Читать книгу Die Nacht bringt dir den Tag zurück - Isabel Schupp - Страница 16
Rückfall
ОглавлениеPauline am 10.11.2004
Irgendwie bin ich wieder mal sehr blass in der letzten Zeit. Dass ich blass bin, ist ja nichts Neues, denn ich bin ja von Haus aus eher blass. Aber auch andere Sachen sind komisch. Neulich bin ich nach dem Sport in der Schule so schlapp gewesen, dass ich fast nicht mehr stehen konnte. Wir hatten Basketball gespielt und dann habe ich noch einen Flickflack gemacht. Ich bin so stolz, dass ich den jetzt kann, denn ich hatte ja so lange geübt. Als ich danach so schlapp war, hat die Mami sich Sorgen gemacht. Ich hasse es, wenn die Mami sich Sorgen macht, weil ich mir dann auch Sorgen mache. Und dann waren da auch noch diese Pünktchen. Kleine blaue Pünktchen am Hals. Langsam wurde ich auch unruhig.
Irgendwann beschlossen wir dann, in die Klinik zu fahren. Der Tag war ganz grau und überall waren Wolken. Ich habe einfach gedacht, dass nichts sein wird, es darf einfach nichts sein, ich bin gesund. Trotzdem hatte ich solche Angst.
Als wir in der Klinik ankamen, machten die erst einmal ein Blutbild. Ich saß mit der Mami vor dem großen Klinikfenster und guckte hinaus in den Himmel. Mein Herz pochte so fest. Ich sah die Wolken am Himmel und sie waren so grau. Ich suchte nach einem weißen Fleck in ihnen und hab irgendwie gedacht, dass alles gut wird, wenn ich einen finde. Aber ich fand keinen. Ich war so verzweifelt und hatte solche Angst. Mein Herz tat weh, so weh, ich hatte das Gefühl, es würde zerspringen. So was steht eigentlich nur im Märchen, aber wer schon einmal so traurig war oder solche Angst hatte, der weiß, dass einem das Herz zerspringen kann.
Nach einer Weile ist die Mami dann zu den Schwestern gegangen, um nach dem Ergebnis zu fragen. Und dann kam sie wieder und sah traurig aus. Es sieht nicht gut aus, sagte sie, die Thrombos sind so niedrig. Aber die Schwestern glauben, dass es ein Messfehler ist, und haben das Blut runter ins Labor geschickt. Ganz viele Tränen liefen mir über mein Gesicht und ich klammerte mich an ihren Arm und hoffte und hoffte. Erst wenn die Laborwerte kamen, konnten wir genau wissen, ob ich einen Rückfall hatte oder nicht.
Und dann kamen sie. Die Mami hielt mich ganz fest in den Armen, als die Oberärztin kam, was eh schon ein schlechtes Zeichen war. Ich wollte es nicht wissen, nein. Aber die Ärztin nickte uns zu. Ja, leider, es ist zurückgekommen, ihre Tochter hat wieder Leukämie. Alles brach zusammen. Ich weinte los. Die Mami hielt mich im Arm. Und ich weinte so verzweifelt und vor uns standen die Ärzte und sahen selber ganz ratlos aus.
Dann ging die Mami kurz mit den Ärzten weg. Ich war allein. Ich schrie in den Gang hinaus. Es durfte nicht sein, ich musste gesund sein, ich fühle mich doch so gesund, so gesund. Der schlimmste Fall ist eingetroffen. Wenn man weiß, dass der schlimmste Fall eingetroffen ist, ist es einem gleichgültig, ob man lebt oder stirbt. In diesem Fall wollte ich sterben. Es war das Schlimmste, was hätte passieren können, das, wovor ich so oft solche Angst gehabt hatte. Und es war passiert.
Ich bete zwar nicht wirklich oft und weiß auch gar nicht so genau, ob ich an Gott glaube, aber in diesem Moment habe ich mich gefragt, wo denn dieser Gott ist? Und ob es ihn gibt? Wieso ist dann alles so, wie es ist, wieso bin ich wieder krank, wieso? Ich hasste Gott in diesem Moment. Und glaubte auch nicht, dass es einen gibt. Bestimmt gibt es keinen, wenn er so etwas zulässt, und trotzdem hasste ich Gott in diesem Moment!
Und dann sind wir nach Hause gefahren. Als wir zu Hause ankamen, fühlte ich mich auf einmal ganz schlapp. Ich hatte das Gefühl, seitdem ich wusste, dass ich wieder krank war, stellte sich mein Körper schon so darauf ein, dass er gleich ganz kraftlos wurde. Obwohl ich immer noch das Gefühl hatte, ganz und gar gesund zu sein.
Ich habe dann meine beste Freundin angerufen, um ihr zu erzählen, was passiert war. Doch mehr als zu sagen, dass ich einen Rückfall hatte, habe ich nicht geschafft. Dann musste ich so doll weinen, dass sich mein ganzer Körper schüttelte. Erst war meine Freundin total entsetzt, aber dann hat sie mir Mut zugesprochen. Sie hat gesagt, dass ich das bestimmt schaffen würde, und dass sie immer für mich da wäre.
Dann bin ich rauf in mein Zimmer gegangen. Die Schwermütigkeit und die Trauer lagen wie eine schwere Last auf meinem Schultern. In der Zimmertür stand meine Schwester. Sie sah mich an und weinte. Mein Bruder kam auch und dann weinten wir zusammen.
Alle aus meiner Familie weinten sehr viel an diesem Tag.
Es war der schlimmste Tag in meinem ganzen Leben.