Читать книгу Wächter der Runen (Band 3) - J. K. Bloom - Страница 13
5 – Finnigan
Оглавление»He!«, dringt es dumpf in meine Gedanken. »Finn! Wach auf!«
Meine Kehle ist rau und trocken, als hätte ich mir die Seele aus dem Leib geschrien. Ich öffne die Augen und bemerke das fahle Licht am Ende des Raumes.
Wehklagen, Wimmern und Schreie ertönen, die wohl von anderen Gefangenen durch die Gänge getragen werden. Mein Körper liegt auf einem kalten Steinboden, der mit verfaultem, feuchtem Heu bedeckt ist. In der Ecke meiner Zelle steht ein Holzeimer, in dem man offenbar seine Geschäfte erledigt. Der Geruch von Ausscheidungen, Blut und Schweiß liegt in der Luft, sodass dieser mich sofort an Massott zurückerinnert. Allerdings steht dieser Gestank schon eine Weile im Raum, was das Ganze noch intensiver werden lässt.
Angewidert atme ich nur noch durch den Mund und versuche trotz der schlechten Lichtverhältnisse etwas zu sehen. Aufgrund der Rune kann ich nicht einmal meine geschärften Sinne als Todeskriecher anwenden.
»Alles in Ordnung?«, sagt nun Ravass, der sich in meiner Nähe befinden muss.
Obwohl sich mein Körper wie verprügelt anfühlt, wende ich mich mit ächzenden Lauten der Stimme zu.
Er hockt in einer Ecke der Zelle und hat seinen Arm durch die Gitterstäbe gedrückt, sodass er mit einem Winken auf sich aufmerksam macht. Langsam gehe ich zu ihm hinüber und greife nach seiner Hand, die ich kurz drücke. »Es ging schon mal besser.«
»Kora hat nach dir getreten, als du bewusstlos geworden bist. Ich dachte schon, die hätte dir den Schädel zertrümmert«, erklärt er.
Als ich mein Gesicht untersuche, bemerke ich angeschwollene Stellen, die sich zu den weiteren Schmerzen am Oberschenkel, am Bauch und meinem Rücken gesellen. Kora muss wohl an mir ihre Wut ausgelassen haben, die sie noch immer für mich hegt, da ich ihre Schwester tötete.
Doch noch viel schlimmer erdrückt mich das Gefühl, dass Rave sich in den Händen des Imperators befindet. Was geschieht mit ihr? Werden sich weitere Narben auf ihrer Haut dazugesellen?
Der Gedanke, Rave verletzt und wehklagend in den Klauen des Imperiums zu wissen, bringt mich beinahe um den Verstand. Ganz gleich, wie aussichtslos diese Situation auch scheint, ich darf nicht aufgeben.
»Wir werden es schon hier herausschaffen«, muntert mich Ravass auf, was ich von ihm gar nicht gewohnt bin. »Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.«
Da bin ich ausnahmsweise einmal seiner Meinung. »Hast du schon eine Idee?«
Er schüttelt den Kopf und lässt sich hörbar gegen die Steinwand in seinem Rücken fallen. »Der Kerker ist beinahe genauso schlimm wie der in Massott. Allerdings sind die Folterer hier um einiges grausamer. Kora hatte mich auch schon einmal in ihrer Gewalt, weil sie den Aufenthaltsort von Rave herausfinden wollte. So standhaft ich auch war … ein paar Tage länger und ich hätte ihn ihr wohl verraten.«
Die Kommandantin hat kein Herz, vermutlich noch nicht einmal eine Seele. Sie ist ihrem Imperator treu ergeben und würde jeden für ihn töten. Sie kennt kein Mitleid und keine Gnade. Ich will gar nicht wissen, wie viele Hunderte von Menschen wegen ihr gestorben sind. »Wir sind also dem Tod geweiht.«
»Wenn wir uns nicht schnell etwas überlegen, dann schon.«
Die Hoffnung ist wirklich klein und wäre da nicht der Gedanke an Rave, der mich vorantreibt, hätte ich vermutlich längst aufgegeben. Eigentlich habe ich mich nur vom Tod wiedererwecken lassen, um für Rave weiterzuleben.
Um sie zu beschützen. Um sie vor dem Imperium zu bewahren. Um sie bis zum Ende zu begleiten.
Aber darin scheine ich erneut versagt zu haben, sonst wären wir nicht hier.
