Читать книгу Wächter der Runen (Band 3) - J. K. Bloom - Страница 11
3 – Finnigan
ОглавлениеOben auf dem Deck umringen uns beinahe über hundert Soldaten. Ganz gleich, wohin ich auch blicke, die silberne Rüstung des Imperiums reflektiert das Licht der hoch am Himmel stehenden Sonne. Auf den Schulterklappen und der Brust prangt die weiße Lotusblüte, das Wappenzeichen des Imperiums.
Noch nie habe ich so viele Wachen gesehen, die in unsere Richtung gewandt stehen und auf das Kommen der Kommandantin warten.
Kora tritt mit kalter Miene an Deck und erst im Schein des Lichtes erkenne ich nun die Details der furchtbaren Brandnarbe, die die Hälfte ihres Gesichtes entstellt. Die einst blasse Haut schillert nun rosa, und hässliche wulstige Stellen lassen den Anblick beinahe monströs wirken.
Iain hat ihr wirklich ein Geschenk vermacht, das sie so schnell nicht vergessen wird.
Doch ihren Makel lässt sich die Kommandantin nicht anmerken. Stolz und selbstbewusst geht sie zur Planke, mit der wir das Luftschiff verlassen können. »Lieutenant Risp und Offizier Leuß, Ihr begleitet mich zum Imperator. Sorgt dafür, dass keiner unserer Gefangenen entkommt.«
Zwei Soldaten, die mit ihrer kaiserblauen Rüstung hervorstechen, treten nach vorne und befehlen den rangniedrigeren Blechköpfen, zu uns aufzurücken. Kora will sichergehen, dass Rave keinen weiteren Versuch wagt, sich zu befreien.
Mein Blick gleitet zu ihren blonden Haaren, die über ihre Schultern fallen und mich an das Sonnenlicht erinnern. Rave beobachtet das Szenario auf Deck. Auf ihren hohen Wangen erkenne ich graue Spuren. Sie müssen von dem Ruß in Tallel stammen, wo wir gekämpft haben, während ein Teil der Stadt in Flammen stand. Doch bei ihrem Anblick zieht sich mein Herz zusammen. Die Angst um ihr Leben wird mit jedem Schritt größer, den wir auf den Palast zu machen.
Was ist, wenn sie doch bei der Folter sterben sollte? Dann werde ich sie nie wiedersehen, und Danev …
Ich darf nicht daran denken. Um Rave und ihren Bruder hier rauszuholen, muss ich einen kühlen Kopf bewahren und den richtigen Moment abpassen, um eine Fluchtmöglichkeit zu ergreifen.
Rave hat den Kopf in den Nacken gelegt, da bereits vom Hafen aus der Palast zu sehen ist. Hohe, schmale Türme schießen in den Himmel und wirken wie Eiszapfen. Schwarze und weiße Steine zieren die Fassade und lassen den Palast wie ein abstruses Bild wirken.
Ich schlucke, als ich mir vorstelle, dass in diesen Gemäuern der Imperator auf uns wartet. Sein Antlitz ist mir bisher einzig von Gemälden und Bildern bekannt. Nur einmal habe ich ihn gesehen, als er auf einem hohen Podest stand und zu seinem Volk sprach. Sein wahres Gesicht kennt allerdings nur der engste Kreis, da er immer seine schwarze Rüstung trägt, wenn er sich der Öffentlichkeit zeigt. Doch wenn man Nuras Worten Glauben schenkt, scheint sein Körper sowieso keine menschenähnlichen Züge mehr zu besitzen, da die portes tenebra ihn bereits zerfressen hat.
Mein Atem geht hektisch, als mich die Soldaten nach vorne stoßen, sodass ich gezwungen bin, die Planke hinunterzulaufen. Wir werden von einer Schar Soldaten begleitet, die dafür sorgt, dass sich uns keine Möglichkeit zur Flucht bietet.
Als wir auf der großen, breiten Straße landen, die nicht weit vom Hafen entfernt liegt, werden meine Beine schwerer. Eine Zuschauermenge hat sich am Straßenrand angesammelt, die uns mit misstrauischen und feindseligen Mienen begegnet. Einige beschimpfen uns als »Verräter« oder »Gesetzesächter«. Als sie anfangen, Dinge nach uns zu schleudern, ist Ravass der Erste, der einen Stein an den Kopf geworfen bekommt. Er gibt keinen Laut von sich, verzieht nur schmerzerfüllt das Gesicht und sieht den tobenden Mann wütend an. An seiner Schläfe läuft ein Blutrinnsal hinab und tropft auf seine Lederrüstung. Dieselben graublauen Augen, die auch Ravanea besitzt, funkeln vor Zorn, und seine schwarzen, schulterlangen Haare kleben in seinem schweißnassen Nacken.
