Читать книгу Der Virus-Code - J. Zgb. - Страница 8
Die Versammlung
Оглавление„Ein Menschschsch…, ein Menschschsch…“, donnert der Bergtyp mit dem kantigen Gesicht, und bei den nachhallenden Zisch-Lauten sprudelt ein Schwall Wasser aus seinem Mund.
„Das ist ja voll eklig“, ruft Benni aus und schnaufelt in die Richtung des Giganten. „Wer bist du denn eigentlich und warum fürchtest du dich vor mir?“, fragt er und betrachtet sein Gegenüber aufmerksam.
„Ich bin ein Globant!“, brüllt der Angesprochene stolz. „Was? Ich und mich vor dir fürchten?“ Er versucht so etwas wie ein Lachen, was sich aber bei ihm eher wie ein Bergrutsch anhört. „Du solltest vor mir erzittern“, donnert er furchterregend und schreitet auf Benni zu. Bei jedem Schritt schlenkern die Bartflechten an seinen zerfurchten Beinen hin und her, wie die Fahnen an einer Fahnenstange. Er bleibt dicht vor Benni stehen und rammt den Metallstab vor Bennis Füßen in den Boden, sodass Benni erschrocken zurückspringt.
„Ein Menschschsch…, ein Menschschsch“, flüstert es in der Runde.
Die sonderbaren Gestalten weichen zurück und bilden kleine Grüppchen. Dann kommen drei violett-graue Tropfengestalten auf Benni zu, sie strecken ihre langen Arme nach ihm aus und legen ihre ölig-schleimigen Hände auf Bennis Schultern und Arme.
„Nehmt sofort eure schmierigen Hände von mir!“, schreit Benni. „Ihr seid ja ober-eklig!“
„Schmierige Hände?“, wiederholt der größte von den violett-grauen Tropfengestalten. „Schmierige Hände?“ Und sein Tropfengesicht sieht wirklich nicht freundlich auf Benni herab. „Weißt du nicht, wer wir sind?“, schleimt er und verbiegt sich wie ein Fragezeichen.
„Nein, weiß ich nicht“, sagt Benni und sieht sein Gegenüber trotzig an, „aber du wirst es mir wohl gleich sagen!“
„Wir sind Oilanten, und ihr Menschen stehlt uns unser Öl. Ihr bohrt euch in unsere Welt hinein und nehmt uns unseren Lebensstoff weg“, sagt er. Dabei triefen bei jedem Wort kleine Ölbäche aus seinem Mund und bilden eine fette Öllache auf der Wiese.
„Reiß dich doch zusammen!“, faucht jemand hinter Bennis Rücken.
Benni dreht sich um und schaut geradewegs in zwei Rehaugen, die zu einem Geschöpf gehören, das halb Reh und halb Wolke ist. „Du versaust ja die ganze Wiese, das Gras kann doch keiner mehr genießen!“, zischt es den Oilanten an.
„Lasst uns doch diesen Menschenzwerg in den Erdenschlund werfen!“, schreit jetzt eine Meute ungestalter, erdiger Undergrounder, die sich aus dem Erdboden am Bachufer herauswühlen. „Er soll dafür büßen!“
„Ja, er soll dafür büßen! Wir werfen ihn in die Erdtiefen!“, schreien die aufgebrachten Oilanten und erdigen Undergrounder.
„Nein“, zirpt eine feine Stimme. Eine Elfe ist aus dem Blütenkranz von Muttererde Terra hervorgeflattert und umschwirrt den Jungen. Ihre zarten, durchsichtigen Flügel schlagen aufgeregt auf und ab. „Nein, tut ihm nichts zuleide“, zirpt sie, so kräftig sie nur zirpen kann, „ich kenne den Jungen. Er ist gar kein Menschenmensch. Das ist Benni, er kommt oft hierher und schaut uns Elfen und Trollen bei unseren Tänzen zu. Er ist rein, er kann uns vielleicht sogar helfen!“
Benni sieht fasziniert auf das zierliche, blütenschimmernde Geschöpf. Er streckt seine Hand aus und die rosafarbene Blumenelfe setzt sich darauf.
„Du kennst mich?“, fragt er erstaunt. „Du weißt, dass ich euch so gerne zuschaue? Und ich dachte immer, ich hätte mich gut versteckt!“
„Ich weiß sogar, wo du wohnst“, sagt sie, schlägt ihre Flügel nach vorn und streicht mit ihren schönen, schlanken Armen darüber, um sie zu glätten.
„Dann stell mir doch mal deinen Freund vor!“ Muttererde Terra hat sich jetzt erhoben und winkt die beiden zu sich her.
Langsam geht Benni auf die wunderschöne, große Erdmutter zu und Mo folgt ihm, dicht bei Fuß.
„Setz dich“, sagt sie und sofort verschlingen sich zwei Baumwesen zu einem kleinen Holzsessel, auf dem es sich Benni gemütlich machen kann.
