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Kapitel 4 – Balour Castle
ОглавлениеBereits zwanzig Minuten fuhr Fay nun schon Loan durch den Wald hinterher. Mittlerweile kamen sie an gar keinem Haus mehr vorbei und bloß noch ein Auto war ihnen in den letzten Minuten entgegengekommen. Etwas mulmig war ihr schon zumute, denn wer garantierte ihr, dass sie nicht gerade auf die Einladung eines Mörders hereinfiel?
Ich brauche keine Angst zu haben, sagte sie sich unentwegt. Sie war eine Hexe und kannte diverse Tricks, um sich auch solch einen großen, starken Mann wie Loan vom Leib zu halten. Wäre sie eine gewöhnliche Frau ohne magische Fähigkeiten, befände sie sich jetzt längst auf dem Rückweg nach London!
Als sich der Wald plötzlich lichtete und ein riesiges Grundstück mit ausladenden Wiesen, auf denen Obstbäume standen, und eine Art Burgschloss auftauchten, hätte Fay beinahe Loans Wagen gerammt. Hier wohnte er doch nicht etwa?
Das dreistöckige, aus hellgrauem Stein errichtete Gebäude besaß ein hohes Dach mit mehreren Türmchen, die mit anthrazitfarbenen Ziegeln gedeckt waren. Zu beiden Seiten erkannte Fay einen Erkeranbau und links gab es zusätzlich eine erhöhte Terrasse, auf der man draußen essen konnte. Sie war so groß, dass sie locker dreißig Personen Platz bot. Die Rahmen der hohen Rundbogenfenster waren in einem hellen Gelb gehalten, genau wie einige Elemente der Fassade.
Loans Zuhause – falls es das wirklich sein sollte – war alles andere als ein Gruselschloss, sondern wirkte hell, freundlich und sehr einladend! Außerdem passte es irgendwie perfekt zu ihm.
Loan steuerte seinen Mercedes auf ein kleineres Nebengebäude zu, bei dem sich automatisch ein doppelflügeliges Tor öffnete. Anschließend fuhr er hinein, und sie folgte ihm mit ihrem Mini in eine gigantische Garage, in der fünf weitere Luxusfahrzeuge parkten. Die gehörten garantiert nicht seinem Butler! Fay kannte gar nicht alle Marken, nur der dunkelgrüne Jaguar und der anthrazitfarbene Aston Martin stachen ihr sofort ins Auge. Aber es gab nicht nur Autos, sondern auch jede Menge Fahrräder, und auf die Schnelle entdeckte sie noch vier Motorräder.
Hier standen sicher mehrere Millionen Pfund herum!
Nachdem sie eine freie Lücke gefunden hatte und ausgestiegen war, kam Loan zu ihr ans Auto, und sie fragte verblüfft: »Sind Sie ein Adliger oder so was?«
»Kein Adliger. Eher oder so was«, antwortete er grinsend, während er den Kofferraum öffnete und gentlemanlike ihren Trolley herausholte. »Willkommen auf Balour Castle.«
Als sie die Garage verließen und über einen Kiesweg auf das Burgschloss zuschritten, staunte Fay unentwegt, als wäre sie in einer Parallelwelt gelandet. Die Steinchen knirschten unter ihren Sohlen und sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst blicken sollte. Hier sah einfach alles wunderschön aus! Vögel flatterten über das Gebäude und ließen sich auf den spitzen Türmchen nieder, die sich in den tiefblauen Himmel streckten und beinahe eine weiße Wattebauschwolke aufspießten. Es roch nach gemähtem Gras und frischer Waldluft, und die ganze Anlage lud zu einem Spaziergang ein. Herrlich!
Fay drehte sich ein Mal im Kreis. »Wow, ich hätte auch Immobilienmakler werden sollen.«
»Ich gestehe«, sagte er frech grinsend, »dass ich den größten Teil des Vermögens geerbt habe.«
»Ihre Eltern leben nicht mehr?«, fragte Fay, und als er den Kopf schüttelte und sie glaubte, kurz einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen, setzte sie schnell hinzu: »Es tut mir leid.«
»Das ist der Lauf des Lebens«, murmelte er und lächelte sie an. »Ist Reporterin nicht Ihr Wunschberuf?«
»Auf keinen Fall!« Sie meinte natürlich ihre Ausbildung zur Wissenschaftlerin. Fay war nur in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten, um sie stolz zu machen. Zwar war der Job alles andere als langweilig, aber könnte sie noch einmal ganz von vorne anfangen …
»Was würden Sie gerne tun?«, unterbrach Loan ihre Gedanken.
