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Drittes Kapitel

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Während Martin Eden die Treppe hinunterging, fuhr seine Hand in die Rocktasche. Sie kam mit einem Stück braunem Reispapier und einer Prise mexikanischem Tabak wieder zum Vorschein, woraus er sich gewandt eine Zigarette rollte. Er sog den ersten Zug tief in die Lunge ein und atmete langsam den Rauch aus. »Bei Gott!« sagte er laut, mit Ehrfurcht und Staunen in der Stimme. »Bei Gott!« wiederholte er. Und noch einmal murmelte er: »Bei Gott!« Dann hob er die Hand zum Kragen, riß ihn ab und stopfte ihn in die Tasche. Ein kalter Staubregen fiel, aber er entblößte den Kopf und knöpfte sich die Weste auf, während er mit einer herrlichen Sorglosigkeit durch die Straßen schlenderte. Er bemerkte kaum, daß es regnete. Er war in Verzückung, träumte herrliche Träume und genoß in Gedanken noch einmal das soeben Erlebte.

Endlich hatte er die Frau getroffen – die Frau, an die er bisher so wenig gedacht hatte, weil er nicht dazu neigte, an Frauen zu denken, wenn er auch unbestimmt erwartet hatte, ihr einmal in der Zukunft zu begegnen. Er hatte neben ihr bei Tisch gesessen. Er hatte ihre Hand in der seinen gefühlt, hatte ihr in die Augen geblickt und den Schimmer einer schönen Seele gesehen – die doch nicht schöner war als die Augen, aus denen sie leuchtete, oder der Körper, der ihr Form und Ausdruck gab. Er dachte nicht mit Begehren an ihren Körper, was neu für ihn war, denn bei den Frauen, die er bisher gekannt, hatte er an nichts anderes gedacht. Aber ihr Leib war nicht solcher Art. Er dachte ihn sich nicht als Leib, den Übeln und Schwächen des Fleisches unterworfen. Ihr Körper war mehr als ein Gewand ihres Geistes, er war eine Ausstrahlung ihrer Seele, eine reine, anmutige Kristallisierung des Göttlichen in ihrem Wesen. Dies Gefühl des Göttlichen überraschte ihn. Es scheuchte ihn aus seinen Träumen und zwang ihn zu ernstem Nachdenken. Nie zuvor hatte er auch nur in Gedanken einen Hauch des Göttlichen empfunden, nie hatte er an das Göttliche geglaubt. Er war stets Freidenker gewesen und hatte gutmütig über die »Himmelslotsen« und ihr Gerede von der Unsterblichkeit der Seele gespottet. Ein Leben nach dem Tode hatte er geleugnet; es gab nur das Jetzt und Hier und dann ewige Finsternis. Was er aber in ihren Augen gesehen hatte, war die Seele – die unsterbliche Seele, die nie erlöschen konnte. Kein Mann, den er bisher gekannt hatte, und keine Frau hatte ihm je eine Botschaft von der Unsterblichkeit gebracht. Sie aber hatte es getan. Sie hatte sie ihm zugeflüstert im ersten Augenblick, als sie ihn anschaute. Während er durch die Straßen schritt, schwebte ihr Gesicht vor ihm, blaß und ernst, süß und empfindsam, mit einem Lächeln, so mitfühlend und sanft, wie nur die seligen Geister lächeln können, und so rein, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Ihre Reinheit traf ihn wie ein Schlag. Sie erschreckte ihn. Er hatte Gut und Böse gekannt, aber an Reinheit als Wesensausdruck hatte er nie gedacht. Und jetzt erkannte er an ihr, daß Reinheit der höchste Grad von Güte und Unschuld war, deren Summe das ewige Leben ausmachte.

