Читать книгу Der Prinz von Azamuth - Iris Fak - Страница 10

Hinterhältige Pläne

Оглавление

Vor dem Gebäude, in dem die Lichtsoldaten einquartiert waren, blieben Sari und ihr Aufpasser stehen. Schon bei Ihrer Ankunft hatte sie das gewollt. Sich alles in Ruhe ansehen – denn was für Lyze selbstverständlich war, war Sari völlig fremd: mit Blumenkränzen verzierte Laternen, die nur mithilfe von Lichtmagie im Inneren erstrahlten. Weißer Rasen, als wäre der Boden mit Schnee bedeckt. Die Wege mit weißem Marmor gepflastert, hier und da ein Zierspringbrunnen mit klarem, blauen Wasser. Blickte man gen Himmel, kreisten die Wolken oberhalb einer mit Gold verzierten Glaskuppel. Abgesehen davon, dass Engel echte Spießer waren, war ihr Zuhause wunderschön. Wir würden sagen: es kam dem griechischen Baustil ähnlich.

Doch es war keine Zeit, sich alles im Detail anzusehen – Lyze berührte die Frau an der Schulter, um sie darauf hinzuweisen, dass sie leider weitergehen mussten. Allerdings begann er, bei Saris enttäuschten Blick, nach einem Seufzer über das Reich der Engel zu erzählen:

Die Geschichte der Engel reichte weiter zurück, als die der menschlichen Einwohner Desterals. Bereits zu Zeiten der ersten Besiedelung lebten sie auf ihren fliegenden Inseln und blickten hinab, auf die abergläubischen Ureinwohner. Schon damals waren die Inseln vor den fliegenden Bestien Azamuths, mit denen die Engel stets im Zwist waren, durch gewaltige Kuppeln aus Glas geschützt. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte zierte ein goldener Reif den durchsichtigen Schutz, dessen Erscheinungsbild sich mit der Zeit wandelte. Verzierungen und Gravuren großer Lichtkrieger kamen hinzu. Der Halbengel war sich nicht sicher, doch vermutete er, dass diese zur Abschreckung von Eindringlingen dienen sollten.

Auf den schwebenden Inseln gab es keine frei wachsenden Blumen; der Boden hatte seine eigene, mineralisch anders zusammengesetzte Erde. Darum war es bis heute stets etwas Besonderes, wenn ein Engel seiner angebeteten Dame eine Blume schenkte.

Anders als das Volk, war es dem Adel nicht erlaubt, zu ehelichen, wen man wollte. Zwar wurde es auch unter den Engeln nicht gerne gesehen, wenn ihresgleichen eine Vermählung mit einem Menschen vom Boden eingingen, doch standen den Herrschern nur die stärksten, schönsten und klügsten Engel der Oberschicht zur Auswahl. Dieser Brauch war fest in der Kultur verankert.

Momentan regierte Herrscherin Alaphantasa allein im stattlichen Regierungsgebäude. Sie war bald siebenundzwanzig Jahre alt und damit überreif für ihre Vermählung. Bis jetzt hatte sie sich nicht für einen Herrscher an ihrer Seite entschieden und so fiel die zwanghafte Auswahl des Mannes in spätestens drei Jahren den Beratern zu. Vielleicht war auch das der Grund, weshalb sich Kommandeur Viturin so bemühte, positiv aufzufallen. Lyze kam als Halbengel nie auch nur als Konkurrenz in Frage.

„Das Regierungsgebäude befindet sich am Ende dieser Stufen.“, dabei zeigte er auf die enorm breiten Marmorstufen, die einen langen, flachen Weg den bebauten Hügel hinauf bildeten. Jeweils gespiegelt links und rechts am Ende, standen sich stattliche Engelsstatuen gegenüber. Am Ende der Stufen wartete ein hoher, gusseiserner Zaun mit Torbogen. Dieser war schwer bewacht von abwechselnd vier Lichtsoldaten. Auch standen ranghöhere Engel stets an der Seite der Herrscherin. Nur wenn sie es mit Nachdruck verlangte, war sie für sich alleine.

