Читать книгу NOVA Science-Fiction 30 - Jack Vance - Страница 9

Horst Pukallus: Das lange Jahr der kurzen Tage

Оглавление

Denn das Volk und das Reich, das dir nicht dient, geht unter; ja, die Heidenvölker werden gänzlich vertilgt.

Bibel, Isaias 60,12

Siehe, wir werden auf das Volk dieser Stadt Rache vom Himmel hinabsenden für ihre Missetaten.

Koran, Sure 29,33

Die Tage sind kurz geblieben, dachte Sedigeros Deguello, aber das Jahr ist sehr lang gewesen.

Anders hatte es nicht sein können. Arethusa, Äquatorradius sechsunddreißigtausend Kilometer, rotierte schnell. Knapp zehneinhalb Stunden Neuer Zeitrechnung dauerte der Tag des Planeten, eines für Menschen eigentlich unwirtlichen Riesen, dessen düstergelbe, nur von Staub durchwallte, von kryophilen Organismen bewohnte Wasserstoff-Helium-Atmosphäre blaues Elektrogluten durchwetterte, die mondlosen Nächte erhellte. Eisige Sandstürme tobten über die ausgedehnten, steinigen Ebenen. Arethusa bot ausschließlich eine Attraktion: stark quarzhaltiges Erz, das die Raumfahrt für den Astro-DML-(Dunkle-Materie-Licht)-Funk brauchte. Die kurze Wellenlänge des DML, tausendmal schneller als die normale Lichtgeschwindigkeit, ermöglichte in Kombination mit der Dirac-Quantenteleportation zwischen den Sternen eine relativ zeitnahe Kommunikation.

Das Warten hatte, indem die Spannung wuchs und wuchs, das Jahr in die Länge gezogen. Arrogant hatte die KKK per Astro-DML-Funk den Anflug ihrer zwei Megalo-Orlogiganten der Stympaliden-Klasse ein Jahr im Voraus avisiert. Sie hegte keinen Zweifel an der absoluten Überlegenheit ihrer Ideologie und ihrer Waffen. Allerdings beanspruchte die Flugzeit tatsächlich ein Jahr: Raumfahrzeuge bewegten sich trotz ultramoderner Nexutron-Triebwerke, die virtuell-artifizielle polytachyonische Singularitäten n-dimensionaler Qualität erzeugten und die Stympaliden, gelenkt durch mit Neuroakzeleratoren ausgestattete Pavian-Biotron-Piloten und Plasmacomputer, quasi phasenperiodisch durchs Raumzeit-Kontinuum forcierten, langsamer als das DML. Daher konnte eine Astro-DML-Funknachricht einem Raumschiff allemal vorauseilen.

Aus dem Mare Solórzano, wo sich die Fokos-Schürfstätten über Hunderte von Quadratkilometern erstreckten – Roboter erledigten den Tagebau –, stieg das Erz in magnetisch zusammengeflanschten Containern per Strato-Lift bis an die Grenze zum All empor. Von dort verschoben automatisierte Effektorfeld-Bugsierer die Container-Konglomerate zu Satelliten-Sammelstellen, computergesteuerten Plattformkonstruktionen, an denen die Frachtraumschiffe der Klientel sie abholten. Gestört werden konnte diese umfangreiche Transportation nur durch Weltraumschrott, der infolge gelegentlicher, eigentlich harmloser Unfälle, die lediglich Sachschäden verursachten, in allerdings beträchtlichen Mengen entstand.