Rave scheint wegen der aufständischen Bürger beunruhigt zu sein und beginnt sich erneut in den Armen der Soldaten zu winden. »Ihr habt keine Ahnung, was ihr da tut!«
Ihre Verzweiflung lässt mein totes Herz verkrampfen. Wie können diese Menschen dem Imperium nur so blind vertrauen? Merken sie denn nicht, wie sehr es sie in Unterdrückung und Angst leben lässt? Obwohl wir genau wissen, dass wir für das Gute kämpfen, werden wir dennoch als Verbrecher betrachtet. So ungebührlich ich es auch finden mag, es wird keine Gerechtigkeit geben. Die Leute sehen, was sie sehen sollen. Das Imperium verbreitet Lügen über uns, damit wir für die gehalten werden, als die wir auch hingerichtet werden sollen.
Abschaum. Abtrünnige. Verurteilte.
»Ihr solltet diese Schlampe erhängen!«, brüllt eine üppige Frau, die wegen des Korsetts und des einfach genähten Kleides zum Mittelstand gehören muss.
»Kopf ab!«, schreit jemand von anderswo.
»Die Bestie soll sie fressen!«
Die Bestie? Was meinen sie damit? Ein Ungeheuer? So etwas gibt es in Amatea gar nicht. Vielleicht meint er damit lediglich einen übergroßen, starken Mann, der nur einmal zuschlägt, um jemandem den Tod zu bringen.
Ich bemühe mich, die Worte zu ignorieren und den Blick zu senken, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ravass tut genau das Gegenteil, indem er auch noch auf die Beleidigungen antwortet. Rave hingegen sieht die Zuschauer nur böse an.
Der Weg bis zu den Palaststufen kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Mir wird klar, dass das Imperium unsere Anwesenheit angekündigt haben muss, um uns zu demütigen. Doch dieses Gefühl will ich erst gar nicht an mich heranlassen.
Nachdem wir endlich die obersten Stufen erreicht haben, werden wir durch weißgoldene Flügeltüren in einen großen, hohen Raum gebracht. Dort empfängt uns ein schmächtiger Mann, der eine vornehme, einfarbige rote Robe trägt. Er besitzt kaum noch Haare auf dem Kopf, eher einen grauen Flaum. Seine Brauen liegen so tief, dass man meinen könnte, seine Lider wären zugeschlagen.
Er sieht uns alle nacheinander an. »Finnigan Bassett, Ravanea und Ravass Cahem, ihr seid wegen Hochverrats angeklagt. Der Imperator wird über euer Schicksal richten.« Er kehrt uns den Rücken zu und läuft in die große Halle hinein. »Hier entlang.«
Die Soldaten schieben uns weiter in den Palast, und mein Blick schweift durch den Saal. Die Decke ist so hoch, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um das obere Ende zu begutachten. Die Wände wurden mit einer wunderschönen Malerei versehen, auf denen die Eisberge von Amatea und die bedeutsamen Schlachten des Landes zu erkennen sind.
Doch obwohl der Saal sehr imposant ist, verstehe ich nicht, was er symbolisieren soll. Hier ist nichts bis auf die Kerzenleuchter und die beeindruckenden Bilder an den Wänden. Der Raum steht leer und dient wohl nur dazu, Gäste zu empfangen oder um jemanden willkommen zu heißen.
Als wir die Mitte erreichen, bleibt der kleine Mann mit der Robe stehen und berührt ein Runensymbol auf dem Boden, das ich zuvor gar nicht wahrgenommen habe. Es leuchtet weiß auf, und das Fundament beginnt unter unseren Füßen zu beben.
Angespannt warte ich, was als Nächstes passiert, merke jedoch gleichzeitig, dass unsere Körper in die Höhe steigen. Mit einem Blick nach unten entdecke ich eine Plattform, die uns nach oben schweben lässt.
»Der Thronsaal des Imperators liegt im höchsten Turm«, sagt der alte Mann.
