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Verblasste Erinnerungen

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Das Pflaster unter Saris Fingern knisterte, als sie über ihre Wange strich. Es war ein eigenartiges Gefühl, etwas im Gesicht kleben zu haben. Doch eigentlich war sie dankbar; hatte doch das fremdartige Volk ein gutes medizinisches Wissen und die Vorschrift, jede „in Gewahrsam genommene Person“ zuerst zu untersuchen. Im Grunde genommen bedeutete dies nichts anderes, als strikte Überwachung. Die junge Frau durfte keinen Schritt im Freien machen, ohne dass sie ein Aufpasser begleitete.

Wie gut, dass sie nicht im Freien war.

Der Halbengel hatte sie in seinem Quartier mit einem schmackhaften Kuchen zurückgelassen, um in Ruhe zu duschen. Es trennte sie nur eine Wand – und außerhalb des Zimmers lag seines Wissens nach ein Gang voll von Wachen. Sollte die Menschenfrau versuchen, zu flüchten, hätte man das sofort bemerkt.

Ihr Kuchen war bereits nach fünf Minuten verschwunden – und sie hatte immer noch Hunger, als hätte sie seit Wochen nichts gegessen. So saß Sari auf dem weichen Bett, wippte schnell wieder gelangweilt mit den Beinen, und kratzte an dem Pflaster. Ach, wie öde es war, in Gewahrsam zu sein.

Eigentlich konnte sie froh sein, nur in einer Unterkunft gefangen zu sein. Ginge es nach Kommandeur Viturin, säße sie wahrscheinlich in einem Gefängnis; denn dass Sari in Gesellschaft von Dämonen war, fand er äußerst suspekt. Der Halbengel auch, doch schien er lockerer damit umzugehen. Sari vermutete, dass er erst seit kurzem ein Lichtsoldat war und darum noch keinen so bürokratischen Charakter wie der Kommandeur entwickelt hatte. Wahrscheinlich war er nicht einmal der ernste Geselle, für den er sich ausgab – das musste Sari allerdings erst überprüfen.

Als sie im Zimmer umher sah, erblickte sie nur wenige persönliche Gegenstände: ein Buch über Sagen auf dem Kissen, eine Schatulle auf der Kommode und ein paar Kleiderstücke im Schrank.

Eine Schatulle...?

Die Augenbrauen der Frau zogen sich kurz zusammen; ihre Neugier war so groß, dass sie sich sofort vom Bett erhob und mit leisen Schritten auf die Kommode zuging. In dieser fortgeschrittenen Langeweile hätte sich bestimmt jeder so verhalten.

Zögernd stand sie vor dem verzierten, kleinen Holzkästchen. Sie blickte um sich und lauschte, ob ihr Aufpasser in der Nähe war. Als Sari die Luft für rein hielt, fasste sie schmunzelnd nach dem ungesicherten Schlösschen – mit nur zwei Handgriffen war die Schatulle offen. Vorsichtig hob sie den Deckel an... „Was machst du da?“, und knallte das Kästchen, höchst erschrocken, wieder zu.

„Gar nichts!“, sie drehte sich blitzartig zu dem in ein Handtuch gewickelten Halbengel um. Seine Haare waren durch die Nässe dunkelblond verfärbt. Über Saris Reaktion zog er nur kurz die Mundwinkel nach oben; er ging zum Kleiderschrank, sodass es die junge Frau für besser hielt, sich während ihrer Verteidigung erneut umzudrehen. „E-ehrlich, ich habe nichts gesehen! Äh- i- ich meine in der Schatulle – nein! Ich meinte-“, sie klatschte sich ihre Hände vor das Gesicht. Tief Luft geholt, begann sie noch einmal von vorne: „Ja... ich war neugierig. Aber in dieser langweiligen Bude verständlich. Ich meine – wie kannst du so überhaupt leben? ...Huh?“

Sie nahm etwas Abstand nach links, als der Lichtsoldat neben ihr nach dem Holzkästchen griff – und für Sari den Deckel hob. Erstaunt und doch etwas enttäuscht, blickte sie auf eine kleine Stoffpuppe. Ihre Augen bestanden aus schwarzen Knöpfen, während auf dem runden Kopf viele, einzelne rote Fäden als Haare eingenäht waren. Das kleine Stoffkleidchen war violett, genau wie die Sandalen.

