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Fünftes Capitel

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In dem Gastzimmer eines steinernen Hauses mit Colonnaden und griechischem Giebel, in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts von dem Vater Ssipjagin’s, einem bekannten Agronomen erbaut, saß eines Tages Valentine Michailowna, die Frau Ssipjagin’s, eine blendende Erscheinung, und wartete von Stunde zu Stunde auf die durch ein Telegramm angekündigte Ankunft ihres Mannes. – Die Ausstattung des Zimmers war durchweg von moderner Eleganz: Alles war in demselben so anmuthig und anziehend – Alles, von den bunten, doch geschmackvollen Cretonne-Tapeten und Draperien bis zu den mannigfaltigen aus Etagèren und Tischen zerstreuten Kleinigkeiten aus Porzellan, Bronze und Krystall. Von den heiteren, durch die hohen, weit geöffneten Fenster frei hereinströmenden Strahlen eines Maitages beleuchtet, trat Alles weich und harmonisch hervor und schien doch ineinanderzufließen. Vom Duft des Maiblümchens durchtränkt, – überall erblickte man Sträuße dieser herrlichen Frühlingsblume, – schien die Luft des Zimmers von Zeit zu Zeit kaum merklich zu erzittern, wenn aus dem sich üppig ausbreitenden Garten, in welchem ein milder Wind sein sanftes Wesen trieb, ein frischer Luststrom in’s Zimmer hineindrang.

Ein herrliches Bild! Und was dieses Bild vollendete, was demselben Inhalt und Leben gab, war die Frau vorn Hause selbst, Valentine Michailowna Ssipjagin! Sie war eine hoch gewachsene Gestalt im Alter von ungefähr dreißig Jahren, mit dunkel-blonden Haar, frischem, an die Linien der Sixtinischen Madonna erinnerndem Antlitz, und merkwürdigen, tiefen, sammetweichen Augen. – Die Lippen waren vielleicht ein wenig zu breit und blaß, die Schultern ein wenig zu hoch, die Hände ein wenig zu groß. . . Dennoch aber hätte Jeder, der gesehen, wie sie sich frei und leicht im Zimmer bewegte, wenn sich die feine, wenn auch vielleicht allzu eng geschnürte Gestalt bald zu den Blumen herabneigte und den Duft derselben mit lächelnder Miene einzog, – bald irgend eine kleine chinesische Vase von einer Stelle zur andern rückte – dann wieder sich vor den Spiegel stellend, die wunderbaren Augen kaum merkbar zusammenkneifend, das Haar zurechtzustreichen begann – ein Jeder, sagen wir, hätte gewiß ausgerufen – still vor sich hin oder sogar laut – daß ihm niemals ein so bezauberndes Wesen begegnet sei!

Ein hübscher, krausköpfiger, etwa neunjähriger Knabe in schottischer Kleidung, mit nackten Knieen und glänzend frisirtem Haar, kam eilig in’s Zimmer gelaufen, blieb jedoch, als er Valentine Michailowna erblickte, plötzlich stehen.

– Was willst Du, Kolja? – fragte sie. – Die Stimme war ebenso weich und sammetartig wie die Augen.

– Sieh’ Mamma, – begann der Knabe verlegen, – die Tante hat mich hergeschickt . . . ich soll ihr Maiblümchen bringen . . . für ihr Zimmer . . . sie hat keine. . . .

Valentine Michailowna berührte mit der Hand das Kinn ihres Söhnchens und hob das Lockenköpfchen empor.

– Sage der Tante, daß sie nach den Maiblümchen zum Gärtner schicken soll; – das hier – sind meine Maiblümchen. . . Ich will nicht, daß sie fortgenommen werden. Sage ihr, daß ich es nicht liebe, wenn die Ordnung, die ich eingeführt, gestört wird. Wirst Du meine Worte zu wiederholen verstehen?

– Ich werde verstehen . . . – flüsterte der Knabe.

– Nun – sag’ mal! «

– Ich werde ihr sagen . . . werde sagen . . . daß Du es nicht haben willst.

Valentine Michailowna begann zu lachen – auch ihr Lachen war weich.

– Ich sehe, daß man Dir noch keine Aufträge ertheilen kann. Nun gut, sage ihr, was Du willst.

