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Kapitel 3 – Über Drachen und Gargoyles

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Loan schmunzelte. Es machte Spaß, sich mit Fay zu unterhalten, und bot eine willkommene Abwechslung zu seinen Geschäften sowie seiner trostlosen Einsamkeit. Heutzutage glaubte kaum noch ein normaler Mensch an Magie oder dass unter ihnen mystische Geschöpfe wandelten. Die Zeiten hatten sich geändert, die Leute hielten schon den Gedanken daran für ein Märchen, kannten nur noch Hektik, forderten immer mehr technischen Fortschritt, vergaßen alte Sitten, Gebräuche und urheimische Medizin. Die Überbleibsel der überlieferten Legenden dienten bestenfalls als Stoff für Fantasy-Filme oder Bücher, mehr nicht. Doch vielleicht war es besser so …

Weil er Fay sympathisch fand und er nicht wollte, dass ihr Chef sie feuerte, dachte sich Loan einfach eine leicht abgewandelte Story aus. Er erzählte ihr aber nur das, was ohnehin jeder dachte, über Drachen zu wissen.

Natürlich gab es auch Wesen, die unerkannt unter den Menschen lebten und noch immer fundierte Kenntnisse über Drachen besaßen, genau wie Hexen und Magier, die beide Welten kannten.

Wie er sie hasste.

Loan musste aufpassen, nicht selbst den Blick auf die magische Welt zu verlieren. Denn auch wenn er den Fortschritt mit seinen modernen Errungenschaften schätzte und sogar mit ihnen sein Geld vermehrte, musste er seine Feinde im Auge behalten. Das waren im zwanzigsten Jahrhundert keine normalen Menschen mehr, aber immer noch Dämonen und andere finstere Wesen … wie Hexen. Die meisten von ihnen behaupteten, nur weiße, also »gute« Magie zu wirken, wie Heil-, Schutz- und Abwehrzauber. Aber Loan glaubte ihnen kein Wort, auch wenn er im Grunde nur eine einzige Hexe wirklich gekannt hatte oder angenommen hatte, sie zu kennen. Die Enttäuschung und die Wut über ihren Verrat brannten immer noch wie Säure in seinem Herzen, wenn er nur an sie dachte!

Fays brünettes Haar schimmerte in der Sonne leicht rötlich und lenkte seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf sie. Sie war viel kleiner als er, besaß eine ansehnliche Figur und ein hübsches Gesicht mit einer süßen Stupsnase, um die sich ein paar feine Sommersprossen verteilten. Er mochte es, wenn sich eine Frau nicht zu stark schminkte, sodass noch etwas von ihrer Natürlichkeit durchschimmerte. Im Grunde wirkte Fay auf den ersten Blick wie viele andere Frauen, dennoch strahlte sie etwas Besonderes aus. Er kam nur nicht darauf, was genau es war. Vielleicht hielten ihn einfach ihre außergewöhnlich schönen Augen in ihrem Bann. Fays Iriden waren zwar nicht zweifarbig wie seine, aber der Grünton kam seinem eigenen ziemlich nah. Noch nie hatte er dieses intensive, dunkle Grün bei einem anderen gesehen.

Ob Fay die Eine sein könnte?

Seine Sehnsucht nach einer Partnerin, die seine einsamen Stunden mit Glück und Frohsinn füllte, wurde von Tag zu Tag stärker. Aber durfte er sich überhaupt eine Gefährtin erwählen, solange dieser bestialische Fluch auf ihm lastete? Er könnte sie in Gefahr bringen!

Nein, nicht direkt er, sondern die verwunschene Bestie in ihm.

Bisher hatte er ohnehin noch keine Partnerin gefunden, die perfekt zu ihm passte und von der er glaubte, dass sie für immer mit einem verfluchten Wesen zusammenleben könnte. Um die optimale Gefährtin zu finden, vergnügte er sich hin und wieder mit einer Frau, die ihm gefiel. Bis jetzt hatte er jedoch jede wieder vergessen lassen, dass sie sich begegnet waren. Auf diese Weise konnten ihm die Ladys nicht zu sehr auf den Pelz rücken, ihn mit Nachrichten bombardieren, Nachforschungen über ihn anstellen oder plötzlich vor seiner Tür aufkreuzen. Er wollte auf die Richtige warten, schließlich stand viel auf dem Spiel. Er war der Letzte seiner Art – glaubte er zumindest, weil er zeit seines Lebens nichts von anderen gehört hatte – und er brauchte die richtige Frau an seiner Seite, um seine Rasse vor dem Aussterben zu bewahren.

