Читать книгу Sommer war es - Iselin C. Hermann - Страница 13

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Ich habe eine Kuh. Sie heißt Breikuh und steht im Stall, zusammen mit Lady Windermere, die meinem Vetter gehört, der Krauseminze meines kleinen Bruders und dem Kalb Tamara, das meiner Cousine gehört. Petersen ist der Futtermeister, er schüttelt den Kopf und findet, es sei dummes Zeug, den Kühen Namen zu geben, so ein Aufhebens von ihnen zu machen und Feste für sie zu feiern. So etwas hat er noch nie gehört. Nicht nur daß die Herrschaft einmal im Jahr ein Fest für die Kühe veranstaltet, sie kommt sogar in den Stall. Mit Stadtkleidern! Die Herren im Frack und die Damen im langen Kleid. Und der Herr Direktor, Petersen hat es mit eigenen Augen gesehen, der Herr Direktor trägt die Orden, die er vom König bekommen hat! Nein, das ist dummes Zeug, Petersen hat schon öfter überlegt zu kündigen, aber wenn man es richtig bedenkt, dann geht es ihm wie Gott in Frankreich. Zwanzig Kühe für ihn und den Knecht, da gibt es Schlimmeres. Es gibt tatsächlich etwas Schlimmeres, und das ist die Küchenmagd und der Ärger, den er mit ihr hatte. Aber was nützt es, über verschüttete Milch zu weinen, und es dauert glücklicherweise noch lange, bis das verrückte Fest gefeiert wird und sie alle aufgeputzt in den Stall kommen. Die Herrschaft mit Kind und Kegel. Die ganze Verwandtschaft kommt in den Stall, um die Pracht zu bestaunen, also das Vieh, dann gehen sie in die gute Stube und feiern. Nein, das ist dummes Zeug, wirklich! So brummt Petersen beim Ausmisten. Ich habe es selbst gehört. Petersen schimpft, Petersen seufzt, der Teufel soll’s holen! Aber er mistet trotzdem aus und bereitet alles für das Kuhfest Mitte November vor. Das Dumme ist, daß er zwei Monate später schon wieder ausmisten muß, denn dann steht Weihnachten vor der Tür, und diese verrückte Familie kommt zum Teufel auch schon wieder angetrabt, weil der Direktor behauptet, daß die Tiere in der Weihnachtsnacht sprechen. Das hat er zumindest den Enkelkindern weisgemacht, sie kommen also alle angetrabt und bilden sich auch noch ein, daß sie die Tiere sprechen hören! Nein, was für eine Familie!

Der Sommer muß abgedankt haben und der Herbst schon richtig dasein, wenn wir das Kuhfest feiern. Wir lassen aus der grün-weißgestreiften Seide, die von den Vorhängen übrig ist, ein Kleid nähen. Ich habe Schmetterlinge im Bauch, als ich mit meiner Mutter zum Maßnehmen gehe. Ich weiß ja, daß das Kleid genäht wird, weil ich Kuhbesitzerin werde, ich bin dann doch etwas überrascht, als die Schneiderin mich auf den Tisch hebt und anfängt, Maß zu nehmen. Ich dachte, die Kuh, meine Kuh, Breikuh, soll verkleidet werden, nach all dem Geschimpfe von Petersen. Dabei bekomme ich ein langes Kleid. Das Maßband der Schneiderin kitzelt. Es ist wie beim Doktor. Sicherheitshalber hole ich tief Luft, bis in den Bauch, dann atme ich aus. Mein erstes langes Kleid wird Mitte Oktober fertig sein, der Stoff reicht nur für Puffärmel.

Ich friere unter dem Mantel. Wir sitzen im Volkswagen, ausnahmsweise auf dem Rücksitz. Mein kleiner Bruder hat seinen Matrosenanzug an, im Gepäckabteil würden unsere feinen Kleider verknittern. Es ist ein besonderer Abend, weil ich und Vetter Frisse, wir sind die Ältesten, offiziell zu Kuhbesitzern ernannt werden. Mein kleiner Bruder und unsere Cousine müssen noch etwas warten, bis ihre Kühe Milch geben. Großvater selbst hat mir einen Brief geschrieben. Einen Brief mit zwei Zeichnungen, eine von der Breikuh mit einem großen, schweren Euter, aus dem Milch in eine große Schüssel tropft, und eine von mir. Ich stehe neben dieser großen Schüssel voller Brei, und um mich herum regnen Geldscheine herab. Auch wenn ich noch nicht lesen kann, so sehe ich doch, daß Großvaters Schrift schwer zu lesen ist. Aber die Zeichnungen ... man erkennt sofort, was sie darstellen. Er kann alles zeichnen, was er sieht. Ich friere ein bißchen im Mantel, das Futter fühlt sich kalt an auf meinen nackten Armen. Ich bin so gespannt, daß es im Hals kitzelt, und ich bekomme Gänsehaut.