»Lachen Sie jetzt nicht, aber mein Traum war es schon immer, eine eigene Pension zu leiten und Gäste zu bewirten.«
Er schenkte ihr einen intensiven, aber auch überraschten Blick. Sein Mund öffnete sich kurz, als wollte er ihr etwas sagen, doch dann schloss er ihn wieder. Erst ein paar Sekunden später fragte er: »Und warum haben Sie Ihren Traum nie verwirklicht?«
Sie seufzte leise. »Es kommt eben meist alles anders, als geplant.« Während ihre Eltern ständig die Welt bereisten – natürlich zu beruflichen Zwecken –, hielt es Fay eher an einem Ort. Loan hatte recht behalten, als er gesagt hatte: »Niemand wohnt schöner als ich. Sie wollen sicher nicht mehr gehen.«
Fay wollte am liebsten jetzt schon nie wieder zurück nach London fahren. »Wie sind Sie zu diesem traumhaften Anwesen gekommen? Und ist das jetzt eine Burg oder ein Schloss?«
Natürlich kannte Fay als Historikerin den Unterschied. Doch sie durfte sich nicht verraten, schließlich hielt Loan sie für eine Reporterin und könnte hellhörig werden, wenn sie mit ihrem Fachwissen um sich warf. Eine Burg war ein Wehrbau und besaß dickere Mauern, denn sie wurde einst errichtet, um Angriffen standzuhalten, während ein Schloss überwiegend einem Herrscher oder Adligen als Wohnsitz diente und dessen Reichtum zur Schau stellen sollte.
Loan zwinkerte. »Eigentlich ist es beides. Im 14. Jahrhundert wurde es als Burg konstruiert, die im 17. Jahrhundert umgebaut wurde und im 20. Jahrhundert ein Hotel war. Ich habe das Anwesen einem Hotelunternehmen abgekauft, für den der Unterhalt in dieser Gegend nicht rentabel war, und es renovieren lassen. Es hat achtundzwanzig Gästezimmer, vier Suiten, zwei Speisesäle, einen Spa-Bereich mit Schwimmbecken, einen Weinkeller, die Bibliothek, mein Büro und meine Wohnung.«
»Sehr beeindruckend«, wisperte sie ehrfurchtsvoll. Sie liebte alte und geheimnisvolle Gebäude! Sicher gab es auf Balour Castle einige versteckte oder zugemauerte Passagen.
Fay war neugierig, wann genau Loan das Schloss gekauft hatte und ob er vielleicht früher in Amerika gelebt hatte. Sein Akzent drang immer deutlicher durch. Aber sie wollte einerseits nicht indiskret sein und andererseits befürchtete sie, er könnte ihr ebenfalls Fragen stellen. Noch konnte sie meistens ausweichen, doch je länger sie ihn kannte, desto weniger wollte sie ihn anlügen. Ob sie ihm einfach die Wahrheit sagen sollte?
Hallo Loan, ich heiße zwar Fay Ravenwood, bin aber in echt keine Reporterin, sondern eine Hexe, die auf der Suche nach einem Buch ist, das mir wahrscheinlich Dämonen gestohlen haben …
Himmel, bloß nicht! Er würde sie für völlig verrückt halten, und somit hätte sich ihr heißes Stelldichein erledigt. Auch wenn bisher jede ihrer Zukunftserinnerungen eingetroffen war, wollte sie mit Loan nichts riskieren. Allein dass er neben ihr herlief, machte sie ganz wuschig! Er wirkte groß, stark und unglaublich sexy auf sie. Zudem fühlte es sich für Fay an, als würde er eine alte, mächtige und sehr dominante Präsenz ausstrahlen, obwohl er sich ihr gegenüber zuvorkommend und kein bisschen machohaft zeigte. Auch schien ihm sein Reichtum nicht zu Kopf gestiegen zu sein. Ständig musste sie sich zwingen, ihn nicht die ganze Zeit anzustarren. Zum Glück machte es ihr die wunderschöne Umgebung leicht.
Er trug immer noch lässig ihren kleinen Koffer, als würde er nichts wiegen, während sie die wenigen Stufen zu einem erkerähnlichen Vorbau hinaufschritten. Die Treppe wurde von Säulen flankiert und endete vor einer Doppelholztür mit vergitterten Fenstern. Links und rechts standen gußeiserne Lampen, die aus dem letzten Jahrhundert stammen könnten und jetzt natürlich nicht beleuchtet waren. Dieselben Lampen säumten auch die Wege rund ums Anwesen.
