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Zweites Capitel

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Beim Anblick der Gäste, die sich in seiner Behausung befanden, blieb er auf der Thürschwelle stehen, ließ die Augen im Kreise umherschweifen, schleuderte die Mütze fort, warf die Bücher zu Boden – und ging auf das Bett zu, auf welches er sich dann schweigend niederließ. Sein hübsches, weißes Gesicht, das in Folge der rothbraunen Farbe des welligen Haares noch weißer erschien, drückte Unzufriedenheit und Erbitterung aus.

Maschurina, die sich ein wenig abgewandt hatte, biß sich auf die Lippen, Ostrodumow brummte: Endlich!

Paklin trat zuerst an Neshdanow heran.

– Was ist Dir, Alexei Dmitrijewitsch, Du Hamlet Rußlands? Hat Dich Jemand gekränkt? Oder ist Dir – ohne Grund – plötzlich so weh geworden?

– Hör’ auf, bitte, Rußlands Mephistopheles – antwortete in gereiztem Tone Neshdanow. – Ich bin jetzt nicht ausgelegt, mich in flachen Witzen mit Dir zu ergehen.

Lachend entgegnete Dieser:

– Deine Ausdrucksweise ist nicht ganz genau: was da flach ist, kann nicht witzig – was witzig ist, kann nicht flach sein.

– Nun gut, gut . . . Du bist ja natürlich der Kluge.

– Du aber bist in aufgeregter Stimmung, – sagte Paklin, die Silben nachdrücklich dehnend. – Ist denn wirklich etwas geschehen?

– Nichts Besonderes ist geschehen; – es ist nur das geschehen, daß man in dieser widerwärtigen Stadt, in St. Petersburg, die Nase nicht auf die Straße hinausstecken kann, ohne auf Flachheit, Dummheit, himmelschreiende Ungerechtigkeit, Blödsinn zu stoßen! Es ist geradezu unmöglich hier zu leben.

– Daher hast Du also in den Zeitungen angezeigt, daß Du eine Stelle suchst und auch nach Auswärts zu gehen bereit bist – brummte wieder Ostrodumow.

– Und werde natürlich mit dem größten Vergnügen von hier fortreisen! Wenn sich nur zuerst ein Narr findet – der mir eine Stelle anbietet!

– Erst muß man hier jedoch seine Pflicht thun – bemerkte Maschurina bedeutungsvoll, indem sie zur Seite zu blicken fortfuhr.

– Das heißt? – fragte, sich plötzlich zu ihr wendend, Neshdanow. Maschurina preßte die Lippen aneinander.

– Ostrodumow wird’s Ihnen mittheilen.

Neshdanow wandte sich zu Ostrodumow.

Dieser murmelte etwas zwischen den Zähnen und hüstelte, als wolle er sagen: »kannst warten.«

– Nein, ohne Scherz, – mischte sich Paklin hinein: – hast Du wirklich etwas Unangenehmes erfahren?

Neshdanow schnellte aus dem Bette empor, als hätte ihn etwas in die Höhe geschleudert.

– Was soll denn noch Unangenehmeres geschehen? – schrie er mit plötzlich klangvoll vibrirender Stimme.

– Halb Rußland stirbt vor Hunger, die »Moskauer Zeitung« triumphirt, der Klassicismus wird überall eingeführt, Studenten-Kassen verbietet man, überall Spionage, Verfolgung, Denunciationen, Lüge und Falschheit – nirgends ein Fleckchen, wo man hintreten könnte . . . ihm ist es aber noch immer zu wenig, es soll noch Unangenehmeres geschehen, er denkt, daß ich scherze . . . Bassanow ist arretirt, – fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: – man sagte mir’s in der Bibliothek.

Ostrodumow und Maschurina richteten Beide gleichzeitig die Köpfe in die Höhe.

– Lieber Freund, Alexei Dmitrijewitsch – begann Paklin, – Du bist aufgeregt – ich begreife es . . . Aber hast Du denn vergessen, zu welcher Zeit und in welchem Lande wir leben? – Es muß sich ja bei uns der Ertrinkende selbst den Strohhalm anfertigen, an den er sich anzuklammern gedenkt! – Ist’s denn jetzt an der Zeit, den Difficilen zu spielen?! Man muß, Freund, dem Teufel in’s Auge zu sehen verstehen, nicht aber sich kindisch ereifern . . .

– Ach, bitte, bitte! – fiel ihm Neshdanow, gleichsam ärgerlich klagend in die Rede und verzog das Gesicht, wie von innerem Schmerz durchzuckt. – Du bist natürlich ein energischer Mann – Du fürchtest Nichts und Niemanden . . .

– Ich und Niemanden fürchten?! – wollte Paklin erwidern . . .

