Читать книгу Fünf Bücher gegen die Häresien - Irenäus von Lyon - Страница 9
Оглавление4. Kapitel: Die Vorgänge außerhalb des Pleroma.— Entstehung der Materie
1.
Wir kämen nun zu den Vorgängen, die sich außerhalb des Pleroma zugetragen haben. Da soll zunächst die Enthymesis der oberen Weisheit, die sie auch Achamoth nennen, mit der Leidenschaft von dem oberen Pleroma abgesondert und in die Räume des Schattens und der Leere zwangsweise hinausgeworfen sein. So war sie verbannt von dem Licht und dem Pleroma, form- und gestaltlos wie ein Embryo, nicht imstande, etwas zu erfassen. Da erbarmte sich ihrer Christus, dehnte sie aus durch sein Kreuz und gab ihr Gestalt durch seine Kraft, so daß sie zur Existenz, doch nicht zum Bewußtsein gelangte. Darauf hat er sie wieder verlassen und ihr seine Kraft entzogen, damit sie inne würde des Leidens, welches eine Folge war ihrer Trennung vom Pleroma, und Sehnsucht nach dem Höheren empfinde, denn ihr war ja von Christus und dem Hl. Geiste eine gewisse Ahnung der Unsterblichkeit hinterlassen. Deswegen trägt sie auch zwei Namen: nach dem Vater Sophia, wie ja auch ihr Vater Sophia heißt, und Heiliger Geist wegen des Geistes Christi. Da sie nun Gestalt bekommen hatte und zu sich gekommen war, gleich darauf aber von ihrem unsichtbaren Beistande, d, i. von dem Logos oder Christus, verlassen war, so hat sie sich auf die Suche nach dem ihr entschwundenen Lichte begeben, es aber nicht erreichen können, weil sie von Horos zurückgehalten wurde. Bei dieser Gelegenheit hat Horos „Jao“ gerufen und daraus ist der Name Jao30 entstanden. Da sie nun den Horos nicht zurückdrängen konnte und allein draußen bleiben mußte, weil sie in ihre Leidenschaft so verwickelt war, so ist alles Leid jeder Art und Gestalt über sie gekommen: Trauer, weil sie nichts erfaßte, Furcht davor, daß sie wie das Licht auch das Leben verlieren könnte, Bestürzung und gänzliche Unwissenheit. Aber nicht wie ihre Mutter, die erste Sophia, der Äon, bekehrte sie sich von ihrer Leidenschaft, sondern im Gegenteil. Noch eine andere Leidenschaft kam über sie, die Sehnsucht nach ihrem Lebendigmacher.
2.
Das soll der Ursprung und das Wesen der Materie gewesen sein, aus der diese Welt besteht. Aus dieser Sehnsucht hat die ganze Seele der Welt und des Weltenschöpfers ihren Anfang genommen, aus der Furcht und Trauer aber das übrige. Von den Tränen komme her alle feuchte Substanz der Welt, von dem Lachen die leuchtende, aus der Trauer und Bestürzung die körperliche. Bald nämlich soll sie geweint und getrauert haben, wie sie in der Finsternis und Leere allein gelassen war, bald aber erhob sie sich und lachte, wenn sie des entschwundenen Lichtes gedachte, dann aber fiel sie wieder in Furcht und ein andermal in Pein und Entsetzen.
3.
Was ist das anders als langes Gefabel und Hirngespinst von jedem aus ihnen, indem jeder auf eine andere Weise mit hochtönenden Phrasen erörtert, aus welcher Empfindung, aus welchem Element das Seiende seinen Ursprung nahm. Aber nicht allen scheinen sie mir dies geziemenderweise öffentlich lehren zu wollen, sondern nur denen, welche hohes Honorar für so beschaffene Geheimnisse zu zahlen vermögen. In dieser Beziehung sind sie denen gar nicht gleich, zu denen unser Herr gesagt hat: „Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebet es“31 , vielmehr werden die sonderlichen, staunenerregenden, tiefen Geheimnisse nur um großen Lohn den Lügenfreunden anvertraut. Wer mochte auch nicht sein ganzes Vermögen hingeben um zu hören, daß aus den Tränen der Enthymesis, des erregten Äonen, die Meere, Quellen, Flüsse und allerlei nasse Substanz entstanden ist, aus ihrem Lachen das Licht, aus ihrer Trauer und Bestürzung die körperliche Substanz der Welt!