Bei ihrem Gang durch das Dorf, drehte Sari dem Regierungsgebäude den Kopf nach: „...Denkst du, die Menschen haben auch eine Herrscherin?“

Bei ihrer Frage musste Lyze erst überlegen. Desteral war unter vielen adeligen Häusern aufgeteilt und daher wurde jedes größere Dorf anders regiert. So zuckte er mit den Achseln: „Es gibt sehr viele Herrscher unter den Menschen... das ist auch der Grund, weshalb es Desteral so schwer fällt, sich alleine gegen Azamuth zu behaupten: viele Reiche sind seit Langem wegen unzähliger Kämpfe um Territorien zerstritten. Es würde ihnen bestimmt nicht schaden, hätten sie einen gemeinsamen Herrscher...“, er rieb sich das Kinn, „War das nicht sogar einmal der Fall? Ich bin nicht so gut in Geschichte.“

„Ach? Und mit Glaskuppeln und Ureinwohnern kennst du dich aus?“

„Lichtsoldaten müssen einen Test schreiben, ehe sie für diensttauglich befunden werden...“

„Na dann bist du selbst Schuld – wenn du den Test versaut hättest, wärst du nicht genommen worden und könntest deine Schwester suchen-“

„Nein.“

„Nein?“

„Wer den Test nicht schafft, schreibt ihn noch einmal. So lange, bis er ihn schafft. Und glaube mir: ewig in einer Schleife zu sitzen macht kein Spaß.“

„Oh... schon ausprobiert, heh?“

„Nur ein Mal...“

Der Halbengel blieb unerwartet mitten auf dem Marmorweg stehen, sodass Sari fast in ihm hinein gelaufen wäre. Verärgert blickte sie an ihm vorbei, um den Grund für die plötzliche Pause zu sehen: der Kommandeur!

„Nosheiru... wohin des Weges?“, dabei sah Viturin zu Sari. Als Lyze keine sofortige Antwort gab, trat er näher und deutete – nur ein wenig prahlend – auf sein neues, goldenes Abzeichen. „Nebenbei, ausgezeichnete Arbeit. Die Information konnte einen geplanten Angriff der Dämonen aufdecken. Ein Trupp wurde ausgeschickt, der diese kopflosen Bestien aus dem Hinterhalt überrannte. Für meine glorreiche Führung wurde ich zum Kommandeur zweiten Ranges befördert. Ab sofort übernimmt ein anderer Soldat meine Position des überwachten Gebietes.“, er grinste, „Herzlichen Dank. Um meine Wertschätzung zu zeigen, werde ich eurem Gebiet einen hervorragenden Kommandeur unter mir zuteilen.“

In Sari schnellte die Wut hoch: wie konnte dieser Mann mit dem Erfolg der Informationen prahlen, die eigentlich von ihr stammten? Noch dazu, wo Lyze die ganze Arbeit hatte? Sie pustete Luft durch ihre Nasenlöcher, als wäre sie ein wütender Stier, kurz vor dem Angriff. Als sie zusätzlich ihre Backen aufblähte, hielt sie sich anschließend ihre schmerzende Wunde unterhalb des Pflasters.

Eigentlich müsste Lyze noch viel wütender sein. Sari war sowieso der Meinung, dass er an der Stelle stehen sollte, wo Kommandeur Viturin stand. Doch zeigte dieser Vorfall dem Halbengel auch, was weitere Informationen von Sari, dem azamuthischen Prinzen und dem Krieg bewirkten: eine rasant aufsteigende Karriere seines Vorgesetzten. So ballte er zwar eine Faust, lächelte aber freundlich: „Ich gratuliere Euch. Ihr werdet Eure neue Aufgabe mit Sicherheit meistern.“

„Selbstverständlich werde ich das.“, musternd blickte er erneut zwischen Sari und Lyze hin und her. „Nun, wohin führt der Weg?“

„Ich bringe sie auf den Boden zurück.“, Lyze konnte richtig ernst und kalt aussehen, „Sie besitzt keinerlei weiteren Informationen.“

So wirklich konnte ihm Viturin dennoch nicht glauben: „Nosheiru?“, er deutete mit dem Kopf in eine Richtung, „Könnte ich Euch kurz unter vier Augen sprechen?“ – wohlgemerkt, was wie eine Frage klang, war ein Befehl.

