Читать книгу Makroökonomik und Wirtschaftspolitik - Iris Böschen - Страница 24
2.4.1 Vorkeynesianische Konjunkturtheorien
ОглавлениеDie Wissenschaftler, die die rein-monetäre Konjunkturtheorie postulierten, gingen davon aus, dass die Instabilität des Geldumlaufes der zentrale Bestimmungsgrund des Konjunkturverlaufes ist. Für sie ist der Konjunkturzyklus ein reines Geldphänomen. So |38|sorgt ein erhöhtes Geldangebot für sinkende Zinsen, da das Geld weniger knapp wird. In der Folge wird die realwirtschaftliche Lagerhaltung günstiger und die (Konsum-) Nachfrage belebt. Demgegenüber veranlassen steigende Zinsen aufgrund des knapper werdenden Geldes einen Lagerabbau. Die im Lager befindlichen Waren sollen abgesetzt werden, damit mehr Geld in Umlauf kommt und gegebenenfalls die Zinsen erneut fallen können. Das zusätzliche Güterangebot aus den aufgelösten Lagern konkurriert nun mit den Waren aus der laufenden Produktion. Dieses Mehrangebot an Gütern dürfte zu fallenden Preisen führen. Verstärkt wird der monetäre Anstoß sowohl im Aufschwung als auch in der Depression dadurch, dass die Einkommen produktionsabhängig sind und damit auch der Konsum. Während des Aufschwunges sorgen Preissteigerungserwartungen demnach dafür, dass die Händler ihre Vorräte ausdehnen, d.h. mehr Güter produzieren, um mehr in die Lager einstellen zu können. Damit wird der Expansionsprozess gefördert, der Boom verstärkt. Ebenso bewirkt nach der konjunkturellen Wende die Erwartung sinkender Preise den Abbau der Lager. Die Talfahrt in die Depression wird beschleunigt. Es greifen somit die jeweilige Konjunkturphase verschärfende Mechanismen und nicht die wünschenswerten konjunkturdämpfenden Maßnahmen. Die adäquate politische Maßnahme ist gemäß der Anhänger der rein-monetären Konjunkturtheoretiker die Stabilisierung des Geldumlaufes. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes hängt von den Erwartungen der Konsumenten und Unternehmen im Hinblick auf die Zinsentwicklung, auf die Höhe der künftig verfügbaren Einkommen etc. ab. Ob der Umlauf des Geldes überhaupt kontrolliert werden kann, ist noch heute umstritten. Zudem wird an der Theorie kritisiert, dass empirische Studien widerlegen, dass die Lagerhaltung zinsabhängig ist. Im Gegenteil: die jederzeitige Lieferfähigkeit hat sich als dominierend herausgestellt (Teichmann 1997, 4ff).
Eine weitere Erklärung für das Auftreten konjunktureller Wellen sind die monetären und die nicht-monetären, realen Überinvestitionstheorien. Die monetären Überinvestitionstheorien begründen Konjunkturschwankungen mit dem Auseinanderfallen von „natürlichem Zins“ und „Kreditzins“. Hier werden Investitionen durch eine übergroße Differenz zwischen dem „natürlichem Zins“ als realwirtschaftlich bestimmter Rendite der Investitionen und dem „Kreditzins“ als monetärem Zins der Finanzmärkte ausgelöst. Ist die Investitionsrendite höher als der für Kredite zu zahlende Zins, so investieren die Unternehmen und weiten ihre Produktionskapazitäten sowie die Beschäftigung aus. Im weiteren Verlauf gleichen sich der natürliche Zins und der Kreditzins wieder an. Die Investitionen gehen zurück. Der Renditevorteil von Sachinvestitionen gegenüber Finanzinvestitionen sinkt und kann sogar negativ werden. Investitionen sind nicht mehr rentabel bzw. werden unrentabel (Teichmann 1997, 5ff). Dies wird in Abbildung 10 veranschaulicht.
Abbildung 10:
Rentabilität von Investitionsprojekten (Quelle: Eigene Darstellung).
