt hatte, zeigte ihr, wie wenig interessant er sie fand. Solche Sahneschnitten ließen doch sonst nichts anbrennen? Wahrscheinlich zerrten an jedem seiner Finger mindestens fünf hübsche Frauen, weshalb er aktuell bedient war. Oder er war verheiratet und treu – wobei ihr kein Ring an ihm auffiel.
Ob er der Veranstalter dieser Feier war? Im Gegensatz zu ihr amüsierte sich Mister Sexy offensichtlich prächtig, flirtete mit einer ergrauten Dame, stieß mit einem betagten Herren an und tat gerade so, als wäre er mit allen supergut befreundet.
Schnell drehte Fay ihm den Rücken zu, weil sie grinsen musste. In diesem verschlafenen Nest dürfte es für ihn sehr schwer werden, genügend Auswahl in seinem Alter zu finden – falls er auf der Suche war. Turtelte er deshalb mit den älteren Ladys? Oder stand er auf reifere Frauen?
Fay kannte hier niemanden. Sie hatte den weiten Weg jedoch nicht nur wegen dieser ominösen Drachensage auf sich genommen, sondern auch, um vielleicht etwas Neues über ein verschwundenes Notizbuch und dessen Inhalt zu erfahren. Leider hatte sich ihre Mission beziehungsweise die Vision, die dieser Reise vorausgegangen war, als absoluter Fehlschlag erwiesen.
Sie stellte ihr leeres Glas einem vorbeischlendernden Kellner, der kaum jünger war als die restlichen Anwesenden, auf das leere Tablett und überlegte, ob sie noch einmal ihr Glück bei einem Einwohner versuchen sollte. In einer Ecke saß ein Mann, der aussah, als wäre er bereits hundert Jahre alt und halb versteinert. Er starrte nur auf den Tisch und würde wohl jede Sekunde einschlafen.
Nein, von dem würde sie auch nichts erfahren.
Verdammt! Ihre Visionen zeigten ihr fast immer etwas Bedeutsames! Doch der Zeitungsartikel, der vor drei Tagen urplötzlich vor ihrem geistigen Auge aufgeploppt war, gehörte wohl nicht dazu. Dabei hatte alles so vielversprechend geklungen!
Es hieß, hier in der Ortschaft Woodhead feierten die Einwohner jedes Jahr ihren Sieg über den letzten Drachen dieser Gegend, den sie vor dreihundert Jahren geköpft hatten. Er und seine Vorfahren sollten sich Jungfrauen aus dem Dorf geholt haben, um Nachwuchs mit ihnen zu zeugen. Natürlich gab es diese archaische und grausame Sitte seitdem nicht mehr, sie war zusammen mit dem mythischen Wesen vom Antlitz der Welt verschwunden.
Fay ging grundsätzlich jeder Spur nach, um entweder das verschwundene Buch zu finden oder das Rätsel des Steinfluches auf andere Art zu lösen. Sie machte sich große Vorwürfe, dass sie vor drei Jahren das Notizbuch des Magiers Thomas Elwood mit nach Hause genommen hatte. Es stammte aus dem 19. Jahrhundert und enthielt codierte Notizen, wie der Magier damals die Gargoyles von dem Steinfluch befreien wollte, und auch Einträge seines Sohnes David. Weil Fay kurz davor gestanden hatte, die entscheidende Passage zu entschlüsseln, hatte sie in ihrer Freizeit weiter daran arbeiten wollen, was ihr natürlich nicht erlaubt gewesen war. Auf dem Weg in ihre Wohnung hatte ihr ein junger Typ, dessen Gesicht sie wegen der tief nach unten gezogenen Kappe nicht erkannt hatte, am helllichten Tag die Handtasche mitsamt Buch gestohlen. Da sich so viele Passanten in der Nähe befunden hatten, war es ihr unmöglich gewesen, ihn durch einen Zauber aufzuhalten.
