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Zehntes Capitel
ОглавлениеNeshdanow erhob sich und ging ihm entgegen. – Markelow richtete, ohne zu grüßen, sogleich die Frage an ihn, ob er in der That Alexei Dmitrijew Neshdanow, Student der St. Petersburger Universität sei.
– Ja . . . der bin ich, – antwortete Neshdanow.
Markelow zog darauf aus der Seitentasche seines Rockes einen entsiegelten Brief hervor.
– Dann lesen Sie. – Von Wassilij Nikolajewitsch, – fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
Neshdanow nahm den Brief und begann zu lesen. Der Brief war etwa in der Art eines halboffiziellen Rundschreibens, in welchem Derjenige, der ihn vorzeige, Ssergei Markelow, als »Einer von den Unsrigen,« als eine des Vertrauens vollkommen würdige Person empfohlen wurde; dann folgte ein Hinweis auf die unaufschiebbare Nothwendigkeit gemeinsamen Handelns und eine Instruktion über die Verbreitung der bekannten Prinzipien.
Neshdanow reichte Markelow die Hand, bot ihm einen Stuhl und setzte sich gleichfalls. Markelow rauchte, ohne ein Wart zu sprechen, eine Cigarette an. Neshdanow folgte seinem Beispiel.
– Ist es Ihnen bereits möglich gewesen, mit den hiesigen Bauern Verbindungen anzuknüpfen? – fragte endlich Markelow
– Nein, noch nicht.
– Sind Sie schon lange hier?
– Bald werden es zwei Wochen.
– Und haben Sie viel zu thun?
– Nein, nicht besonders viel.
Markelow hüstelte trocken.
– Hm! Die Bauern sind hier ziemlich einfältig, – fuhr er mürrisch fort; – das Volk liegt noch arg im Finstern – muß des Besseren belehrt werden. Die Armuth ist groß – und doch ist Niemand da, der es ihnen auseinandersetzen könnte, warum sie so arm sind.
– Die früheren Leibeigenen Ihres Schwagers scheinen, so weit ich es beurtheilen kann, gerade nicht zu darben, – bemerkte Neshdanow.
– Mein Schwager ist ein Schlaukopf; Sand in die Augen zu streuen versteht er meisterhaft. Den hiesigen Bauern geht es in der That nicht schlecht; aber er hat eine Fabrik. Das ist die Stelle, wo die Sache in Angriff genommen werden muß. Das ist wie ein Ameisenhaufen, ein zur rechten Zeit gegebener Stoß – und sie rühren sich gleich. – Haben Sie auch Bücher bei sich?
– Ja . . . aber nicht viele.
– Ich werde Ihnen welche schicken.
Wie haben Sie nur so wenige mitnehmen können!
Neshdanow blieb die Antwort schuldig. – Auch Markelow verstummte und rauchte weiter, indem er bläuliche Wolken durch die Nase aufsteigen ließ.
– Ist das aber ein Schurke, dieser Kallomeyzew! – rief Markelow endlich aus. – Während des Mittags fuhr es mir durch den Kopf, ob ich nicht aufstehen, zu diesem Herrn herantreten, und ihm die ganze unverschämte Physiognomie braun und blau schlagen solle, damit nicht Andere in Versuchung gerathen, dies zu thun? Doch nein! Haben wir jetzt doch Wichtigeres zu vollbringen, als Kammerjunker zu prügeln. – Jetzt ist nicht die Zeit, in Zorn darüber zu gerathen, daß Narren thörichte Reden im Munde führen; jetzt ist es vielmehr Zeit sie zu hindern, thörichte Thaten zu vollführen.
Neshdanow nickte bejahend mit dem Kopf, – Markelow griff wieder zu seiner Cigarette.
– Es befindet hier sich unter der Dienerschaft ein höchst brauchbarer Mensch, – begann er von neuem; – nicht Iwan, der bei Ihnen ist das ist eine Fischnatur; nein, ein Anderer . . . er heißt Cyrill und hat das Buffet unter sich (dieser Cyrill war als ein Erztrunkenbold bekannt). – Sehen Sie ihn sich näher an. Ein desperater Kerl . . . nun, schüchtern thun, ist jetzt nicht unsere Sache. Was sagen Sie aber zu meiner Schwester? – fügte er, den Kopf mit den gelben Augen plötzlich zu Neshdanow emporhebend, hinzu. – Die ist doch noch schlauer als mein Schwager. Wie denken Sie über meine Schwester!