So nickte der Halbengel und folgte seinem Vorgesetzten. Dabei drehte er sich während des Gehens zu Sari um: „Bleib wo du bist – rühr' dich nicht vom Fleck.“

„Eh-“, sie hob die Schultern. Wusste sie doch nicht im Geringsten, wohin sie hätte gehen sollen. „Klar, mach ich.“

Weiter abseits der Hauptstraße waren beide Engel stehen geblieben. Kommandeur Viturin ergriff Lyze am Oberarm, ehe er zu sprechen begann: „Soldat... meine Anweisungen an Euch waren hoffentlich klar: Überwachung der mit den Dämonen aufgefundenen Frau.“

„Exakt. Solange, bis alles über sie in Erfahrung gebracht wurde.“

„Und... habt Ihr alles über sie in Erfahrung gebracht?“

Er nickte: „Gewiss.“

Mit einer Handbewegung deutete der Ranghöhere an, dass er weitersprechen soll. Lyze verschwieg, dass Sari jegliche Erinnerungen verloren hatte, da er befürchtete, dass dem Kommandeur die hervorragende Idee kommen könnte, sie so lange fest zu halten, bis ihre Erinnerungen wiedergekehrt waren.

„Die Frau namens Sari war unterwegs zum Dorf Sincila [Sin-zi-la]. Als sie den Wald durchquerte, wurde sie von den besagten drei Dämonen überrascht.“

„Ganz alleine...?“

„Ihr Partner wurde bei dem Überfall getötet. Aufgrund des Schocks konnte sie sich Anfangs nicht erinnern.“

„Die wichtigste Frage lautet: wieso haben die Dämonen sie nicht getötet?“

„Richtig.“, er klopfte auf die Tasche, in der sich die Puppe seiner Schwester befand: „Erinnert Ihr Euch an den Angriff auf das Dorf Anarcan [An-arkan]? Die Dämonen haben ihre Suche nach dem Kind der Weisheit ausgedehnt. Nachdem sie nicht fündig wurden, begannen sie, Jugendliche auszuforschen.“

„Jugendliche...?“, Kommandeur Viturin blickte den Weg zurück.

Oh je. Wie alt war Sari eigentlich? Sie konnte siebzehn, genauso wie einundzwanzig sein. Lyze konnte nur hoffen, dass sein Vorgesetzter mit dieser Antwort zufrieden war.

Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, sodass der Halbengel bereits das Schlimmste befürchtete. Als er dann jedoch zufrieden nickte, atmete Lyze unbemerkt aus.

„Ausgezeichnete Arbeit.“, so Viturin, „Bitte überbringt ihr mein herzliches Beileid und alles Gute für die Weiterreise.“

Der Halbengel entspannte sichtbar erleichtert seine Muskeln. Ehe er sich umdrehen konnte, hielt ihm der Kommandeur ein beschriebenes Blatt Papier unter die Nase: „Vergesst nicht den Antrag zur Entlassung von in Gewahrsam genommenen Personen auszufüllen.“

Mit einem leisen Seufzen nahm Lyze das Blatt entgegen.

„Oh – und der Durchschlag geht an mich.“


Am Hauptweg, besser gesagt daneben, stampfte Sari durch das weiße Gras. Ihr wurde rasch Langweilig – und da sich bei jedem Schritt feiner, wolkenähnlicher Dunst vom Boden löste, beschäftigte sie sich eben mit diesem. Dass ein alter Engel mit langem, grauen Bart den Hauptweg entlang schritt, hatte sie dabei nicht gesehen. Einmal mit dem Bein ausgeholt – und schon hatte eine Dunstwolke den alten Mann getroffen.

Nicht, dass der Dunst Flecken machte. Oder wie eine Wasserpfütze nasse Kleidung verursachte.

Der Mann hatte einfach nur das Bedürfnis, sich über Sari zu beschweren: „Kannst du nicht aufpassen, Kind!? Du siehst doch, dass jemand vorbeigeht!“

„Oh- äh, entschuldigen Sie-“

„Eine Frechheit ist das! Immer diese Halbengel mit ihrem rebellischem Benehmen! Zu meiner Zeit gab es weder Halbengel, noch rüpelhafte Kinder! Was aus dem System und der Regierung geworden ist, ist einfach unerhört!“

Dies hätte noch Stunden so weitergehen können – der alte Mann mit seinen leicht hängenden Flügeln machte nicht den geringsten Eindruck, gleich weiterzugehen. Doch zum Glück kam Lyze zurück gelaufen.