»Finn, die haben irgendetwas mit uns vor«, beginnt Ravass wieder und streicht sich nervös sein schwarzes, kinnlanges Haar zurück. »Ich habe gehört, wie Kora mit den Wachen über einen gewissen Roan gesprochen hat, der offensichtlich Pläne für uns hat.«
Neugierig hebe ich den Kopf. »Pläne?«, wiederhole ich.
»Keine Ahnung, was sie damit meinte, aber Kora wird wohl keinen Spaß mit uns haben.«
»Wieso nicht? Sie war doch darauf aus, uns bis zum Tode zu foltern.«
Ravass zuckt nur mit den Schultern, und seine dunkelbraunen Augen schimmern in den wenigen Lichtstrahlen. »Ja, aber vielleicht gibt es etwas Schlimmeres als Folter.«
Gibt es das? Wenn ja, was soll grauenvoller sein, als Schmerzen zu ertragen? Auch wenn ich nicht daran glauben will, spüre ich dennoch eine Gänsehaut auf meinem Körper.
»Wir werden sehen«, sage ich nur.
Uns besucht über Stunden niemand. Ravass und ich schweigen die meiste Zeit und hängen unseren eigenen Gedanken nach. Doch als Schritte am Ende des Ganges ertönen, werden wir beide hellhörig.
Schließlich entdecke ich Koras schlanke Gestalt und ihre leuchtenden blonden Haare. Ihre Anwesenheit versetzt mich in Alarmbereitschaft. Was hat sie nun mit uns vor?
»Holt sie da raus«, befiehlt sie und ich versuche die Chance zu erhaschen, mich den Wachen entgegenzustellen.
Als hätte die Kommandantin meine Gedanken gelesen, benutzt sie erneut die Rune, um Ravass und mir Einhalt zu gebieten. »Probiert es erst gar nicht. Dieser Ort wird euer Grab sein.«
Ich zische, als sich das Brennen meiner Wunden qualvoll durch meinen gesamten Körper zieht. Die Wachen umstellen mich, packen meine Arme und legen mir Ketten an, sodass ein Fliehen unmöglich ist.
Sie bringen uns aus dem Kerker, biegen um mehrere Ecken, bis wir in einer Kammer landen, die nach Blut und Erbrochenem riecht. Wir werden an eine Wand angekettet, die Arme rechts und links fixiert, genauso die Beine.
Kora bleibt mit einem süffisanten Lächeln vor mir stehen und legt ihre kalte, blasse Hand an meine Wange. Ich muss mich beherrschen, nicht in ihre Finger zu beißen. »Das hier wird dir gefallen, Todeskriecher.« Sie lässt von mir ab und wendet sich an eine der Wachen. »Bereitet ihn vor. Roan wird gleich hier sein.«
Wer ist Roan? Unser neuer Folterer? Wie kann Kora sich nur so eine Gelegenheit nehmen lassen? Vielleicht sollte ich mir darüber ernsthafte Gedanken machen, denn ich entwickle so langsam ein ungutes Gefühl bei dieser Sache.
»Was hast du vor?«, knurre ich.
Sie lacht böse. »Ich weiß, dass du dich nicht mehr vor dem Tod fürchtest, da du bereits gestorben bist, aber was würdest du sagen, wenn es etwas Schlimmeres als diesen gäbe?«
Ich werfe Kora einen nervösen Blick zu.
In meinen Augen gibt es nichts Schrecklicheres, als Menschen zu quälen oder sie über eine längere Zeit leiden zu lassen.
Der Tod ist kurz, schmerzlos und auch wenn er das Leben beendet, ist er für manche sogar ein willkommener Gnadenstoß. Die meisten Gefangenen sehnen sich wohl das Ende herbei, doch wenn ich etwas bewirken will, muss ich erst dieses Grauen hinter mich bringen.
Sobald ich einen Weg für Rave hier heraus gefunden hätte und vor einer Entscheidung zwischen ihr und mir stünde, würde ich alles Erdenkliche tun, um ihr Überleben zu sichern statt meinem.