Der Verlust des unglaublich wertvollen Artefaktes hatte einen Rauswurf aus dem Magierrat zur Folge gehabt, in dessen Auftrag sie als Wissenschaftlerin die codierten Notizen entwirren sollte. Doch zum Glück hatte sie eine Anstellung in London bei Noir LeMar gefunden. Die begabte Hexe hatte damals fast zur selben Zeit, nachdem sie mit Hilfe einiger Verbündeter den mächtigen Höllenfürsten Ceros zur Strecke gebracht hatte, eine Detektei für paranormale Fälle eröffnet und nach Mitarbeitern gesucht. Auf diese Weise hatte Fay nicht nur Noirs schnuckligen Partner Vincent kennengelernt, der übrigens ein Gargoyle war, der sich in einen Menschen verwandeln konnte, sondern auch weitere Goyles – Gargoyle-Wesen-Hybriden – aus seinem neu gegründeten Klan.
Nicolas – dessen Vater ein Inkubus und Mutter ein Gargoyle gewesen war – arbeitete auch dort. Er besaß die Gabe, mit seinem Geist in die Köpfe anderer dringen zu können. Er hatte ihr den Zeitungsausschnitt der Drachensaga-Feier, den Fay in ihrer Vision nur ganz kurz erblickt hatte, vorgelesen, damit sie sich Ort und Zeitpunkt notieren konnte. Außerdem hatte Nick gesagt, er hätte eine riesige Bibliothek mit vielen, auch schon sehr alten Büchern in ihrer Vision gesehen, und mittendrin einen echten Drachen – einen Schwarzen Donnertrommler, um genau zu sein – was Nick später in einem von Noirs schlauen Büchern nachgeschlagen hatte. Das Bild mit dem Untier in der Bibliothek war nur ein ganz kurzes Aufblitzen gewesen, sodass Fay dieses Detail völlig verborgen geblieben war. Doch Nick fand einfach immer alles in den Köpfen anderer.
Aber bis jetzt hatte sie nichts. Da hätte sie genauso gut zu Hause bleiben und Cal anschmachten können. Caleb oder »Cal«, wie er von den meisten genannt wurde, lebte seit zwei Jahren in Vincents Klan und hatte es ihr von allen Gargoyles besonders angetan. Er gesellte sich oft nachts, sofern sie noch für Noir Dinge erledigte, zu ihr ins Büro und fragte beinahe jedes Mal, ob es schon etwas Neues wegen des verschollenen Tagebuchs gab. Er zeigte sich einerseits an ihr interessiert, andererseits schien er sie dennoch auf Abstand zu halten. Ein wenig seltsam war er schon …
Nicht an ihn denken!, ermahnte sie sich und konzentrierte sich lieber wieder auf die anwesenden Leute und auf ihre Aufgabe. Aber immer, wenn sie mit einem Einheimischen ins Gespräch kommen wollte, lachte derjenige nur, umarmte sie oder prostete ihr zu. Deren Frauen hingegen wollten, dass Fay ihre besten Rezepte notierte und in der Zeitung abdruckte.
Die Leute hatten einfach schon zu viel getrunken. Hier und heute würde sie wohl an keine Informationen mehr kommen. Vielleicht sollte sie noch so lange in diesem Kaff bleiben, bis alle wieder nüchtern waren, und dann erneut fragen.
Für einen winzigen Moment überlegte sie, auf Mister Sexy zuzugehen, der als Einziger völlig klar im Kopf wirkte. Doch der große Mann und seine direkten Blicke wurden ihr von Minute zu Minute unheimlicher. Irgendwie schien er eine düstere Aura zu besitzen, die Fays Hexengene alarmierten.
Schnell packte sie ihren Notizblock in die Handtasche und verließ den Saal, ohne sich von jemandem zu verabschieden. Es würde ohnehin keinem auffallen, wenn sie plötzlich nicht mehr da war.
Kaum trat sie vor dem Wirtshaus ins Freie, wurde sie von der ländlichen Ruhe begrüßt. Fay genoss die warme Sommerbrise, die um den dünnen Stoff ihres Hosenanzuges wehte, den blauen Himmel und den Duft bunter Blumen, die in dicken Kübeln vor dem Gebäude standen. Autos fuhren nur sporadisch vorbei, weshalb die Luft hier wesentlich besser und vor allem sauberer war als in London.