Als die Kosmo-Katholislamische Koalition, hinter deren religiöser Fassade sich freilich nichts anderes als eine Konzernokratie verbarg, die Stellare Union mit dem Ultimatum konfrontierte, das System α Sextantis (also die Fokos-Quarz-Förderung) an die KKK abzutreten und zu diesem Zweck ein Konkordat vorschlug, oder es durch militärische Gewalt zu verlieren, auf kompromisslose Ablehnung stieß, ergaben sich aus dieser Impertinenz ernsthaft brisante Folgen. Das Empireum, der Neo-Vatikan des aktuellen Jahrhunderts, kündigte die sofortige Entsendung seiner Megalo-Orlogiganten an, Corpus Christi und Corpus Muhammad, sowie ihre Ankunft in Arethusas' Orbit. Gegen eine solche Erpressung fehlten der Union jegliche Abwehrmittel.

Wenn ein Jahr begann, schien das Ende in weiter Ferne zu liegen. Vergleichbar verhielt es sich mit in so einem zeitlichen Abstand bevorstehenden Unannehmlichkeiten oder Gefahren. Obwohl man sie absehen konnte, nahm man sie zunächst nicht sonderlich ernst, und vielleicht erst nach Ablauf der halben Frist neigte man allmählich dazu – oder fühlte sich gedrängt –, Betrachtungen über das Unaufhaltsame und seine eventuelle Abwendbarkeit anzustellen. Dann trat erst schleichend, danach jedoch immer häufiger und unübergehbar, eine gewisse Beklommenheit ein, die sich mit der Zeit zu mehr oder weniger stetiger Beklemmung steigerte. Von da an regten sich unter den Betroffenen zusehends mehr Kräfte, die effektive Vorbeugungsmaßnahmen anstrebten. So verlief es auch in diesem Fall.

Früh hatte Sedigeros begriffen, dass er in seiner Eigenschaft als einzig dem Ultramentalen-Komitee verantwortlicher Chefkoordinator nicht zaudern durfte, bis sich unterschwellige Panik und Ansätze zur Hysterie erkennen ließen, aber auch die Klugheit gehabt, solange Zurückhaltung zu bewahren, bis er unterscheiden konnte, welche Personen für ihn als verlässliche Verbündete taugten. Es wäre möglich gewesen, sich auf seine Weisungskompetenz zu stützen. Aber er zog es vor, wirklich Entschlossene um sich zu scharen, also Mitarbeiter, die freies Denken betrieben, die Wahrheit in den Tatsachen fanden und in Bezug aufs Handeln eher zur Besonnenheit als zum Schneid neigten.

Er hatte sich zu der Vermessenheit verstiegen, dem Ultramentalen-Komitee und der Bevölkerung Arethusas sein Wort zu geben, dass ihnen nichts zustoßen sollte. Man vertraute ihm: Alle gingen schlichtweg ihren Aufgaben nach, während unaufhaltsam das Verderben nahte. Also durfte ihm kein Fehler unterlaufen.

Sedigeros saß inmitten des kugeligen Zentralen Funktionsraums der in der Syrtis Sarang Singa gelegenen Kuppel Pinaret D-13 an den Ortungskontrollen der Teleanalysatoren und Neutronenspektrometer. Der Funktionsraum hing wie ein gläserner Tropfen unter dem Scheitelpunkt der Kuppel. Die Finger des Chefkoordinators blieben den in die Armlehnen des Kommandosessels integrierten Sensortasten stets nah. Lautlos huschten dezentbunte Falschfarben-Rasterdiagramme über die Bildflächen der DNS-Computer. Im Fernbereich eingesetzte Patrouillensonden beobachteten die Orlogiganten seit ihrem Einflug ins System α Sextantis und übermittelten Funkdaten an Pinaret D-13. Den Anzeigen der Computer gehörte die Aufmerksamkeit der Kalkulantin Hidden Tsunami, obschon sie die Apparate nicht brauchte. Als Mathematik-Intuitionistin hatte sie eine direkt-integrale, auf das spatiale und temporale Gefüge des Universums und seine Schwingungen eingestimmte Psyche – anscheinend befand sie sich mit dem Kosmos in einem Zustand morphischer Resonanz – und erzielte im Kopf Rechenergebnisse deutlich schneller als die Computer. Arbeitete man mit ihr zusammen, verlief alles durchschaubar, schnell und verlässlich.