Während auf der horizontalen Achse der Grafik die Investitionsprojekte A bis F abgetragen sind, wird auf der vertikalen Achse die Rentabilität der Investitionsprojekte denominiert in Euro aufgeführt. Die zugrunde liegende, realistische Annahme ist, dass die Investitionsprojekte mittels der Aufnahme von Krediten finanziert werden. Steigt der Kreditzins, so werden im Beispiel die Projekte C, D, und E unrentabel. Der Investor wird die Projekte nicht umsetzen, keine Mitarbeiter einstellen, sondern vermutlich einige entlassen müssen. Allein Projekt F lohnt sich noch für den Unternehmer, wobei |39|die Rendite durch den höheren Kreditzins geschmälert wird. Es kommt, wenn mehrere Unternehmen das genannte Kalkül aufmachen, zur Rezession und eventuell Depression.
Die realen Überinvestitionstheorien knüpfen an der Tatsache an, dass die Investitionsgüterindustrie größeren konjunkturellen Schwankungen unterliegt als die Konsumgüterindustrie. Die Schwankungsursachen liegen damit in der im Vergleich zur künftigen Nachfrage zu hohen oder zu geringen Investitionsgüterproduktion begründet. Ein Konjunkturzyklus mit Aufschwung und sich hieraus automatisch ergebendem Abschwung lässt sich z.B. damit erklären, dass es ausgehend von positiven Erwartungen infolge von Innovationen oder einer Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen für die Unternehmen etc. zu einer stark ansteigenden Investitionsgüternachfrage kommt. Damit nimmt die Kapazitätsausweitung im Investitionsgütersektor zu. Irgendwann aber ist der Markt gesättigt. Noch mehr neue Maschinen werden nicht benötigt. Die vorhandenen Kapazitäten der Investitionsgüterindustrie werden nicht mehr ausgelastet. Es kommt in der Investitionsgüterindustrie zu einem Abschwung. Dies geschieht auch dann, wenn die Konsumgüternachfrage noch intakt ist. Allerdings werden die Entlassungen in der Investitionsgüterbranche zu einer geringeren Kaufkraft und damit zu einem Rückgang der Nachfrage nach Konsumgütern führen. Die Konsumgüterindustrie kann ebenso in eine Schieflage geraten (Teichmann 1997, 6ff). Ein Beispiel für die reale Überinvestitionstheorie ist die Krise in der Automobilindustrie nach dem Boom der deutschen Wiedervereinigung. Der Markt war – bei hohen vorhandenen Kapazitäten – gesättigt.
In den Unterkonsumtionstheorien werden Konjunkturschwankungen auf Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverteilung bzw. konkret auf einen Rückgang der Konsumnachfrage aufgrund eines Kaufkraftverfalls zurückgeführt. Unterstellen wir einen Aufschwung und legen zur Vereinfachung folgende Annahmen zugrunde:
|40|Je höher die Einkommen aus unselbstständiger Arbeit sind, desto höher ist die volkswirtschaftliche Konsumquote.
Je höher die Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit sind, desto höher ist die volkswirtschaftliche Spar- bzw. Investitionsquote.
Zudem gilt, dass in einem Aufschwung grundsätzlich die Preise schneller steigen als die Löhne, da ein gewisser Nachfragedruck vorliegt.