Und sofort spornte sein Ehrgeiz ihn an, nach diesem ewigen Leben zu greifen. Er war nicht einmal wert, ihr das Schuhband zu lösen – das wußte er; es war ein Wunder und ein phantastisches Spiel des Schicksals, das ihm an diesem Abend ermöglicht hatte, sie zu sehen, mit ihr zusammen zu sein, mit ihr zu sprechen. Es war Zufall, nicht sein Verdienst. Er verdiente ein solches Glück nicht. Er fühlte sich ganz religiös gestimmt. Er war bescheiden und demütig, von der Erkenntnis seiner eigenen Kleinheit und Unwürdigkeit erfüllt. In solcher Gemütsverfassung drängt es die Sünder zum Beichtstuhl. Er war von seiner Sünde überzeugt. Aber wie die Geringen und Demütigen, wenn sie Buße tun, einen strahlenden Schimmer ihrer eigenen künftigen Größe sehen, so sah auch er einen Schimmer dessen, was er durch ihren Besitz erreichen würde. Die Vorstellung von diesem künftigen Besitz war jedoch unklar und verschwommen. Er war völlig verschieden von der Art Besitz, die er bisher gekannt hatte. Sein Ehrgeiz erhob sich in wahnsinnigem Flug, und er sah, wie er gemeinsam mit ihr die Gipfel des Lebens erklomm, seine Gedanken mit ihr teilte und sich mit ihr an schönen, edlen Dingen freute. Es war ein Besitz der Seele, von dem er träumte, von allem irdisch Groben geläutert, eine freie Kameradschaft der Geister, die er nicht in bestimmte Gedanken fassen konnte. Er dachte sie nicht. In dieser Sache dachte er überhaupt nicht. Sein Gefühl bemächtigte sich der Vernunft, er zitterte und bebte in nie gekannten Erregungen, trieb lustvoll auf einem Meer von Empfindung, wo selbst das Gefühl erhaben und vergeistigt war und ihn auf die Höhen des Lebens trug.

Er schwankte wie ein Betrunkener und murmelte laut und begeistert: »Bei Gott! Bei Gott!«

An einer Straßenecke sah ihn ein Schutzmann mißtrauisch an und bemerkte seinen wiegenden Seemannsgang.

»Wo hast du dir den Rausch geholt?« fragte der Schutzmann. Martin Eden kehrte auf die Erde zurück. Sein Geist war wie ein leichtflüssiger Stoff, der schnell beweglich alle Winkel und Ritzen füllen konnte. Der Anruf des Schutzmanns brachte ihn sofort zu sich, und er erfaßte die Situation klar.

»Der ist nicht schlecht, was?« antwortete er lachend. »Ich wußte gar nicht, daß ich laut redete.«

»Du wirst bald anfangen zu singen«, meinte der Schutzmann.

»Nein, das werd ich nicht. Gib mir ein Streichholz, und ich fahre mit der nächsten Bahn nach Haus.«

Er zündete sich seine Zigarette an, sagte gute Nacht und ging weiter. »Dem hab ich sicher einen Schreck eingejagt«, murmelte er. »Der dachte, ich bin betrunken.« Er lächelte und überlegte. »Das war ich wohl auch«, fügte er hinzu, »aber ich hätte nie gedacht, daß ein Frauengesicht dazu genügt.«