Der Halbengel kam schnell zur Erklärung, während er sein weißes Hemd zuknöpfte: „Sie gehörte meiner Schwester...“

„Gehörte...?“, Sari blinzelte, hielt es aber für besser, vorläufig nicht weiter zu fragen; sein Kopf hatte sich gesenkt, mit einem sehr nachdenklichen Blick.

Erst nach einer Pause seinerseits war ein tiefer Seufzer zu hören, ehe er sich, mit der Puppe in der Hand, auf die Kante des Bettes setzte. Sari blieb stehen und äugte mehr oder minder unbemerkt zu ihm hinüber.

„Du weißt also nicht, wer du bist.“, seine Feststellung kam wieder sehr unerwartet.

„Huh?“

„Das hattest du gesagt. Als Verteidigung, dass du nicht zu den Dämonen gehörst.“

„So ist es auch! Ich bin in einem Wald aufgewacht! Überall lagen Laub und Dreck und mein Kopf hämmerte so intensiv, dass ich kurz Luft schnappen musste, ehe ich mich zu einem See schleppen konnte und mich dort dank des Spiegelbildes an meinen Namen erinnern konnte-“

„Nicht so schnell-“, er schmunzelte ihr zu, „Man versteht fast kein Wort. Also, wie heißt du?“ War das eine Masche, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Wollte er so die vom Kommandeur befohlenen Informationen aus ihr heraus locken?

Es war Sari egal. Sie freute sich, dass ihr endlich ein wenig Höflichkeit entgegen gebracht wurde: „Sari.“

„Sari? ...Und weiter?“

„Nichts weiter. Ich kann mich nur an den Namen Sari erinnern...“

„Ein sehr kurzer Name... bist du dir sicher, dass er keine Abkürzung ist?“

„...Ich weiß es nicht. Uhm...Wie ist denn dein Name?“

„Lyze. Lyze Nosheiru [Leis Noscheiru].“

Saris Blick wurde trockener. „Und dein Name ist länger als meiner?“

Er schmunzelte darauf: „Nur der Nachname.“

„Hm.“, die junge Frau starrte auf ihre Füße. War er nun wirklich freundlich? Oder war alles nur gespielt? Kurz dachte sie darüber nach, wie Lyze vor Piov gestanden ist und es nicht fertig gebracht hatte, ihn zu erschlagen. Er hatte sich dadurch in Gefahr gebracht... allein seine gute Reaktion hatte ihn gerettet. Das konnte nicht gespielt sein. Das war... Mitleid.

„Woran denkst du?“

Sari sah bei seiner Frage zu ihm auf – und lächelte. „Ach, nichts... ich frage mich nur... na ja. Als du vor-“, sie stoppte, bei dem Gedanken daran, dass es verdächtig wäre, Piovs Namen zu kennen, „Als du die Gelegenheit hattest, den großen Dämon zu töten und es nicht getan hast... hattest du da Mitleid?“

Sein freundliches Gesicht verzog sich schlagartig: „Ich hatte kein Mitleid. Nicht mit einem Dämon.“

„Nein, natürlich nicht.“, Sari klang sarkastisch, auch, wenn sie ihn eigentlich beruhigen wollte. „Du hast deinem Engelsfreund den Vortritt gelassen, damit er den Lohn einsacken kann. Sehr freundlich von dir!“

„Was soll das denn heißen?“

„Du hattest Mitleid.“

„Nein!“

„Ok – dann Fall Nummer zwei: du hast noch nie etwas getötet.“

„Ich habe schon oft getötet!“, er senkte den Blick, „...Nur noch nichts Intelligentes...“, dann schüttelte der den Kopf, „Und Viturin ist auf keinen Fall ein Freund! Ein kalter, rücksichtsloser Vorgesetzter, der nicht einmal-!“

Nun sah Sari auf – hatte sie gerade einen wunden Punkt getroffen?