Der Knabe küßte rasch die mit Ringen geschmückte Hand der Mutter und lief eilig davon.

Valentine Michailowna begleitete ihn mit den Augen, trat dann mit einem Seufzer an eine vergoldete Volière heran, in welcher ein kleiner grüner Papagei, sich an dem Drahtgeflecht mit Schnabel und Krallen vorsichtig anklammernd, auf- und niederkletterte, und steckte die Spitze des Fingers neckend durch den Käfig; darauf ließ sie sich auf den niedrigen Divan nieder und begann, die letzte Nummer der »Revue des Deux Mondes« von dem runden geschnitzten Tische nehmend, in derselben zu blättern.

Ein ehrerbietiges Hüsteln veranlaßte sie aufzublicken. Auf der Schwelle der Thür stand ein wohlgestalteter Diener in Livrée und weißer Halsbinde.

– Was willst Du, Agathon? – fragte Valentine Michailowna mit derselben weichen Stimme.

– Ssemen Petrowitsch Kallomeyzew läßt fragen —

– Sag’, ich lasse bitten, natürlich! – und schicke zu Marianne Wikentjewna: sie möge in’s Gastzimmer kommen.

Valentine Michailowna warf die »Revue des Deux Mondes« auf den Tisch, und hob die Augen, sich in den Divan zurückwerfend, nachdenklich empor, was ihr sehr gut stand.

Schon aus der Art und Weise, wie Ssemen Petrowitsch Kallomeyzew, ein junger Mann von ungefähr zweiunddreißig Jahren, in’s Zimmer trat – ungezwungen und nachlässigen, schleppenden Schrittes: – wie sein Antlitz plötzlich aufleuchtete, als er sich, zur Seite geneigt, verbeugte – wie er sich dann so elastisch aufrichtete; – wie er mit süßlicher Stimme durch die Nase zu sprechen begann; – wie er die Hand Valentine Michailownas so ehrerbietig ergriff; – wie er dieselbe so eindringlich küßte – daraus allein schon hätte man schließen können, daß der neuangekommene Gast kein, wenn auch reicher Dorfbewohner aus der Provinz sei, sondern dem echten Petersburger »grand genre« der höchsten Kreise entstamme. – Auch war er nach englischer Mode aufs Eleganteste gekleidet: aus der flachen Seitentasche der bunten Jaquette guckte in Form eines kleinen Dreiecke das buntfarbige Zipfelchen eines neuen weißen Battist-Taschentuches hervor; an einem ziemlich breiten schwarzen Bande hing ein Monocle; die blasse, in’s Gräuliche spielende Farbe der schwedischen Handschuhe entsprach den blaßgrauen Tönen der gestreiften Beinkleider. Das Haar trug Herr Kallomeyzew kurz, das Kinn glatt rasirt, aus seinem Etwas frauenhaften Antlitz mit den kleinen dicht nebeneinander liegenden Augen, der seinen, gebogenen Nase, den kleinen dicken und rothen Lippen, sprach das Bewußtsein der, dem hochgebildeten Aristokraten eigenen, Ungenirtheit und Freiheit. Es athmete Freude und Wohlwollen . . . und konnte doch wieder sehr leicht böse, ja bis zur Rohheit zornig werden: es brauchte nur Jemand Ssemen Petrowitsch’ empfindliche Seite, seine konservativen politischen und religiösen Prinzipien zu berühren, – dann kannte er kein Erbarmen; – die zarten kleinen Augen entbrannten von unheilverkündendem Feuer; – dem hübschen kleinen Munde entströmten häßliche Worte – und es rief dann dieser Mund – rief mit seiner, durchdringender Stimme – die Obrigkeit an!