Als sich die große Doppeltür mit einem leisen Summen wie von Geisterhand öffnete, erwartete sie, auf einen alten, halb verschrumpelten Butler zu treffen. Stattdessen trat ein junger Mann heraus, der sein kurzes rotbraunes Haar unter einer Kappe versteckte. Er trug eine weinrote Livree, war höchstens achtzehn, dünn wie ein Stock und sogar noch ein wenig kleiner als Fay – und das mochte bei ihren ein Metern und achtundfünfzig Zentimetern schon was heißen. Ein paar Sommersprossen verteilten sich um seine Stupsnase, doch am auffälligsten waren seine dunklen, fast schon schwarzen Augen.
»Das ist mein Butler«, erklärte ihr Loan.
»Francis Baxter«, sagte der junge Mann und deutete eine leichte Verbeugung an. »Zu Ihren Diensten, Miss Ravenwood.«
Loan hatte tatsächlich einen Angestellten, der ihm die Tür öffnete? Na klar, was hatte sie von jemandem erwartet, der ein Schloss besaß? Und Mr Baxter kannte sogar ihren Namen! Den musste Loan ihm verraten haben, während er telefoniert hatte.
Als Fay lächelnd erwiderte: »Sehr erfreut, Mr Baxter«, strahlte der junge Mann regelrecht und offenbarte ihr zwei leicht hervorstehende, verlängerte obere Schneidezähne, die sie an einen Biber erinnerten. Irgendwie sah der Junge süß aus.
»Darf ich Ihnen das Gepäck abnehmen, Sir?«, fragte er Loan, aber der ließ ihren Koffer nicht los, sondern sagte stattdessen: »Ich werde Miss Ravenwood selbst auf ihr Zimmer bringen.«
Mr Baxter – Fay beschloss, ihn wegen seines jungen Alters in Gedanken lieber Francis zu nennen – ließ sich nicht anmerken, ob er deswegen beleidigt war. In einem neutralen Tonfall sagte er: »Wie Sie wünschen, Sir.«
Nachdem sie an ihm vorbeigegangen waren, drückte er auf einen Schalter an der Wand, und die großen Türen schlossen sich hinter ihnen.
Fay betrat eine kleine, hellgrau geflieste Eingangshalle, die sie wirklich ein wenig an ein Hotel erinnerte. Mittendrin stand eine runde, rot gepolsterte Sitzbank und dahinter führte eine dunkle Holztreppe nach oben. Seitlich ging je ein Gang ab, in denen sich mehrere Türen aus demselben dunklen Holz wie die Treppe befanden. Die Wände waren eierschalenfarben gestrichen, die Böden ebenfalls gefliest. Innen wirkte das Anwesen genauso freundlich und einladend wie von außen.
»Ihr Zimmer liegt im zweiten Stock«, erklärte ihr Loan und schritt die Stufen voran nach oben, während Francis im hinteren Teil des Hauses verschwand. »Leider habe ich keinen Aufzug.«
»Das ist kein Problem; ich bin gut zu Fuß.«
Er warf einen Blick über seine Schulter und musterte ihre nackten Füße in den Riemchensandalen – woraufhin ihre Zehen plötzlich ganz heiß wurden und prickelten. Verdammt, egal, was der Mann machte, sie reagierte darauf!
Sie versuchte, nicht die ganze Zeit auf seinen sexy Hintern zu starren, über dessen stramme Pobacken sich der Stoff seiner Hose spannte, sondern das ehemalige Hotel in Augenschein zu nehmen. Solch eine Einrichtung zu leiten wäre ein Lebenstraum! Loan hatte offensichtlich keine Kosten gescheut, alles wirkte wie neu oder wurde hochwertig restauriert. Trotzdem war der ehemalige Charme des Anwesens erhalten geblieben. Obwohl hier sonst niemand außer ihm und Francis zu leben schien – es war totenstill und sie hatte bisher keine weitere Menschenseele gesehen –, flog nicht die kleinste Staubflocke irgendwo herum.
»Um das alles sauber zu halten, braucht man gewiss eine Putzkolonne«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Loan, gerade als sie im zweiten Stock ankamen und in den rechten Gang bogen.