„Lyze! Oh bei Desteral, schön dich wieder zu sehen!“

Er holte Luft, doch schwieg er zunächst, als ihm der graubärtige Greis ins Auge sprang: „Eh- was ist denn hier los?“

„Halbengel über Halbengel!“, der Mann schwang die Arme, „Wie ich sage! Die Herrschaft der Engel ist so gut wie vorbei!“

Ein wenig überrascht und doch stolz, deutete Sari auf sich: „Der Mann hält mich für einen Halbengel.“

„Ich seh's.“, er schob Sari mit einer Hand am Rücken weiter, ehe er sich vor dem alten Mann höflich verbeugte: „Entschuldigen Sie ihr Benehmen. Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Und ob es wieder vorkommt!“, der Mann beschwerte sich tatsächlich weiter, „Es wird immer und immer so weitergehen, bis es keine Engel mehr gibt!“, Lyze und Sari hielten schon gar nicht mehr an, „Oh, lauft ruhig davon! Ich werde Beschwerde bei Herrscherin Alaphantasa einreichen, auch wenn die Regierung einem sowieso nicht mehr hilft!“

Lyzes Seufzer war kaum zu überhören: „Da lasse ich dich einen Moment alleine und schon bekommst du Ärger.“, er sah während des Gehens zu ihr, „Hast du öfters solches Unglück?“

Sie hob bei seinem Blick die Schultern an, „Keine Ahnung... schon möglich?“

„Das würde deine Entführung durch Dämonen erklären.“

„Eigentlich nicht-“

„Unglück in ungünstigen Momenten. Vielleicht ist es wirklich besser, dass ich dich noch bis hinunter begleiten muss.“

„Heey-“, Sari grinste überaus erfreut, „Du sorgst dich um mich!“

Diese voreilige Feststellung überrumpelte Lyze so sehr, dass er zunächst keinen klaren Satz heraus brachte, „W- i-“, ehe er den Kopf schüttelte, „Das ist eine Anweisung von oben! Im Gesetz steht-“

„Jajaja, Bürokraten-Zeugs. Schon klar.“

Der Halbengel war zwischen vier weißen Säulen stehengeblieben und Sari tat es ihm gleich. Überraschenderweise glitten sie abrupt durch den weißen Boden hindurch. Beeindruckt von dem, was sie sah, stand ihr der Mund offen: sie schwebten innerhalb der gelben Lichtsäule, durch die Wolken hindurch, in luftiger Höhe dem Boden entgegen. Höhenangst durfte man dabei keine haben.

Hatte Sari auch nicht. Sie hatte eher die Angst, dass ihr bis zu den Schenkel reichendes Kleid hoch geblasen wurde – und so hielt sie es mit beiden Händen fest, trotz weißer Strumpfhose.

„Hör zu, Sari.“, beim Blick über die scheinbar endlose Steppe begann der Halbengel zu reden: „Auf dem Boden Desterals bist du auf dich allein gestellt. Ich konnte aushandeln, dich im kontrollierten Gebiet, nahe des Dorfes Sincila zu entlassen. Bitte suche dieses auf und verlasse es nicht vor dem nächsten Morgen.“

„Das wird mir nicht schwer fallen... ich bin so müde vom Tag.“

„Hast du ein paar Nima bei dir?“

„Ni- was?“, bei ihrem fragendem Blick griff Lyze seufzend in seine lederne Umhängetasche. „Nima. Das ist Zahlungsmittel in Desteral. Ohne Geld wirst du dir kein Zimmer leisten können.“

Gerade als Sari fragen wollte, wie sie denn ein Zimmer bezahlen konnte, drückte er ihr zwei Nima in die Hand. „Hier. Das sollte für eine Nacht reichen.“

„Lyze- du- du gibst mir dein Geld...?“

„Das- das ist nicht der Rede wert...“

Sie nickte überaus dankbar, ehe sie die zwei goldenen Münzen in der Tasche ihres Kleides verschwinden ließ. „Dankeschön... und für morgen werde ich sicher einen Weg finden. Das weiß ich!“

Nun, optimistisch war die junge Frau. Ob das auch reichte? Jedenfalls brachte sie Lyze zum Schmunzeln.