Fay gefiel ihm. Vielleicht sollte er sich ein wenig Spaß mit ihr gönnen, um herauszufinden, ob sie zusammenpassten. Das letzte Mal war auch schon viel zu lange her, und so viele Chancen boten sich ihm in dieser Einöde nicht. Fay schien einem bisschen Vergnügen auch nicht abgeneigt zu sein. Er besaß zwar nicht den exorbitanten Geruchssinn manch anderer Geschöpfe, aber seine Nase war dennoch empfindlicher als die eines Menschen, weshalb ihn ihr weiblicher Duft betörte. Aber er musste nichts riechen, um mitzubekommen, dass er die Kleine heißmachte. Loan kannte seine Wirkung auf Frauen.

»Interessiert Sie dieser alte Kram wirklich? Haben Sie nicht Lust, über etwas anderes zu reden?«, wollte er wissen, um das Thema abzuschließen und ihr gleichzeitig die Chance zu geben, etwas Persönliches zu fragen.

Sie zögerte kurz, als würde sie überlegen, bevor sie sagte: »Eine Frage habe ich noch: Sind Drachen wirklich die Urväter der Gargoyles?« Dann lachte sie für seinen Geschmack ein wenig künstlich. »Nicht, dass es lebendige Wasserspeier geben würde. Aber was ist denn an diesem Gerücht dran? Gibt es dazu auch eine Geschichte?«

Zum ersten Mal horchte Loan auf, und er fragte möglichst unbedarft: »Woher haben Sie denn diese Information?« Nur wenige wussten darüber Bescheid, und schon gar keine Menschen!

Sie zuckte mit den Schultern und blickte einem vorbeifahrenden Auto hinterher. »Das weiß ich gar nicht mehr. Ich lese und recherchiere jeden Tag so viel, da kann ich mir nicht alle Quellen merken.«

Wahrscheinlich hatte ein Wesen in Geldnot – vermutlich ein vom Klan verstoßener Gargoyle – diese Informationen an ein Käseblatt verkauft.

Beinahe eine Spur zu unschuldig blickte Fay ihn aus ihren großen grünen Augen an. »Wissen Sie etwas darüber?«

»Leider nicht.« Dieses Geheimnis würde er ganz sicher nicht mit einer Normalsterblichen teilen.

Nicht dass er unsterblich wäre, aber er konnte älter werden als Fay. Einmal, weil er war, wer er war, und zum anderen könnte er sein Leben mit einem Zauber verlängern, was einige Hexen machten. Doch er versuchte, sich aus der magischen Welt herauszuhalten, so gut es ging. Dennoch fühlte er sich verpflichtet, die Gargoyles zu beschützen. Das lag in seinem Blut, war sein Erbe.

»Schade.« Sie seufzte leise. »Na ja, mal sehen, was mein Chef zu meinem Artikel sagen wird. Ich danke Ihnen vielmals, Loan. Jetzt fahre ich nicht mit völlig leeren Händen nach Hause.«

Gerade hatte er noch gedacht, Fay wollte ihn aushorchen, aber nun wirkte sie wieder völlig normal auf ihn – und verdammt attraktiv. Er mochte sich gar nicht von ihr lösen und wünschte, sie hätten mehr Zeit, sich zu unterhalten. Ihn faszinierte diese unglaubliche Anziehungskraft zwischen ihnen, die nicht bloß sexueller Natur war. Nein, es fühlte sich an, als hätte er sein Gegenstück gefunden, eine Partnerin, mit der er mehr vorhatte, als sich mit ihr in den Laken zu wälzen. Nie zuvor hatte er so etwas bei einer der Frauen gespürt, die er mit seinem Charme betört und anschließend auf sein Anwesen eingeladen hatte. In Fays Nähe schlug sein Herz wie verrückt und er musste sich beherrschen, ihr nicht die Wahrheit über sich zu erzählen und alles, was sie wissen wollte. Fay schien ein gewöhnlicher Mensch zu sein und nichts über die Welt zu wissen, in der er lebte.

In der sie lebte.

Am liebsten wollte er ihr erklären, dass es viel mehr gab, als sie mit bloßem Auge erkennen konnte.

Jetzt war er doch froh, dass er sich aufgerafft hatte, um auf diese Feier zu kommen. Finanziell hätte er es nicht nötig, aber ab und zu musste er seine Festung der Einsamkeit auch einmal verlassen. In diesem Gasthaus saß seine Zielgruppe, und er würde in Zukunft sicher mit ein paar Leuten ins Geschäft kommen. Außerdem hatte er die Bewohner subtil ausgefragt, was sie noch über die alte Drachenlegende wussten. Aber die interessierte hier wirklich niemanden mehr, bis auf diese Reporterin.