Weil das Wirtshaus auf einem Hügel lag, bot sich Fay ein herrlicher Blick über grüne Wiesen und auf ein größeres Waldstück. In diesem Wald, der früher den ganzen Landstrich überzogen hatte, sollten die Drachen gelebt haben. Und Gargoyles stammten von Drachen ab – das war Fay schon in der Schule beigebracht worden. Außerdem hatte das auch in Elwoods Buch gestanden, weshalb die Drachen ebenfalls an der Auflösung des Steinfluches beteiligt sein könnten.
Alte Legenden erzählten, dass die Gargoyles es sich vor vielen Jahrtausenden zur Aufgabe gemacht hatten, die Menschen zu beschützen. Daraufhin befürchteten die Dämonen, in Zukunft weder genügend Menschen verderben zu können noch ausreichend Seelen zu erlangen. Voller Wut zogen sie in den Krieg gegen die friedlichen, geflügelten Wächter. Doch die Drachen, sozusagen die Urväter der Gargoyles, standen ihnen bei und sorgten dafür, dass sich die Dämonen in der Unterwelt verkrochen.
Als letzten Schlag schickten die Unterweltler mächtige Schlangenpriester aus allen Teilen der Hölle, um die Gargoyles zu verwünschen. Jeder von ihnen sollte zu Stein werden und zu Staub zerfallen. Zum Glück gelang es einem Magier, der sich unter die Priester gemischt hatte, den Fluch abzumildern. Seither versteinerten die Gargoyles am Tag und konnten nachts weiterhin die Menschen beschützen. Wenn sie jetzt gar nicht mehr versteinern würden, so wie die Goyles, wären sie auch tagsüber vor Dämonenangriffen und anderen Gefahren geschützt. Erst letztes Jahr war beinahe der gesamte Pariser Gargoyle-Klan ausgelöscht worden, der seinen Hauptsitz in der Kathedrale Notre Dame hatte. Ein schwerer Dachstuhlbrand kostete einigen Gargoyles das Leben, viele wurden verletzt, als das Feuer in den frühen Abendstunden ausgebrochen war.
Dieses schreckliche Unglück hatte natürlich auch Dämonen angezogen, die daraufhin auf das Versteck der Gargoyles aufmerksam wurden. Denn der Pariser Klan hatte nicht nur auf und unter dem Dach von Notre Dame gelebt, sondern sich zusätzlich ganz in der Nähe tagsüber in Katakomben verborgen. Die Dämonen hatten alle niedergemetzelt, die sich zu diesem Zeitpunkt dort befunden hatten.
Obwohl in Vincents Klan überwiegend verstoßene Goyles lebten, hatte dieser Vorfall alle zutiefst schockiert.
Zurück zum Hier und Jetzt … Da Fay seit gestern auf die Reservierungsbestätigung ihrer Pension wartete, setzte sie sich vor dem Haus auf eine Bank und checkte auf ihrem Smartphone die E-Mails. Bisher war leider keine Nachricht eingegangen. Mist, hoffentlich bekam sie noch ein Zimmer. Sie wollte spätnachmittags nicht mehr zurück nach London fahren. Bei Dunkelheit sah sie nicht besonders gut.
Leider hatte sie zu spät reserviert, aber mal ehrlich: Wen zog es denn in diese Einöde? Es mussten doch noch genug Zimmer zu haben sein!
Während sie wartete und die Sonnenstrahlen genoss, versuchte sie, sicherheitshalber noch eine andere Unterkunft in der Nähe zu finden. Aber in einem Umkreis von mehreren Meilen schien es nichts als diese eine Pension zu geben!
»Das Universum ist definitiv gerade nicht auf meiner Seite«, murmelte sie und schloss frustriert seufzend die Augen. Jedoch riss sie die Lider gleich wieder auf, als etwas die Sonne verdunkelte.
