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Die Nachrichten
ОглавлениеSie sitzen, wie fast jeden Abend, im Wohnzimmer um den runden Esstisch, Mutter, Vater und Anna. Benni hockt im Schneidersitz auf seinem kleinen karierten Sitzkissen in seiner Ecke.
Mutter hat gerade seine Tupfenlieblingstasse mit dem heißen Kakao auf seinen selbstgebastelten Tisch gestellt, da dringt die Stimme aus dem Fernseher plötzlich lauter als sonst in Bennis Gedanken. Langsam hebt er den Kopf und schaut zur Gruppe am Esstisch.
Mutter, Vater und Anna sitzen bewegungslos da und starren auf die bunt flimmernde Mattscheibe des großen Flachbildschirms. Mutter legt die Hand an den Mund, auf Vaters Stirn bildet sich eine tiefe, steile Falte und Annas blaue Augen sind weit aufgerissen!
„Jetzt ist diese fürchterliche Pandemie auch in unserem Land angekommen!“, hört er die Mutter nach einer ganzen Weile des düsteren Schweigens sagen, und der Vater nickt langsam und bedeutungsvoll.
Benni hebt das Kinn und schnaufelt in ihre Richtung. Sie haben alle Angst – und dann ist da noch etwas, das er bisher bei seinen Familienangehörigen noch nie erschnaufelt hat: Ihre Gedanken jagen herum, wie wilde Bienen oder aufgescheuchte Vögel. All die Abende zuvor hat Benni schon immer wieder die Worte Epidemie oder Pandemie gehört, die er nicht kennt, und die ihn auch nicht sonderlich interessieren, nur wenn sie in dem flachen, großen Bild von dem Virus sprechen, hebt er jedes Mal den Kopf, steht auf, geht dicht vor die Mattscheibe und schaut sich die Gesichter an.
„Wer sind denn diese Leute, die da von dem Virus sprechen?“, hat er schon ein paar Mal gefragt, und dann hat ihm Anna immer geantwortet, dass das Nachrichtensprecherinnen oder -sprecher seien, die über die aktuelle Entwicklung einer sehr schlimmen Krankheit berichten. Benni hat dann immer genickt und ist, nachdem ihn seine Schwester über den Kopf gestreichelt hat, was sie eigentlich normalerweise nie macht, wieder in seine Ecke gegangen. Er hätte ihnen so gerne zugerufen: Habt doch keine Angst! Muttererde Terra will doch nur gesund werden! Aber stattdessen summt er dann meist leise vor sich hin. Er fragt sich schon manchmal, warum eigentlich nie der Globant, einer der Oilanten oder noch besser einer der Upgrounder spricht, aber wahrscheinlich haben die eben keine Nachrichtensprecher, sagt er sich dann ganz leise.
Aber heute Abend erscheint ihm seine ganze Familie wie die kleinen süßen Kälbchen in einem Stall. Sie sind eingesperrt, als wäre ihr Leben in Gitterstäben gefangen.
Er steht auf, geht zur Mutter und drückt sich kurz ganz fest an sie. Sie fasst ihn bei den Schultern und sieht ihn mit Tränen in den Augen an. „Du musst jetzt ein ganz starker großer Junge sein“, flüstert sie, „du kannst morgen nicht in die Schule und auch nicht übermorgen und überübermorgen. Deine Lehrer und Freunde siehst du nur über Skype und deine Aufgaben musst du zu Hause alleine mit deinen Büchern machen. Papa und ich gehen auch nicht zur Arbeit, wir müssen hier arbeiten und brauchen dann dazu unsere Ruhe.“
„Und Anna?“, fragt er. „Anna macht doch immer alles anders als ich“, hakt er nach, „was ist mit Anna?“
Für einen winzigen Augenblick huscht ein kleines Licht durch Mutters braungrüne Augen, sie schiebt eine Strähne ihrer braunen, schulterlangen Haare zur Seite und lächelt, doch dann ist ihr Gesicht wieder sehr ernst, und bedrückt antwortet sie: „Kein Kind darf mehr in die Schule und auch nicht mehr in die Kindertagesstätten, Benni. Es ist eine schlimme Krankheit in unserem Land, auf unserem Kontinent, ja auf der ganzen Welt, und wir sollten alle am besten zu Hause bleiben, hat die Regierung gesagt.“
Die Regierung?, denkt Benni und schüttelt heftig den Kopf. Laut sagt er: „Ich weiß! Muttererde Terra ist schwer krank und die Menschenmenschen müssen etwas lernen!“ Er geht in seine Ecke, nimmt ein Blatt Papier und beginnt zu malen. Sein Kopf ist wieder tief nach unten gesenkt, er ist voll konzentriert, denn er zeichnet jetzt die Natminder-Prinzessin.
„Benni!“ Die Stimme seines Vaters dringt etwas strenger und lauter als gewöhnlich zu ihm herüber. „Das ist sehr, sehr ernst und es ist nicht die richtige Zeit für deine Geschichten, hörst du? Du musst jetzt wirklich folgen und brav sein. In der nächsten Zeit dürfen wir nicht mehr einfach so nach draußen und da hingehen, wohin wir wollen. Hast du mich verstanden?“
Benni hebt den Kopf, und wenn die Menschenmenschen schnaufeln könnten, hätte sein Vater gespürt, wie tief verletzt Benni ist. Aber so sieht er Benni einfach nur streng und fordernd an. Benni nimmt das Blatt Papier, auf das er die Natminder-Prinzessin gezeichnet hat. Er hat sie seiner Familie zeigen und ihr alles erklären wollen, aber jetzt steht er auf und rennt, gefolgt von Mo, hinauf auf sein Zimmer. Er knallt die Tür zu und stellt zwei Stühle davor. Tränen steigen in seine Augen und sein Hals ist eng, aber er will nicht weinen, jetzt extra nicht, denn er muss doch stark sein! Er muss stark sein für seine Familie, für seine Oma, für all die vielen Naturwesen und für Muttererde Terra! Tief in seinem Herzen spürt er, dass sie ihn brauchen!
Benni schiebt die beiden Stühle wieder zur Seite, öffnet ganz vorsichtig und leise die Tür einen winzigen Spalt weit und lauscht.
Mutter und Vater reden hektischer als sonst. Er hört, wie die Mutter den Vater bittet, nicht so streng mit dem Jungen zu sein, er lebe nun einmal in einer anderen Welt, und wie der Vater daraufhin entgegnet, dass die Nachrichten in dieser schlimmen Zeit auch für Träumer wie Benni gelten würden und er befolgen müsse, was sie ihm sagten.
Behutsam schließt er die Tür wieder und setzt sich auf sein Bett. Nachrichten, Träumer, Nachrichten, Träumer, klingt es in seinem Kopf nach. „Weißt du, was Vater damit meint?“, sagt er zu Mo. Mo scharrt sanft an der Tür und da erinnert sich Benni, dass ja heute wieder die Versammlung auf der Wiese in dem kleinen Tal hinter dem Dorf ist.
„Wir müssen noch ein bisschen warten“, flüstert er Mo ins Ohr, „dann gehen wir zur Versammlung.