»Darf ich den Artikel lesen, sobald Sie ihn fertig haben?« Er musste Fay unbedingt wiedersehen. Tatsächlich wollte er sie am liebsten sofort mit zu sich nach Hause nehmen! »Ich gebe Ihnen meine Kontaktdaten.« Er reichte ihr aus seiner Hemdtasche eines der letzten Visitenkärtchen, die er zuvor an die Besucher der Feier verteilt hatte.

»Wie altmodisch.« Sie grinste frech, während sie das Kärtchen studierte. »Aber sehr charmant.«

Natürlich hätte er ihr auch einfach seine Handynummer geben können. Aber er wollte, dass er ihr im Gedächtnis blieb. Sollte sie sich nicht bei ihm melden, würde er sie suchen. Bestimmt gab es nicht so viele Frauen in London mit dem ungewöhnlichen Namen Fay Ravenwood. Das Untier in ihm gierte bereits danach, sie zu besitzen, aber Loan würde diesem primitiven, animalischen Drang nicht nachgeben. Denn seine Bestie hatte nicht nur Gutes mit Fay vor. Loan hingegen wollte sie betören, mit ihr spielen und sie so verrückt nach ihm machen, dass sie sich ihm freiwillig hingab. Und für gewöhnlich gelang ihm das auch.

Fays Atem stockte. Loan blickte sie an wie der große böse Wolf. Als wollte er jede Sekunde über sie herfallen, um sie zu fressen oder … andere Dinge mit ihr anzustellen. Verboten heiße Dinge. Er strahlte eine unglaubliche Dominanz aus und eine ihr völlig unbekannte Macht, mit der er es schaffte, sie an ihn zu fesseln. Zumindest ihr Interesse hatte er mehr als geweckt.

Als er erneut beide Ellbogen hinter sich auf der Lehne abstützte, sodass sich sein Hemd über die wohl definierten Brustmuskeln spannten, räusperte sie sich leise, weil sie erst ihre Stimme wiederfinden musste. Wow, der Kerl war so was von scharf! »Ich schicke Ihnen den Artikel gerne zu. Ihre E-Mail-Adresse habe ich ja.«

Leider würde Fay nichts dergleichen tun, weil es gar keinen Beitrag geben würde. Fahrig strich sie mit dem Daumen über das grauschillernde Kärtchen, das eine edle, leicht strukturierte Oberfläche besaß. Sie hasste es, Loan anzulügen, und wollte ihn unbedingt wiedersehen. Vielleicht sollte sie diesen Artikel einfach schreiben, um mit ihm in Kontakt zu bleiben. »Wenn ich Ihre Adresse kennen würde, könnte ich Ihnen auch ganz altmodisch einen Brief schicken.«

Er lachte. »Sie gefallen mir, Fay. Vielleicht überlege ich es mir und lade sie zu mir ein.«

Während sie nervös mit der Karte spielte und nicht wusste, was in sie gefahren war, weil sie Loan sehr direkt anbaggerte, kribbelte plötzlich ihre Haut, sodass sich sämtliche Härchen aufstellten. Die Sicht verschwamm, in ihrem Kopf drehte sich alles; die Landschaft vor ihren Augen verschmolz zu einem bunten Strudel.

Fay wusste, was das bedeutete: eine Vision bahnte sich an!

Warum passierte das gerade jetzt, als es mit Loan so gut lief und sie seit Ewigkeiten mal wieder Spaß hatte? Sie hasste es, ihre Visionen nicht kontrollieren zu können!

Hektisch und halb blind holte sie ihr Smartphone aus der kleinen Handtasche, murmelte: »Entschuldigen Sie mich kurz«, und lehnte sich zurück. Dann senkte sie den Kopf, um so zu tun, als würde sie ihre Mails checken. Sie schaffte es gerade noch, den Bildschirm zu entsperren, als sich plötzlich sehr lebhafte Bilder mit den dazugehörigen Gefühlen vor ihrem geistigen Auge formten.

Sie lag auf dem Rücken auf etwas Weichem und Loan kroch über sie. Eine dunkle Haarsträhne hing verwegen in seine Stirn, erneut lag dieser besitzergreifende Blick in seinen Augen. Er atmete schwer, genau wie sie, und seine Lippen schienen leicht geschwollen, feucht und gerötet zu sein. Fay überlegte gerade, ob sie sich geküsst hatten, als er seinen Mund auf ihre Lippen presste und ihr mit einem heißen Kuss sämtliche Luft raubte. Sie krallte die Finger in seinen Rücken, spürte die Wärme seiner nackten, weichen Haut, konnte sich kaum an seinen breiten Schultern sattsehen.