Rave zieht die Augenbrauen zusammen. »Warum hat er ihn verlegt?«
»Das geht dich nichts an«, keift Kora, die sich noch immer hinter uns befindet.
Diese Plattform war versteckt im Boden, und auch das Runenzeichen habe ich beim Eintreten nicht wahrgenommen. Womöglich ist es beabsichtigt, dass der Thronsaal nicht aufgesucht werden kann, wenn man den Zugang nicht kennt.
Soll das also bedeuten, dass der Imperator, der mächtigste Mann auf dieser Welt, sich schützt? Aber vor wem? Allein seine Kräfte, die er durch portes tenebra erlangt hat, sind fast unbezwingbar. Zumindest denke ich das, nachdem mir Nura und die anderen Teilschöpfungen mehr über den Herrscher erzählt haben.
Die Decke öffnet sich und dahinter verbirgt sich eine Art Aufzugsschacht.
Wir steigen immer höher und höher, sodass ich das Gefühl habe, bei den Wolken anzukommen. Als die Plattform unter unseren Füßen endlich stehen bleibt, schieben sich schwere Steintore zur Seite und eröffnen den Weg in eine weitere Halle.
Silberblaue Säulen bilden einen Gang, an dessen Ende uns ein hoher Thron aus Eis erwartet. Über diesem ragt in Schneeweiß eine Lotusblüte bis zum oberen Ende und nimmt beinahe die gesamte hintere Wand ein. Sie ist aus einem seltsamen Material angefertigt, als wäre sie eine echte Blume.
Trotz der frostigen Farben in der Halle, die an die Kälte des Nordens erinnern, ist mir unglaublich warm.
Auf dem Thron sitzt eine Gestalt, die ich bisher nur von Reden kannte. Ich habe noch nie sein wahres Gesicht gesehen, da er sich in eine dunkle Rüstung hüllt – an seiner Seite prangt ein tödliches Schwert. Von Weitem kann ich rote Augen ausmachen, die durch den kleinen Schlitz in seinem Helm leuchten.
Nachdem wir die Säulen hinter uns gelassen haben, bleiben wir nur wenige Schritte vor den Stufen des Thrones stehen. Die Soldaten drängen uns noch näher an den Imperator, doch da rammt Rave ihre Fersen in den Boden. Angst und Panik treiben sie dazu, sich gegen die Griffe der Soldaten zu wehren.
Die Aura des Imperators ist stark und unglaublich angsteinflößend. Sie legt sich wie eine kalte Hand auf meine Haut und übt einen unangenehmen Druck auf ihr aus. Ich fröstle, obwohl ich das als totes Wesen gar nicht mehr so intensiv fühlen dürfte. Diese Macht, die ihn umgibt, kann nur von portes tenebra stammen.
»Wie schön, dass du den Weg wieder zu uns zurückgefunden hast, Ravanea«, hallt seine dunkle, beinahe schon unmenschliche Stimme durch den Saal. Ihr Klang verpasst mir eine Gänsehaut.
Rave zittert am ganzen Körper und blickt zu dem Imperator hinauf, dessen schwarze Rüstung ihm noch mehr Bösartigkeit verleiht. Doch statt zu antworten, schweigt sie und versucht weiterhin, sich aus den Griffen der Soldaten zu befreien.
Plötzlich sieht der Imperator in meine Richtung und ich zucke zusammen. »Finnigan, der Sohn von Ganora und Finnicars Bassett. Ich war ein wenig enttäuscht, als ich hörte, dass du von den Toten auferstanden bist.«
Kora tritt plötzlich vor. »Mein Imperator, ich habe nicht ahnen können, dass Ravatoria ihr Leben dafür aufgibt, um Finnigan wiederauferstehen zu lassen. Ich verspreche, dass …«
»Schweig!« Seine zornige Stimme lässt alles in mir gefrieren. »Ich habe dir die Aufgabe zuteilwerden lassen, Ravanea ausfindig zu machen und sie zurückzubringen. Zweieinhalb Jahre war ich mit dir geduldig gewesen. Als du schließlich die Chance dazu hattest, hast du versagt.«
Hat nicht eher der Imperator selbst versagt? Er konnte nicht ahnen, dass Ravatoria ihr Leben dafür opfert, um ihre Tochter zu beschützen. Aber vermutlich würde er dieser Ansicht niemals zustimmen, denn er ist der Herrscher und kann seine Urteile fällen, wie er möchte.