Lyze griff sich auf die Nasenwurzel und kniff seine blauen Augen zusammen. Nach einem Moment der Überlegung sah er wieder zu Sari: „Hier geht es nicht um mich. Was hatten die Dämonen mit dir vor?“

Da war er: der eigentliche Grund der Unterhaltung. Doch wusste Sari es nicht. Nicht im geringsten. Die Dämonen hatten es ihr nicht verraten.

Aber das wusste der Halbengel wiederum nicht. So schmunzelte sie und drehte den Spieß um: „Ich sage dir erst, was ich weiß, wenn du mir verrätst, was für Probleme du mit deinem Vorgesetzten hast.“

Lyze blinzelte. „Wie bitte?“

Arme verschränkt ging sie ein wenig durch den Raum: „Ganz einfach: Du scheinst unverarbeitete Probleme zu haben. Klar – das geht mich nichts an. Aber meine Probleme gehen auch niemanden etwas an, oder? Laut diesem Bürokraten-Müll scheinbar doch, weil meine Entführer in euer Revier gestolpert sind. Aber du, als junger, neuer, Halb-Dings, scheinst zu verstehen, dass da ein bisschen mehr dahinter steckt, als nur der Gewinn von Informationen.“

Ein bisschen mehr...? Lyzes Miene verzog sich zu einem trockenen Lächeln: „Oder ich sperre dich in eine Arrestzelle, bis du dich entscheidest, zu reden.“

„Ja~“, Sari trat zu ihm und hob den Zeigefinger, „A~ber das wirst du nicht. Dafür hast du bereits zu viel über deinen Charakter verraten.“

Nun sah er sie mit gesenkten, starren Blick an. Für eine Frau ohne Erinnerungen hatte sie enorme Menschenkenntnisse. Vielleicht hatte sie es genau auf diesem Weg geschafft, bei den drei Dämonen zu überleben – er sah auf ihr Pflaster im Gesicht – ...oder auch nicht.

„Einverstanden.“

„Was, wirklich?“

„Ja, in Ordnung.“, er klopfte neben sich auf das Bett, „Ich werde dich nach deiner Entlassung vermutlich nie wieder sehen – daher ist es egal. Hauptsache, es beschleunigt den Informationsaustausch.“

Als sich Sari setzte, sah sie etwas enttäuscht aus. Doch schon im nächsten Moment lächelte sie: „Es ist sehr gut, über seine Probleme zu reden! Je öfter, desto besser.“

„Wo hast du denn das her?“

„Keine Ahnung.“

„Uhm...“, Lyze sah zur Puppe in seinen Händen., „Es- es war vor knapp drei Wochen. Ein Brief mit dem Siegel der Engelsherrscherin, Alaphantasa [Ala-fan-ta-sa], lag vor meiner Tür.“, seine Mimik deutete einen gewissen Spott an, „Darin hieß es 'ich habe die Ehre, der Lichtarmee beizutreten und für mein Volk zu kämpfen'. Jeglicher Widerstand hätte mit dem Kriegsgericht bestraft werden können.“

„Oh, aber du hast die 'Ehre'.“

„War das ebenso Sarkasmus?“

„Nein, wie kommst du darauf?“, sie blickte, mit verdrehten Kopf, in Lyzes Gesicht – er lehnte sich daraufhin ein wenig von ihr weg – „Du kommst also nicht von hier?“

„W-wie meinen?“

„Du wohnst eigentlich auf dem Boden, oder?“

„Eh- j-ja. Im Haus meines verstorbenen Vaters... wie du bereits weißt, bin ich nur zur Hälfte Engel... viel mehr Mensch. Das ändert aber nichts daran, dass man für 'sein Volk' in den Krieg ziehen darf.“

„Wie schlimm... jetzt verstehe ich, wieso du die Engel nicht magst. Aber das erklärt auch dein Verhalten.“