– Wir den Bassanow nur verrathen haben mag? – fuhr Neshdanow fort, – ich begreife es nicht!

– Natürlich – ein Freund. – Das verstehen sie prächtig – diese Freunde. Da heißt es: Auf der Hut sein! Ich zum Beispiel, habe einen Freund gehabt – es war ein vortrefflicher Mensch, wie es schien; wie ist er um mich, um meinen Ruf besorgt gewesen! Eines Tages kommt er zu mir . . . – »Denken Sie sich,« ruft er: »was man für dumme Gerüchte verbreitet: man versichert, daß Sie Ihren Onkel vergiftet, daß man Sie als Gast in ein Haus eingeführt und daß Sie der Frau vom Hause den Rücken zugekehrt hätten und auch den ganzen Abend in dieser Stellung geblieben seien! Sie aber hat ob dieser Kränkung bittere, bittere Thränen geweint! – Ein solcher Unsinn! solcher Blödsinn! Nur ein Narr kann das glauben!« – Und was geschah? Ein Jahr daraus überwarf ich mich mit eben diesem Freunde. . . . Und da schreibt er mir in seinem Abschiedsbriefe: »Sie, der Sie Ihren Onkel umgebracht, – Sie, der Sie sich nicht entblödet haben, eine ehrenwerthe Dame zu beleidigen, indem Sie ihr den Rücken zugekehrt!« . . . 2c. 2c. – So sind, die Freunde!

Ostrodumow und Maschurina sahen einander an.

– Alexei Dmitrijewitsch! – platzte Ostrodumow in seinem schwerfälligen Baß heraus – er wollte dem unnützen Wortkram offenbar ein Ende machen – es ist aus Moskau ein Brief von Wassili Nikolajewitsch angekommen.

Neshdanow fuhr ein wenig zusammen und senkte den Blick nachdenklich zu Boden.

– Was schreibt er? – fragte er endlich.

– Was . . . Ich muß mit ihr . . . – Ostrodumow wies mit dem Blick auf Maschurina hin – nach Moskau.

– Wie? auch sie ruft man dahin?

– Auch sie.

– Woran liegt es denn, daß Ihr noch hier seid?

– Woran . . . selbstverständlich . . . am Gelde.

Neshdanow erhob sich und trat an’s Fenster.

– Ist viel nöthig?

– Fünfzig Rubel. . . Das ist das Wenigste.

Es entstand eine kleine Pause.

– Ich habe jetzt kein Geld – flüsterte endlich, mit den Fingern auf der Fensterscheibe trommelnd, Neshdanow, – aber . . . ich kann es schaffen. Ich werde es schaffen. Hast Du den Brief?

– Den Brief? Er . . . das heißt natürlich . . .

– Was versteckt Ihr Euch denn immer vor mir?

– rief Paklin aus. – Bin ich Eures Vertrauens denn wirklich unwerth? – Wenn ich auch nicht voll und ganz beizustimmen vermöchte . . . Dem, was Ihr unternehmt – glaubt Ihr denn wirklich, daß ich im Stande wäre, Euch zu verrathen oder etwas auszuplaudern?

– Ohne Absicht . . . vielleicht! – hörte man Ostrodumow’s tiefe Stimme.

– Weder mit noch ohne Absicht! – Fräulein Maschurina da sieht mich an und lächelt . . . ich sage Euch aber . . .

– Ich denke nicht daran zu lächeln – entgegnete grimmigen Tones Maschurina.

– Ich sage Euch aber, meine Herren, – fuhr Paklin fort, – daß Euch das instinktive Gefühl, welches die echten Freunde von den falschen unterscheiden lehrt, abgeht! Wenn der Mensch lacht, so meint Ihr auch gleich, daß jeder Ernst ihm fern ist . . .

– Ist’s vielleicht nicht der Fall? – fuhr Maschurina; zum zweiten Mal auf ihn los.

– Sie zum Beispiel – nahm Paklin mit erhöhter Kraft, ohne Maschurina einer Antwort zu würdigen, seine Rede auf, – Sie brauchen Geld . . . Neshdanow hat aber setzt kein Geld . . . So kann ich es geben.

Neshdanow trat rasch vom Fenster zurück.

– Nein nein wozu denn? Ich werde es schaffen . . . ich werde einen Theil meiner Pension vorausnehmen . . . Ich erinnere mich, sie sind mir schuldig geblieben. Aber hör’, Ostrodumow: zeig’ mir den Brief.