Die Vorfahren von Ssemen Petrowitsch Kallomeyzew waren einfache Gemüsegärtner gewesen. – Sein Vorahn war nach dem Ort seiner Herkunft Kallomeyzew genannt worden . . . Aber schon sein Großvater hatte Kallomeyzew daraus gemacht; der Vater schrieb: Kallomeyzew, Ssemen Petrowitsch endlich setzte statt des i ein y – und hielt sich ohne Scherz für einen vollblütigen Aristokraten; er pflegte sogar zu äußern, daß seine Familie eigentlich von den Baronen von Gallenmeyer abstamme, von denen Einer im dreißigjährigen Kriege österreichischer Feldmarschall gewesen. Ssemen Petrowitsch war Kammerjunker und Beamter im Ministerium des Kaiserlichen Hauses; daß er nicht die diplomatische Laufbahn ergriffen, wohin ihn Alles zu drängen schien: die Erziehung, die Gewohnheit, sich in der großen Welt zu bewegen, die Erfolge bei den Frauen und selbst sein Aeußeres – daran war sein Patriotismus schuld; – quitter la Russie? – jamais! Kallomeyzew hatte Vermögen, hatte Connexionen; er stand im Ruf eines zuverlässigen und ergebenen Menschen —»un peu trop . . . féodal dans ses opinions,« wie sich Fürst B., einer von den Sternen des Petersburger Beamtenthums, über ihn geäußert hatte. Jetzt war Kallomeyzew auf die Dauer zweier Monate – seiner Urlaubszeit – in’s Gouvernement S. gekommen, um sich mit der Verwaltung seines Gutes zu beschäftigen, d. h. »Diesen ins Bockshorn zu jagen, Jenem Daumschrauben anzulegen.« – Ohne dieses geht es ja nicht!

– Ich hatte Boris Andreitsch hier vorzufinden erwartet, – begann er, sich auf den Füßen schaukelnd, und blickte, eine hochgestellte Persönlichkeit nachahmend, plötzlich zur Seite. Valentine Michailowna blinzelte mit den ein wenig zusammengekniffenen Augen.

– Sonst wären Sie also nicht gekommen?

Kallomeyzew prallte zurück, so unverdient und durch nichts gerechtfertigt erschien ihm diese Frage Frau Ssipjagin’s.

– Valentine Michailowna! – rief er, – ich bitte Sie, wie können Sie das voraussehen? —

– Nun gut, gut, setzen Sie sich, Boris Andreitsch wird gleich hier sein. Ich habe ihm die Kalesche zur Station entgegengeschickt. Warten Sie ein wenig . . . Sie werden ihn sehen. Wie viel ist es jetzt an der Zeit?

– Es ist halb drei – antwortete Kallomeyzews indem er aus der Westentasche eine große emaillierte, goldene Uhr hervorzog. Er zeigte sie Frau Ssipjagin. – Haben Sie meine Uhr gesehen? Mir hat sie Michael, wissen Sie . . . der serbische Fürst Obrenowitsch, geschenkt. Da ist sein Namenszug. Wir sind große Freunde. Wir sind zusammen auf der Jagd gewesen. Ein vortrefflicher Mensch! Und eine eiserne Hand hat er, wie sich’s für ein Staatsoberhaupt gebührt. O, er liebt nicht zu scherzen!

Kallomeyzew ließ sich in einen Lehnstuhl nieder, kreuzte die Beine übereinander und begann den linken Handschuh abzustreifen.

– Wenn wir doch hier in unserem Gouvernement einen solchen Michael hätten!

– Wozu denn? Sind Sie mit irgend etwas unzufrieden?

Kallomeyzew kämpfte die Nase.

– Aber ich bitte Sie, diese Semstwo? Wozu ist sie denn da? Es ist eine Institution, durch welche die administrative Kraft nur geschwächt wird und allerlei unnütze Gedanken . . . Kallomeyzew strich mit der von der Hülle des Handschuhes befreiten unbekleideten Hand durch die Luft . . . und trügerische Hoffnungen wachgerufen werden. Kallomeyzew blies sich auf die Hand. Ich habe in St. Petersburg darüber gesprochen . . . mais bah! Nicht daher treibt der Wind. Sogar Ihr Herr Gemahl – stellen Sie sich vor! Uebrigens – sein Liberalismus ist ja bekannt!

Valentine Michailowna richtete sich in die Höhe.

– Wie? Und Sie, Herr Kallomeyzew, Sie opponiren der Regierung?

– Ich? Opponiren? Niemals! Für nichts in der Welt! Mais j’ai mon franc parier. Ich kritisire zu weilen, unterwerfe mich aber immer.