Mister Sexy spazierte vor ihr vorbei und setzte sich neben sie. Fay hatte gar nicht bemerkt, dass er aus der Tür gekommen war!
»Hi«, sagte er mit rauer, leicht dunkler Stimme und grinste sie kurz verwegen an, wobei er wie ein Pirat aussah. Dann stützte er die Ellbogen auf der Rückenlehne ab. Da er sein Jackett nicht mehr trug – es hing über der Lehne – spannte sich sein blütenweißes Hemd über gut definierte Brustmuskeln.
Fay schluckte; ihr wurde gleich noch wärmer. Hottie war ein großer Mann mit langen Beinen, die er machomäßig auseinander stellte, sodass sich ihre Schenkel beinahe berührten.
Normalerweise würde sie ein Stück von ihm abrücken, wie man es automatisch machte, wenn einem ein Fremder zu nahe kam. Allerdings empfand sie seine Nähe nicht als unangenehm, obwohl Fay deutlicher denn je diese seltsame Dunkelheit in ihm spürte – die ihn jedoch nur interessanter machte. Außerdem sollte der Kerl bloß nicht denken, dass sie seine Dominanz einschüchterte. Sie war zwar nicht gerade ein Raubkätzchen, aber ihre Krallen würde sie ihm dennoch zeigen, wenn er ihr blöd kam. Zuerst wollte sie jedoch sehen, warum er sich plötzlich für sie interessierte. Waren ihm die älteren Damen vielleicht doch schon etwas zu betagt?
Durchdringend blickte er sie an, als würde er in ihren Kopf sehen wollen. »Sind Sie Reporterin?«
»Hm«, summte sie und grinste innerlich, weil sie Mr Obertoll anschwindeln konnte, ohne rot zu werden.
»Was treibt Sie in diese verlassene Gegend?«
»Mein Chef möchte, dass ich einen Artikel über diese Drachensage schreibe. Ist nur ein kleines Blatt mit eher esoterisch angehauchten Themen und hat auch nicht gerade viele Leser«, plapperte sie los. »Aber ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich hier überhaupt suche. Viele kennen diese Drachenlegende gar nicht mehr, erzählen sie völlig übertrieben oder haben einfach keine Lust, mir etwas darüber zu berichten.«
Er schmunzelte. »Die Leute hier brauchen nur einen Grund, um zu feiern. In Woodhead passiert sonst nicht viel.«
»Sind Sie deshalb hier? Um die Erinnerung an den Sieg über den letzten Drachen zu feiern?«, fragte sie süffisant. »Oder was treibt einen Mann wie Sie an diesen Ort?«
»Einen Mann wie mich?« Erneut grinste er verwegen und beugte sich ein Stück zu ihr. Leise raunte er ihr zu: »Was bin ich denn für ein Mann?«
Als sich plötzlich ihr Gesicht erhitzte und ihr bewusst wurde, dass sie mit diesem Kerl gerade geflirtet hatte, warf er ernst ein: »Was, wenn es doch noch einen einzigen Drachen geben würde?« Dann lehnte er sich wieder zurück und starrte auf die Straße.
Fay musste tief durchatmen – möglichst unauffällig natürlich –, um wieder klar denken zu können. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte? Mehr noch als zu ihrem heißen Gargoyle Caleb?
Mr Obersexy schaffte es tatsächlich, ihre Gefühlswelt völlig durcheinanderzubringen. Er zog sie an wie ein frisch gebackener, köstlich duftender Käsekuchen. Sie liebte Käsekuchen!
Fay überlegte, was er gerade gefragt hatte, und sagte möglichst entspannt: »Falls es nur noch einen einzigen Drachen geben würde, täte er mir leid.«
Für einen Moment musterte er sie stirnrunzelnd, bevor er vorsichtig sagte: »Warum?«
»Er hätte keine Partnerin. Was für ein trauriges Leben.« Sie seufzte innerlich, weil sie schon wieder den Flirtkurs einschlug! Frag ihn doch gleich direkt, ob er Single ist!, schalt sie sich.