Oh Himmel, hatten sie Sex?

Gerade, als sie tiefer in die Prophezeiung eintauchen wollte, löste sich diese auch schon wieder auf und verpuffte regelrecht.

Wie aus weiter Ferne drang Loans Stimme an ihre Ohren. »Alles gut?«, fragte er. »Sie sehen auf einmal so blass aus. Gibt es schlechte Neuigkeiten?«

Wie lange war sie weg gewesen? Wahrscheinlich nur ein paar Sekunden, sonst würde er bestimmt alarmierter wirken.

»Alles bestens!«, stieß sie schnell hervor und musste sich irgendwie ablenken, denn sie bekam diese Bilder von ihm … von ihnen beiden … nicht aus dem Kopf. Wann würde sich ihre Vorhersehung erfüllen? Leider wusste Fay das auch nie vorher. Sie könnte bereits in fünf Minuten, aber auch erst in fünf Wochen mit ihm Sex haben. Weiter in die Zukunft hatte sie bisher nie geblickt, doch erfüllt hatten sich ihre meist sehr lebhaften Prophezeiungen bisher alle.

»Ich warte nur auf eine Bestätigung der Pension«, antwortete sie schnell und schob ihr Handy zurück in die Tasche. Seine Visitenkarte behielt sie weiterhin in der Hand. Eventuell hatte sie die Vision ausgelöst und vielleicht kam ja noch was nach. »Ich fahre nur ungern im Dunkeln, denn da bin ich blind wie ein Maulwurf.«

Angestrengt studierte sie sein Kärtchen, als würde sie darauf alle Antworten der Welt finden, weil es ihr peinlich war, ihn anzublicken. Wie hatte sie es nur geschafft, sich Loan zu angeln?

Fay verkniff sich ein Lächeln. Manchmal war sie sehr dankbar für ihre hellseherischen Fähigkeiten. Jetzt wusste sie wenigstens, dass sie ihn wiedersehen und sich mit ihm in den Laken wälzen würde. Sie sollte sich weiter mit ihm unterhalten, ihn besser kennenlernen … Oder hätten sie auch Sex, wenn sie nichts tat? Wenn sie einfach aufstand und ging?

Natürlich hatte Fay schon mehrmals versucht, ihre »Zukunftserinnerungen«, wie sie die Visionen nannte, zu manipulieren. Doch bisher war immer alles eingetroffen, was sie gesehen hatte.

Da es ihr aktuell Spaß machte, mit ihm zu reden, und sie ohnehin noch auf die Nachricht der Pension warten musste, fragte sie: »Ihre beruflichen Qualifikationen haben Sie aber nicht hierher getrieben, oder?« Auf seiner Karte stand, er wäre Portfoliomanager und Immobilienmakler. In diesem kleinen Ort gab es jedoch nicht gerade viele Gebäude.

Lässig zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht ja doch. Alte Leute verkaufen gerne ihre Häuser auf dem Land, um sich eine Wohnung in einer größeren Stadt zu mieten, damit sie näher bei ihren Ärzten sind. Oder sie gehen gleich ins betreute Wohnen. Da viele von ihnen kein Internet haben, unterbreite ich ihnen mein Angebot gerne persönlich. Einige wollen auch einfach nur ihr Geld lukrativ vermehren, kennen sich aber mit Aktienfonds und anderen Anlagemöglichkeiten nicht aus. Das übernehme dann auch ich für sie.«

Das leuchtete ihr ein, dennoch hatte sie das Gefühl, er würde ihr den wahren Grund verschweigen … oder etwas anderes. Ihn schien nach wie vor eine geheimnisvolle Aura zu umgeben.

Als sie plötzlich ein leises Vibrieren hörte, entschuldigte er sich bei ihr und zog schmunzelnd ein Smartphone aus der Brusttasche seines Hemdes. »Wahrscheinlich schon der erste Kunde.«

Loan stand auf, um sich ein Stück von ihr zu entfernen, und meldete sich mit »Loan Balour, was kann ich für Sie tun?«

In diesem Moment vernahm sie ein »Ping« aus ihrer Handtasche. Sie hatte eine neue E-Mail bekommen!

Schnell zog sie ihr Telefon heraus und checkte die Nachrichten. Von ihrer Pension war tatsächlich eine Mitteilung gekommen! Hastig öffnete sie die E-Mail und zischte: »Mist!« Es war leider kein Zimmer mehr frei.