Ostrodumow blieb zuerst eine kurze Zeit regungslos auf seinem Platze; nachdem er sich darauf nach allen Seiten umgesehen, stand er auf, bückte sich mit dem ganzen Oberkörper zur Erde, streifte das Beinkleid in die Höhe und holte aus dem Stiefelschaft ein sorgfältig zusammengefaltetes Stück blauen Papiers hervor; nachdem er es herausgezogen, blies er darauf – wozu? wissen wir nicht zu sagen – und reichte es Neshdanow hin.

Dieser nahm das Papier, faltete es auseinander, las dessen Inhalt aufmerksam durch und reichte es dann Maschurina . . . Letztere erhob sich zuerst vom Stuhle, las den Brief und gab ihn darauf an Neshdanow zurück, obgleich Paklin die Hand darnach ausstreckte. Neshdanow zuckte die Achseln und händigte den geheimnißvollen Brief Paklin ein. Paklin durchflog das Papier und legte es, die Lippen bedeutsam aneinanderpressend, langsam auf den Tisch. Da ergriff Ostrodumow dasselbe, rieb ein großes Zündhölzchen an, das starken Schwefelgeruch um sich verbreitete, hob dann den Brief, um ihn gleichsam Allen zu zeigen hoch empor, verbrannte ihn darauf, ohne sogar seiner Finger zu schonen, am Feuer des Zündhölzchens zu Asche und warf diese Asche endlich in den Ofen. Alle saßen während dieses Vorgangs stumm und regungslos, mit zu Boden gesenkten Blicken, da. Ostrodumow’s Gesicht hatte den Ausdruck thätigen Ernstes, böse und finster schien das Antlitz Neshdanow’s; gespannte Aufmerksamkeit sprach aus den Mienen Paklin’s, während Maschurina sich verhielt, als verrichtete sie eine heilige Handlung.

So vergingen ungefähr zwei Minuten. Darauf kam über Alle das Gefühl einer gewissen Verlegenheit. Paklin spürte zuerst die Nothwendigkeit, das Schweigen zu brechen.

– Wie bleibt es also? – begann er. – Nimmt man mein Opfer auf den Altar des Vaterlandes an oder nicht? Gestattet man mir, wenn auch nicht das ganze Geld, so doch wenigstens fünfundzwanzig oder dreißig Rubel darzubringen?

Neshdanow wurde plötzlich feuerroth vor Zorn. Die lange niedergehaltene Erbitterung schien ihren Höhepunkt erreicht zu haben . . . Die feierliche Verbrennung des Briefes hatte sie nicht gemindert, – es war, als hätte sein Zorn nur auf einen Vorwand gewartet, um zum Ausbruch zu kommen.

– Ich habe Dir bereits gesagt, daß es nicht nöthig ist, nicht nöthig . . .nicht nöthig! Ich lasse es nicht zu und werde es nicht annehmen. Ich schaffe das Geld, ich schaffe es gleich. Ich brauche keine Hilfe, von Niemand!

– Nun, Freund, – entgegnete Paklin – ich sehe, wenn Du auch ein Revolutionär bist – so bist Du doch kein Demokrat!

– Sage doch lieber gerade heraus, daß ich ein Aristokrat bin!

– Du bist auch wirklich ein Aristokrat bis zu einem gewissen Grade.

Neshdanow lachte gezwungen auf.

– Das heißt, Du spielst darauf an, daß ich ein uneheliches Kind bin. Deine Mühe ist vergebens, mein Lieber . . . Ich vergesse es auch so nicht.

Paklin schlug die Hände zusammen.

– Alex, ich bitte Dich, was ist Dir! Wie kannst Du meinen Worten eine solche Deutung geben! Ich erkenne Dich heute nicht. Neshdanow machte eine ungeduldige Bewegung mit Kopf und Schultern. – Hat Dich Bassanow’s Verhaftung so aufgeregt? – aber er ist doch selbst stets so unvorsichtig gewesen . . .

– Er hat aus seiner Ueberzeugung kein Hehl gemacht, – warf Maschurina mit finsterer Miene ein: – es steht uns nicht an, ihn zu verurtheilen!

– Ganz recht; er hätte nur auch an die Andern denken sollen, die setzt durch ihn kompromittirt werden können.

– Woher glauben Sie in solcher Weise von ihm sprechen zu dürfen? – ertönte jetzt der Baß Ostrodumow’s: – Bassanow ist ein Mensch von festem Charakter; er wird Niemanden verrathen. Was aber die Vorsicht betrifft . . . wissen Sie? es ist nicht Jedem gegeben, vorsichtig zu sein, Herr Paklin!

Paklin fühlte sich gekränkt und wollte ihm etwas entgegnen, aber Neshdanow hielt ihn zurück.

– Meine Herren! – rief er aus, – thut mir den Gefallen und laßt die Politik auf kurze Zeit bei Seite! Es entstand eine Pause.