»Trotz der Bremsmanöver nimmt die Entfernung der Stympaliden zügig ab«, stellte Hidden fest. »Meines Erachtens treten sie schon in ein paar Minuten mit uns in Kontakt.«

Vor einiger Zeit hatte sich bei Sedigeros eine ausdauernde Liebe zu Hidden festgesetzt. Leider erwiderte sie seine Zuneigung nicht, ihr fehlten die Voraussetzungen. Sie litt an Alexithymie, völliger Gefühlsblindheit. Aber Sedigeros wusste, dass wahre Liebe keine Gegenleistung einforderte.

Die Kalkulatorin erlebte keine emotionalen Verwicklungen, während die meisten Frauen Arethusas’ sich als Doppelbräute betätigten, also zwei Männer hatten, überwiegend ohne mit ihnen zusammenzuleben. So führte Hidden auf jeden Fall ein ruhiges Dasein.

»Welche Daten übermittelt Dagger?« Orbitalexpertin Dagger Bismillahi, eine Frau mit nahezu drakonischem Durchsetzungsvermögen, arbeitete auf der anderen Hälfte des Planeten in der Kuppelstadt Wandyssa P-19 auf dem Mons Tymbandan. »Ich gehe davon aus, dass die Stympaliden nicht gleichzeitig mit Basilisk über uns eintreffen.«

»Die Daten ändern sich ständig, aber ich erkenne intuitiv, dass Basilisk sechs Minuten und zwei Sekunden später in Reichweite sein wird. Ist zu befürchten, dass die KKK uns unverzüglich unter Beschuss nimmt?«

»Und wenn schon …« Sedigeros zuckte mit den Schultern. »Was wir im Feuer verlieren, finden wir in der Asche wieder.« Er hatte so gesprochen, wie Hidden es sah. Sie kannte ja keine Furcht. Auf diese Weise fühlte er sich ihr vertraut.

Sein Blick schweifte durch das Transparent-Titan der Kuppel an den Horizont, den Wassereisgebirge säumten. Auf den vorgelagerten Methanseen, an deren Ufern in salzhaltigen Lachen Halophyten, Myzeten und Lichen wucherten, brannte mit Methanhydrat vermischtes Eis. Auf ganz Arethusa lagen mehrere Dutzend Kuppelbauten verteilt, jeder eine aufstrebende Mikropolis mit im Durchschnitt sechshundert Bewohnern, die nach Sedigeros’ Urteil Perlen in Muscheln glichen. Eine so gute Meinung hatte er von ihnen.

Als plötzlich dumpf krachende Erschütterungen durch Arethusas’ globale Kruste dröhnten, überraschten sie niemanden. Neue Geysire versprühten Verflüssigungen aller Art. Denn seit Jahrzehnten schlingerte ein Zombie-Stern, eine nach ihrer Explosion ausgebrannte Sonne, durch die Randzonen des Systems α Sextantis (dessen düsteres Hauptgestirn eine Leuchtkraft von lediglich 4m,5 hatte) und verursachte spürbare gravitatorische Störungen. Bei engster Annäherung des verirrten Schlackebrockens dehnte sich Arethusa aus. Deshalb hatten Architekten, Ingenieure und Techniker das Transparent-Titan mit semi-intelligenten, adaptiven Assistenzmodulen nachgerüstet, die bei höheren Belastungen diaphragmische Granulat-Kachelmosaike erzeugten, die durch adhäsive Dilatation eine ausreichende Elastizität sicherstellten und auf diese Weise Schäden abwandten.