»Was willst du damit bezwecken? Rache?«
Sie wendet sich wieder mir zu. »Rache?«, wiederholt sie überrascht. »Die habe ich bereits erhalten, als wir Ravanea gefangen genommen haben. Sie wird unvorstellbar leiden, wenn der Imperator sich höchstpersönlich um sie kümmert. Mag sein, dass ich kein Herz habe, aber unser Herrscher hat erst recht keines. Ravanea wird sich vermutlich mich sogar zurückwünschen.«
Ihre Worte machen mich rasend und ich spüre, wie sehr sich meine Brust hebt und senkt. »Was soll das heißen?«
Kora genießt das Entsetzen in meinen Augen, was ich an ihrem boshaften Lächeln erkenne. Ihr ist bewusst, dass ich mir die Schuld für die Gefangennahme gebe und die Kommandantin letztendlich doch das bekommen hat, was sie von Anfang an wollte. »Das verrate ich dir nicht. Und du wirst es auch mit in den Tod nehmen. Wer weiß, vielleicht folgt Rave dir ja auch bald.«
Ich versuche mich von den Ketten zu lösen, die laut klirren, als ich daran ziehe. Meine Wut auf Kora wird nur noch unermesslicher und es zerreißt mich innerlich, in dieser Situation hilflos zu sein. Wo sind die Berserker-Kräfte des Schattens, wenn man sie mal braucht?
»Postiert euch an den Ausgängen. Ich werde Roan Bescheid geben, dass alles vorbereitet ist«, befiehlt Kora und verschwindet durch eine Tür.
»Komm zurück!«, rufe ich und zerre erneut an den Ketten, doch die Kommandantin scheint meine Worte zu ignorieren.
»Ich glaube, das bringt nichts, Finn«, höre ich Ravass neben mir sagen. Seine Haltung wirkt erschöpft, als hätte er die Hoffnung längst aufgegeben, hier herauszukommen. »Wir bräuchten Hilfe von außerhalb, um den Gewölben zu entkommen, oder jemand muss sich opfern, damit der andere fliehen kann.«
Verärgert über seine Einstellung beiße ich die Zähne zusammen. »So ein Unsinn! Nichts ist unüberwindbar. Wir müssen nur den richtigen Moment finden.«
Doch Ravass lässt sich von meinen Worten nicht ermutigen. »Nicht wenn es um Baltora geht. Diese Festung ist zu gut bewacht.«
Bevor ich ihm erneut widerspreche, belasse ich es lieber dabei. Ich weiß, dass es kein leichtes Unterfangen wird, doch so einfach werde ich nicht aufgeben.
Was hat Ravass so plötzlich umgestimmt? Koras Drohung?
Als Stille zwischen uns einkehrt, sehe ich mich ein wenig im Raum um. Hier gibt es Folterinstrumente, massive, großflächige Holztische, an denen man Körper festbinden kann. Außerdem erhasche ich hinter einem breiten Schrank, der inmitten des Raumes neben der Streckbank steht, einen blubbernden Kessel, aus dem violettes Licht dringt. Was auch immer darin für eine Flüssigkeit ist, sie scheint gefährlich zu sein.
Ich wende mich wieder an Ravass. »Aber nun das Schwert in die Glut zu werfen, ist auch keine Option«, argumentiere ich mit einem alten amateanischen Sprichwort. »Warst du nicht vor wenigen Stunden noch zuversichtlich?«
Ravass hebt den Kopf und sieht mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Das war, bevor ich wirklich nachgedacht habe.«
»Nachgedacht worüber?«
Er senkt den Blick und atmet angespannt aus. »Nehmen wir mal an, wir würden es hier herausschaffen, gemeinsam mit meiner Schwester, was erwartet uns dann?«
Ich zucke mit den Schultern. »Wir finden Nura und die anderen, damit wir einen Plan schmieden können, um das Imperium zu stürzen«, antworte ich und es ist das erste Mal, dass ich meine Gedanken laut ausspreche, auch wenn sie größenwahnsinnig klingen.
»Und dann?«
Worauf will er hinaus? »Die Teilschöpfungen werden sich wieder in den Schlaf legen und …«
Ravass lacht freudlos auf, wobei er mich unterbricht. »Siehst du, genau das meine ich.« Ich verstehe gar nichts. »Wenn der Krieg gewonnen ist, werden Rave und du aus meinem Leben verschwinden. Maria ist tot, meine Eltern ebenfalls und mich zieht es noch nicht einmal in das Drecksloch nach Massott zurück. Ich habe keine Familie oder Bekannte, die es wert wären, weiterzuleben.«
Jetzt begreife ich, was ihn zum Aufgeben getrieben hat. Egal wie diese Sache auch ausgehen mag, Ravass wird zurückgelassen. Nicht einmal seine Schwester bliebe ihm, da sie als Teilschöpfung ebenfalls in den Schlaf versetzt werden würde. Die Schatten und ich würden zu Staub zerfallen, da Nura keinen Nutzen mehr aus mir ziehen könnte.