Zartgrüne, fast durchsichtige Tücher hingen vor dem ersten Rundbogen des Flures und waren seitlich befestigt worden. Dadurch wirkte es so, als würde sich der Durchgang zu einem Feenreich öffnen. Bequem aussehende, sandfarbene Korbsessel standen in Zweiergruppen an der Wand, darüber hing jeweils immer ein großer runder Spiegel mit einem aus Ästen geflochtenen Rahmen. Dschungelartig anmutende Pflanzen waren in großen Kübeln verteilt worden, vor allem kleine Palmen und farbenprächtige Bromelien – die Fay immer an die Stiele von Ananas erinnerten. Sie zauberten zu all dem Grün gelbe und rote Tupfer in den Gang.
Dicke Honigkerzen, die jedoch nicht brannten, standen auf hölzernen, kunstvoll gedrechselten Ständern zu beiden Seiten jeder Tür; es duftete nach Blüten, obwohl keine zu sehen waren. Alles wirkte sehr geschmackvoll und harmonierte perfekt.
»Ja, die Putzkolonne kommt einmal in der Woche vorbei«, antwortete Loan mit einem neuen Blick über seine Schulter und riss Fay aus ihrer Schwärmerei. »Um meine privaten Räume kümmert sich jedoch ausschließlich Baxter.«
»Er ist noch ganz schön jung«, bemerkte sie vorsichtig.
»Hm, und wirklich auf Zack.«
»Was machen denn seine Eltern? Sind die auch hier beschäftigt?« Sie fand es seltsam, dass ein Teenager schon als Butler arbeitete. Die Ausbildung dauerte zwar meist nur ein paar Wochen, soweit sie gehört hatte. Aber welcher Jugendliche – und für Fay war Francis das noch – wollte denn mitten in der Einöde den Diener spielen, Tag und Nacht? In seinem Alter hatte man doch ganz andere Interessen? Traf sich mit Freunden? Machte Partys?
Loan hielt vor einer Zimmertür, auf der eine Holztafel mit einem kleinen, eingeschnitzten Motiv angebracht war. Es erinnerte Fay an die Fee Tinker Bell aus dem Film »Peter Pan«. Gab es hier keine Nummern?
Loan stellte den Koffer neben der Tür ab. »Seine ganze Familie ist vor ein paar Jahren bei einem Unglück ums Leben gekommen. Ich habe ihn aufgenommen.«
»Oh nein, wie schrecklich! Das tut mir sehr leid.« Ob Loan mit Francis verwandt war? Oder warum hatte er sich um ihn gekümmert?
Sie wollte nicht indiskret sein und nachbohren. Aber sobald sie Loan besser kannte, musste sie die Geschichte unbedingt hören.
»Ich habe mich noch für kein Schließsystem entscheiden können, deshalb sind alle Zimmer aktuell frei zugänglich. Aber Sie können Ihren Raum von innen verriegeln.« Er öffnete die Tür und machte eine einladende Handbewegung. »Nach Ihnen.«
Als Fay das Zimmer betrat, blieb ihr abermals vor Erstaunen fast die Luft weg. Der große Raum war mit einem zartgrünen, weichen Teppich ausgelegt, auch hier standen in jeder Ecke und zwischen diversen Möbelstücken verschieden große Topfpflanzen – von kleinen Bäumchen bis Büschen war alles dabei. Eine Fototapete mit einem wunderschönen Wald zierte die Wand hinter dem großen Himmelbett, dessen Bettwäsche ebenfalls farblich mit dem Raum abgestimmt war. Die Zimmerdecke schillerte in einem zarten Pastellblau, auf der weiße Wolken aufgemalt worden waren. Wenn sich Fay ins Bett legen würde, könnte sie fast glauben, in den echten Himmel zu schauen. »Das ist so schön!«
»Ich habe mir gedacht, dass Ihnen das Feenzimmer gefallen könnte«, raunte er, plötzlich dicht neben ihr, und stellte ihren Koffer vor dem Bett ab.
»Feenzimmer?«
Er nickte, ohne von ihr abzurücken. »Jedes Zimmer wurde anders gestaltet, hauptsächlich nach den Lebensräumen von Märchenfiguren oder anderen Wesen.«
»Es ist wirklich märchenhaft!« Sie konnte sich beinahe vorstellen, zwischen den Pflanzen buntschillernde Feen flattern zu sehen … oder sich mit Loan auf diesem Bett zu wälzen. Waren in ihrer heißen Vision mit ihm Wolken auf die Decke gemalt gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern. Dafür erinnerte sie sich noch sehr genau, wie fantastisch sich dieser sexy Mann auf ihr angefühlt hatte.