Sie hörte, wie er die Luft ausstieß, als wäre er genervt – von ihr? –, wobei er diesmal die Arme vor der Brust verschränkte. Fay erwartete, dass er nun genug davon hätte, ihr etwas über diese Sage zu erzählen, stattdessen murmelte er: »Die Drachen haben sich angeblich Menschenfrauen gesucht, um ihre Art zu erhalten, weil immer nur ein männlicher Nachfahre geboren wird. Er hätte also genug Auswahl.«
»Ah«, sagte sie lächelnd. »Zum Glück waren sie kompatibel mit Menschen, sonst hätten sie sich vielleicht ein Krokodil oder einen Komodowaran suchen müssen.«
Er drehte ihr das Gesicht zu und lachte. »Sie haben Humor.«
Verdammt, sah der Kerl heiß aus. Er hatte wunderbar helle, gerade Zähne und wohlgeformte Lippen, die regelrecht danach schrien, geküsst zu werden!
Fay wandte schnell den Blick ab. »Meinen Humor werde ich bald verlieren, wenn ich nicht endlich etwas finde.«
Stirnrunzelnd sah er zu ihr her. Mist, sie durfte sich nicht verplappern!
»Eine gute Story!«, setzte sie schnell hinzu. »Mein Chef wird mich feuern, wenn ich ihm keinen Artikel liefere. Sie scheinen sich auszukennen, Mister …«
»Nennen Sie mich Loan.« Ohne zu zögern, streckte er ihr die Hand hin. »Loan Balour.«
»Ein interessanter Name.« Sie grinste und reichte ihm ebenfalls die Hand. »Fast ein Zungenbrecher.«
»Sagt … wer?«
Nun lachte Fay, und das letzte bisschen Eis zwischen ihnen war gebrochen. »Entschuldigen Sie, ich heiße Fay Ravenwood.« Ihre Hände wollten nicht mehr auseinanderfinden und sie starrte auf die Stelle, an der sie miteinander verbunden waren. Seine Hand war groß und warm, vielleicht ein bisschen rau, das konnte sie gerade nicht richtig beurteilen. Doch seine Finger wirkten lang und schlank wie die eines Klavierspielers und es wuchsen keine Härchen darauf.
»Fay«, raunte er. »Und woher kommen Sie?«
»Aus London.« Schnell ließ sie ihn los und zückte ihren Block, bevor sie schon wieder ihr Herz an einen unerreichbaren Kerl verlor. Sie stammten aus verschiedenen Welten. Sie war eine Hexe und er nur ein Mensch, der hier mitten im Nirgendwo lebte. Wobei … sie könnte Nicolas fragen, ob er ihr ein Portal hierher öffnen könnte, damit sie die weite Strecke nicht mit dem Auto zurücklegen musste.
Hör auf, schon wieder Pläne zu schmieden!, ermahnte sie sich.
Je älter sie wurde, desto schneller schien sie sich zu verlieben. Wahrscheinlich trieb ihre innere Uhr sie an, die unaufhörlich lauter tickte. Dabei wollte Fay nicht einmal Kinder. Noch nicht. Dazu liebte sie ihre Freiheiten zu sehr. Aber nach einem festen Partner sehnte sie sich dennoch. Was, wenn Loan der Richtige war? Es gab durchaus Beziehungen zwischen »Normalos« und Menschen wie ihr, die funktionierten. »Dann schießen Sie mal los, Sie Drachenexperte.«
»Es heißt, dass in dieser Gegend schon immer Drachen gelebt haben. Große Monster mit Flügelspannweiten, die einem Kleinflugzeug Konkurrenz machen könnten. Sie spuckten Feuer, verwüsteten ganze Landstriche und töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte.«
Fays Stift schwebte über dem Papier, aber sie machte sich keine Notizen. Seine Schilderungen klangen wie aus einem Fantasyfilm. Kannte Loan die Legende überhaupt? Oder erzählte er ihr einfach bloß eine Geschichte, weil er sie näher kennenlernen wollte? Sie vermutete außerdem, dass er gar nicht von hier stammte. Er besaß einen leichten Akzent, der sich amerikanisch anhörte. Loan verbarg ihn ganz gut, aber hin und wieder schlüpfte ihm die andere Aussprache durch.
