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2.4.3 Neoklassisches Konjunkturmodell
ОглавлениеMilton Friedman (1912–2006) gilt gemeinsam mit John M. Keynes als der einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhundert und entwickelte einen monetaristischen Ansatz zur Erklärung von Konjunkturschwankungen (Heubes 1991, 84–86). Im Jahr 1963 wurde sein gemeinsam mit Anna J. Schwartz (1915–2012) geschriebenes Hauptwerk „A Monetary History of the United States, 1867–1960“ (Friedman 1971 [1963]) veröffentlicht, in dem die Auswirkungen von Geldmengenänderungen auf Konjunkturzyklen beschrieben werden. Mit diesem Werk haben Friedman und Schwartz die – oben aufgeführten – nachfrageorientierten keynesianischen Erklärungen von Konjunkturzyklen bestritten.
Friedman und Schwartz legen ihrem Modell den Markträumungsansatz zu Grunde. Das bedeutet, dass angenommen wird, dass die Volkswirtschaft auch bei flexiblen Preisen in einem stabilen Gleichgewicht ist. Dieses walrasianische Gleichgewicht, benannt nach Léon Walras (1834–1910) liegt augenblicklich vor, wenn nur einer der Märkte (Gütermarkt, Geldmarkt etc.) im Gleichgewicht ist, da sich dann automatisch alle anderen Märkte ebenfalls im Gleichgewicht befinden müssen. Unabhängig davon können gemäß Friedman und Schwartz die nominalen Einkommen schwanken, wenn die Zentralbank die Geldmengenpolitik verändert. Dies wiederum erzeugt Konjunkturwellen. Friedman und Schwartz stellen die These auf, dass exogene monetäre Schocks Konjunkturschwankungen verursachen können. Hinzu kommt der Gedanke, dass diese in Verbindung mit nicht angemessenen Erwartungen der Wirtschaftssubjekte entstehen. Um zu zeigen, dass Einkommensschwankungen auf Geldmengenänderungen zurückgeführt werden können, führen Friedman und Schwartz die Erwartungshaltung der Wirtschaftssubjekte hinsichtlich der Inflation ein.
Geld ist diesem Ansatz zufolge ein Vermögensobjekt unter vielen. Die Nachfrage nach Geld ist von dem Kalkül der Wirtschaftssubjekte bestimmt, das Vermögen optimal unter verschiedenen Anlageformen aufzuteilen. Durch dieses Verhalten wird das Risiko der Vermögenshaltung gestreut und damit ein möglicher Verlust minimiert. Die optimale Aufteilung des Vermögens richtet sich nach den Renditen der einzelnen Anlageformen. Diese stellen – von der anderen Seite betrachtet – die Opportunitätskosten der Geldhaltung dar. Der Zinssatz und die Inflationsrate dienen bei Friedman und Schwartz der Bemessung der Opportunitätskosten. Ansatzpunkt für die Bewertung des Gesamtvermögens ist das laufende Einkommen, da das Gesamtvermögen nur schwer zu bestimmen ist. Künftige Einkommensströme schätzen die Wirtschaftssubjekte annahmegemäß anhand vergangener Einkommen ab, d.h. sie handeln auf der Basis adaptiver Erwartungen. Das rationale Verhalten der Wirtschaftssubjekte spiegelt |48|sich in der individuellen Nutzenmaximierung sowie in preis- und zinselastischem Verhalten wider. Preisänderungen bewirken somit eine Veränderung der Güternachfrage. Zinsänderungen bedingen eine Anpassung der Zusammensetzung des Vermögensportfolios. Dieses kann aus folgenden Vermögenswerten bestehen:
Festverzinsliche Finanzaktiva und/ oder Aktien, wobei die Erträge Zinsen sein können oder Stimmrechte auf Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften;
Sachaktiva wie physisch vorhandene und nicht-menschliche Güter;
Humankapital wie Aus- und Fortbildung.