4.
Da will ich auch noch etwas zu ihrer Fruchtbarkeit beitragen. Weil ich nämlich sehe, daß ein Teil der Gewässer süß ist, wie die Quellen, die Flüsse, der Regen, das Meerwasser aber salzig, so meine ich, nicht alle stammen von ihren Tränen, die ihrer Beschaffenheit nach salzig sind. Also ist es offenbar, daß nur das salzige Wasser von ihren Tränen stammt. Doch vermutlich hat sie in ihrer schweren Pein und Hilflosigkeit auch geschwitzt. Daher muß man nach ihrer Weise annehmen, daß die Quellen und Flüsse und das übrige Süßwasser von ihrem Schweiße stammen. Unglaublich nämlich ist es, da die Tränen doch nur eine Beschaffenheit haben, daß die bitteren wie die süßen Gewässer von ihnen in gleicher Weise abstammten. Es ist glaublicher, daß die einen von den Tränen, die andern von dem Schweiß herrühren. Nun gibt es aber noch warme und ätzende Gewässer in der Welt. Da solltest du nachdenken, was die Enthymesis denn da tat, und aus welchem Gliede sie denn diese hervorbrachte. Diese Folgerungen ergeben sich just aus ihrer Hypothese.
5.
Als nun aber ihre Mutter jegliches Leid durchgemacht und sich kaum erhoben hatte, da kehrte sie sich hin zur Anrufung des ihr entschwundenen Lichtes, nämlich Christus. Der aber war in das Pleroma zurückgekehrt und trug natürlich Bedenken, zum zweitenmal hinabzusteigen. Darum schickte er den Tröster zu ihr, d. h. den Heiland, indem ihm der Vater alle Macht verlieh und alles seiner Gewalt unterstellte, und ebenso die Äonen, damit in ihm alles geschaffen würde, das Sichtbare, das Unsichtbare, die Thronen, die Gottheiten, die Herrschaften32 . Ausgesandt aber wird er zu ihr mit seinen Altersgenossen, den Engeln. Da soll nun die Achamoth bei der Begegnung mit ihm zuerst aus Scham sich verhüllt haben, dann aber, wie sie ihn mit seiner ganzen Fruchtfolge erblickte, ihm entgegengestürzt sein und Kraft aus seiner Erscheinung geschöpft haben. Der hat sie alsdann zur Form der Erkenntnis gestaltet und von ihrem Leiden sie geheilt. Diese Leiden aber konnte er nicht, wie bei der ersten Sophia, vernichten, weil sie schon in den Zustand der Macht übergegangen waren. Darum hat er sie nur abgesondert, aber nicht sich selbst überlassen, und danach sie vermischt und verdichtet, so daß sie aus einem unkörperlichen Leiden in körperlose Materie überführt wurden. So wurden diese zugepaßt und befähigt, in Mischungen und Körper überzugehen, um zwei Wesenheiten anzunehmen, die schlechte der Leidenschaften und die leidenschaftliche der Sehnsucht. Dazu soll mit seiner Kraft der Heiland gewirkt haben. Als aber die Achamoth von ihrem Leiden befreit war, da schaute sie an in ihrer Freude die Lichter um ihn herum, d. h. die Engel in seiner Begleitung, verführte sie zur Schwängerung und trug dann Leibesfrüchte nach ihrem Ebenbild, eine geistige Frucht nach dem Ebenbild der Trabanten des Heilandes.