– Ich denke, daß es eine sehr angenehme und liebenswürdige Dame ist. . . Und auch eine sehr schöne Dame. . .
– Hm! Wie Ihr Euch, meine Herren, in Petersburg fein auszudrücken versteht. . . Ich staune-! – Nun . . . in Hinsicht, aber . . . – fing er an, hielt jedoch plötzlich mit finsterer Miene in seiner Rede inne. – Ich sehe, wir müssen uns aussprechen, – begann er von neuem. – Hier geht’s aber nicht. Weiß der Teufel! Sie horchen am Ende hinter der Thür. Wissen Sie, was ich Ihnen vorschlagen will? Heute ist Sonnabend, morgen werden Sie wohl keine Stunden geben? Nicht wahr?
– Morgen um drei Uhr ist eine Repetition angesagt.
– Eine Repetitioni Ganz wie im Theater! Es ist wohl meine liebe Schwester, die solche Worte erfindet? Nun gut. Wenn Sie wollen, könnten wir vielleicht gleich zu mir fahren. Es sind nur zehn Werst bis zu meiner Besitzung. Meine Pferde sind tüchtig: im Nu sind wir da. – Sie schlafen bei mir, wir bleiben den Morgen zusammen – um drei Uhr sind Sie mit meinen Pferden dann wieder hier. Sind Sie damit einverstanden?
– Gut, – willigte Neshdanow ein. – Er war seit dem Erscheinen Markelow’s in höchst aufgeregter, gedrückter Stimmung. Der plötzliche Anschluß an diesen Menschen beunruhigte ihn und doch zog es ihn andererseits wieder zu ihm hin. Er fühlte, er sah es, daß Markelow, obgleich geistig wahrscheinlich wenig entwickelt, ein unbedingt ehrlicher und charakterfester Mensch war. Dazu kam noch die seltsame Scene im Birkenhain, die unerwartete Erklärung Mariannen’s. . . .
– Das ist herrlich! – rief Markelow aus. – Rüsten Sie sich jetzt zur Fahrt – ich lasse unterdessen anspannen. Sie brauchen doch keine besondere Erlaubniß?
– Ich werde es anzeigen. Ohne diese Anzeige darf ich mich nicht entfernen, wie mir scheint.
– Ich werde es sagen, – fiel Markelow ein. – Seien Sie unbesorgt. – Sie sind jetzt mit ihren Karten – beschäftigt und werden Ihre Abwesenheit gar nicht bemerken. Mein Schwager möchte gern ein großer Staatsmann sein, – und doch besitzt er nur die eine Tugend, daß er ausgezeichnet Karten spielt. Nun freilich: auch dadurch ist schon Mancher zu Ehren und Würden gelangt!l . . . – Seien Sie also bereit. Ich treffe gleich die nöthigen Anordnungen.
Markelow entfernte sich. Eine Stunde darauf saß Neshdanow wieder neben ihm, auf einem großen ledernen Kissen, in einem breit ausgebogenen, sehr alten und sehr bequemen Tarantaß; vom Bock her erschallte des kleinen, untersetzten, unermüdlichen Kutschers merkwürdig angenehmes, an eine Vogelstimme erinnerndes Pfeifen; die drei Schecken mit den geflochtenen Mähnen und Schweifen griffen auf dem ebenen Wege feurig aus; von den Schatten der anbrechenden Nacht überdeckt – die Uhr schlug gerade zehn, als sie fortfahren – glitten die einzelnen Bäume, Sträucher, Felder, Wiesen und Schluchten – die je nach der Entfernung entweder langsam rückwärts entschwanden, oder sich mit den Fahrenden fortzubewegen schienen – gleichmäßig an ihnen vorüber.