Wenn aber die Güterpreise schneller steigen als die Löhne, kommt es aufgrund hierdurch steigender Gewinne der Unternehmen zu einer Änderung der funktionalen Einkommensverteilung. Als funktionale Einkommensverteilung wird das Verhältnis der Lohnquote zur Gewinnquote verstanden. Die Lohnquote ist der Quotient der Arbeitnehmerentgelte und des Volkseinkommens. Das Volkseinkommen setzt sich aus den Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit und den Einkommen aus Vermögens- und Unternehmenseinkünften zusammen. Die Gewinnquote ihrerseits ist das Verhältnis aus den Vermögens- sowie Unternehmenseinkünften und dem Volkseinkommen. Steigt also die Lohnquote, so muss die Gewinnquote sinken und vice versa, denn beide Quoten müssen in der Summe 100 ergeben; das gesamte Volkseinkommen. In Deutschland liegt die Lohnquote aktuell bei einem Anteil von etwa 68 Prozent am Volkseinkommen. Sie schwankte in den vergangenen acht Jahren zwischen 63 und 68 Prozent am Volkseinkommen. Steigen nun in einem Aufschwung die Preise schneller als die Löhne, wird die Investitionstätigkeit in Relation zur Konsumnachfrage überproportional erhöht. Ein wirtschaftlicher Abschwung wird dann unvermeidlich, wenn bei hohen Kapazitäten der Investitionsgüterindustrie der Auslastungsgrad der Konsumgüterindustrie sinkt, weil die Kaufkraft der unselbstständig Beschäftigten in Relation zum Angebot zu gering ist. Im Zuge der Rezession kommt es dann bei rückläufigen Unternehmensgewinnen und Preissenkungen wieder zu der ursprünglichen Einkommensverteilung. Die Kaufkraft steigt, die Nachfrage nimmt zu, ein neuer Aufschwung beginnt. Dies geschieht allerdings nur unter der Prämisse, dass die Rezession nicht dazu genutzt wurde, die Löhne zu stark zurückzuführen (Teichmann 1997, 7). Dies würde – so die Unterkonsumtionstheorien – zu einem Abschwung führen, wie im Jahr 1929, als eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst wurde. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Bundesbank angesichts der konjunkturellen Entwicklung, die Erhöhung der realen Löhne: „Insofern liegt es in der Natur der Sache und ist auch zu begrüßen, dass die Arbeitsentgelte wieder stärker steigen als zu Zeiten, in denen die deutsche Wirtschaft in deutlich schlechterer Verfassung war.“[25]
Neben der monetären Überinvestitionstheorie werden weitere monetäre Konjunkturtheorien ins Feld geführt, die allerdings darauf basieren, dass fehlerhafte geldpolitische Maßnahmen der Zentralbank für konjunkturelle Schwankungen verantwortlich sein sollen. Betreibt die Zentralbank eine expansive Geldpolitik indem sie beispielsweise die Leitzinsen senkt oder die Geldmenge ausweitet, so kommt es normalerweise, d.h. wenn der Transmissionsmechanismus funktioniert und die Geschäftsbanken günstige Refinanzierungskosten an die privaten Haushalte und Unternehmen weitergeben, zu einer Kreditexpansion. Diese führt in einer ansonsten normalen Wirtschaftslage zu einer Ausweitung der Investitionen (vgl. Abbildung 10: Alle Projekte, auch |41|die Projekte A und B werden rentabel und deshalb umgesetzt). Zudem nehmen die Konsumausgaben zu, da die Ersparnisbildung der Wirtschaftssubjekte aufgrund der gesunkenen Zinsen weniger rentabel ist. Es kommt zu einem Aufschwung. Wenn in dieser Situation die Geschäftsbanken die Kreditvergabe nicht ausweiten können oder diese gar wegen zunehmender Risiken einschränken, kommt es zu einem Anstieg des Zinsniveaus. Es nehmen damit sowohl die Finanzierungskosten der Investoren zu als auch die Kontokorrentzinsen, die für die Nachfrager bedeutsam sind. In der Folge geht die Nachfrage zurück. Die Preise fallen. Die Gewinne der Unternehmen sinken. Die Investitionen werden eingeschränkt und damit die Beschäftigung. Schließlich fällt die Kaufkraft aufgrund der gesunkenen Lohnsumme. Die Wirtschaft gleitet in die Rezession. Ein Beispiel für eine kreditinduzierte Rezession ist die Finanzkrise, die 1997/ 1998 in Asien durch eine zunächst viel zu expansive Kreditpolitik des dortigen Bankensektors verursacht wurde.