– Ich habe heute Skoropichin gesehen, – fing Paklin endlich wieder an, – aller Reußen Kritiker und Aesthetiker und Enthusiast. Was für ein unerträgliches Geschöpf! Ewig kocht und zischt es in ihm wie in einer Flasche gemeinen, süßlichen Kwasses . . . beim Laufen hat sie der Kellner statt des Pfropfens mit dem Finger verstopft, im Halse der Flasche ist eine angeschwollene Rosine stecken geblieben – es pfeift und spritzt aus derselben – wenn aber der Schaum heraus ist – so bleiben auf dem Boden nur noch einige Tropfen einer höchst garstigen Flüssigkeit, welche Niemandes Durst zu stillen im Stande sind, sondern nur Bauchgrimmen verursachen können . . . Ein den jungen Leuten höchst schädliches Individuum!

Paklin’s Vergleich, so richtig und treffend er auch war, vermochte trotzdem Niemand von den Anwesenden zum Lachen zu bewegen. Blos Ostrodumow bemerkte, daß um die jungen Leute, welche sich für Aesthetik zu interessiren im Stande seien, zu klagen unnütz wäre, selbst wenn sie durch Skoropichin auch irre geleitet werden sollten.

– Aber ich bitte Sie, hören Sie doch – rief Paklin heftig aus – je weniger er Beifall fand, desto mehr pflegte er in Eifer zu gerathen – das ist freilich keine politische Frage, aber doch jedenfalls eine Frage von großer Bedeutung. Wenn man Skoropichin angehört, so ist jedes ältere künstlerische Werk schon einfach deshalb nichts werth, weil es alt ist . . . Aber in diesem Falle ist die künstlerische Produktion, die Kunst ja nur Sache der Mode – und es verlohnte nicht der Mühe, darüber noch ernstlich zu sprechen! Wenn nichts Hohes, nichts Ewiges in ihr enthalten ist – dann hol’ sie der Teufel! In der Wissenschaft, z. B. in der Mathematik: da werdet Ihr doch nicht behaupten, daß Euler, Laplace, Gauß triviale Größen seien, deren Zeit längst vorüber ist? Ihr seid deren Autorität anzuerkennen bereit – Raphael und Mozart aber sind Narren? und Euer Stolz lehnt sich gegen die Autorität derselben auf? Die Gesetze der Kunst sind schwerer zu ergründen, als die Gesetze der Wissenschaft, – ich gebe es zu; aber nichtsdestoweniger sind sie da – und wer sie nicht sieht, der ist blind; ob freiwillig oder unfreiwillig – das bleibt sich gleich!

Paklin schwieg . . . und Niemand öffnete die Lippen, als ob Alle den Mund voll Wasser genommen hätten – als ob sie sich seiner gewissermaßen schämten. Nur Ostrodumow brummte: – Und doch bedaure ich jene jungen Leute, welche Skoropichin irre leitet, nicht im Geringsten!

»Ah, Gott mit Euch!« dachte Paklin. »Ich gehe lieber fort!«

Er war zu Neshdanow gekommen, um ihm seine Gedanken über die Zustellung des »Polarsterns« (der »Kolokol« existirte damals nicht mehr) mitzutheilen – aber die Unterhaltung hatte eine solche Wendung genommen, daß er es für besser fand, diese Frage gar nicht zu berühren. Paklin hatte bereits seine Mütze in die Hand genommen, als im Vorzimmer plötzlich, ohne daß ein Geräusch irgend welcher Art vorausgegangen wäre, eine merkwürdig angenehme, männliche volle Baritonstimme ertönte, in deren bloßem Klange schon etwas ungewöhnlich Wohlanständiges, Wohlerzogenes, ja sogar ein gewisser Schmelz lag.

– Ist Herr Neshdanow zu Hause?

Alle sahen sich verwundert an.

– Ist Herr Neshdanow zu Hauses – wiederholte der Bariton.

– Ja – antwortete endlich Neshdanow.

Die Thür wurde leicht und bescheiden geöffnet, und es trat, langsam den glatt gebügelten Hut von dem wohlgebildeten, kurzhaarigen Kopfe ziehend, ein hoher, schlanker Mann von würdiger Haltung im Alter von ungefähr vierzig Jahren in’s Zimmer. In einem vortrefflichen Tuch-Paletot mit einem prachtvollen Biberkragen steckend, ungeachtet dessen, daß der April bereits seinem Ende entgegenging, – übte sein Auftreten auf Alle, auf Neshdanow, Paklin, ja sogar auf Maschurina und selbst auf Ostrodumow – durch das ungekünstelte Selbstgefühl seiner Haltung und die freundliche Ruhe seines Grußes große Wirkung aus. Unwillkürlich erhoben sich Alle bei seinem Eintritt.

Neu-Land

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