Die kleine Besitzung Markelow’s – sie hieß »Borsenkowo,« umfaßte zweihundert Dessiatinen und brachte ihm jährlich 700 Rubel ein – war drei Werst von der Gouvernementsstadt gelegen, während Ssipjagin’s Gut sieben Werst von derselben entfernt war. Um von des Letzteren Besitzung nach «Borsenkowo« zu gelangen, mußte man durch die Stadt hindurchfahren. – Die neuen Bekannten hatten kaum fünfzig Worte miteinander gewechselt, als bereits die kläglichen vorstädtischen Häuser mit den eingefallenen Dächern und den schiefen, zur Seite geneigten, trübe erleuchteten Fenstern an ihnen vorüberflogen; in den Hauptstraßen auf dem Steinpflaster hin- und hergeworfen, schwankte der rasselnde Tarantaß von einer Seite zur andern. . . Bei jedem Stoß emporschnellend, tanzten die dummen, steinernen, zweistöckigen Kaufmannshäuser, die säulengeschmückten Kirchen, die Schenken und Gasthäuser neben ihnen her. . . Es war ein Sonntag. – Während auf den Straßen Niemand mehr zu sehen war, schienen die Schenken noch überfüllt. Ueberall konnte man heisere Stimmen, trunkenen Liedersang, weinerliche Harmonika-Töne vernehmen, aus den zuweilen plötzlich geöffneten Thüren drang im röthlichen Schimmer spärlicher Abendbeleuchtung ein Strom erhitzter, verpesteter, mit scharfem Spiritusdunst versetzter Luft in’s Freie. Vor fast allen Schenken erblickte man ärmliche Bauernkarren, bespannt mit zottigen, dickbäuchigen Gäulen, die ihre Köpfe geduldig hängen ließen und sich so ruhig verhielten, als ob sie schliefen. Hier trat ein abgerissener Bauer aus der Schenke, mit weit geöffnetem Kittel und einer großen Winterkappe auf dem Kopfe, die ihm sackartig am Nacken herabhing: er beugte sich über die Deichselstange, hob tastend, als ob er etwas suche, die Hände empor und blieb dann regungslos stehen; dort – ein schmächtiger Fabrikarbeiter mit schief auf den Kopf gedrückter Mütze, in einem Nanking-Hemde und barfuß – die Stiefel waren in der Schenke geblieben; schon nach den ersten unsicheren Schritten stockte er, kratzte sich darauf im Rücken – und fiel mit einem plötzlichen Seufzer wieder in die Schenke hinein.
– Es überwältigt den Russen die Macht des Branntweins! – bemerkte Markelow.
– Um die Sorgen zu vergessen, Ssergei Michailowitsch, lieber Herr! – rief, ohne sich umzublicken der Kutscher, welcher mit dem Pfeifen jedes Mal inne hielt, sobald er an einer Schenke vorbeikam, und sich gleichsam in sich selbst vertiefte.
– Vorwärts! vorwärts! – schrie ihm Markelow zu, ihn herzhaft am Kragen seines Mantels schüttelnd.
Der Tarantaß rasselte über den ungemein stark nach Kohl und Matten riechenden Marktplatz hinweg, kam vorbei am Hause des Gouverneurs, mit den bunten Schilderhäuschen vor dem Thore, an dem mit einem Thurm geschmückten Polizeihause, am Boulevard mit den eben gepflanzten und schon absterbenden Bäumen, an dem von Hundegebell und Kettengerassel erzitternden Bazar – war endlich, nachdem er eine unendlich lange Reihe von Lastwagen, die noch in der Abendkühle ausgerückt waren, hinter sich gelassen – wieder in der freien Luft der weidenbesetzten Landstraße – und rollte nun von Neuem rasch und gleichmäßig dahin.