»Was ist los?«, fragte Loan und schlenderte zu ihr zurück. Sein Gespräch hatte nicht gerade lange gedauert, denn er schob sein Handy in die Hemdtasche und setzte sich wieder neben sie.

»So wie es aussieht, muss ich heute doch noch nach Hause fahren. Meine Zimmerreservierung wurde gerade storniert. Was für ein Kaff!« Sie atmete tief durch und murmelte: »Entschuldigung.« Schließlich lebte er hier.

Er grinste. »Sie haben recht, Woodhead ist ein Kaff. Aber ich liebe diese Ruhe und Idylle.« Kurz kratzte er sich an der Schläfe und starrte sie durchdringend an. In seinen grünbraunen Augen lag ein vergnügtes Funkeln, so als würde er sich über ihre missliche Lage freuen. »Also … wenn Sie eine Unterkunft für heute Nacht benötigen … Ich wohne in einem sehr großen Haus mit unzähligen leeren Zimmern. Davon überlasse ich Ihnen gerne eines.«

Fay wusste im ersten Moment nicht, was sie ihm antworten sollte und ermahnte sich, skeptisch zu sein. Das hier waren doch ein paar Zufälle zu viel? Oder hatte das Universum sie hergeführt, damit sie endlich den Partner fürs Leben fand? Oder zumindest ein paar heiße Stunden mit einem sexy Mann verbringen konnte? Sie hatte ja gesehen, worauf sie sich freuen durfte.

Dennoch wollte sie nichts überstürzen. Er war ein Fremder für sie!

Als sie nichts sagte, setzte er schmunzelnd hinzu: »Die Zimmer lassen sich absperren.« Er zog ihr einfach die Visitenkarte, die sie immer noch gehalten hatte, zwischen den Fingern hervor und holte einen Kugelschreiber, der viel kleiner und dünner war als ein normaler Stift, aus seiner Hemdtasche.

Was hatte der Kerl noch alles da drin?

Fay bewunderte seine schöne, geschwungene Schrift, als er etwas auf die Rückseite schrieb. »Ich notiere Ihnen ausnahmsweise meine Adresse. Die gebe ich normalerweise niemandem so schnell.« Er zwinkerte. »Dann können Sie Ihrem Freund Bescheid geben, wo er nach Ihnen suchen kann, wenn Sie nicht mehr nach Hause kommen.«

Sie schluckte. »Warum sollte ich nicht mehr nach Hause kommen?« Kurz flackerte ein grausames Bild vor ihrem geistigen Auge auf: wie sie in einer Blutlache lag und sich Loan mit einem Messer in der Hand zu ihr herabbeugte.

Grinsend erwiderte er: »Weil niemand schöner wohnt als ich. Sie wollen dann sicher nicht mehr gehen.«

Fay lachte. Was für ein Angeber! Aber er war sehr charmant, das musste sie ihm lassen. »Na, davon muss ich mich erst einmal selbst überzeugen.«

Er stand auf und zog sein Handy hervor. »Einen Moment, ich gebe schnell Baxter Bescheid, damit er Ihnen ein Zimmer herrichtet.«

Interessiert hob sie die Brauen. »Baxter?« War das … seine Freundin? Oder Mutter?

Nein, Baxter war definitiv ein Männername! Ob Loan schwul war? Dann wäre ihre Vorhersehung zum ersten Mal völlig in die Hose gegangen. Wobei … er könnte ja Männer und Frauen begehren.

Loan sagte: »Baxter ist so etwas wie mein Butler oder der Mann für alles«, und schlenderte in Richtung Straße.

Baxter, natürlich, das war auch ein Nachname!

Moment – Loan hatte einen Butler? War er vielleicht ein Lord oder so was?

Sie starrte ihm hinterher und bewunderte seinen sexy Hintern in der Anzughose und die breiten Schultern, über die sich sein Hemd spannte. Fay konnte sich nicht entscheiden, an welcher Stelle sie ihren Blick länger verweilen lassen sollte.