Obwohl die Situation keine Schadenfreude zulässt, amüsiert es mich dennoch, in Koras Gesicht zu sehen und dort die Scham zu erkennen, ihren Imperator enttäuscht zu haben. Wie sehr muss es an ihrem Stolz nagen, sich einzugestehen, dass wir ihr beim ersten Mal durch die Hände gerutscht sind?
Aber ich sollte mich nicht zu früh freuen. Diese Wut wird sie an Rave, Ravass und mir auslassen, sobald der Imperator sein Urteil gesprochen hat.
Für mich und Ravass gibt es keine guten Aussichten, für Rave womöglich noch weniger. Wir sind nur Abschaum für das Imperium und vermutlich wird der Herrscher sich dazu entscheiden, uns so unauffällig wie möglich zu töten.
»Aber darüber reden wir ein anderes Mal. Nun ist sie ja hier und den Todeskriecher und ihren Bruder hast du gleich mitgebracht. Was ist mit Aedificatis?«
Er kennt den wahren Namen des Erbauers? War er nicht immerzu geheim gewesen, einst von den Wächtern behütet? Ob portes tenebra ihm diese Information zugeflüstert hat?
Vielleicht handelt es sich beim Imperator auch gar nicht mehr um einen Menschen, sondern um ein Wesen aus den tiefsten Winkeln der Unterwelt. Allein seine Stimme bezeugt, dass in ihm etwas sehr Machtvolles, beinahe schon Übernatürliches steckt.
»Er ist mit dem Herrscher der Elemente geflohen«, gesteht Kora mit gesenktem Blick. »Ich habe nicht vorhersehen können, dass er uns angreift. Verzeiht mir, mein Imperator.« Sie fällt sogar aufs Knie und verneigt sich vor ihrem Gebieter.
Wenn selbst die Kommandantin ihm solchen Respekt zollt, wie gefährlich ist er dann wirklich?
»Der Herrscher der Elemente«, schnappt der Imperator auf. »Dann sind sie also alle hier. Die Wächter weilen nun wieder unter uns und dank ihres Erwachens wird es nun noch mehr Runenquellen geben, die wir ausgraben können.«
Um noch mehr Macht und Magie zu erschaffen, die irgendwann die ganze Welt zerstören – sofern kein Wächter vorher getötet wird.
Doch noch mehr Angst habe ich vor dem Urteil, das der Imperator nun fällen wird. Wenn ich nicht mehr in dieser Welt weilen sollte, wie kann ich dann an Raves Seite bleiben, um sie zu beschützen?
»Bis auf Danev«, ertönt plötzlich Raves Stimme, die sie mit einem rebellischen Unterton erhebt. »Sie wird sich niemals entsiegeln lassen.«
Vor einigen Wochen hatten Rave und ich uns getrennt, da sie nicht nur vor mir floh, sondern sich auch auf die Suche nach einer Tafel begab. Mit diesem Gegenstand kann man eine Teilschöpfung entsiegeln, um dieser den Körper zu überlassen, während die Seele im Inneren gefangen bleibt. Nura und der Erbauer haben diesen Status bereits erreicht, wodurch jedoch nun ihr Leben in Gefahr ist. Werden die Teilschöpfungen nicht wieder versiegelt, könnten sie durch ihren Tod die Welt ins Chaos stürzen.
Der Imperator gibt ein verächtliches Schnauben von sich. »Wir wissen, dass Nura die Tafel besitzt. Es war schlau von ihr, sie zu behalten, statt sie dir zu geben.«
Dann wäre Rave entsiegelt worden und Ravass und ich wären bereits tot.
»Ihr werdet sie auch niemals bekommen«, zischt Rave.
Der Imperator schnaubt verächtlich. »Sei dir da nicht so sicher. Durch zuverlässige Quellen habe ich herausgefunden, dass es möglich ist, Menschenkörper mit denen der Teilschöpfungen zu vereinen.«
Verdammter Mist, woher weiß er das? Hätte Iain uns davon nicht erzählt, wüssten wir es wohl selbst nicht. Der Herrscher der Elemente ist allerdings der Einzige, der dies jemals mit seiner Teilschöpfung vollzogen hat.