Je nachdem, bei welchem Vermögenswert die höchsten Renditen zu erwarten sind, wird das Wirtschaftssubjekt sein Portfolio entsprechend optimieren. Unter der weiteren Annahme, dass die Wirtschaftssubjekte sich an realen Größen orientieren, ergibt sich für die Nachfrage der Wirtschaftssubjekte nach realer Kassenhaltung, also nach Bargeld oder Giralgeld, dass sich diese in gleicher Weise wie das reale Einkommen ändert. Der Einfluss der Inflationsrate ist anhand der Entwicklung des realen Einkommens zu erkennen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirtschaftssubjekte ihre reale Geldnachfrage nur geringfügig von Zinsänderungen abhängig machen. Demgegenüber hat der Zins sehr wohl einen Einfluss auf das Halten festverzinslicher Finanzaktiva, Sachaktiva etc. Friedman und Schwartz nutzen diesen Zusammenhang dazu, Konjunkturschwankungen zu erläutern. Sie gehen von einem Vollbeschäftigungsgleichgewicht und zunächst von einem stabilen Preisniveau aus. Zudem wird angenommen, dass die Wirtschaft mit einer jährlichen Rate von drei Prozent wächst, wobei die Finanzierung der steigenden Umsätze durch ein Wachstum der Geldmenge von ebenfalls drei Prozent sichergestellt wird. Es resultiert demnach in dieser Situation keine Inflation. Dieses Gleichgewicht wird nun im Zeitpunkt t0 durch eine Erhöhung der Geldmenge zum Beispiel um acht Prozent gestört. Dieser exogene Schock bewirkt gemäß Friedman und Schwartz eine Konjunkturschwankung.
Aufgrund der erhöhten Geldmenge übersteigt die von den Wirtschaftssubjekten gehaltene Geldmenge die optimale Geldnachfrage.
Die optimale Geldnachfrage bleibt annahmegemäß zunächst bei noch unverändertem Nominaleinkommen und gegebenen Inflationserwartungen gleich.
Die Wirtschaftssubjekte werden deshalb ihre überflüssige Kassenhaltung abbauen. Sie schieben ihre überflüssige Kassenhaltung (gehaltene Geldmenge) je nach Zinshöhe in Finanzaktiva etc. oder sie konsumieren. Die Preise für Güter und Dienstleistungen steigen in Folge einer höheren Nachfrage.
Dies führt schließlich zu einem Anstieg des nominalen Einkommens. Dieser Anstieg ist zum Teil auf die Erhöhung des Preisniveaus zurückzuführen.
Da die Wirtschaftssubjekte ihre Inflationserwartungen nun (fälschlicherweise) korrigieren, steigt die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Das vorhandene Geld wird häufiger umgesetzt.
Die Wachstumsrate des Nominaleinkommens übersteigt die Wachstumsrate der Geldmenge um die Veränderungsrate der Umlaufgeschwindigkeit.
|49|Es kommt zu einem ‚over shooting‘ des Nominaleinkommens in der Folge der Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte. Eine Konjunkturschwankung wurde durch die unerwartet starke Geldmengenexpansion ausgelöst.
Friedmans und Schwartz’ Ziel war es, zu veranschaulichen, dass u.U. zufällige Schwankungen der Geldmenge das gesamte Wirtschaftssystem in Schwingungen versetzen können. Nicht ausschließlich die Konsumnachfrage ist Dreh- und Angelpunkt konjunktureller Verwerfungen, wie in den keynesianischen Theorien dargestellt. Obschon darauf hingewiesen wurde, dass Veränderungen des Nominaleinkommens zum Teil auf die Höhe der Inflationsrate und zum Teil auf das Realeinkommen rückwirken, wurde offen gelassen, welche realen Auswirkungen die Anpassung an das neue Gleichgewicht auf die Wachstumsrate des Volkseinkommens hat.