Wenn wir bei den Großeltern ein Fest feiern, dann wird man von Großvater empfangen. Er steht mit leicht gespreizten Beinen auf der Treppe, und es sieht aus, als hätten seine Füße in der obersten Granitstufe Wurzeln geschlagen. Er mißt einen Meter um den Bauch herum, das hat er mir selbst erzählt, und sein Brustkorb ist wie ein Cellokasten. Alles an ihm ist breit. Einmal habe ich geträumt, daß Großvater sich ans Klavier setzt. Das hat mich gewundert, denn ich hatte ihn noch nie da gesehen und auch noch nie spielen gehört. Um es mir zu erklären, hob er mich hoch, damit ich die Tasten sehen konnte. Sie waren speziell angefertigt und doppelt so breit, die schwarzen wie auch die weißen. In Wirklichkeit bringt er nie einen Ton heraus, auch wenn sein Brustkorb und das Traumklavier wie dafür geschaffen scheinen.

Wenn er mir auf die Schultern schlägt, vergißt er, daß ich nicht sein Pferd bin, aber bei Großvater beschwert man sich nicht, wenn es weh tut, man geht nur ein wenig in die Knie.

»Willkommen zum Kuhbesitzerfest, Zwetsche!«

Er freut sich immer, wenn Gäste kommen, er grinst bis hinunter zu den Schuhen, die von einem Schuhmacher in London angefertigt werden. In Wirklichkeit, das habe ich nicht geträumt. Großmutter hat einmal ein Paar Mondmännerstiefel in seiner Vitrine ausgestellt gesehen. Die hat er, der vornehme Schuhmacher, für die Männer angefertigt, die mit Raketen zum Mond geschickt wurden.

»Warum haben sie besondere Stiefel an?«

»Oben im Weltall gilt das Gesetz der Schwerkraft nicht, und da brauchen sie besonders große Stiefel, die sie am Boden festhalten.«

Ich muß an die Taucherschuhe denken, die ich einmal im Seefahrtsmuseum gesehen habe, mir wird ganz schwindelig, wenn ich so weit hinaus ins All und so tief unters Meer denke. Und jetzt stehe ich dazwischen und sehe Großvaters extra breite, speziell angefertigte Schuhe. Er lacht und schlägt mir nachdrücklich auf die Schulter.

Wir sind fast alle da: Tante Emme, ihr neuer Mann und Vetter Frisse, der bei seinem Vater wohnt, wir vier, wir kommen fast immer zu spät, die Jungens, die Lateinlehrerin Ergo Sum aus Helsingör, die im Gesicht schwitzt, und Großvaters verrückter, weit entfernter Vetter aus Duemose, Onkel Knud, der zweimal hintereinander an Weihnachten die Mandel im Reisbrei gefunden und sie beide Male im Gebiß zermahlen hat. Es war zum Weinen! Meine kleine Cousine Themata, die mit den dicken Backen, ist nicht da, sie ist bei ihrer Mutter, heißt es. Es ist, als sei sie jemand anderes, wenn sie »bei ihrer Mutter ist«. Sie ist dann irgendwie nicht wie sonst meine Cousine mit den zarten dicken Backen und den langen hellen Haaren, mit denen man Friseur spielen kann.

In der Ecke beim Kachelofen steht ein Mann, den ich nicht kenne. Ein Mann in einem schwarzen, glänzenden Anzug, der grünlich schimmert. Die Ärmel und die Hosenbeine sind zu kurz, und wenn er Luft holt, geht der Knopf auf, der die Jacke geschlossen hält. Von seinen glatt zurückgekämmten Haaren geht ein eigenartiger Geruch nach Schnaps aus. Er muß aufpassen, er hat nämlich ein Champagnerglas, eines der feinen aus Kristall, in der Hand, und es kann zwischen seinen großen Fingern leicht kaputtgehen. Erst als er murmelt, daß alles dummes Zeug sei, erkenne ich Futtermeister Petersen.

»Verstehst du«, sagt er, offensichtlich erleichtert, daß er sich an jemanden wenden kann, der noch kleiner ist als er. »Verstehst du, dein Großvater hat gesagt, daß ich an der Geselligkeit teilnehmen soll. Ich war nicht sehr angetan, aber ich konnte mich auch nicht unterstehen, dem Herrn Direktor zu widersprechen. Deine Großmutter kam dann mit dem Vorschlag, daß ich nur für das erste Glas bleiben muß.« Er schaute verlegen in das dünne Glas mit den Bläschen.