Loan stand immer noch dicht vor ihr und schien mit seinen dunklen Blicken ihren Mund zu fixieren. Fay wollte ihn nur noch küssen, musste wissen, wie er schmeckte. Sie vermisste es, in starken Männerarmen zu liegen und einfach nur gehalten zu werden.
Plötzlich ging die Deckenlampe wie von Geisterhand an. Drei überdimensional große Glühbirnen erstrahlten über ihr, in denen es zu glitzern und glimmen anfing, als würden hunderte Glühwürmchen darin schweben.
Überrascht machte Fay einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken. »Wow, hören Sie auf, Loan, ich bekomme vor lauter Staunen fast schon keine Luft mehr!«
Er lachte. »Das war ich nicht. Baxter hat bloß den Strom angestellt. Solange die Räume nicht genutzt werden, ist er meistens ganz aus.«
Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Sie wissen, was ich meine. Das alles ist … großartig. Überwältigend!«
»Dann dürfen Sie nicht ins Badezimmer sehen«, murmelte er verschmitzt.
»Was ist dort?«, rief sie grinsend und lief bereits auf die zweite Tür im Raum zu, auch, um seiner betörenden Nähe für einen Moment zu entfliehen. Fay war sich noch nicht sicher, ob sie sich mit diesem Mann, der so viele Geheimnisse zu haben schien und zudem eine gewisse Düsternis ausstrahlte, in ein Abenteuer stürzen wollte. Doch es würde geschehen, ob sie wollte oder nicht.
Im Nebenraum fand sie einen hell gefliesten, großzügigen Bereich mit Whirlpool und Regendusche vor, in dem ebenfalls Dschungelpflanzen standen. Als sie das Licht anschaltete, glitzerten und schillerten die Kacheln in sanften Pastelltönen, aus einem Lautsprecher drang leises Vogelgezwitscher und ein fruchtiger Duft breitete sich aus. Weiche Handtücher lagen in einem Regal – ob Baxter dafür verantwortlich war? Nur die üblichen Mini-Fläschchen mit Shampoo, Conditioner und Creme fehlten. Ansonsten fühlte sie sich tatsächlich wie in einem Hotel.
»Sie müssen unbedingt Gäste einladen, Loan, hören Sie!«, sagte sie, als sie zu ihm zurückkehrte.
Er lehnte schmunzelnd und mit verschränkten Armen an einem Pfosten des Himmelbetts und schien sich über ihre Euphorie zu amüsieren.
»Wirklich!«, setzte sie mit Nachdruck hinzu. »Etwas Vergleichbares habe ich noch nirgendwo gesehen!«
Weil sie schon wieder alles zu ihm hinzog, sie aber nichts überstürzen wollte, öffnete sie eins der hohen, doppelflügeligen Fenster, um die klare Sommerluft hereinzulassen. Dabei bot sich ihr ein herrlicher Blick auf die Rückseite des Grundstückes und auf eine riesige Gartenanlage, die aus einem früheren Jahrhundert zu stammen schien. Es gab sogar einen Irrgarten aus Büschen mit einem riesigen Springbrunnen in der Mitte!