Er stieg in eine Straßenbahn, die von Telegraph Avenue nach Berkeley ging. Sie war überfüllt – lauter junge Burschen, die Lieder sangen und immer wieder den Kriegsruf ihres Colleges ausstießen. Er betrachtete sie mit Interesse. Es waren Studenten. Sie besuchten alle dieselbe Universität wie Ruth, gehörten derselben sozialen Klasse an wie sie, kannten sie vielleicht, sahen sie jeden Tag, wenn sie Lust dazu hatten. Er wunderte sich, daß sie keine Lust dazu hatten, daß sie ausgegangen waren, um sich zu amüsieren, statt heute abend in einem ehrerbietigen, bewundernden Kreis um sie zu sitzen. Seine Gedanken arbeiteten weiter. Er bemerkte einen jungen Mann mit schmalgeschlitzten Augen und schlaffen Lippen. Das ist ein Mistkerl, dachte er. An Bord eines Schiffes würde er einen Schleicher, einen Waschlappen, einen Schwätzer abgeben. Er, Martin Eden, war ein besserer Mann als dieser Bursche. Der Gedanke ermutigte ihn. Es war, als ob er ihn ihr näherbrachte. Er begann, sich mit den anderen Studenten zu vergleichen. Er wurde sich seines Muskelmechanismus bewußt und war überzeugt, daß er ihnen in körperlicher Beziehung überlegen war. Aber ihre Köpfe waren mit einem Wissen gefüllt, das sie befähigte, so zu sprechen, wie sie zu sprechen pflegte. Dieser Gedanke bedrückte ihn. Aber wozu hat man denn einen Kopf? fragte er sich heftig. Was die getan hatten, konnte er auch tun. Sie hatten das Leben in Büchern studiert, während er damit beschäftigt war, das Leben wirklich zu leben. Sein Kopf war genauso voller Wissen wie die ihren, wenn es auch eine andere Art von Wissen war. Wie viele von ihnen konnten wohl einen Taljereepknoten schlingen, ein Ruder bedienen oder Wache stehen? Sein Leben lag vor ihm ausgebreitet in einer ganzen Reihe von Bildern, Bildern von Gefahr und Kühnheit, Mühsal und Härte. Er erinnerte sich der Niederlagen und Schlappen seiner Lehrjahre. Soviel hatte er jedenfalls doch gewonnen: sie mußten später auch hinaus ins Leben und ihre Erfahrungen machen, wie er es getan hatte. Schön! Während sie damit beschäftigt waren, konnte er die andere Seite des Lebens aus Büchern lernen.

Als der Wagen die wenig bebaute Gegend durchfuhr, die Oakland und Berkeley trennte, hielt er Ausschau nach einem wohlbekannten zweistöckigen Gebäude, das an der Straßenfront das stolze Schild »Higginbothams Bar- und Kassageschäft« trug. An dieser Ecke stieg Martin Eden aus. Er starrte einen Augenblick auf das Schild. Es verkündete ihm mehr, als die bloßen Worte besagten. Es war, als ob aus diesen Buchstaben eine kleinliche, egoistische und tückisch berechnende Persönlichkeit hervortrat. Bernard Higginbotham war mit seiner Schwester verheiratet, und er kannte ihn gut. Er öffnete die Haustür und stieg die Treppe hinauf zum zweiten Stock. Hier wohnte sein Schwager. Das Geschäft befand sich unten. Ein Geruch von welkem Gemüse hing in der Luft. Als er sich durch den dunklen Vorplatz tastete, stolperte er über einen Spielzeugwagen, den eines von seinen zahlreichen Neffen oder Nichten hatte stehenlassen, und stieß mit einem Krach, der im ganzen Hause widerhallte, gegen eine Tür. Der Knicker! dachte er. Zu geizig, um für zwei Cent Gas zu brennen, damit sich seine Pensionäre nicht den Hals brechen.

Schließlich fand er den Türgriff und betrat ein erleuchtetes Zimmer, in dem seine Schwester und Bernard Higginbotham saßen. Sie war dabei, ein Paar alte Hosen ihres Mannes zu flicken, und er rekelte seinen mageren Körper auf einem Stuhl, während seine Füße in ganz ausgetretenen Filzpantoffeln von einem zweiten Stuhl herunterbaumelten. Mit dunklen, unehrlichen, stechenden Augen blickte er über den Rand seiner Zeitung hinweg. Martin Eden konnte ihn nie ansehen, ohne daß ihn ein Gefühl des Widerwillens überkam. Was seine Schwester in diesem Manne gesehen hatte, ging über seinen Verstand. Auf ihn wirkte er stets wie ein giftiges Gewürm, und er fühlte immer die Versuchung, ihn unter seinem Absatz zu zertreten. Eines schönen Tages schlage ich ihm doch in die Fresse, sagte er sich oft, um sich darüber zu trösten, daß er die Existenz dieses Mannes dulden mußte. Die wieselartigen, grausamen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an.