»Und diese Menschenfrauen«, fragte sie, wobei sie versuchte, sich ihre Skepsis nicht anmerken zu lassen. »Was passierte mit ihnen?«
»Sie wurden im Unterschlupf des Drachen gefangen gehalten, um das Kind aufzuziehen und zu versorgen.«
»Drachen … waren … Machos«, notierte sie schmunzelnd, wobei sie jedes Wort betonte und aus den Augenwinkeln zu Loan spähte. »Also ganz normale Männer.«
Er grinste erneut wie ein Pirat. »Ganz normale Männer waren sie ganz und gar nicht.«
Sie verkniff sich, zu fragen, ob ein Drache, wenn er sich in seine mythische Gestalt verwandelte, zwei Schwänze hatte, und schlug die Beine übereinander. Wie Loan wohl nackt aussah? Vielleicht bekäme sie seinen Körper in einer Vision zu sehen, wenn sie ihn noch einmal berührte?
»Es waren also keine Gefühle im Spiel? Keine Liebe? Nicht mal körperliche Anziehung?«, fragte sie möglichst kühl, obwohl sie innerlich langsam verglühte. Und nun pochte es auch noch köstlich zwischen ihren Schenkeln. Verdammt!
Loan streckte einen Arm aus, um ihn hinter Fay auf die Lehne der Bank zu legen, sodass sie seine Körperwärme in ihrem Rücken spürte. Der Mann wusste definitiv, wie man eine Frau in Flammen setzte. Und wie gut er roch! Nach einem orientalischen Duft. Womöglich Weihrauch und … Rose?
Ohne den Blick von ihr zu wenden, raunte er: »Drachen haben sich einfach eine Partnerin gesucht, die gesund aussah und in der Blüte ihres Lebens stand. Schließlich musste sie sein Kind bekommen und aufziehen können. Oft haben Drachenmänner aber auch die Jungfrauen genommen, die ihnen geopfert wurden. Falls sich die beiden verliebten, machte das natürlich vieles einfacher.« Er schien ihre Lippen zu fixieren, aber seine Brauen schoben sich leicht zusammen, als würde er über etwas nachdenken. »Die Frau durfte jedoch nie wieder zu ihrer Familie zurückkehren und auch keinen Kontakt zu ihr haben, damit die Geheimnisse der Drachen gewahrt blieben.«
»Welche Geheimnisse?«, hakte Fay nach und schluckte. Wenn sie sich nur ein kleines Stück zu ihm lehnte, würde sie in seinem Arm liegen. Noch ein Stück weiter, und sie könnte ihn küssen. Seine Nähe, sein Duft, ach, seine ganze verdammte Ausstrahlung zog sie magisch an!
»Diese Geheimnisse waren so geheim, dass sie leider nicht überliefert wurden«, murmelte er und hob den Blick, sodass er ihr nun wieder direkt in die Augen sah.
Plötzlich wirkte er für wenige Sekunden einsam und verloren, und hinter seinen dunklen Pupillen schien eine unergründliche Sehnsucht zu flackern. Zudem spürte sie erneut diese seltsame Dunkelheit in ihm.
Fay straffte sich und wollte zurückweichen, aber sie konnte nicht. Die ungewöhnliche Farbe seiner Iris hielt sie gefangen. Um die Pupillen herum erstrahlte sie in einem intensiven Smaragdgrün und ging nach außen in ein warmes Braun über. Wunderschön.
Unwillkürlich stellte sich Fay vor, Loan würde sie kidnappen, mit zu sich nach Hause nehmen und dort auf sehr lustvolle Art und Weise foltern.