Lächelnd wirbelte Fay auf dem Absatz herum. »Warum vermieten Sie die Zimmer nicht?«
Er kratzte sich am Nacken und stieß sich vom Pfosten ab, um auf sie zuzuschlendern. »Das hatte ich vor, aber … Sie wissen ja … so viele bürokratische Hürden und Vorschriften. Und ich liebe meine Ruhe. Bin mir noch nicht wirklich sicher, ob ich das Hotel eröffnen soll.«
»Loan, das wäre ein Traumresort! Sicher könnten Sie sich vor Gästen kaum retten.« Außerdem war es viel zu groß für nur einen Mann. Aber anscheinend liebte er diesen herrlichen Rückzugsort genau so, wie er war. »Sie könnten ja immer nur ein paar Zimmer vermieten. Dann hätten nicht nur Sie, sondern auch Ihre Gäste genug Ruhe. Viele Urlauber suchen exakt so etwas.« Fay grinste schief. »Falls Sie Unterstützung brauchen, helfe ich Ihnen gerne.«
Er biss sich kurz auf die Unterlippe, was verdammt heiß wirkte, und stellte sich zu ihr an das geöffnete Fenster. Erneut befand er sich dichter bei ihr, als es sich gehörte. »Was hat eigentlich Ihr Freund dazu gesagt, dass Sie heute im Haus eines fremden Mannes übernachten werden?«
Fay blickte zittrig lächelnd zu Loan auf. »Was verstehen Sie unter einem Haus?«
Er rückte noch ein wenig näher, sodass er sie fast schon berührte, und raunte: »Oder dass Sie hier arbeiten wollen? So weit weg von London?«
Beinahe krächzend presste sie hervor: »Habe keinen Freund. Bin Single.«
Himmel, wieso erzählte sie ihm das? Sie konnte es wohl kaum erwarten, alles von ihm zu spüren! Hastig setzte sie hinzu: »Aber ich habe meiner Freundin Bescheid gegeben, dass ich … bei einem Bekannten übernachte. Sie macht sich immer so schnell Sorgen, wenn ich mich nicht regelmäßig melde.«
Sein Blick schien sie zu durchbohren, als er raunte: »Also wenn wir Bekannte sind, sollten wir uns duzen. Findest du nicht?«
»Unbedingt«, erwiderte sie mit solch schwacher Stimme, dass sie diese selbst nicht mehr erkannte. Dieser Mann brachte sie völlig durcheinander.
Schlagartig schien die Zeit stillzustehen. Fay konnte sich nicht entscheiden, ob sie lieber auf seinen sexy Mund starren sollte, oder ob sie sich in dem mysteriösen Grün von Loans Iris verlieren wollte. Seine Augen leuchteten beinahe und die Farbe veränderte sich immer mehr zu einem goldschimmernden Braun, je länger sie ihn anschaute – was sie sich gewiss einbildete.
Erst als sie am Rande ihres Blickfeldes eine Bewegung wahrnahm, schaffte sie es, sich Loans Faszination zu entziehen und ihr Gesicht dem geöffneten Fenster zuzuwenden. Ein putziges, orangebraunes Eichhörnchen saß auf dem Sims und starrte sie unverwandt an.
»Oh, wie süß!«, wisperte sie und bewegte sich keinen Millimeter, um das Tier nicht zu erschrecken. Fay kannte nur schwarze und vor allem die grauen Hörnchen, die den Hyde Park besiedelten. Braune waren in England selten geworden – noch dazu so große, die hatte sie überhaupt noch nicht gesehen! Sein Puschelpopo beanspruchte fast den ganzen Platz auf dem Fensterbrett.
»Hallo«, sagte sie leise. »Du bist aber ein stattlicher Kerl.« Immer noch saß das drollige Pinselöhrchen auf seinen Hinterbeinen am geöffneten Fenster und spähte herein. Bei Fays Worten schien es sogar noch ein Stück zu wachsen. Die großen schwarzen Augen glänzten und das Näschen bewegte sich leicht auf und ab, als würde es schnüffeln.
»Was suchst du denn hier?«, fragte sie den Nager.
Loan, der direkt neben ihr stand, warf dem Eichhörnchen einen eindringlichen Blick zu. »Das ist Baxter. Er ist sehr, sehr neugierig. Jeder Besucher wird sofort von ihm beäugt.«
Fay grinste. »Das Eichhörnchen heißt wie dein Butler?«
»Hm.« Schmunzelnd kratzte er sich an einer Braue. »Ich finde, die beiden haben viele Gemeinsamkeiten.«
»Jetzt, wo du es sagst.« Die Fellfarbe ähnelte dem Haar des jungen Mannes, dazu die hervorstehenden Frontzähne … und er empfing offenbar jeden Neuankömmling. »Denkst du, ich kann es mal streicheln?«
»Baxter ist zwar sehr neugierig, aber Fremden gegenüber eher scheu.«
Vorsichtig streckte sie eine Hand aus, und das Eichhörnchen schnupperte an ihren Fingern. Dabei kitzelten die Schnurrhaare Fays Haut. »Ich habe leider nichts zu futtern für dich, süßer Baxter.« Behutsam strich sie mit dem Zeigefinger über das pelzige Köpfchen und flüsterte: »Loan, sieh nur!« Fay war völlig überwältigt. Dem süßen Puschelchen murmelte sie zu: »Weißt du was? Ich werde dich Francis nennen. Das klingt viel schöner als Baxter.«
Das Eichhörnchen gab einen schnalzenden Laut von sich, als wäre es von seinem neuen Namen entzückt, und Fay grinste Loan breit an. »Ich komme mir gerade vor wie in einem Disney-Film. Fehlen nur noch die singenden Vögel – wobei … die habe ich im Badezimmer.«
»Du kannst ja singen«, sagte er, während seine Augen fröhlich funkelten und sich einer seiner Mundwinkel spöttisch verzog.