„Deute nicht zu schnell... neun Tage vor meinem Einzug stand ein blondes Mädchen vor dem Haus... sie behauptete, meine kleine Schwester zu sein.“, er sah zur Puppe, „Ich erkannte an ihrem Gesicht, an ihrer Art... dass es stimmen musste. Aira, wie sie hieß, schöpfte verdacht, nicht die leibliche Tochter ihrer Zieheltern zu sein. Sie empfanden sie als Zehnjährige für reif genug, es zu erfahren.“

„Du wusstest nichts von ihr...? Aber wieso?“

„Das wussten wir beide nicht. Die Zieheltern erzählten ihr nur, 'es wäre zu ihrer eigenen Sicherheit'...“

Ein tiefer Seufzer war zu hören. Lyze hatte den Kopf gesenkt und schüttelte ihn sacht: „Im Nachhinein verständlich... ich... ich musste zu den Engeln und Aira konnte natürlich nicht mit. So schickte ich sie nach Hause, zu ihrer Ziehfamilie im nahen Dorf... dann erreichte uns die Nachricht, dass ihre Heimat über Nacht angegriffen wurde. Dämonen waren eingefallen und-“

„I-ist sie...?“

„Das weiß ich nicht. Damit die Dämonen das Dorf nicht besetzt hielten, bekam unser Trupp den Auftrag, es zu sichern. Wir entdeckten viele Tote, aber auch traumatisierte Überlebende. Viele davon waren Eltern und klagten, dass ihr Kind fehle.“

„Sie... sie wurde entführt!? Dann ist eine Entführung durch Dämonen doch nicht so selten-!“

„Doch. Denn sie sind hinter einem Mythos her, wie es heißt. Er besagt, es soll ein Kind geben, welches von Geburt an allwissend ist.“, er schmunzelte, „Aira war das als Zehnjährige nun wirklich nicht... und trotzdem ist sie fort.“

„Und wie-?“

„Warte. Das Beste kommt noch: Der Fall der verschwundenen Kinder wird von den Engeln nicht näher untersucht. Es- es 'sei nicht wichtig genug', heißt es-“, man merkte, wie schwer Lyze diese Worte fielen. Er stockte mehrmals, ehe seine Stimme lauter wurde: „Wie kann das nicht wichtig sein!? Es sind Kinder....!“

Nun hatte Sari traurig den Kopf gesenkt. Lyze empfand den Fall selbstverständlich als sehr, sehr wichtig... doch die Engel interessierten sich nicht dafür. Sei es, weil es Menschenkinder waren, oder keine Dämonen mehr in dem von ihnen gesicherten Gebiet auffindbar waren. Bei dem Gedanken daran, dass der Fall bürokratisch abgehakt und beendet war, ballten sich ihre Fäuste: „...Was für Schweine.“

„...Ja.“

„Dann verlass deinen Dienst – geh deine Schwester selbst suchen!“

„So einfach ist das nicht... ich muss dienen, bis es von ganz oben heißt, dass ich gehen darf. Und das... wird leider dauern, bis der Krieg endet.“, er wischte sich tief seufzend über die Stirn. „Und außerdem könnte sie überall sein. Vielleicht sogar hinter der Grenze, in Azamuth.“

Ein Gefühl stieg in Sari hoch. Sie wusste nicht, was es war, doch zog sie bedenklich ihre Augenbrauen zusammen und griff sich auf die Seite der Brust, unter der ihr Herz lag. Nach einer nachdenklichen Pause begann Lyze wieder zu reden: „Ich meine, immerhin ist es nicht-“ – als Sari sich mit schmerzverzerrten Gesicht zusammenkrümmte.

„Azamuth...“, hallte eine männliche Stimme in ihr. „Azamuth...“

„Sari-“, der Halbengel schwieg beim Anblick der geplagten Frau. Er stand auf und blickte mit geneigtem Kopf in ihr Gesicht: „Sari, was ist mit dir?“

Als er keine Rückmeldung erhielt, legte er eine Hand auf ihre rechte Schulter.