Ich bin nie gern in den Zoo gegangen, mir wird schon am Affenkäfig schlecht, und mir schwirrt der Kopf. Die Tiere sind nicht in ihrem Element, sie sind nicht freiwillig da, so etwas kann man riechen. Mir gefällt auch nicht, daß der Großvater den Futtermeister eingeladen hat, denn er möchte nicht hier sein. Aber Großvater hat Spaß an so etwas: fremde Leute aus dem Zug, junge Anhalter, die er und Großmutter aufsammeln, wenn sie mit dem Breiten fahren, werden zusammen mit Doktor Marcussen und Professor Dr. theol. und so weiter samt Frauen eingeladen. Nea soll einfach ein paar Extrateller decken! Der Scherenschleifer ... da hat Großmutter Halt gesagt! Er durfte gerne in der Scheune übernachten, wenn er nur die Streichhölzer vorher ablieferte, aber ihn zusammen mit dem englischen Botschafter einzuladen, das ging dann doch zu weit. Er ist schon ein bißchen merkwürdig, mein Großvater. Er hat ganz oft im Zoo gezeichnet, vielleicht deshalb.

Was reden die Erwachsenen nur miteinander, wenn sie so lange herumstehen? Am unbegreiflichsten ist jedoch, wie sie am Weihnachtsabend so viel reden und so viel essen können, vor der Bescherung! Unbegreiflich!

Endlich klatscht Großmutter in die Hände und ruft zu Tisch! Petersen stellt das Glas auf dem Kaminsims ab, er hat nichts getrunken, es nur außen angefaßt, und bedankt sich. Seine Schultern eignen sich besser für Großvaters Klapse als meine. Auf jeden Fall lächelt er, als er geht. Großmutter nimmt hinter seinem Rükken schnell das Glas vom Kamin.

Nea trägt einen neuen Kittel und serviert die Vorspeise. Es ist einer von den Tagen, an denen sie in Einsilbenwörtern spricht. Das mit dem Futtermeister geht ihr gegen den Strich. Letzten Sommer waren sie und das neue Futtermeisterpaar die allerbesten Freunde. Kaffee und Kuchen und frische Erdbeeren. Nea sammelte die Zeitungen der Herrin und hob sie für Frau Petersen auf, und sie beeilte sich mit dem Abwasch, weil sie zu Futtermeisters hinüberwollte. Aber dann, eines Tages, als ich Petersen erwähnte, da drehte sie mir nur den Rücken zu.

Ich habe Vetter Frisse als Tischherrn. Mit ihm kann man so gut reden wie mit einem Erwachsenen, obwohl er drei Wochen jünger ist als ich. Er erzählt mir Filme. Wir haben zu Hause keinen Fernseher, Frisse aber wohl, und er kann vier James-Bond-Filme auswendig. So ein 007 kann bis spät in die Nacht dauern, wenn das Licht im großen Gästezimmer schon gelöscht wurde und wir schlafen sollen. Der Schluß klingt dann immer ganz merkwürdig, weil seine Stimme so auf- und abschwingt, verschwindet, und am Ende klingt sie wie das alte Grammophon auf dem Dachboden, wenn wir es nicht genug aufgezogen haben. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals einen Film bis zu Ende gehört habe.

Es ärgert ihn unglaublich, Frisse, daß ich das älteste der Enkelkinder bin und nicht er, auch wenn es sich nur um drei Wochen handelt. Es ist auch irgendwie ein Durcheinander, findet er, wo seine Mutter doch älter ist als meine und er der Junge ist.

Wenn Großvater mit uns anstoßen will, dann müssen wir aufstehen, das haben wir gelernt. Auch mein kleiner Bruder tut, wie man ihm gesagt hat, und stellt sich neben den Stuhl.

»So steh doch auf, Junge!« Großvater kann sehr brüsk und barsch klingen.

»Aber Großvater«, mein kleiner Bruder kann fast nicht sprechen, seine Stimme ist ganz klein, er muß mit den Tränen kämpfen, wenn er sagt: »Aber Großvater, ich stehe doch schon.«

Da lachen alle um den ganzen Tisch herum. Was für ein Spaß! Sie lachen über Großvater, er schaut ein wenig blöde und bekommt einen kleinen Mund. Meine Mutter bekommt Rotz an ihr feines Kleid, weil sie meinen kleinen Bruder trösten muß.