Während er telefonierte, entfernte er sich so weit von ihr, dass sie wieder gar nichts von seinem Gespräch mitbekam. Fay nutzte die Zeit, solange Loan abgelenkt war, fotografierte mit dem Handy beide Seiten seiner Visitenkarte und übermittelte Noir die Bilder. Dann schrieb sie dazu: »Werde heute bei Loan übernachten. Netter Kerl, hab ihn eben kennengelernt.«

Nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte, überlegte sie, ob sie Noir noch etwas schreiben sollte. Da vibrierte ihr Gerät, Noir hatte schon geantwortet. Die Hexe besaß silberweißes Haar, weshalb ihr kleines Bild im Chat immer besonders hervorstach. »Weiß er etwas über das Buch?«

»Leider nicht«, antwortete Fay und hatte ein schlechtes Gewissen Noir gegenüber, denn sie verdankte der mächtigen Hexe so viel. Fay würde mit leeren Händen zurückkehren, dafür aber sehr wahrscheinlich eine aufregende Nacht mit einem unglaublich attraktiven Mann verbringen. Und ganz vielleicht – wenn sie schon keinen sexy Gargoyle abbekam – fand sie in ihm ihren eigenen Traummann, so wie Noir mit Vincent. Die beiden passten einfach perfekt zusammen, schienen wie füreinander gemacht. Und ihr kleiner Sohn Philippe war einfach Zucker!

Fay beschloss, trotz persönlichem Vergnügen alles für den Job zu geben. Eventuell entdeckte sie doch noch etwas, das ihr bei der Suche nach dem verschollenen Buch weiterhelfen könnte. Deshalb schrieb sie: »Loan hat aber angeblich eine riesengroße Bibliothek. Vielleicht ist das ja dieselbe, die Nick in meinen Erinnerungen gesehen hat.«

»Ist Loan heiß?«, tauchte prompt Noirs nächste Frage auf dem Display auf.

Fay schmunzelte und tippte: »Heißer als die Sonne!« Schnell schoss sie ein Bild von ihm, weil er ihr immer noch den Rücken zukehrte, und schickte es ab.

»Verbrenn dich nicht«, schrieb Noir und hängte allerhand Smileys an – auch anzügliche.

Fay sendete ihr einen Smiley zurück, der die Zunge herausstreckte, und schob das Telefon wieder in ihre Tasche. Ihre Hand zitterte leicht. Himmel, war sie aufgeregt! Einmal, weil es sich bei Loans Bibliothek tatsächlich um eine mögliche Spur handeln könnte, und zum anderen, weil sie gleich bei dem heißesten Mann Englands übernachten würde!

Sie überlegte, ob Loan vorher versucht hatte, herauszufinden, ob sie mit jemandem liiert war. Dann können Sie Ihrem Freund Bescheid geben, hatte er gesagt.

Sie stöhnte innerlich, weil sie mal wieder zu langsam geschaltet hatte. Direkter ging es ja wohl nicht!

Suchte Loan nur ein Abenteuer, oder mehr?

Fay würde beides nehmen. Sie hätte auch nichts gegen ein kleines Abenteuer einzuwenden, und egal, ob mehr daraus werden würde oder nicht – es würde sie wenigstens von Caleb ablenken, damit sie ihn hoffentlich endlich aus dem Kopf bekam.

Nachdem Loan das Gespräch beendet hatte, schnappte er sich sein Jackett von der Lehne der Bank. Lässig warf er es sich über die Schulter und fragte: »Sind Sie mit dem Auto gekommen?«

Sie nickte. »Steht auf dem Parkplatz hinter dem Gasthaus.«

»Meins auch.« Gemeinsam gingen sie um das Gebäude herum, aus dem immer noch leise Musik zu hören war. »Fahren Sie mir einfach hinterher, Fay.«

Auf dem Sandplatz standen wenige Autos und ein großer Bus. Sie wusste sofort, dass nur ihm das weiße Mercedes Coupé mit den vier Türen, den extrabreiten Sportreifen und den zwei Doppelauspuffen gehören konnte. Der Wagen kostete ein Vermögen! Er war Fay schon bei ihrer Ankunft ins Auge gestochen.

Sein teurer Anzug, der Butler und jetzt dieses Auto … Loan musste sich wohl keine Sorgen um Geld machen. Wie wohl sein Haus aussah?

Ihre Neugier wuchs.

Würde er sich überhaupt noch mit ihr abgeben wollen, wenn er erfuhr, dass sie arm wie ein Kirchenmäuschen war? Na gut, ganz so schlimm stand es nicht um sie, aber die Miete für eine eigene Wohnung hätte sie sich nach ihrem Rauswurf des Magierrates ohne neue Anstellung nicht mehr leisten können. Zum Glück durfte sie in einer Mitarbeiterwohnung von Noirs Detektei und Vincents Klan leben.