»Oh nein, das gehört ganz sicher nicht zu meinen Talenten.«
Verwegen hob er eine Braue und stützte sich neben ihr mit den Ellbogen am Fensterrahmen ab, sodass er den Kopf drehen und ein wenig zu ihr aufschauen musste. »Sondern?«
Ich kann Visionen empfangen, alte Magier-Codes entschlüsseln und schweben, wollte sie beinahe antworten, während sie Francis über den Rücken strich und es genoss, dass sie Loan so dicht bei sich fühlen durfte. Doch da kribbelte plötzlich ihr ganzer Körper und ihre Sicht verschwamm. Eine Zukunftserinnerung schoss ihr in den Kopf, und sie sah einen hohen Raum vor sich, dessen Regale bis unter die Decke mit Büchern gefüllt waren. Fay saß an einem Computer und tippte gerade das Wort »Drache« ein. Direkt neben ihr, hinter einem geschlossenen Fenster, das genauso aussah wie ein Fenster von Loans Burgschloss, hockte das Eichhörnchen. Mit seinen schwarzen Kulleraugen spähte es neugierig durch die Scheibe zu ihr herein, als wollte es gemeinsam mit ihr in den Monitor schauen. Dann brach die Vision abrupt ab.
Als ihre Sicht wieder klar wurde, berührte sie immer noch Francis, weshalb sie vermutete, dass die Vision nur wenige Sekunden gedauert hatte. Leider hatte das Eichhörnchen wohl genug von ihren Streicheleinheiten, denn es kletterte über den Sims und verschwand aus ihrem Sichtfeld.
Sofort beugte sich Fay aus dem Fenster. »Sei vorsichtig, Francis!« Schnell wie der Blitz flitzte das gelenkige Tier die Hauswand hinunter. Auf der rauen Oberfläche schien es bestens Halt zu finden.
»Sei lieber du vorsichtig«, sagte Loan hinter ihr, drückte seinen Unterleib gegen ihren Po und hielt sie an den Hüften fest. »Fall bloß nicht raus.«
Seine warmen Hände schienen sich durch den dünnen Stoff ihres Hosenanzuges in ihre Haut zu brennen und ihr Schoß begann verräterisch zu pochen. Diese Position verriet im Grunde bestens, was sie beide wollten.
Verdammt, und wie sie es wollte! In dieser Stellung und in allen anderen, die möglich waren!
Langsam richtete sich Fay auf und drehte sich zu Loan um, der keinen Millimeter von ihr abrückte. Er hielt sie weiterhin in den Armen, und sie legte die Hände auf seine breite Brust. Durch den Stoff des Hemdes fühlte sie seine harten Muskeln. Aber auch etwas anderes war gerade auf dem besten Weg, hart zu werden, und drängte sich an ihren Unterleib.
Fay kam mit der Nase näher an seinen Hals heran, der genau vor ihr lag, und spürte ein heftiges Verlangen, ihn dort auf die leicht gebräunte Haut zu küssen. Er duftete unglaublich gut, nach einem frischen Parfüm, aber auch nach seinem eigenen Geruch. Männlich. Aufregend.
Als sie den Kopf in den Nacken legte und in Loans Augen blickte, erschrak sie beinahe. In ihnen schien ein dunkles Feuer zu wüten und seine Miene drückte pures Verlangen aus. Ein leiser, keuchender Atemzug drang aus seinem leicht geöffneten Mund, während sich seine Hände fester an ihre Taille legten.
Fay spürte, wie sich ihre Brustwarzen zusammenzogen; ihr ganzer Körper prickelte. Sie sah sich jede Sekunde in dem schönen Himmelbett liegen, denn Loan würde sie auf seine starken Arme heben und aufs Bett werfen. Anschließend würde er ihr den Hosenanzug vom Körper reißen und über sie kriechen wie ein gefährliches Raubtier, das seine Beute erlegte …
Komm zu Verstand!, ermahnte sie sich und dachte daran, was sie zuvor beim Streicheln des Eichhörnchens in ihrer Vision gesehen hatte. So gerne sie Loan jetzt küssen und noch viel mehr mit ihm anstellen wollte – sie durfte niemals vergessen, dass sie nicht nur zu ihrem reinen Vergnügen hier war. Das Leben und Überleben aller Gargoyles hing von ihr ab! »Würdest du mir vielleicht deine Bibliothek zeigen?«, fragte sie schnell, bevor sich keiner von ihnen länger zurückhalten konnte.
