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Оглавление4. Antisemitismus
im mittelalterlichen Wien:
„ ZUM GROSSEN JORDAN“
AM JUDENPLATZ
Das gotische Bürgerhaus „Zum großen Jordan“ aus dem 14. Jahrhundert gehörte bis 1421 dem Wiener Juden Hocz. Im Zuge der Wiener Geserah, der ersten großen Judenverfolgung in der Geschichte Wiens, wurde das Haus durch Herzog Albrecht V. konfisziert und wechselte darauf mehrmals den Besitzer. Seit Ende des 15. Jahrhunderts befand es sich im Eigentum von Georg Jordan, der das noch erhaltene Relief von der Taufe Christi im Jordan – eine Anspielung auf seinen Namen – anbringen ließ, aber auch die antisemitische Inschrift in lateinischer Sprache, die sich auf die Wiener Geserah bezieht. Das Wort Geserah ist ein hebräischer Begriff (wörtlich: eine böse Verordnung), der die Verfolgung von Juden durch nichtjüdische Machthaber bezeichnet.
Am 23. Mai 1420 wurden alle Wiener Juden verhaftet und vor die Entscheidung gestellt, sich entweder zwangstaufen zu lassen oder der Folter unterzogen zu werden. Auslösendes Moment für diese grausame Verfolgung war die Vermutung, dass die Juden Kontakte zu den Hussiten hätten, mit denen Herzog Albrecht V. sich im Streit befand. Außerdem wurde berichtet, dass sie angeblich ein luxuriöses Leben führten, d. h. über viel Geld verfügten. Das war Wasser auf die Mühlen des Herzogs, der stets Geld brauchte – in erster Linie zur Bekämpfung der Hussiten. Doch das von den Juden abgepresste Geld brachte dem Herzog keinen Sieg, sondern nur einen Waffenstillstand.
Manche der jüdischen Familien ließen sich taufen, kehrten aber später wieder zur Religion ihrer Väter zurück. Um der Taufe zu entgehen, entschieden sich viele Juden zu einem Massenselbstmord in der Synagoge. Schließlich blieben 210 standfeste Juden über, die weder die Geldverstecke preisgaben noch sich taufen ließen. Sie wurden der Hostienschändung beschuldigt – eine in dieser Zeit häufig erhobene fälschliche Anschuldigung – und schließlich zum Tode verurteilt. Am 12. März 1421 wurden sie in Erdberg auf der Gänseweide verbrannt, ihr Vermögen wurde vom Herzog eingezogen. Die Synagoge ließ Albrecht abbrechen und die Steine für den Bau der Universität verwenden. Der wirtschaftliche Schaden für die Stadt durch die Vertreibung der Juden war verheerend.
Zu Ende des 20. Jahrhunderts, sensibilisiert durch die grauenvollen Geschehnisse des Holocaust, fiel die Entscheidung, die antisemitische Gedenktafel des Jordanhauses nicht zu entfernen, sondern durch eine zweite, kommentierende Tafel zu ergänzen. Die am 29. Oktober 1998 angebrachte Inschrift, deren Text von Christoph Kardinal Schönborn, dem Wiener Erzbischof stammt, nimmt ausdrücklich von der Untat der Wiener Geserah ausgehend Stellung zum Holocaust und betont die Mitschuld der Christenheit an der Verfolgung der Juden.
Die Fundamente der Synagoge wurden erst im 20. Jahrhundert unter dem Judenplatz wieder entdeckt und in einer beeindruckenden musealen Gestaltung zugänglich gemacht.
Die britische Künstlerin Rachel Whiteread errichtete 2000 auf dem Judenplatz ein Mahnmal an den Holocaust in Form einer nach außen gekehrten Bibliothek. Dieses Denkmal kann als Assoziation auf das Judentum als eine Religion des Buches verstanden werden, weist aber auch auf die kulturelle Ausdünnung durch die Vertreibung und Ermordung tausender Wiener Juden hin.
Die Gedenktafel am Haus zum Großen Jordan
„Kiddusch HaSchem“ heißt „Heiligung Gottes“. Mit diesem Bewusstsein wählten Juden Wiens in der Synagoge hier am Judenplatz – dem Zentrum einer bedeutenden jüdischen Gemeinde – zur Zeit der Verfolgung 1420/21 den beschriebenen Freitod, um einer von ihnen befürchteten Zwangstaufe zu entgehen. Christliche Prediger dieser Zeit verbreiteten abergläubische judenfeindliche Vorstellungen und hetzten gegen die Juden und ihren Glauben. So beeinflusst nahmen die Christen in Wien dies widerstandslos hin, billigten es und wurden zu Tätern. Somit war die Auflösung der Wiener Judenstadt 1421 schon ein drohendes Vorzeichen für das, was europaweit in unserem Jahrhundert während der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft geschah. Mittelalterliche Päpste wandten sich erfolglos gegen den judenfeindlichen Aberglauben, und einzelne Gläubige kämpften erfolglos gegen den Rassenhass der Nationalsozialisten. Aber es waren deren viel zu wenige. Heute bereut die Christenheit ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen und erkennt ihr Versagen. „Heiligung Gottes“ kann heute für die Christen nur heißen: Bitte um Vergebung und Hoffnung auf Gottes Heil.
1010 Wien, Judenplatz 2 (Autobus 1 und 3)