Auch Fays Auto – ein dunkelblauer Mini Cooper älteren Baujahres – stammte aus dem Fuhrpark der beiden und stand etwa zehn Meter von Loans Coupé entfernt. Fay hatte sich extra einen Kleinwagen ausgesucht, damit man ihr die Nummer mit der Reporterin abnahm. Außerdem hatte sie das Gefühl, ein kompakteres Fahrzeug besser im Griff zu haben. Sie mochte zwar über Hexenkünste verfügen, aber diese moderne Technik war ihr nie ganz geheuer. Je weniger Schnickschnack ein Wagen bot, desto besser.

Mit zittrigen Fingern suchte sie in der Handtasche nach ihrem Autoschlüssel; ihre Nervosität wuchs langsam ins Unermessliche. So viel Aufregung hatte sie seit dem Verschwinden des Tagebuches nicht mehr gefühlt!

Als sie plötzlich Loans Stimme direkt hinter sich vernahm, zuckte sie leicht zusammen.

»Ich habe nur eine dringende Bitte, Fay«, sagte er leise und rau, woraufhin sie herumwirbelte.

»Ja?«, krächzte sie und musste ihren Kopf ein wenig in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen.

Er trat noch einen Schritt auf sie zu, sodass sie seinen angenehmen Duft wahrnehmen konnte, aber auch seine fast schon übermächtige Präsenz.

»Bitte nehmen Sie die Reporterin nicht mit. Ich liebe meinen privaten Rückzugsort über alles und möchte, dass es auch so bleibt.«

»Natürlich!«, stieß sie hervor und widerstand dem Drang, ihren Rücken gegen die staubige Fahrertür zu drücken. »Das kann ich sehr gut verstehen.«

Himmel, dieser Mann haute sie fast aus den Schuhen, allein wenn er mit ihr sprach. Seine leicht dominante Art faszinierte und erregte sie gleichermaßen.

Er nickte ernst und ging zu seinem Wagen, während es Fay irgendwie schaffte, ihr Auto zu öffnen und gerade noch rechtzeitig darin Platz zu nehmen, bevor ihre Knie einknickten. Erneut fragte sie sich, worauf sie sich hier bloß einließ.

Ihre Hände zitterten noch mehr, als sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte und sich anschnallte. Dann behielt sie den Rückspiegel im Auge, bis Loan mit seinem teuren Wagen hinter ihr vorbeirollte. Erst dann startete sie den Mini Cooper und parkte rückwärts aus, um ihm zu folgen.

Sie verließen die Einfahrt zum Gasthaus und bogen nach rechts auf die Hauptstraße.

Loan gab ordentlich Gas, sodass sie erst Angst hatte, er wolle sich ein Rennen mit ihr liefern. Aber er hielt sich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit, und so konnte sie schnell zu ihm aufschließen.

Schade, dass sie ihn wegen der verdunkelten Scheiben nicht in seinem Wagen erkennen konnte. Behielt er sie über den Rückspiegel im Blick?

Ständig stahl sich ihre heiße Zukunftserinnerung in ihre Gedanken, wie sich Loan auf sie geschoben und sie geküsst hatte, während sie die Hände in seine breiten Schultern …

Aufhören!, ermahnte sie sich. Schließlich musste sie sich auf die Straße konzentrieren. Zwar herrschte hier kaum Verkehr, aber sie wollte nicht in einen Graben oder gegen einen Baum fahren. Loan führte sie direkt in den Wald, und ihnen kam nur hin und wieder ein anderes Fahrzeug entgegen. Je weiter sie fuhren, desto verlassener schien die Gegend zu werden, und bei jeder neuen Abzweigung entfernten sie sich weiter von der Zivilisation. Immer tiefer ging es in den Wald hinein. Wenigstens gab es eine geteerte Straße und die Sonne schien. Der tiefblaue Himmel schwebte wie ein Band zwischen den Baumwipfeln. Das Wetter war wirklich traumhaft und Fays Stimmung hob sich. Sie befand sich auf dem Weg zum Haus eines sexy Kerls, mit dem sie sich anscheinend in naher Zukunft in den Laken wälzen würde. Ihr Leben war manchmal wirklich verrückt! Aber auch langweilig, zumindest auf sexueller Ebene hatte sich nie etwas Aufregendes ereignet.

Hatte sie sich deshalb ein Techtelmechtel mit Caleb erhofft, weil er so groß und stark war und dominant wirkte? Weil sie insgeheim solche Männer bevorzugte?

Fay wusste es nicht wirklich, weil sie nie mit einem dominanten Mann zusammen gewesen war und diese Art von Sex noch nicht ausprobiert hatte. In ihren früheren und immer nur kurzen Partnerschaften hatte ihr kein Mann jemals gezeigt, wo es im Bett langging. Hatte sie deshalb immer das Gefühl gehabt, es würde in ihrer Beziehung etwas fehlen?