Hintergrund dieser Erklärung konjunktureller Schwankungen ist die Annahme, dass Konjunkturzyklen parallel zu Produktlebenszyklen von Produkten verlaufen, die besonders beschäftigungsintensiv produziert werden. Joseph Schumpeter (1883–1950) ging davon aus, dass sich eine Produktinnovation eines Unternehmers als technologische Neuerung auf dem Markt durchsetzen kann. Die Wirtschaft gerät in einen Aufschwung, da immer mehr Unternehmen die Innovation, indem sie vermehrt investieren, nachahmen. Dieser Prozess geht so lange von statten, bis so viele Neuunternehmer auf dem Markt sind, dass der Gewinn des einzelnen Unternehmens zurückgeht. Der erzielbare Preis für das Produkt liegt dann nicht nur kurz- sondern mittelfristig unterhalb der Grenzkosten der Produktion, d.h. für den Unternehmer lohnt sich die Produktion nicht mehr. Sinkende Gewinne oder gar Verluste leiten jedoch unter Umständen einen Abschwung ein, dem durch eine sich erneuernde Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft begegnet werden kann.
Eine weitere Sichtweise hinsichtlich der Gründe für Konjunkturschwankungen lieferte Arthur C. Pigou (1877–1959) im Jahr 1927. Er machte das Verhalten der Marktteilnehmer verantwortlich für Konjunkturschwankungen. Übertriebener Optimismus der Investoren führt zu z.T. risikobehafteten Investitionsentscheidungen und damit zu einem angebotsinduzierten Aufschwung, der bei einer neutralen Sicht auf die Wirtschaftsentwicklung unter Umständen nicht stattgefunden hätte. Wenn sich die Absatzerwartungen der Unternehmer nun nicht erfüllen, kommt es zu einer stark gegenläufigen Kontraktionsphase. Die Unternehmen bauen Kapazitäten über die Maßen ab. Die Beschäftigung geht zurück. Die Kaufkraft fällt weiter. Denkbar ist auch, dass der Optimismus der Konsumenten einen nachfrageinduzierten Aufschwung einleitet. In der Erwartung zunehmender Beschäftigung sowie steigender Löhne und Gehälter wird der Konsum ausgedehnt. Stellen sich die Erwartungen als fehlerhaft heraus, steigen die Löhne und Gehälter nicht im erhofften Ausmaß. Der Konsum wird zurückgenommen. Die anfänglich positive Erwartung schlägt in eine Rezession um (Teichmann 1997, 7ff).
Ein Konjunkturzyklus kann auch ohne jegliche kausale ökonomische Notwendigkeit herbeigeredet werden. In dem Augenblick, in dem die Medien und einflussreiche Wirtschaftssubjekte mit einem wirtschaftlichen Einbruch rechnen und öffentlich |42|darüber reden, beginnen die Empfänger der Informationen zu sparen, weniger zu investieren bzw. zu konsumieren. Andersherum kann auch ein Aufschwung herbeigeredet werden. Wird eine neue, als wirtschaftskompetent geltende Regierung gewählt, investieren die Unternehmen, um die Konsumenten künftig bedienen zu können. Diese kaufen auch auf Kreditbasis Güter, da sie mit Lohn- und Gehaltssteigerungen rechnen und andererseits Preissteigerungen erwarten. Diese Art von Konjunkturschwankungen wird durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen induziert.
Sowohl die Unterkonsumtions- als auch die Überinvestitionstheorie und die zur Auflösung der konjunkturellen Verzerrung empfohlenen Instrumente werden heute überwiegend als überholt angesehen, helfen uns jedoch, die Prozesse besser zu verstehen. Die Konturen der Zyklen sind heute aufgrund der statistischen Datenerhebungs- und Analysemöglichkeiten deutlicher zu erkennen. Der technische Fortschritt erfolgt aufgrund der Globalisierung heute weniger in „plötzlichen“ Schüben als vielmehr relativ gleichmäßig. Es werden von dieser Seite heute eher keine Konjunkturzyklen ausgelöst.