Markelow war um sechs Jahre älter, als seine Schwester Valentine Michailowna. Er war in der Artillerie-Schule erzogen worden, die er mit dem Range eines Offiziers verlassen hatte: schon als Lieutenant jedoch reichte er in Folge eines unangenehmen Auftrittes mit dem Regiments-Kommandeur – einem Deutschen – seinen Abschied ein. Seitdem haßte er alle Deutschen, namentlich die russischen Deutschen. In Folge seines Abschiedes überwarf er sich mit seinem Vater, den er dann bis zu seinem Tode nicht weiter gesehen; als der Vater starb, zog sich Markelow auf sein kleines, von ihm ererbtes Gut zurück. In Petersburg war er mit vielen Koryphäen der neuen Bewegung, die er innig und hoch verehrte, zusammengekommen; hier in diesem Kreise entwickelte und festigte sich auch seine ganze Anschauungsweise. Er las nur wenig – und meist nur solche Bücher, welche auf die ihn einzig und allein interessirende Sache Bezug hatten: – namentlich Herzen. Er hatte die militärische Haltung beibehalten und lebte als Spartaner, als Mönch. Vor einigen Jahren verliebte er sich leidenschaftlich in ein junges Mädchen, das ihn jedoch in rücksichtslosester Weise verrieth und einen Adjutanten – einen Deutschen – heirathete. Seitdem haßte er auch die Adjutanten. Er versuchte es, Spezial-Artikel über die Mängel der russischen Artillerie zu schreiben – er besaß jedoch nicht die Gabe, seine Gedanken richtig auszudrücken: – er konnte keinen einzigen Artikel zu Ende bringen und fuhr doch noch immer fort, große Bogen grauen Papiers mit unsicheren, unförmlichen, wahrhaft kindlichen Zügen zu bekritzeln Markelow war ein eigensinniger, bis zur Tollkühnheit unerschrockener Mensch, der weder zu verzeihen, noch zu vergessen verstand, der die Beleidigung Aller, welche bedrückt und verfolgt wurden, als eigene Beleidigung auf’s Tiefste zu empfinden schien – und der zu Allem bereit war. Sein beschränktes Denken war stets nur auf einen Punkt gerichtet: was er nicht fassen konnte – existirte für ihn nicht; doch haßte und verachtete er Lüge und Falschheit. Personen der höheren Stände, »Reaktionären« gegenüber, wie er sie nannte, war sein Benehmen schroff und sogar grob; einfach und wie ein Bruder umgänglich war er hingegen – mit dem schlichten Bauer. Sein Gut war mittelmäßig bewirthschaftet: allerlei sozialistische Pläne spukten in seinem Kopf, die er ebenso wenig zu verwirklichen verstand, wie er einst die Aufsätze über die Mängel des russischen Artilleriewesens zu beendigen vermochte. Er hatte überhaupt kein Glück – niemals und nirgends schon in der Schule nannte man ihn den »Pechvogel.« Eine offenes gerade Natur, ein leidenschaftlicher und tiefunglücklicher Mensch, konnte er in gewissen Fällen herzlos, blutgierig, ja, ein Wütherich genannt werden, in anderen Fällen aber war er im Stande, sich selbstlos und ohne Besinnen zu opfern.
Drei Werst hinter der Stadt bog der Tarantaß plötzlich in das angenehm-weiche Dunkel eines Espenhains ein, mit dem Rauschen und Zittern der unsichtbaren Blätter, mit der duftig herben Frische des Waldes, mit dem unklaren Lichtschimmer oben – den ineinanderfließenden Schatten unten. Roth und groß stand der Mond am Himmel wie eine kupferne Scheibe. Aus dem Walde hervortauchend, befand sich der Tarantaß plötzlich vor einem kleinen gutsherrschaftlichen Gebäude. An der Vorderseite des niedrigen, einen Theil des Mondes verdeckenden Hauses traten die hellen Vierecke dreier erleuchteter Fenster ganz besonders grell hervor; das weit geöffnete Thor schien niemals geschlossen zu werden. Auf dem Hofe sah man im Halbdunkel eine Kibitka stehen, mit zwei weißen, hinten an der Equipage angebundenen Postpferden; zwei junge, ebenfalls weiße Hunde sprangen ihnen entgegen und fingen laut an zu bellen. Im Hause gerieth man in Bewegung – der Tarantaß hielt vor dem Flur – und mit Mühe aus demselben herauskriechend und mit dem Fuß nach dem eisernen Tritt umhertastend, der von irgend einem Dorfschmied wie gewöhnlich gerade an der unbequemsten Stelle angebracht war, sagte Markelow zu Neshdanow:
– Nun, jetzt sind wir zu Hause – und Sie werden hier Gäste finden, die Sie sehr gut kennen – aber durchaus nicht zu treffen erwarten. – Bitte! treten Sie ein!