»Na?« sagte Martin. »Heraus damit!«

»Ich hab erst vorige Woche die Tür streichen lassen«, erklärte Bernard Higginbotham in halb jammerndem, halb keifendem Ton, »und du weißt, wie hoch der Gewerkschaftstarif ist. Du solltest besser achtgeben.«

Martin wollte antworten, sah dann aber ein, daß es zwecklos war. Sein Blick glitt über die unsagbare Gemeinheit dieses Menschen hinweg auf einen Farbendruck an der Wand. Er wunderte sich. Bisher hatte er ihm stets gefallen, jetzt aber schien ihm, als sähe er ihn zum erstenmal. Er war billig, das war es – billig, wie alles andere in diesem Hause. Seine Gedanken kehrten zu dem Heim zurück, das er soeben verlassen hatte, und er sah zuerst die Gemälde und dann sie, die ihn mit zarter Sanftmut angeblickt hatte, als sie ihm die Hand zum Abschied drückte. Er vergaß ganz, wo er war, ja, er vergaß die Existenz Bernard Higginbothams, bis dieser Herr fragte: »Du hast wohl einen Geist gesehen?«

Martin trat auf ihn zu und sah ihm in die kleinen, höhnischen, bösartigen, feigen Augen, und in seiner Vorstellung sah er wie auf einer Leinwand dieselben Augen, wenn ihr Besitzer unten im Laden stand und handelte – unterwürfig, schmeichelnd, voll öliger Liebenswürdigkeit.

»Ja«, antwortete Martin, »ich habe einen Geist gesehen. Gute Nacht. Gute Nacht, Gertrude.«

Er wandte sich zum Gehen, strauchelte aber über einen Riß in dem verschlissenen Teppich.

»Schmeiß nicht die Tür zu«, warnte ihn Herr Higginbotham.

Martin Eden fühlte das Blut in seinen Adern kochen, aber er bezwang sich und schloß vorsichtig die Tür hinter sich.

Herr Higginbotham sah seine Frau triumphierend an.

»Er ist betrunken«, erklärte er heiser flüsternd. »Ich habe es dir ja gesagt.«

Sie nickte resigniert.

»Seine Augen glänzten so«, gab sie zu. »Und er hatte keinen Kragen um, obgleich er mit Kragen weggegangen ist. Aber vielleicht hat er nur ein paar Glas getrunken.«

»Er konnte ja nicht auf den Beinen stehen«, versicherte ihr Mann. »Ich hab ihn beobachtet. Er konnte nicht über den Fußboden gehen, ohne zu stolpern. Du hast ja selbst gehört, daß er auf dem Vorplatz beinahe fiel.«

»Ich glaube, er stolperte über Alices Wagen«, sagte sie. »Er konnte ihn im Dunkeln nicht sehen.«

Bernard Higginbothams Zorn wuchs, und seine Stimme hob sich. Den ganzen Tag im Laden hielt er sich zurück, abends aber, wenn er mit seiner Familie zusammen war, behielt er sich das Recht vor, er selbst zu sein.

»Ich sage dir, dein Prachtkerl von Bruder war besoffen.«

Seine Stimme klang kalt, scharf und gebieterisch, und die Lippen prägten jedes Wort so hart wie eine Stanzmaschine. Seine Frau seufzte und schwieg. Sie war groß und stark, stets nachlässig gekleidet und stets müde von den Lasten, die sie zu tragen hatte: ihren Schwangerschaften, ihrer Arbeit und ihrem Mann.

»Das steckt in ihm, sage ich dir, er hat es von seinem Vater«, fuhr Bernard Higginbotham vorwurfsvoll fort. »Und er wird in der Gosse enden wie der. Das weißt du auch.«

Sie nickte, seufzte und nähte weiter. Sie waren sich einig, daß Martin betrunken heimgekommen war. Ihre Seelen hatten kein Gefühl für Schönheit, sonst hätten sie gewußt, daß die strahlenden Augen und das glühende Gesicht von der ersten Liebe des jungen Mannes erzählten.

»Er gibt den Kindern ein schönes Beispiel!« fauchte Herr Higginbotham plötzlich und unterbrach damit die Pause, die seine Frau verschuldet hatte und die ihn ärgerte. Zuweilen wünschte er fast, daß sie ihm mehr widersprechen würde. »Wenn das noch einmal vorkommt, dann muß er raus, verstehst du! Ich dulde die Sauferei nicht. Er verdirbt nur die unschuldigen Kinder mit seinen Ausschweifungen!« Der Ausdruck gefiel Herrn Higginbotham, er war neu in seinem Wortschatz und erst kürzlich aus einem Zeitungsartikel aufgelesen. »Das ist es, Ausschweifungen – man kann es nicht anders nennen.«

Aber seine Frau seufzte immer noch, schüttelte traurig den Kopf und nähte weiter. Herr Higginbotham machte sich wieder an seine Zeitung.