Die blütenschimmernde Blumenelfe macht einen kleinen Flughüpfer und stellt sich auf seinen Kopf. Sie muss Bennis braune Locken ein wenig auseinanderschieben, damit sie auch jeder sehen kann, dann zirpt sie: „Erzähl doch bitte von dir, damit dich alle kennenlernen!“
Nun berichtet er von sich und seiner Familie. „Ich heiße Benni Sonntag“, erklärt er, „wie der Sonntag.“ Er macht eine kleine Pause und schaut Muttererde Terra fragend an. Sie lächelt und winkt ihm mit der unteren linken Hand auffordernd zu, dass er weitererzählen möge. „Also“, setzt er die Familienaufzählung fort, „meine Mutter heißt Carola und mein Vater Ronald, dann gibt es da noch Anna, meine Schwester, meine allerbeste und liebste Oma Clara – und hier“, er beugt sich etwas vor und streicht über Mos Kopf, „Mo, meinen Deerhound. Er ist immer bei mir. Wir lieben beide die Natur und die Tiere, weshalb ich oft von zu Hause fortlaufe und hierherkomme, um den Naturgeschöpfen zuzusehen. Aber wer seid ihr?“, fragt er schließlich, nachdem ihm Muttererde Terra aufmerksam und ohne ihn zu unterbrechen zugehört hat.
„Wir sind die Vertreter der Welt“, antwortet Muttererde Terra. „Die Oilanten, die sich vorhin ein wenig ungebührlich dir gegenüber benommen haben, wohnen in den dahin-fließenden Ölschichten, tief unten in der Erde, doch viel weiter darunter, im Erdinneren, leben die Undergrounder. Ihre unbezähmbar starken Arme schieben die Lava aus den Tiefen nach oben, türmen Gebirge auf und lassen die Erdplatten wandern. Du hast sie ja schon kennengelernt, und auch wenn sie ein wenig ruppig sind, so dienen sie mit ihren Kräften und Schätzen doch den Menschen. Die schillernden und singenden Undinen bevölkern die Meere und lassen den Meerschaum über die Wellen sprudeln. Die Globanten, deren obersten Anführer du auch schon kennst, vermögen die inneren Erdkräfte zu vereinen, sie durchdringen alles, was glüht und dahinfließt – und endlich erstarrt.“
Benni lauscht schweigend, und mit weit geöffneten Augen und Mund saugt er jedes Wort von Muttererde Terra begierig ein. Kerzengerade sitzt er da und bei allen Gruppen, die ihm vorgestellt werden, nickt er und winkt ihnen grüßend zu.
„Die Upgrounder sind den Menschenkindern vertraut, denn sie beseelen die Tiere, eure Mitgeschöpfe der Erdoberfläche“, fährt Muttererde Terra fort. „Die Feen und Kobolde sind euch nicht wirklich fremd, und auch den Natminders könnt ihr Menschenwesen eher begegnen. Es sind dies die Elfen, Trolle und Naturgeister, von denen viele eurer Geschichten erzählen. Fast alle sind hier“, sagt sie und deutet auf die neuen Bekanntschaften dieses Abends, „nur die Gruppe der Universianer mit den Sylphen, den Gasanos und den Lichtalben fehlt noch“, schließt Muttererde Terra ihre Rede.
Benni erhebt sich und von jeder Gruppe tritt eines der Wesen hervor und sie verneigen sich voreinander.
Jetzt, da er direkt zwischen all den Wesen ist, sieht er, dass alle irgendwie verletzt sind. Einige tragen dicke Verbände, andere haben Pflaster aufgeklebt, wieder andere haben tiefe Narben – und manchen fehlt sogar ein Glied.
Benni wird plötzlich sehr traurig. Er muss gerade an die Kälbchen denken, die, eingesperrt im großen Stall, in den engen Eisengitterboxen ihre kleinen rosafarbenen Nasen an die Eisenstäbe drücken, wenn er vorbeikommt. Wenn niemand da ist, schleicht er sich immer in den Stall, hangelt mit seinem schlanken Arm durch das Tiergefängnisgitter, streichelt den Tieren über ihre warme, weiche Schnauze und tätschelt ihnen den Kopf. Manchmal summt er ihnen sogar ein Lied vor und dann kann er ihre Freude erschnaufeln. Er isst kein Fleisch, weil er es sich überhaupt nicht vorstellen kann, in eines dieser Geschöpfe hineinzubeißen. Seine Schwester lacht ihn dann immer aus und nennt ihn manchmal einen Kaninchenfutterdieb, weil er am liebsten Salat mag.
Er spürt es nicht, dass Tränen an seinen Wangen hinunterfließen. Erst als die kleine Blumenelfe mit ihren zarten Fingern eine Träne von seiner Wange pflückt, wird ihm bewusst, dass er weint. Etwas verlegen wischt er sich mit dem Jackenärmel über sein Gesicht und senkt den Kopf. Mo legt seine lange schlanke Pfote auf seinen Schuh und schaut zu ihm hinauf.
