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We are not amused – das finden wir gar nicht lustig

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Ich weiß, ich weiß, es gibt keinen Beweis dafür, dass Königin Victoria diese Worte je gesagt hat, aber offen gestanden finde ich das nicht so wichtig, denn sie fassen, so oder so, doch ganz gut den Geist der Epoche zusammen, die ihren Namen trägt. Auf viele von uns übt das Großbritannien des 19. Jahrhunderts heute eine einzigartige Faszination aus. Für den Großteil der Gesellschaft damals war es ziemlich elend, wie es historisch immer der Fall war, doch für das Land an sich war es auch eine Zeit großen Wohlstands, die nicht nur einige der wohl schönsten Gebäude hervorbrachte, sondern auch die meisten Werte prägte, die heute als zutiefst britisch gelten. Selbst Ideale wie unser Wunsch nach weißen Weihnachten können bis hin zu den Werken von Charles Dickens zurückverfolgt werden, dessen Arbeiten die Periode widerspiegeln, die heute als Miniatureiszeit gilt. Es war auch der Beginn einer Kultur der Etikette und Korrektheit.

Fragt eine beliebige Zahl von Ausländern nach den charakteristischen Eigenschaften des Durchschnittsbriten, und ihr werdet mit Sicherheit ziemlich oft »Höflichkeit« zur Antwort erhalten. Wir haben uns den Ruf erworben, eine zuweilen aufreizend höfliche Gesellschaft zu sein, über die George Mikes, ein in Ungarn geborener Schriftsteller, der mit Mitte zwanzig nach London verpflanzt wurde, schrieb: »Wenn ein Engländer alleine an einer Bushaltestelle wartet, bildet er eine ordentliche Schlange von einer Person.« Diese neue Konzentration auf Etikette, vermutlich eine Nebenwirkung der aufstrebenden Mittelschicht, sorgte für die Herausbildung der äußerst konservativen Haltungen, für die wir bekannt wurden und von denen sich viele zu Qualitäten entwickelten, die wir jetzt (oft fälschlicherweise) als männlich betrachten – wie zum Beispiel die Unterdrückung von Gefühlen. Der Einfluss der viktorianischen Epoche auf das, was heute mit ›britischen Werten‹ gleichgesetzt wird, war so stark, dass man leicht annehmen kann, wir wären immer schon prüde gewesen, emotional und sexuell unterdrückt, beleidigt ob der leisesten Andeutung von Unschicklichkeit. Aber geht nur mal zweihundert Jahre vor die Viktorianer zurück, und ihr werdet feststellen, dass die britische Literatur zu dieser Zeit ziemlich versaut war. Und ich meine keinen Schmuddel von der Sorte »Huch, die Dame zeigt Knöchel«, sondern richtige Sauereien, die heute an den Fernsehzensoren nicht vorbeikämen. Seht euch nur diesen Auszug von John Wilmot, Earl of Rochester, aus dem Jahr 1672 an, A Ramble in St. James’s Park:

Had she picked out, to rub her arse on,

Some stiff-pricked clown or well-hung parson,

Each job of whose spermatic sluice

Had filled her cunt with wholesome juice,

Hätt sie, um sich den Arsch zu reiben,

’nen harten Kerl gewählt, ’nen gut bestückten Pfaff,

so würd die Mös nicht lange trocken bleiben,

wär schnell gefüllt mit zuträglichem Saft.

Wilmot starb acht Jahre später an einer Geschlechtskrankheit – woran auch sonst? Wenn das im 17. Jahrhundert als Poesie durchging (Poesie, ich bitte euch!), dann wage ich mir gar nicht auszumalen, wie Pornografie aussah. Geht noch weiter zurück in die Zeit von Chaucer, und ihr findet Sex und Obszönitäten an jeder Ecke. Was ich damit sagen will? Wir waren nicht immer die sexlosen, prüden Langeweiler, die in der Formulierung »britische Werte« mitschwingt. Vor noch nicht allzu langer Zeit sind wir mit unserer Sexualität ziemlich laut und offen umgegangen, doch die Viktorianer haben das Ihre getan, dem ein Ende zu bereiten. Wenn wir der Straße »was Poesie uns über unsere Geschichte lehrt« weiter folgen, dann ist Rudyard Kiplings »If …« – »Wenn …« – eines der berühmtesten Gedichte aller Zeiten – im Grunde eine Ode an die »stiff upper lip«. Veröffentlicht im Jahr 1895, erklärt es dem Leser, wenn er einer Reihe von Regeln folgt »und auch nicht klagst, wenn du verlierst«, dann »du, mein Sohn, wirst sein: ein Mann!«. Man kann wohl sagen, dass die Briten – besonders die Männer – zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem besten Weg waren, die emotional gestörten Wesen zu werden, als die wir sie heute kennen.

Boys don't cry

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