Als sie ihre Stimme wieder fand, fragte sie: »Haben die Frauen niemals versucht, zu fliehen?«
»Natürlich«, erwiderte er leicht rau. »Dann musste der Drache sie töten. Oder er hat sie für immer in seiner Behausung weggesperrt.«
Nun wich sie doch ein wenig mit dem Oberkörper zurück. »Wie schrecklich! Das klingt, als seien Drachen brutale Biester ohne Herz gewesen.«
»Vielleicht waren aber auch die Menschen die Biester«, murmelte er, zog seinen Arm von der Lehne und verschränkte beide Arme vor seiner breiten Brust.
»Weil sie die Drachen getötet haben?«
Er warf ihr einen nachtschwarzen Blick zu. »Menschen töten alles, wovor sie Angst haben oder weil sie es nicht kennen.«
Da er plötzlich ungehalten wirkte – und sich seine Aura noch mehr verdüstert zu haben schien – fragte Fay schnell: »Woher wissen Sie so viel über diese Legende, Loan?«
»Ich besitze eine riesige Bibliothek mit uralten Büchern, in denen viele solcher Geschichten stehen.«
Die würde sie zu gerne einmal sehen. Hatte ihre Vision sie vielleicht deshalb in dieses Kaff geführt, damit sie Loan und seine Büchersammlung kennenlernte? Möglichst unschuldig fragte sie: »Machen Sie … Führungen durch Ihre Bibliothek?«
Da grinste er wieder und wackelte mit den Brauen. »Interessieren Sie sich wirklich für alte Bücher, oder …«
»Ja, ich stehe total auf alte Bücher!«, warf sie schnell ein, wobei ihr Gesicht glühte. »Das stimmt!«
Nun mussten sie beide lachen.
Loan wusste gewiss, dass er ihr gefiel, sie sendete schließlich unverkennbare Signale an ihn. Fay musste zugeben, dass er genau ihrem Beuteschema entsprach und sie es liebte, mit ihm hier zu sitzen, zu reden und zu flirten. Vielleicht sollte sie auf diesem Kurs bleiben. Womöglich ergab sich ja eine heiße Affäre, und zusätzlich kam sie bei ihren Nachforschungen weiter. In den letzten Monaten war es auf allen Ebenen überwiegend scheiße für sie gelaufen und der schnucklige Gargoyle Caleb ging auch keinen Schritt weiter, egal wie viele eindeutige Signale sie ihm schickte. Sie hatte längst etwas Spaß verdient. »Und wie haben die Drachen das mit der … Fortpflanzung gemacht?«, fragte sie keck, wobei sie absichtlich einen kurzen Blick auf seinen Schritt warf. Wie Loan wohl gebaut war?
»Ein Drache kann sich in einen Mann verwandeln, und bei ihm funktioniert dann alles genau wie bei einem Menschen.« Er sah sie so extrem unschuldig an, dass sie beinahe losprustete. »Brauchen Sie Details für Ihren Artikel?«
Fay mochte den Kerl. Er flirtete mit ihr auf eine subtile, freche Art, die ihr gefiel. Langweilig war er auf jeden Fall nicht.
»Ich glaube, den Rest kann ich mir zusammenreimen.« Uff, warum musste es heute bloß so unglaublich heiß sein? Langsam bildete sich Schweiß zwischen ihren Schenkeln. Oder war das vielleicht … Sie räusperte sich leise. Hoffentlich war Loan kein Wolfswandler. Die konnten riechen, wenn eine Frau erregt war. Fay würde sich zu gerne mit ihm in den Laken wälzen. »Und konnten sich die Drachenkinder schon wandeln, sobald sie auf der Welt waren?«, fragte sie schnell, um sich abzulenken.
»Nein, erst mit Einsetzen der Pubertät.«
»Ah, ja, das macht vieles einfacher.« So war es bei den meisten Wesen, auch bei einigen Goyles oder den Wolfswandlern. Vielleicht konnte sie ja von Loan doch noch einige nützliche Informationen bekommen. Allein um diesen interessanten Mann zu treffen, hatte sich die Herfahrt auf jeden Fall gelohnt.