Er ließ die Hände noch einen Moment an ihrer Taille ruhen, als würde er überlegen, wirklich jede Sekunde über sie herzufallen, bevor er sie in seine Hosentaschen schob und einen Schritt zurücktrat. »Klar. Ich habe jetzt ohnehin noch einen Termin. Danach können wir ja zusammen essen.«
»Gerne«, krächzte sie.
»Hast du irgendwelche Vorlieben?«, fragte er rau.
Erneut schossen ihr unanständige Ideen durch den Kopf, die nichts mit Essen zu tun hatten, und sie musste sich beherrschen, nicht auf seinen Schritt zu starren. Bestimmt hatte er nur deshalb seine Hände in die Hosentaschen gesteckt, damit sie seine Erektion weniger deutlich erkennen konnte. Doch sie war immer noch da!
Leise räusperte sie sich und straffte sich. »Ich ernähre mich überwiegend vegetarisch, aber ein oder zwei Mal im Monat gönne ich mir ein gutes Stück Fleisch.« Seinem »Stück Fleisch« wäre sie jetzt auch nicht abgeneigt.
Hör endlich auf mit den schamlosen Fantasien!, schalt sie sich.
»Ah, du bist also ein Flexitarier«, sagte er schmunzelnd.
»Flexi... was?« Sie grinste, froh, dass er wegen ihrer Abfuhr nicht böse war. »Das habe ich ja noch nie gehört.«
»Ich bekomme in meiner Einöde alles mit.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Anscheinend mehr als ich in London.«
»Komm.« Er marschierte zur Tür und zog sie auf. »Ich zeige dir die Bibliothek.«
»Ich möchte mich noch schnell frischmachen.« Sie musste dringend auf die Toilette und brauchte zudem noch einen Moment, um ihren erhitzten Leib abzukühlen.
»Der Raum befindet sich direkt in dem Flur neben dem Haupteingang«, erklärte er ihr, »und ist eigentlich nicht zu verfehlen. Ich habe in den letzten Jahren alle Bücher gelistet. Du kannst in dem Computer, der in der Bibliothek steht, nach bestimmten Titeln oder Schlagwörtern suchen und musst nicht alle Reihen durchsehen.«
»Das ist wirklich praktisch.«
»Außerdem kannst du über das Gerät ins Internet gehen. Der Handyempfang ist hier leider oft miserabel.«
»Vielen Dank für das Angebot und deine Gastfreundschaft. Das weiß ich sehr zu schätzen.«
Er bedachte sie mit einem glühenden Blick, bevor er nickte und das Zimmer verließ.
Fay musste sich erst einmal auf das große Bett setzen und tief durchatmen. In der letzten Stunde war so unglaublich viel passiert, dass ihr der Kopf schwirrte. Loan hatte selbst Caleb völlig aus ihren Gedanken gedrängt! Fay hatte sich von der ersten Sekunde an in diesen Mann verguckt, noch bevor sie etwas über ihn wusste. Viel war das ohnehin noch nicht, aber zu wahnsinnig sexy kamen bisher noch freundlich und unsagbar reich hinzu.
Okay, hin und wieder schien seine Aura schwarz zu schimmern, zumindest spürte Fay Dank ihrer besonderen Gene, dass etwas Dunkles in ihm schlummerte. Ob ihm einmal etwas Schreckliches zugestoßen war? Aber er besaß Humor, war zuvorkommend und lebte allein. Außerdem hielt er sich zurück, denn sie spürte sehr wohl, dass er sie begehrte. Was wollte Frau mehr?
Die Gargoyles retten!, rief sie sich in Erinnerung und sprang auf, obwohl ihre Beine wegen Loan immer noch butterweich waren. Was für ein Mann, was für ein Abenteuer! Vielleicht sollte sie ihren Aufenthalt ein wenig verlängern. Seine Bibliothek könnte eine wichtige Rolle bei der Lösung all ihrer Aufgaben spielen, und nebenher angelte sie sich vielleicht den Traumprinz, auf den sie ihr Leben lang gewartet hatte.