Ursprünglich hatte man den Planeten als »Wagniswelt« eingestuft und Nastrond genannt, ein Name dubioser Herkunft, der angeblich eine »Stätte der Verdammten« bezeichnete. Später gestand man ihm, da er sich als Fundort des so außerordentlich bedeutsamen Fokos-Quarz erwies, die freundlichere Benennung Arethusa zu, also »Quelle«. Dadurch änderte sich nichts an der Tatsache, dass er sich für Menschen wenig eignete. Außerhalb der Kuppelstädte bedeuteten starke Schwerkraft und hoher Druck ein Problem. Vorerst konnte auf dieser Welt ohne den Schutz der Kuppeln, ihrer Innenatmosphäre und Gravo-Generatoren niemand überleben. Langfristige Planungen liefen hinaus auf eine gentechnische und adaptionschirurgische Anpassung der Arethuser an die Verhältnisse ihres Planeten. Durchstromlungen und Memory-Muskeln boten überzeugende Vorteile, aber der Gedanke an Facettenaugen stieß noch auf verbreitete Abneigung. Zusätzlich erfolgten im Rahmen eines kühnen Terraformingprojekts enorme Chlorophyll-Infusionen in die Atmosphäre. Chlorophyll enthielt Magnesium, das Hämoglobin im menschlichen Blut Eisen. Man hoffte, dass die elektromagnetische Strahlung der Sonnenenergie ihre Schwingungen auf ein mit Hydrometallogen angereichertes Hämoglobin übertrug und eine Ernährung durch Fotosynthese ermöglichte. Indessen fehlten dafür noch die biologischen Rezeptoren, zu deren Erlangung man an der Entwickelung totipotenter Zellen forschte. Allerdings galten diese Vorstellungen als sehr umstritten. Manche Forscher schätzten sie als unverwirklichbares Wunschdenken ein.

»Sie sind da«, sagte Hidden so leise, als geschähe nichts Besonderes. Sedigeros nickte. Die Ortung zeigte ihm Entfernung, Größe und die einfachsten Biodaten der Katechumenen genannten Besatzungen der Stympaliden an. Jedes der beiden KKK-Raumschiffe, die eine Länge von einem Kilometer aufwiesen, hatte Personal in Stärke von rund dreitausend Individuen an Bord: Menschen, cyborgische Chimären und biotronische Upcycling-Animalia. Die Orlogiganten hatten die Form eines Kegelstumpfs, den in gleichmäßigen Abständen mittig drei flache Ringe umgaben, in denen sich die Batterien der Schiffsartillerie befanden. Zahlreiche Antennen etlicher Mess- und Zielgeräte garnierten den Bug, die kleinflächige Seite.

Patrouillensonden wiesen den Ankömmlingen Parkorbitkoordinaten zu. Aus Hybris akzeptierte man sie ohne Einwände. Darauf hatten Sedigeros und seine Vertrauten Hidden und Dagger gebaut.

Die KKK hätte Robot- oder Telepräsenz-Raumschiffe schicken können, wollte aber wohl gerne den Triumph über einen schwachen Gegner aus der Nähe erleben. Sedigeros erachtete diese Entscheidung als schon im Grundsatz unklug. Indessen scherte sie ihn nicht.

Ein halblautes Läuten erregte Sedigeros’ Beachtung. »Und das ist die Kontaktaufnahme.« Sein Mittelfinger huschte über eine Sensortaste. Auf einem Monitor von sechzig Zentimeter Diagonale flackerten Pixel zu einem Konterfei zusammen. Anfangs hatte der Chefkoordinator einen pompösen Großbildschirm mit Holo-Ultra-HD-Qualität zur Verfügung gehabt, ihn jedoch demontieren lassen: Er mochte es nicht, wenn sein Gegenüber, und sah es nur scheinbar so aus, auf ihn herabglotzte.