»Wer hat Euch davon erzählt?«, frage ich mit eiserner Miene.
Der Imperator dreht den Kopf wieder zu mir, und seine blutroten Augen, die wie zwei Punkte wirken, sehen mich düster an. »Die Teilschöpfungen sind stumpfer und naiver geworden. Sie haben vergessen, welche Macht portes tenebra wirklich innewohnt. Ich spüre sie im gesamten Imperium.« Er macht eine Pause, bevor er weiterspricht. »Aquerigra hat sich mit seiner Zurückhaltung selbst verraten. Er glaubte, es würde mir nicht auffallen, dass ein dreihundert Jahre altes Wesen auf der Welt wandelt. Doch auch er begeht Fehler und ließ in einem Moment der Unachtsamkeit sein Schild fallen, was ihn letztendlich enttarnt hat. Er bemerkte es nicht einmal, dass er bereits mit portes tenebra zu tun hatte.«
Ich erinnere mich an Iains Worte.
»Es gab einmal einen Kampf mit einer mächtigen Person aus dem Imperium. Sie war mit ›portes tenebra‹-Runen ausgestattet und zu meinem Bedauern so mächtig wie ich. Wir kämpften und obwohl ich über sie siegte, waren meine Wunden kritisch. Mein Körper war dabei zu sterben und er hätte sich wieder in seine vier Elemente aufgelöst. Also gab es nur noch einen Ausweg, sowohl ihn als auch mich zu retten. Seitdem sind wir immer unentdeckt geblieben, da niemand jemals durch unsere Verschmelzung erahnte, wer ich wirklich war.«
Ob der Imperator dies gemeint hat? Kämpfte Iain gegen jemanden, der bereits die Macht von portes tenebra in sich trug?
»Verstirbt eine Seele, kehren die schlimmsten Empfindungen und Erinnerungen ins Reich von portes tenebra.«
Das hat Aaron schon einmal erzählt. Seinen Namen in meinem Kopf auszusprechen, verpasst mir einen harten Magentritt. Noch immer sehe ich den Todeskriecher vor meinem geistigen Auge, am Boden liegend, in seiner Hand ein weißes Tuch, das einst zu seiner Vergangenheit gehörte. Ich wünschte, ich hätte ihn retten können. Er hätte bestimmt einen Ausweg für diese Gefangennahme gefunden.
»Diese Erinnerungen wurden mir zugeflüstert, sodass ich in Erfahrung brachte, dass der Mensch sich mit seiner Teilschöpfung verbunden hat«, erklärte der Imperator.
»Warum habt ihr dann nicht nach ihm gesucht?«, will Rave wissen.
»Er tauchte unter. So gut, dass selbst meine besten Sicarias ihn nicht fanden. Durch seine Magie hielt er sich versteckt, bis ich glaubte, dass er sich ebenfalls wieder in den Schlaf versetzt hat.«
Das würde funktionieren? Obwohl beide miteinander verschmolzen sind? Ob er sich da mal nicht irrt? Eine Antwort auf diese Frage hat allerdings nur der Erbauer.
»Wie naiv von dir!«, zischt Rave feindselig.
Wieso provoziert sie ihn auch noch? Natürlich hege ich gegen das Imperium und besonders gegen den Imperator einen Hass, aber nun zu rebellieren, würde die Situation nur verschlimmern.
»Ich weiß, dass Danev alles tun würde, um eine Entsiegelung zu verhindern. Deswegen wird es mir nicht weiterhelfen, wenn ich deinen Bruder und den Kopfgeldjäger hinrichten lasse«, erwidert der Imperator. Unter meiner eisigen Haut kann ich das Pulsieren von Blut spüren. Wie wird nun sein Urteil lauten? »Die zwei gehören dir, Kora. Ravanea bleibt bei mir im Westflügel.«
Wohnt dort der Imperator oder gibt es da noch eine weitere Folterkammer? Wieso trennen sie uns voneinander? Doch wenn Rave frei von Schmerz wäre, würde ich die Qual mit Kora in Kauf nehmen.
»Nein, nein, nein! Warte!«, schreit Rave plötzlich voller Panik.
Etwas schnürt mir den Hals zu. Sie werden mich von Rave trennen und dann ist es vielleicht das letzte Mal, dass ich sie sehe. Dabei habe ich geschworen, sie niemals mehr allein zu lassen.