»Hat er Kostgeld und Miete für die letzte Woche bezahlt?« fragte er über den Rand seiner Zeitung hinweg. Sie nickte und fügte dann hinzu: »Er hat noch etwas Geld.«

»Wann geht er wieder zur See?«

»Wenn seine Heuer verbraucht ist, denke ich«, antwortete sie. »Er war gestern in San Franzisko, um sich nach einem Schiff umzusehen. Aber er hat noch Geld, und er ist wählerisch darin, auf welchem Schiff er anmustert.«

»Das steht einem solchen Rumtreiber an, vornehm zu tun!« schnaufte Herr Higginbotham verächtlich. »Wählerisch! So einer!«

»Er sprach von einem Schoner, der klargemacht würde, um irgendwohin ins Ausland zu fahren und nach vergrabenen Schätzen zu suchen, und daß er mit dem segeln wollte, wenn sein Geld so lange reichte.«

»Wenn er nur mal Ruhe geben würde, dann könnte ich ihn als Kutscher gebrauchen«, sagte ihr Mann, doch ohne eine Spur von Wohlwollen im Ton. »Tom ist gegangen.« Seine Frau sah ihn besorgt und fragend an.

»Ist heute abend gegangen. Wird für Carruthers arbeiten. Sie bezahlen ihm mehr, als ich geben kann.«

»Ich sagte dir ja, daß du ihn nicht behalten würdest«, rief sie. »Er war mehr wert, als du ihm gabst.«

»Nun hör mal, Alte«, polterte Higginbotham. »Zum tausendstenmal sage ich dir jetzt, daß du dich nicht in meine Geschäfte mischen sollst. Jetzt sag ich’s dir zum letztenmal.«

»Das ist mir einerlei«, weinte sie. »Tom war ein braver Junge.«

Ihr Mann sah sie wütend an. Das war ungebührlicher Trotz.

»Wenn dein Lümmel von Bruder auch nur das geringste taugen würde, dann könnte er den Wagen fahren«, schnob er sie an.

»Er bezahlt aber doch Kost und Logis«, lautete die Antwort. »Und er ist mein Bruder, und solange er dir kein Geld schuldet, hast du kein Recht, ihn bei jeder Gelegenheit zu beschimpfen. Ich hab doch auch Gefühl im Leibe, wenn ich auch sieben Jahre mit dir verheiratet bin.«

»Hast du ihm auch gesagt, daß du was extra für Gas verlangst, wenn er noch weiter abends im Bett liest?« fragte er.

Frau Higginbotham antwortete nicht. Ihre Empörung erlosch, der Mut, den ihr müder Körper hatte aufbringen können, schwand wieder. Ihr Mann triumphierte. Er hatte sie matt gesetzt. Ein rachgieriger Ausdruck trat in seine Augen, während er sich an ihrem unterdrückten Weinen weidete. Es machte ihm großes Vergnügen, sie zu quälen, und sie ließ sich jetzt leicht unterjochen. In den ersten Jahren ihrer Ehe, als die große Kinderschar und sein ewiges Nörgeln ihre Lebenskraft noch nicht untergraben hatten, war es anders gewesen.

»Also du sagst es ihm morgen, erledigt«, sagte er. »Und ehe ich es vergesse, laß morgen Marian kommen, damit sie auf die Kinder achtet. Da Tom gegangen ist, muß ich selbst den Wagen fahren, und du mußt dich darauf einrichten, den ganzen Tag im Laden zu stehen.«

»Aber morgen ist Waschtag«, protestierte sie schwach.

»Dann steh früh auf und wasch vorher. Ich fahre erst um zehn.«

Er raschelte boshaft mit der Zeitung und begann wieder zu lesen.

Martin Eden: Vollständige deutsche Ausgabe

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