Der Kommandeur der zwei Megalo-Orlogiganten thronte in seinem Admiralodrom wie ein antiker Pharao. Gekleidet in die magentafarbene Admiralsuniform, auf der Leuchtfasern mit Abbildungen multisakraler Symbole glommen und aus deren Ärmeln geriffelte weiße Manschetten bis auf die Knöchel fielen, auf dem Haupt, das eine bläuliche Holo-Gloriole umgleißte, einen roten, mit wohl kabbalistischen Zeichen verzierten Baschlik, auf der Brust ein Ankerkreuz-Medaillon, saß er in arroganter Haltung auf seinem protzigen Kommandeurssessel, dessen hohe, halbrunde, mit einem Rollenfries im Pain-brulé-Farbton gesäumte Rücklehne auf traditionellem, grau-weißem Granatapfelmuster das Auge Gottes im Strahlenkranz schmückte. Mit Guilloche-Gravuren versehene Raupenglieder bildeten die geschwungenen Armlehnen. Die verarbeiteten Materialien erregten einen kostbaren Eindruck. Und doch, trotz allem, wirkte er auf dem kleinen Bildschirm mickrig und unwichtig.

Konteradmiral-Imam Theophorus Asadullah L’Edefere, Nachfolger des glücklosen Admirals Chrestotes Rustam-Ali de la Forge (der noch heute den Spottnamen »Allahs Amboss« trug, weil die Intersolaren Guerillos des Autonomen Regionalsektors Pherhad und die Fedajin der Souveränen Enklave Al Tais ihn so oft geschlagen hatten), zählte für Götzengläubige zu den bekanntesten Theogonie-Heroen der Retheologisierung, für Liberalisten dagegen zu den berüchtigtsten Okkultkriminellen des Kosmos. Als Günstling des auch als »Lügenpapst« geschmähten »Reformtheologen« Primas-Kalif Kuschajim-Schelumiel II. stieg er schon in jungen Jahren vom schlichten Oblatenpater des Oblatorianer-Ordens zum Liturgikus und während langen Fronens auf zum Rhetor, Doktrinarius, Suggestor, Mystiker, Indoktrinator – extern bezeichnete man die Denkweise dieser Ränge als Stereoptype Normopathie – und zu guter Letzt zum Legaten. Dank der Protektion durch den Geheimdienstleiter des Empireums, des sogenannten Heiligen Schattens, von dem man nur hörte, dass er »Prophet« sein sollte, hatte er, als seinen Vorgänger Admiral de la Forge die Degradierung stürzte, von der Diplomatie nur einen kleinen Schritt zur militärischen Karriere vollziehen müssen. Seither war das Universum merklich gealtert.

»Ich begrüße Sie in Arethusas Orbit, Exzellmir.« Sedigeros bemühte sich um einen heiteren Tonfall. »Falls irgendwelche makroökonomischen mammonistischen Handelsvorhaben Sie zu uns führen, werden Sie enttäuscht sein. Wir benutzen ausschließlich Schwundwährung.«

L’Edefere verzog keine Miene, sondern breitete die Arme aus, als sähe er einen Grund, um Sedigeros zu segnen. »Im Namen Gottallahs des Allmächtigen: Giaur, ich verstehe Ihre Frage nicht. Ihnen ist mitgeteilt worden, wie unsere Forderung lautet.« Leider kannte er keinen Humor. Sein Ledergesicht sah nach Mottenfraß aus. »Wir sind Reflektanten auf das Fokos-Quarz. Sie müssen uns die Minen überlassen. Gottallah schaut Ihr Treiben und ist schnell im Rechnen.«

»Wir sind’s auch.« Und zwar in mehr als einer Hinsicht. »Sie dürfen Quarz gegen für uns wünschenswerte Güter eintauschen, so wie andere Interessenten es praktizieren. Stattdessen künden Sie an, uns auszuplündern.« Der Countdown tickte. Restzeit fünf Minuten einundzwanzig Sekunden. Sedigeros versuchte sachlich zu bleiben, konnte sich allerdings ein paar deutliche Worte nicht verkneifen. »Ist das Maß der Habgier und Schlechtigkeit, das man von der Koalition kennt, noch nicht voll? Ihnen müsste doch klar sein, dass Missgunst ein Irrweg ist, der nichts einbringt.«