Er wäre allein. Allein mit seinen Wunden des Krieges, die vermutlich nie wieder heilen.
»Und was ist mit Eward?«
Er zischt verächtlich. »Der alte Mann kommt gut ohne mich zurecht.«
Ravass redet sich ein, keinen Sinn mehr darin zu sehen, für einen Ausweg zu kämpfen. Dabei würde es sich lohnen! Schon allein für Rave, damit sie und die anderen Teilschöpfungen gegen das Imperium siegen können. Ich hänge auch nicht mehr sehr an meinem Leben, doch für die Rettung dieser Welt würde ich alles tun, was in meiner Macht steht. Denn wenn wir nichts tun, werden wir untergehen.
»Aber allein um die Menschen zu retten, würde es sich doch lohnen, Ravass!«, appelliere ich an seinen Verstand.
Er schüttelt den Kopf. »Ich verfüge über keine besonderen Runen, geschweige denn über die Kräfte eines Schattens. Was soll ich da mit einem Schwert ausrichten?«
So ein sturer Esel! »Ravass, jetzt hör mir doch mal …«
»Einen wunderschönen guten Abend, die Herren!«, begrüßt uns eine junge, eitle Stimme.
Mein Blick gleitet erschrocken zum Ende des Raumes, unter dessen Türrahmen ein schlaksiger, in einen feinen Anzug gekleideter Mann steht, der vielleicht nur ein paar Jahre jünger als ich zu sein scheint. Seine Haare sind so schwarz wie die Nacht und sein Ausdruck besitzt eine finstere Aura. Durch seine blasse, fast weiße Haut kommen die dunkelbraunen Augen gut zum Vorschein.
»Wer seid Ihr?«, will Ravass mit ernster Miene wissen.
Auch wenn er erst einmal nicht gefährlich wirkt, überkommt mich das Gefühl der Furcht vor diesem halben Hemd dennoch.
Sein schwarzes Oberteil ist an den Ärmeln mit goldenen Rändern verziert und seine gesamte Ausstrahlung sagt mir, dass er zu den Edelleuten des Imperators gehört.
Nur was hat er hier unten zu suchen? Mit seinem gehobenen Auftreten wirkt er vollkommen fehl am Platz.
»Mein Name ist Roan und ihr seid meine beiden Testopfer, die ich benötige, um ein ganz besonderes Experiment durchzuführen.«
Dann ist er derjenige, vor dem wir uns laut Kora in Acht nehmen sollen?
Wir sind also Versuchskaninchen? Für diesen dürren Kerl? Nach seiner Statur zu urteilen, hat er noch nie ein Schwert in seiner Hand gehalten, geschweige denn gekämpft.
»Ein Experiment für was?«, frage ich.
Er hebt amüsiert einen Mundwinkel. »Das werdet ihr noch früh genug herausfinden.« Er wendet sich zu den Soldaten hinter ihm, die ich erst jetzt wahrnehme. »Bereitet die Pumpe vor und bringt mir den Schwarzhaarigen.«
Damit ist Ravass gemeint. Sorgenvoll schaue ich zu ihm und muss mit ansehen, wie die Männer ihn von den Ketten losmachen, um ihn zu dem breiten Tisch hinüberzutragen.
Nur wenige Augenblicke später befindet sich Ravass’ Körper angekettet auf dem Holztisch, und der jüngere Kerl beugt sich über ihn, um ihn zu begutachten. »Er hat schöne Muskeln, aber leider hat sein Körper bereits zu viele Wunden ertragen.« Er grinst falsch. »Da war wohl jemand schon mal im Gefängnis, oder?«
Ravass antwortet nicht, sondern blickt Roan unerschrocken an.
»Verbrecher gehen meistens zuerst an meinen Experimenten zugrunde. Aber du hast Kraft, weshalb ich denke, dass du es überleben könntest.«
Großer Schöpfer, was hat er nur mit ihm vor? Das Gefühl von Hilflosigkeit wird immer schlimmer, je länger ich dabei zusehe, wie Ravass zu einem bedeutsamen Versuchskaninchen für Roan wird.