Hm, am Sex allein konnte es doch nicht liegen, oder? Wahrscheinlich war Mr Right einfach nie dabei gewesen.

Erhoffte sie sich von Loan mehr? Dass er ihr Mr Right wäre?

Mensch, Fay, du fährst ihm doch nicht nur hinterher, um Spaß zu haben oder den Mann fürs Leben zu finden!, schalt sie sich. Schließlich hatte ihr eine andere Vision gezeigt, dass hier der richtige Ort sein musste, um mehr über das verschwundene Buch mit den verschlüsselten Aufzeichnungen der beiden Magier Thomas und David Elwood zu erfahren oder zumindest etwas über den Steinfluch der Gargoyles. Die Schuld, nicht gut genug auf dieses wertvolle Relikt aufgepasst zu haben, lastete schwer auf Fay. Sie musste es unbedingt wiederfinden, koste es, was es wolle! Ihretwegen fehlte der bisher beste Hinweis auf eine Lösung, und die Gargoyles, die tagsüber versteinerten, befanden sich weiterhin in Gefahr. Womöglich hätte sogar das Massaker von Notre Dame verhindert werden können, wenn sie das Buch nicht verloren hätte!

Daran durfte sie gar nicht erst denken … Noir hatte ihr immer wieder zugesprochen, dass es noch Jahre dauern hätte können, bis das Rätsel des Steinfluches überhaupt gelöst worden wäre. Schließlich hatte es selbst David Elwood, der Sohn des Tagebuchschreibers, nie geschafft, alles zu entziffern, was sein Vater im 19. Jahrhundert herausgefunden und codiert hatte.

Durch einen unglaublichen Glücksfall war das Buch vor drei Jahren in einem antiken Schreibtisch entdeckt und dem Magierrat zugespielt worden. Fay hatte als Historikerin alles gegeben, um die Notizen zu entschlüsseln, aber vielleicht auch zu viel auf einmal von sich selbst gefordert. Sie hatte ihre Eltern endlich stolz machen wollen, stattdessen hatten sie seit dem Diebstahl den Kontakt zu ihr abgebrochen. Sicher schämten sie sich für ihre nichtsnutzige Tochter, die in ihren dreißig Lebensjahren noch nie etwas Besonderes geleistet hatte. Lediglich als sie ihr Studium der Geschichte – das alle Epochen sowohl der magischen wie auch nicht magischen Menschheitsgeschichte umfasste – mit dem Master abgeschlossen hatte, war ihren Eltern so etwas wie ein zufriedenes Lächeln über die Lippen gehuscht.

Ihre Eltern waren Fay mittlerweile egal, nicht aber die Gargoyles. In Vincents Klan hatte sie viele von ihnen kennen und lieben gelernt. Dort fühlte sie sich aufgehoben. Noir, Vincent, deren Freunde und alle anderen Goyles waren in den letzten Jahren ihre Familie geworden. Fay war unendlich dankbar, dass die berühmte Hexe Noir Hadfield ihr jede Hilfe zur Seite stellte, um das Buch wiederzufinden. Noir glaubte fest daran, dass es nur ein Dämon gestohlen haben konnte, denn schließlich wollten diese fiesen Wesen verhindern, dass das Rätsel des Steinfluches gelöst wurde. Denn sollte das je gelingen, wären ihnen die Gargoyles überlegen: Sie könnten auch tagsüber auf Dämonenjagd gehen und wären den Unterweltlern nie mehr hilflos ausgeliefert.

Würde eine Aufhebung des Fluches das universelle Gleichgewicht aus dem Lot bringen?

Die guten und bösen Mächte glichen sich auf die eine oder andere Art immer aus. Das hatte zumindest Quirin Yates behauptet – ein Großmeister eines alten Ritterordens –, der vor Jahren einen Vortrag an ihrer Universität über Dämonen gehalten hatte. Ein Ungleichgewicht der Kräfte könnte sogar die Vernichtung der Weltordnung bedeuten!

War es eventuell unvermeidbar gewesen, dass das Buch gestohlen wurde?

Fay fragte sich das immer und immer wieder und fand nie eine Antwort. Womöglich waren sie alle nur eine Zacke in einem riesengroßen Zahnrad. Wenn eine herausbrach, mochte das noch nichts ausmachen, aber sobald es mehr wurden … Vielleicht war Fays Zeit, oder die der Gargoyles, einfach noch nicht gekommen. Wie immer würde sie deshalb alles auf sich zukommen lassen. Etwas anderes blieb ihr ohnehin nicht übrig.

Verfluchtes Drachenherz

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