Als sie im kniehohen Gras zu Boden kamen, blickte Sari den Lichtstrahl hinauf, durch den sie gekommen waren. Als dann Lyze zu ihr sah, fasste sie sich an den Nacken. Was sagte man bei einem Abschied, ohne dass es lächerlich klang?

„Ich wünsche dir alles Gute für deine Reise.“, dabei streckte der Halbengel Sari die Hand entgegen.

Zögerlich griff sie nach ihr, versuchte, die Mundwinkel hinauf zu ziehen: „Das wünsche ich dir auch – ehm, dass du einen ruhigen Dienst hast... und deine Schwester wiederfindest.“

Nun sah er, schwach lächelnd, von ihr weg, „Das wäre schön...“, und zog seine Hand zurück. Sari wartete noch, bis er in der Lichtsäule stand. Sie winkte ihm nach, ehe sie sich im Gehen umdrehte.

Es ist gut so. Alles läuft nach Plan, so Lyzes Gedanke. Seine Füße hoben vom kniehohen Gras ab und er schwebte die Lichtsäule hinauf. Sie war nur eine in Gewahrsam genommene Person gewesen. Es gab keine seltsamen Ereignisse oder nicht mitgeteilte Informationen. Der Halbengel hatte alle Mühe, sich diese Sätze immer wieder einzureden – immerhin würde er für den Rest seiner Dienstzeit darüber schweigen. Und wer weiß – eines Tages gibt es vielleicht ein Wiedersehen. Wenn der Krieg ein Ende gefunden haben wird und sich Desterals tiefe Narben langsam verschwinden. Man konnte nur hoffen, dass alles gut gehen wird. Für das Land und Sari.


Was...?

Eine Frau schlich sich hinterrücks an Sari an. Eine Frau mit ledrigen Flügeln und zielstrebenden Gang. Wo kam sie her? Wie lange lauerte sie ihr bereits auf?

„Saaari!“, mit lauter Stimme versuchte Lyze, sie zu warnen – doch Sari hörte ihn nicht. Zu hoch schwebte er bereits, zu weit war die Distanz. Sie und die fremde Frau wirkten wie Ameisen auf vollkommen flacher Ebene. Lyze knirschte mit den Zähnen: sollte er springen? Seine Flügel aus Licht trugen ihn mit Sicherheit, doch verließ er damit seine vorgegebene Route. Seinen Dienst. Er müsste – mal wieder – viele Formulare ausfüllen, um sein Vorgehen zu erklären.

So näherte sich die fremde Frau mit schnellem Schritt, zückte einen... Ring? Und drückte diesen Sari in den Rücken: Funken entsprangen, schienen sie völlig unter Strom zu setzen.

Vergiss die Formulare, höchste Zeit zu handeln!

Mit einem Ruck sprang Lyze aus der Lichtsäule und breitete zeitgleich seine hellgelben Schwingen aus.

Vom Stromschlag geschockt, verlor Sari das Gleichgewicht, ehe sie auf die Knie sank und schließlich im Gras lag. Was war gerade geschehen? Wer-?

„Das war für Piov und Utah!“, die weibliche Stimme schluchzte regelrecht. Endlich trat sie vor Saris Blickfeld, sodass sie Lydia identifizieren konnte.

Lydia...

Wie gern wollte Sari den Kopf schütteln. Ihr sagen, dass sie keine Schuld am Tod ihrer Kameraden trug. Sie verspürte Mitleid für die emotional verletzte Dämonin, so öffnete sie den Mund: doch kamen keine Worte. Auch wenn ihre Gedanken wollten, so war ihr Körper vom Stromschlag regelrecht gelähmt, sodass nicht ein Laut von Sari zu hören war.

„Fünfundvierzig Männer sind gestorben! Alles wegen dir!“, sie trat langsam auf Sari zu, „Es ist alles deine Schuld! Aber jetzt reicht es. Nun werde ich auf Nummer sicher gehen!“, als sie ihre Hand erhob, formte sich der Ring zu einer Art Peitsche – erneut aus purer Energie. Sari kannte diese Technologie nicht, doch drückte sie ihre Augen fest zusammen, einzig schützend vor dem drohenden Schlag.