Die helle, männliche Stimme von eben fuhr mit der Intensität eines Hirnschlags in ihren Kopf: „Vilior... [Wilior]“ – sodass die Frau vor Schmerzen aufschrie und sich nicht mehr auf dem Bett halten konnte. „Vilior...!“

Diese Stimme... diese Stimme soll aufhören!

Sari lag auf dem Boden und hielt ihren hämmernden Schädel, als Lyze zeitgleich zur Tür lief, diese aufriss und quer über den leeren Gang rief: „Wir brauchen einen Arzt! Einen Arzt, schnell!“

Doch niemand schien ihn zu hören.

Richtig – es war Mittag und die Lichtsoldaten nahmen ihre wohlverdiente Speise ein. So sah er zurück, zur jungen Frau. Schließlich entschied er sich, selbst Hilfe zu suchen – „Lyze- warte!“ – und blieb bei Saris Stimme überrascht beim Ausgang des Raumes stehen.

Geschwächt stützte sich die junge Frau auf; nur mit Mühe konnte sie sich gekrümmt aufsetzen. Ihre Hand wich vom Kopf, ehe sie erschöpft zu Lyze sah: „Es... es geht wieder... Alles okay.“

„Was-“, dem Halbengel hatte sie einen ordentlichen Schrecken eingejagt, „Was war das eben!?“

„Ich... habe mich an etwas erinnert. Diese Schmerzen... das passiert anscheinend immer dabei.“

Bei ihrem Satz weiteten sich Lyzes Augen: Wirklich jedes Mal? Sari war um ihre Probleme nicht zu beneiden. Und doch war der Halbengel neugierig darauf zu erfahren, woran sie sich wieder erinnern konnte. Eventuell war es wichtig – für die Engel.

Er kehrte aus seinen Gedanken zurück, als Sari es schaffte, sich aufzusetzen und gegen den Bettpfosten zu lehnen: „ Ich habe keine Ahnung, wieso das so ist...“

Nun traute er sich näher: „Geht es dir wieder gut...?“

„Ja...“, sie senkte den Kopf, „Nur... ich glaube, du wirst mich gleich hassen.“

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Lyze verstand nicht, was sie damit sagen wollte... und so ging er neben ihr in die Hocke: „Wieso sollte ich dich plötzlich hassen...?“

„Wegen meinem Wissen.“

Dann war es gefährlich? Oder hatte sie tatsächlich etwas mit den Dämonen zu tun?

Noch ehe er fragen konnte, hob sie ihm den Zeigefinger entgegen: „Verspreche... dass du den Engeln nichts davon sagen wirst... bitte.“

„Was-? Aber, ich-“

„Versprich es! Sonst erzähle ich es dir nicht.“

Lyze hatte in die Engel genauso viel vertrauen, wie in einen wildfremden Landstreicher, der auf seine Tasche aufpassen wollte. Denn auch, wenn er ihren Befehlen unterlag, blieb er immer etwas mehr Mensch als Engel. So fiel es ihm nicht schwer, schnell darüber zu entscheiden: „Also gut... in Ordnung. Ich verspreche es.“

Sari zog schüchtern ihre Schultern an. Erst nachdem sie ihre Augen zusammengekniffen hatte und anschließend tief Luft holte, platzte es aus ihr heraus: „Der Prinz von Azamuth wurde entführt und ich muss ihn suchen! Die Dämonen wollten mich wahrscheinlich fangen, weil sie nicht wollen, dass er gefunden wird!“

Das musste der Halbengel erst einmal verdauen. Er brauchte volle dreißig Sekunden, ehe er verwirrt blinzelte. „...Was?“

„Sein Vater, König Halwadar [Hal-wa-dar], hat den Krieg begonnen. Nur Prinz Vilior kann ihn beenden... darum muss ich ihn finden! Ich-“, sie überlegte, doch mehr wollte ihr nicht einfallen. „Ich weiß nicht, wer mir den Auftrag gab... ich weiß es einfach nicht. Aber ich muss ihn finden. Damit der Krieg ein Ende findet.“

Ok. Nun war für Lyze amtlich: Die junge Menschenfrau tickte nicht richtig.