„Ich weiß“, murmelt Benni nach unten, an Mo gerichtet, „ich soll keine Heulsuse sein!“
„Das sind Perlen deiner reinen Kinderseele“, spricht ihn eine schimmernde Lichtalbe an, „die sind sehr kostbar und sie heilen schon eine unserer Wunden, denn du weinst sie wegen der Bosheit der Menschenmenschen.“
Eine Gestalt kommt auf ihn zu, die von so einem hellen Licht umgeben ist, dass Benni die Augen schließen muss. Dann spürt er, wie ihm etwas in die Hände gelegt wird, das sich wie Blätter anfühlt.
„Leg die Blütenblätter auf deine Augen“, spricht ihn eine sanfte, klare Stimme an, „dann kannst du mich anschauen, ohne dass du geblendet wirst.“
Benni blinzelt nach unten in seine Hand und sieht, dass zwei zartgelbe Rosenblätter darin liegen. Vorsichtig nimmt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger und legt sie sich auf die Augen. Jetzt kann er tatsächlich die Augen öffnen und die Gestalt anschauen. Sie sieht ein bisschen aus, wie er sich immer einen Engel vorgestellt hat, und noch bevor er fragen kann, sagt das Lichtwesen: „Ich bin ein Deva, ein überirdisches Wesen, und ich bin es, der dich hierhergeführt hat. Du sollst erfahren, wie es um eure Erde steht und dass wir keine andere Möglichkeit sehen, als einzugreifen. Die Wesenheiten von Terra, der Muttererde, sind krank, und alle ihre Kinder, Geschwister und Freunde leiden darunter!“
Benni schüttelt traurig den Kopf und sagt: „Aber wie soll ich euch denn helfen? Auf mich hört doch gar keiner! Die Menschenmenschen verstehen mich doch überhaupt nicht!“
„Lass das unsere Sorge sein“, antwortet der Deva, „du verstehst uns und kannst mit uns in Kontakt treten, und das allein ist entscheidend.“
Die Undergrounder werden unruhig und auch die Natminders fangen an zu rebellieren.
„Lasst uns jetzt endlich unsere Besprechung eröffnen“, ergreift da die Natminder-Prinzessin das Wort, „denn wir wissen ja nun, dass dieser Junge zu uns gehört!“
Der Globant tritt vor, hebt seinen Eisenstab und will gerade damit auf die Erde klopfen, da sausen oben vom Abendhimmel unzählige Sterne und Sternschnuppen herunter. Es quietscht leicht in der Luft, als würde jemand mit dem Auto eine Vollbremsung hinlegen.
„Puh, das war knapp!“, keucht eines der Sternenwesen, und die Zacken rotieren immer noch um seinen Kopf. „Fast wären wir vorbeigesaust. Diese dämlichen Satelliten und Raumstationen der Menschenmenschen versauen einem doch schier die ganze Flugbahn“, motzt der Sternentyp und rückt sich die Zacken seiner Sternenkrone wieder gerade. Seine Sternengesellschaft verneigt sich kurz vor Muttererde Terra, dann stellen sich alle oben – mit etwas Abstand zu den anderen – an den Rand der Wiese.
„Dann lasst uns jetzt beginnen“, gibt Muttererde Terra das Zeichen zum Start für die Besprechung.
Die Versammlung hat sich in einem großen Halbkreis um den Thron von Muttererde Terra aufgestellt, und Benni sitzt in seinem Korbsessel dicht neben ihr. Mo liegt mit der typischen Gelassenheit eines Deerhounds quer vor seinen Füßen. Hinter dem Thron von Muttererde Terra stehen zwölf Devas. Jeder von ihnen hält ein Buch in den Händen.
Der Globant tritt in die Mitte, stellt sich, den Rücken Muttererde Terra zugewandt, breitbeinig auf und schlägt seinen Eisenstab dreimal auf einen Stein, sodass es scheppert, als würde jemand einen verstimmten Gong ertönen lassen. „Der erste Ankläger erscheine!“, ruft er.
Ein Upgrounder tritt aus seiner Gruppe hervor, aber im selben Augenblick stellt sich ein Undergrounder neben ihn und schubst ihn zur Seite. „Mir gehört das Erstanhörungsrecht!“, knurrt er den Upgrounder an. „Schließlich haben wir veranlasst, dass diese Versammlung überhaupt zustandekommt!“ Er will gerade seine Anklagerolle ausrollen, da schreit ihn der Upgrounder an, es ginge doch wirklich nicht, dass die Unterweltler das Sprachrecht vor den Oberweltlern erhielten!
Benni dreht sich um und schaut auf die Reihe der Devas, die hinter Muttererde Terra stehen. Der größte der Devas lächelt etwas verlegen, dann ermahnt er jedoch den Undergrounder, sich wieder in seine Gruppe zurückzubegeben, denn die Reihenfolge sei von ihnen, den Devas, bestimmt worden und er solle einfach warten, bis er dran sei. Der Undergrounder brummt etwas vor sich hin und tritt schmollend zurück in seine Gruppe.