– Und ich im Gegentheil, ich kritisire nicht und unterwerfe mich nicht.

– Ah! mais cest un ’mot! Wenn Sie erlauben, theile ich Ihre Bemerkung meinem Freunde mit – Ladislas, vous savez, er schreibt jetzt einen Roman aus dem Leben der großen Welt und hat mir einige Kapitel bereits daraus vorgelesen. Das wird etwas Herrliches werden! Nous aurons enfin le grand monde russe, peint par lui-même.

– Wo wird der Roman erscheinen?

– Im »Russischen Boten« natürlich. Das ist ja unsere »Revue des Deux Mondes« Sie lesen diese Zeitschrift, wie ich sehe.

– Ja; aber, wissen Sie, sie fängt an langweilig zu werden.

– Kann sein . . . kann sein . . . Der »Russische Bote« schlägt übrigens seit einiger Zeit auch, um mich modern auszudrücken – ein Bißchen aus.

Kallomeyzew fing laut zu lachen an, ihm schien es, daß es sehr komisch gesagt war: »schlägt aus« und noch dazu ein »Bißchen.« – Mais c’est un journal, qui se respecte, – fuhr er fort. – Und das ist die Hauptsache Ich – muß Ihnen gestehen – ich . . . interessire mich für die russische Literatur sehr wenig; es figurirt setzt in derselben allerlei plebejisches Volk. Man ist endlich so weit gekommen, daß gar eine Köchin zur Heldin eines Romans gemacht wird, eine einfache Köchin, parole d’honneur! Aber den Roman von Ladislas lese ich durchaus. Il y aura le petit mot pour rire . . . und die Richtung! die Richtung! Die Nihilisten werden mit Schimpf und Schande gebrandmarkt – dafür ist mir die ganze Anschauungsweise Ladislas’ Bürge – qui est très correcte.

– Aber nicht seine Vergangenheit – bemerkte Valentine Michailowna.

– Ah! jetous an voile sur les erreurs de sa jeunesse! – rief Kallomeyzew und erledigte sich auch des rechten Handschuhs.

Frau Ssipjagin kniff die Augen wieder zusammen. Sie liebte es, mit diesen wunderbaren Augen zuweilen zu kokettiren.

– Ssemen Petrowitsch – sagte sie, – erlauben Sie mir die Frage: warum gebrauchen Sie, wenn Sie russisch sprechen, beständig so viele französische Worte? Mir scheint, . . daß . . . verzeihen Sie, . . . daß es eine veraltete Gewohnheit ist.

– Warum? warum? Es können doch nicht Alle ihre Muttersprache so beherrschen, wie z. B. Sie. Was mich betrifft, so erkenne ich wohl die Sprache des offiziellen Rußlands, die Sprache der Verordnungen und Erlasse der Regierung an; auf deren Reinheit lege ich großen Werth! Ich beuge mich vor Karamsin! . . . Aber die russische, so zu sagen, alltägliche Sprache . . . existirt sie denn überhaupt? Wie würden Sie zum Beispiel meinen Ausruf – de tout à l’heure – übersetzen: »C’est un mot!?« Das ist – ein Wort!? . . . Ich bitte Sie!

– Ich würde sagen: das ist – ein treffendes Wort.

Kallomeyzew lachte laut auf.

– »Ein treffendes Wort!« Valentine Michailowna! Fühlen Sie es denn nicht, daß dies . . . nach dem Seminar schmeckt . . . Es schwindet ja alles Salz . . .

– Nun, Sie werden mich nicht umstimmen. – Aber wo bleibt denn Marianne?

Sie ergriff die Tischglocke und schellte; es erschien ein zur Dienerschaft gehörender Knabe.

– Ich hatte Marianne Wikentjewna in’s Gastzimmer bitten lassen. Ist es ihr denn nicht gemeldet worden?

Der Knabe hatte noch nicht Zeit gehabt zu antworten, als hinter seinem Rücken auf der Schwelle der Thür ein junges Mädchen mit kurz geschorenem Haar, in einem weiten, dunklen Morgenkleid, Marianne Wikentjewna Ssinetzky, von mütterlicher Seite eine Nichte Ssipjagin’s, erschien.

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