»Bringt mir das Messer.«
Messer?
Ein Soldat reicht ihm eine kleinere Klinge, die Roan nur wenige Sekunden später an Ravass’ Bauch ansetzt, um sein Leinenhemd durchzuschneiden. Als die Haut offen vor ihm liegt, stößt er die Spitze des Messers hinein, was den ersten Schrei seines Opfers auslöst.
Ich zucke zusammen und schaue weg, wobei mein ganzer Körper bebt. Wie lange wird Ravass das durchhalten müssen?
Schmatzende Geräusche erklingen in meinen Ohren, und ungewollte Vorstellungen lassen schreckliche Bilder in meinem Kopf entstehen.
»Das Elixier«, ruft Roan und ich sehe wieder zum Geschehen.
Ein Soldat bringt ihm in einem Glasbehälter etwas von der violetten Flüssigkeit, die er aus dem Kessel schöpft. Als Roan ihn in der Hand hält, lässt er das Elixier in die frische Wunde tröpfeln, als würde er flüssiges Eisen in eine Öffnung hineingießen.
Ich habe Ravass noch nie so laut schreien gehört wie jetzt, als das Zeug sein Gewebe berührt. Ein Stich regt sich in meinem toten Herz, während ich sein Leid am ganzen Körper wahrnehme. Er windet sich in seinen Fesseln, versucht sich von dem Schmerz zu befreien, doch ohne größere Magie wird er das niemals schaffen.
Mein Blick wechselt immer wieder zwischen dem wehklagenden Ravass und dem gehässigen Grinsen von Roan hin und her. Mitleid regt sich in mir und ich wünschte, ich könnte mich von diesen Ketten befreien, um Raves Bruder zu Hilfe zu eilen.
Roan wartet einen bestimmten Moment ab, der allerdings nicht zu folgen scheint. Er sieht mit unbeeindruckter Miene Ravass beim Leiden zu, als wäre er für ihn kein Lebewesen, sondern nur ein Objekt, das hoffentlich seinen Zweck erfüllt.
Als der Schmerz endlich etwas verebbt, beruhigt sich Ravass, doch sein Körper ist schweißgebadet. Seine Lider flackern, als müsste er ein hohes Fieber ertragen. Der Anblick bereitet mir nicht nur eine Heidenangst, sondern auch eine eiskalte Gänsehaut.
»Messer«, wendet sich Roan wieder an den Soldaten, der all seine Instrumente festhält.
Sie wollen den Prozess wiederholen? Kalter Angstschweiß läuft an meinen Schläfen hinab. Hat Ravass nicht genug gelitten?
»Bitte …«, krächzt dieser kraftlos.
Roan setzt erneut die Klinge an und bedient sich dieses Mal an seiner rechten Bauchseite, was ich allerdings nur vermuten kann, da mir einer der Soldaten die Sicht versperrt. Doch nach Ravass’ Zuckungen und Windungen zu urteilen, scheint er erneut Schmerzen zu erleiden.
»Das Elixier.«
Er wird ihn umbringen! Wie krank ist dieser Kerl? Was bezweckt er damit?
Ravass schreit erneut auf und in mir wird die Hoffnung, dem Imperium zu entkommen, immer kleiner. Wenn sie uns derart verletzen, wie sollen wir es da schaffen, überhaupt zu fliehen?
Ich lasse mich in die Ketten fallen. Mein Tod war im Vergleich zu dieser Scheußlichkeit ein Witz.
Mehr und mehr beginne ich zu verstehen, was Ravass vorhin gemeint hat. Durch die Folter werden wir nicht genug Kraft haben, um uns auf zwei Beinen hier hinauszubegeben. Selbst wenn uns nichts im Weg stünde, würden wir unser Ziel nicht erreichen. Solche Wunden müssten mit ›Heilungs‹-Runen behandelt werden, damit wir es wenigstens eigenständig herausschafften.
Aber nun, bei Ravass’ grauenhaften Anblick, sinkt meine Zuversicht um Längen.
Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich nur zusehen und nicht handeln. Ich weiß einfach nicht mehr weiter, habe keine Ahnung, wie ich die Situation in den Griff kriegen soll.
Ob Kora dieses Mal recht behalten wird? Ist dies unser Grab?
Es tut mir leid, Rave. Es tut mir so unbeschreiblich leid.