Wenn er sich erhebt und an sein Glas schlägt, gibt es allerdings keinen Zweifel. Großvater hält eine Rede auf die neuen Kuhbesitzer und erzählt, daß das Geld für die Milch unserer Kühe, die an die Molkerei verkauft wird, auf unsere Sparbücher kommt, bis wir erwachsen sind. Deshalb hat es auf der Zeichnung Geldscheine geschneit. Aber wie wird man erwachsen?

Frisses Lady Windermere hat nur drei Zitzen, aber das hat keinen Einfluß auf ihre Milchproduktion. Und doch kenne ich jemanden, der hält es für dummes Zeug, daß der Tierarzt mehrmals nach ihr geschaut hat, allein deswegen. Mein Vetter und ich, wir reden nie darüber, daß seine Kuh nur drei Zitzen hat, als ob meine drei Wochen Vorsprung nicht schon genug wären!

Jetzt ist es soweit! Wir schauen uns an und rutschen die Stuhlsitze herunter, sie sind wie dafür gemacht, sie sind aus glattem Roßhaar. Ein paar der Damen haben ihre hochhackigen Schuhe ausgezogen, Großvaters Schuhe sind unverkennbar, aber ansonsten sehen wir nicht, welche Schuhe wem gehören. Die Schnürsenkel der Männer binden wir zusammen ... ganz vorsichtig ... und zwei der Damenschuhe können wir vertauschen. Der eine ist ein Altedamenschuh, der vielleicht Ergo Sum gehört, der andere gehört vermutlich Mutter. Wir wissen genau, daß die Erwachsenen so tun, als würden sie nichts merken, als seien sie überrascht, wenn sie den einen Fuß nicht vor den anderen setzen können oder nicht in den Schuh hineinkommen, wenn sie vom Tisch aufstehen. Aber so muß es sein, und es ist jedesmal wieder lustig.

Aber jetzt passiert etwas, was wir noch nie gemacht haben. Die Jungen kommen zu uns Kindern und flüstern uns ein Geheimnis ins Ohr, es ist so geheim, daß ich mir fast in die Hose mache. Wir schleichen aus dem Zimmer und auf den Dachboden hinauf, wo all das steht, was man vielleicht noch einmal verwenden kann, obwohl alle wissen, daß der Dachboden der Vorhof der Müllkippe ist. Aber hier gibt es alles, was wir brauchen.

»Wir machen einen Angriff aus dem Hinterhalt! Ta-ta-ta-taa!« Hoftölpel hält eine unsichtbare Maschinenpistole vor sich, geht in die Knie und schielt noch mehr als so schon.

Das bedeutet Spaß. Er hat sich schon umgezogen, Tarnanzug und Helm mit Netz. Großmutter hat Frau Tokarsky angewiesen, in seinem Zimmer nicht sauberzumachen, solange es dort aussieht wie in einem Militärlager.

»Denen werden wir es zeigen«, triumphiert Hoftölpel, »wie schön es ist, wenn Schimmel auf den Bajonetten wächst!«

»Ja, wir machen einen Angriff aus dem Hinterhalt!«

Puer bekommt Großmutters Brautkleid im Rücken nicht zu, er setzt sich einen verbeulten Lampenschirm mit Troddeln auf den Kopf. Wir verkleiden uns alle und schleichen die Treppe hinunter. Østen, in einem verblichenen Fez und einem löchrigen Hausmantel, dreht die Hauptsicherung heraus. Und dann geht es los. Ins Wohnzimmer mit Wunderkerzen und Platzpatronen. Indianergeheul und Lügengeschichten. Vetter Frisse singt James-Bond-Musik: »Gooold-finger!« Es ist zu lustig, aber auch wichtig. Ich habe irgendwie das Gefühl, daß wir es machen müssen, weil es eine Aktion von den Jungen und uns gegen die Erwachsenen ist, aber auch für sie.

Ergo Sum bekommt de facto angst und stellt sich auf einen Stuhl, um über dem Kriegsgeschehen zu sein.

»Ach-tung, hier kommt die KUH-Horte!« ruft Puer irgendwo im Dunkeln.

Aber was kommt da für ein merkwürdiges Pfeifen von der Tür? Eine fremde Stimme, sie gehört keinem von uns, und so kleine Kinder haben wir nicht in der Familie. Nanki ist nie im Wohnzimmer, wenn etwas gefeiert wird, und Lille ist viel zu geschädigt, er käme nie hierher, es sind also nicht die Hunde, und doch sind wir in der Tierwelt. Jetzt wird es wieder hell, und da, unter dem Stuhl, liegt ein kleines rosa Schweinchen ... ohne Ringelschwänzchen. Die Lateinlehrerin schreit mit dem Tier um die Wette, Østen lacht so fröhlich, wie nur er lachen kann, und reibt sich dabei die Hände. Er hat es aus dem Stall draußen geholt.