So kam er erstmals hoch, zurück auf seine Beine. Anschließend legte er eine Hand in den Nacken und wanderte durch den Raum. Als er eine Runde gedreht hatte, stand er mit gerunzelter Stirn wieder vor Sari: „...Du musst den Prinzen suchen?“

Sie nickte.

„Den Prinzen... vom dämonischen Land, Azamuth, ja?“

Sie nickte erneut.

„Dir ist klar, dass die Adelsfamilie von Azamuth aus Vampiren besteht?“

„Lyze... hör zu, ich-“

„Nein... Nein, das- das kannst du vergessen!“, er trat eilig zur Tür und schwang diese auf, „Entweder bist du eine durchgeknallte Menschenfrau, oder ein völlig selbstmordgefährdeter Dämon-!“

„Du hast es versprochen!“ – Saris feste Stimme hallte, ehe er die Hand von der Türklinke nehmen und aus dem Raum treten konnte – und so zögerte er.

Er brach nur ungern ein Versprechen, doch genauso hatte er ein Problem damit, seinem Vorgesetzten überaus wichtige Informationen vorzuenthalten. So verharrte er, wie angewurzelt, an seiner Position.

Er konnte nicht. Seine Beine wollten nicht den ersten Schritt zu Kommandeur Viturin machen.

„Lyze... mal ehrlich, seh' ich aus wie ein Dämon? Kann man mein Verhalten überhaupt vorspielen? Du hast mir deine Probleme anvertraut... und ich dir jetzt meine. Bitte... verrate mich nicht. Dann- dann halte mich eben für durchgeknallt, das macht mir nichts aus... aber... aber lass mich wenigstens gehen! Ich spüre, dass mir die Zeit davonläuft...“

Seine Hand ruhte immer noch auf der Türklinke.

Sollte er seine Befehle verweigern? Eine fremde Frau gehen lassen, damit sie einen der größten Feinde der Engel suchen konnte? Was wäre, wenn der Prinz nach seiner Rückkehr nicht Frieden zwischen Azamuth und Desteral schloss, sondern alles verschlimmerte?

Und doch spürte Lyze ein starkes, noch nie dagewesenes Bauchgefühl. Es drängte ihn, eine Entscheidung zu fällen. Die für ihn Richtige.

Schwer seufzte er, als seine Hand nun endgültig von der Klinke glitt.

Zeitgleich hielt sich Sari eine Hand an die Stirn. Sie wusste, dass es für sie nicht gut aussah, wenn sich ihr Aufpasser nicht überreden ließ. „Ich weiß nicht, was weiter passiert, wenn die Engel das erfahren, aber-“

„Du willst es nicht wissen.“, in seiner Entscheidung nun sicher, trat er zurück zu Sari, „Ob Wahrheit oder nicht. Den Boden Desterals würdest du mit Sicherheit nicht so schnell wieder betreten können.“, und bot seine Hand zum Aufstehen an. Von Lyzes Art und ihren verborgenen, manipulativen Fähigkeiten erstaunt, griff die junge Frau wortlos nach ihr und ließ sich hoch helfen. „Du weißt hoffentlich, Sari, dass ich dafür vor das Kriegsgericht gestellt werden kann...?“

„Für was?“

„Dass ich dich laufen lasse.“

„Wirklich!? Oh danke!“, sie drückte ihn vor Begeisterung, „Du bist der tollste Halb-Dings überhaupt! Danke, danke, danke!“

„I-ist gut-“, gespalten durch eine Mischung aus Freude und peinlichem berührt Sein, befreite er sich aus ihrem Griff.

„Folge mir nach draußen, aber unauffällig... als wären wir mit den Informationen auf dem Weg zum Kommandeur.“

Sari nickte darauf eilig und kam ihm sogleich nach. Niemals hätte sie gedacht, hier einen Freund zu finden. Einen, der sie trotz ihres schon fast verbrecherischen Wissens laufen ließ. Wer weiß, welche Gründe Lyze für seine Entscheidung hatte? Es war fraglich, ob tatsächlich nur das Ärgernis über die Engel den Auslöser dafür bildete.

Der Prinz von Azamuth

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