Lydia hatte die Hand bereits geschwungen, da riss sie Lyze zur Seite – noch bevor die Peitsche Sari berühren konnte. Während Lydia am Boden lag, rollte er sich ab, um anschließend wieder zu stehen. Sari war natürlich heilfroh, dass er umgekehrt war, um sie zu retten.

Nun völlig aus dem Konzept gebracht, richtete sich Lydia vom Boden auf. Ihre Zorn erfüllten Augen entdeckten Lyze, gleichzeitig mit der Gewissheit, dass er einer der Engel war.

„Du...“, fauchend wurde ihr Ring erneut zu einer energetischen Peitsche. Sie lief, übermannt von ihrer Wut, direkt auf Lyze zu und schwang ihre Waffe. Mithilfe seiner Flügel schaffte er einen schnellen Schritt zur Seite und manifestierte sein Lichtschwert in der Hand. Es war seltsam, aber er hatte plötzlich so ein Gefühl, welches ihn daran hinderte, Lydia die Klinge hineinzurammen. So stieß er mit dem Griff in ihre Hüfte, worauf sie auf ihre Knie fiel.

Ein Blick zu Saris besorgter Miene verriet, woher sein Gefühl kam.

Er seufzte tief, während seine Waffe verschwand. Wieso achtete er bloß auf ihre Gefühle? Immerhin wollte die Dämonin sie ausschalten, um eine unproblematische Entführung auszuführen.

Sari war ihm nach dem ganzen Geschehen jedenfalls eine Erklärung schuldig.

So lief Lyze zu der menschlichen Frau und rüttelte an ihr: „Sari – kannst du aufstehen?“

Ein einfaches Schweigen genügte, um eine Verneinung auszudrücken.

„Großartig...“, als ob sie ihm nicht schon genug Schwierigkeiten bereitet hätte, zog er sie hoch und versuchte sie für eine Flucht zu stützen. Dass Sari die Augen aufriss, weil Lydia sich vom Schlag erholt hatte, bekam er dabei nicht mit.

Erst, als ihm die energetische Peitsche nach einem ungeschickt ausgeführten Schlag am Bein erwischte und zu Boden zog, ließ er Sari fallen. Er biss dabei die Zähne vor Schmerzen zusammen.

„Engel, Engel, Engel! Immer mischt ihr euch ein! Immer müsst ihr eingreifen!“, Lydia schlug erneut zu, sodass Lyze aufschrie, „Ich hab' die Nase so voll von euch beiden!“

Beim dritten Schlag rollte er sich zur Seite, trat mit dem Fuß aus und warf Lydia zu Boden. Mitleid hin oder her, die dämonische Frau war verrückt – Lyze musste ihr irgendwie den Ring abnehmen. So war er über sie gebeugt, drückte ihr einen Arm zu Boden und versuchte den Ring abzuziehen. Unerwartet schlug Lydia mit ihren ledrigen Flügeln nach ihm aus. So sprang Lyze nach hinten, um zu verhindern, noch einmal am Boden zu landen. „Was willst du von Sari?!“

„Na was denn schon...?“ Lydia richtete sich auf, stand genauso schwerfällig auf den Beinen wie Lyze, „Eine dicke Belohnung!“, und lief erneut auf den Halbengel zu.

Wieder wich er mit einem Schritt zur Seite aus. Doch dieses Mal hatte Lydia sein Manöver durchschaut: noch ehe er sich wehren konnte, stieß sie ihm die Faust ins Brustbein – der Ring löste Funken aus, wie bei Sari. Doch hielt ihn Lydia so lange gegen Lyze, bis ein derart starker Strom durch seinen Körper floss, dass er in die Ohnmacht gezwungen wurde.

Der Kampf war zu Ende.

Sari nahm noch wahr, wie die Dämonin von Lyze abließ und zu ihr ging. Sie beugte sich zur Frau hinab und grinste: „Gute Nacht, Kleine~“, ehe ihr ein weiterer Stromschlag das Bewusstsein nahm.

Der Prinz von Azamuth

Подняться наверх