»Na ja, es soll doch auch wissen, daß hier ein Fest gefeiert wird!«

Dann bekommt er den Großmutter blick ab. Ergo Sum fällt vom Stuhl, das Schwein wird hinausgebracht, und die KUH-Horte zieht sich heulend zurück.

»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet!« Puer sitzt an einem wackeligen Klapptisch in seinem Zimmer, immer noch in Großmutters Brautkleid. Den Lampenschirm hat er im Eifer des Gefechts verloren, er faßt sich an einen nicht vorhandenen Spitzbart und versucht, wie ein bejahrter Anwalt auszusehen. »Ich glaube, wir können zur Konklusion kommen, daß dieser Angriff aus dem Hinterhalt von solchem Kaliber war, daß er für eine Präzedenz taugt! Um nicht zu sagen Konsensus!« Er schmatzt gekünstelt und vergnügt.

»Verstanden!« rufen Østen, und Hoftölpel und wir anderen plappern es nach wie ein Echo, ohne natürlich zu verstehen, was er sagt.

»So wie die Sache aussieht und sich anhört, schlage ich vor, daß wir, Bezug nehmend auf die allergeheimsten Paragraphen, eine Geheime Liga der anwesenden KUH-Horte gründen. Eine Liga, die zusammen durch Dick- und Dünnmilch geht!«

»Einverstanden!«

»Mitglieder der Geheimen Liga«, Puer schaut uns streng an, »akzeptieren nicht nur, sondern verpflichten sich zu folgendem: ad 1: Gemeinsames Aufmarschieren am Kuhbesitzerfest – ad 2: Keinerlei Äußerungen über die Beschlüsse und Zukunftspläne der Liga – ad 3: Wir geloben ewige Treue.«

»Einverstanden!« Die Jungen lachen. Aber Vetter Frisse ist sehr ernst. Das hier ist viel besser als alles, was James Bond jemals erlebt hat.

Puer ernennt sich selbst zum KUH-rator, Østen wird Sekretär und verpflichtet sich, jährlich einen Bericht über seine Sekrete abzugeben. Hoftölpel wird Kassierer der KUH-Kasse. Wir anderen sind gemeine Mitglieder und bekommen Nummern unserem Alter entsprechend. Frisse bettelt, ob er nicht meine Nummer bekommen kann. Aber das geht nicht, man kann schließlich nichts an der Reihenfolge ändern. Bevor wir aufgenommen und vollgültige Mitglieder der Geheimen Liga werden, muß ein Ritual erfolgen, auch das in numerischer Reihenfolge. Die Jungen drehen uns den Rücken zu und konferieren leise in einer Ecke darüber, wie das Aufnahmeritual aussehen soll. Ausdrücke wie »Aufhängen an den Brustwarzen« und »Pfeil und Bogen mit einem Apfel auf dem Kopf« lassen uns erschaudern. Wir sitzen ganz still in der Ecke und warten auf den Beschluß. Es ist schwierig, die Hände zwischen die Beine zu legen, wenn man ein langes Kleid trägt. Als der Beschluß gefaßt ist, drehen sie sich um und machen mit der flachen Hand Schneidebewegungen in der Luft.

»Da-da-da-daaa!« Sie zeigen die Zähne.

Ich bereue es, daß ich Frisse nicht meine Nummer überlassen habe!

»Bananensuppe! Auf den Boden!«

Einer hält die Beine, einer die Arme, und dann kitzeln sie mich alle, sie kitzeln unablässig, sie schnappen und kneifen, bis ich keine Luft mehr bekomme. Sie singen Kriegsgesänge und geben mir Bananensuppe, und ich sterbe fast. Vor Lachen.

»Und haaalt!« Der Vorsitzende hebt eine Hand. Seine Hand ist Gesetz.

Einer nach dem anderen werden wir Mitglieder in der Geheimen Liga. Die Jungen bekommen auch! Das beschließen die neuen Mitglieder. Wir schreien durcheinander, singen, brüllen, und Puer lacht wie ein Blasebalg, als er Suppe bekommt.

»Was geht denn hier vor, wenn ich fragen darf?« Großvater steht in der Tür und sieht, vorsichtig ausgedrückt, überrascht aus.

»Raaaus! Das ist geheim!« rufen die Jungen im Chor, und Großvater, der genau sieht, daß er hier nichts zu suchen hat, zieht sich zurück.

Ist das wirklich passiert? Kann es sein, daß die Geheime Liga stärker ist als Großvater? Das kommt einem fast widernatürlich vor.

Sommer war es

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