»Finnigan ist der Mörder von Fiora. Ich habe der Kommandantin die Erlaubnis gegeben, sich an dem Tod ihrer Schwester zu rächen.« Seine rot glühenden Augen richten sich auf Ravass. »Und ihr Bruder ist aus dem Gefängnis in Massott geflohen, wofür er bestraft werden muss.«
»Bitte!«, fleht Ravanea, in deren Gesicht sich all die Verzweiflung widerspiegelt, die das Imperium in ihr hervorruft.
Was kann ich nur tun? Ich muss das irgendwie verhindern.
»Lasst sie gehen! Ihr habt doch bereits, was ihr wolltet.«
»Ich lasse Verbrecher nicht ungestraft davonkommen. Bringt sie weg!«, befiehlt er und die Soldaten setzen sich in Bewegung.
Plötzlich überkommt mich Angst, die sich in alle meine Glieder frisst. Ich blicke zu Rave hinüber, die mit ihren graublauen Augen ebenfalls zu mir schaut. Reflexartig wehre ich mich gegen die Soldaten, die mich von diesem Ort wegzubringen versuchen. Meine Beine zittern und mich überkommt Panik.
Es könnte das letzte Mal sein, dass ich sie sehe. Ein letztes Mal, dass ich ihre Stimme gehört habe. Ein letztes Mal, dass wir uns so nah sind.
Ich muss etwas tun. Irgendetwas, ganz gleich, wie aussichtslos auch diese Situation sein mag. Mit all meiner Kraft stemme ich mich gegen die Griffe, ignoriere den Schmerz der Rune an meinem Hals und schöpfe alles in mir hervor, was mein Körper zu bieten hat. Unter meiner Haut spüre ich ein brennendes Reißen, als würden meine Sehnen entzweigerissen.
»Rave!«, schreie ich, als noch mehr Soldaten in den Saal rücken, um mit anzupacken.
»Finn!«, erwidert sie in einem angsterfüllten Ton.
»Lass dich nicht unterkriegen«, keucht Ravass, den sie bereits auf die schwebende Fläche gezogen haben.
»Nein!«, brüllt Rave und tritt den Soldaten zwischen die Beine. Einen trifft sie so hart, dass dieser trotz seiner metallischen Schutzvorrichtung in die Knie geht und von ihr ablässt.
Das Blut rauscht in meinen Ohren und mir bleibt kaum Luft zum Atmen. Sie werden sie wegbringen, und ich weiß nicht, was sie dann mit ihr machen. Ich könnte es nicht ertragen, dass sie sie quälen oder ihr gar Schlimmeres antun. Erst letztens musste ich mit ansehen, was Reymond ihr zugefügt hat, als ich diesen dabei erwischte, wie er sie folterte.
Was würde das Imperium mit ihr machen? Der Westflügel klang nicht gerade wie ein Gefängnis, doch diesem Mörder und Tyrannen würde ich alles zutrauen.
»Schluss mit dem Theater«, gibt Kora in einem genervten Ton von sich und aktiviert die Rune an meinem Hals.
Der beinahe unerträglich brennende Schmerz kehrt zurück, gräbt sich durch meinen gesamten Körper, sodass ich aus Leibeskraft schreie.
Doch Kora lässt nicht locker. Sie verstärkt die Qual, kommt mir immer näher und hält dabei ihre Hand ausgestreckt vor sich, als führte sie eine Leine, an der sie immer fester zieht.
»Hör auf!«, dringt Raves verzweifelte Stimme zu mir. »Bitte!« Ich kann ein Weinen darin erkennen, was mir beinahe das tote Herz aus der Brust reißt. »Finn!«
Mir wird schwindelig und ich bemerke, wie mir durch den Schmerz Tränen über die Wangen laufen. Die Pein zwingt mich in die Knie und raubt mir jegliche Möglichkeit, einen Atemzug zu tun.
Ich will nicht sterben.
Nicht weil ich schon einmal über diese Schwelle getreten bin, sondern weil ich erneut versagt habe. Ich habe Rave nicht in Sicherheit gebracht und musste sie wider Willen dem Imperium überlassen. Es kann doch nicht sein, dass unsere Reise umsonst gewesen ist.
Nein, es darf nicht hier enden …
Nicht hier …
Schwärze umfängt mich, dann wird alles in eine endlose Stille getaucht.