»Ihre Bemerkungen grenzen an Blasphemie, Chefkoordinator.« Aus Frömmigkeit, also einer Mischung aus Hochmut und Demut, verdrehte der Konteradmiral-Imam die Augen an einen Himmel, der seinem Megalo-Orlogiganten ermangelte. »Es geschah in einem Augenblick prophetischer Entrückung, verursacht durch schrankenlose enthusiastische Gottesliebe, dass ich begriff: Wie kann es sein, dass Entartete etwas so Wertvolles raffen und es den Dienern Gottallahs verweigern? Denn Gottallah hat ja Macht über alle Dinge. Er hat eine Welt verheißen, deren ›Steine Eisen enthalten und aus dessen Gebirge du Erz hauen kannst‹.« Aus seiner Stimme troff salbungsvolle Verlogenheit. »Sie sind ein halsstarriges Völkchen mit verworfener Gesinnung. Daher rate ich, beachten Sie das Wort der Heiligen Schriften: ›Er fegt sie aus dem Lande fort und vernichtet sie, und die Erinnerung an sie verschwindet.‹«

Sedigeros wusste eher säkulare Gründe. Verschaffte L’Edefere der KKK das wegen seiner hochgradigen Mikrokristallinität begehrte Fokos-Quarz, ohne dass es sie viel kostete, ihr jedoch für die Zukunft enorme Gewinne verhieß, sicherte er sich endlich die seit Langem ausstehende Beförderung zum Admiral.

Der Chefkoordinator hätte L’Edefere entgegnen können, dass die Arethuser sich nicht als ›Entartete‹, sondern als Zetetiker verstanden. Aber er hielt es, um Zeit zu gewinnen, für angebracht, über etwas zu reden, was den Konteradmiral-Imam interessierte. Noch vier Minuten fünfundvierzig Sekunden.

»Bitte erklären Sie mir die Lage, Exzellmir.«

»Alles ist ohne Weiteres verständlich. Falls Sie nicht kapitulieren, sind Sie Kandidaten fürs Jenseits. Dann wenden wir unsere Universaldestruktoren an. Sie verfallen der Ekpyrosis, dem Kristalltod, werden verbrannt und zu Dschehannam versammelt.« Sedigeros verstand, was er meinte: Die Destruktorwaffe funktionierte durch zerfallsaktive Mineralien, deren Strahlen Organismen in Asche verwandelten. Leben verwehte in Wolken glutheißen Staubs. »Danach setzen wir die Akindschi ab.« Diese Söldnertruppe diente der KKK auf Provisionsbasis. »Auf diesem Wege machen wir Arethusa zu unserem Protektorat, so Gottallah will.«

Der Interkom-Apparat blinkte. Sedigeros’ Zeigefinger streifte eine Sensortaste. Auf einem gesonderten Laufschriftband des Monitors erschien Dagger Bismillahis Mitteilung, dass Basilisk in den vergangenen Minuten die Kuppelstädte M’bete Okeke L-27, Anakena Ekiti M-08 und Obdorsk E-21 überflogen hatte, sich also rasch näherte. Noch 3 Minuten 59 Sekunden.

»Will Gottallah es denn? Sie hätten keine Bedenken, Exzellmir, für Ihre Bestrebungen eine große Anzahl unschuldiger Menschen hinzumorden?«

»Glauben Sie mir, dass solche Entschlüsse nicht leicht gefällt werden. Ich habe zu Gottallah gesprochen und gefleht: Herr, erlaube mir die Sünde. Es sind doch Apostaten. Und Sein Schweigen besagte mir Zustimmung.«

»Das Ganze klingt mir, um ehrlich zu sein, nach einer Kannibalenhumoreske.« Es galt, Zeit zu schinden. »Exzellmir, Sie haben das Jenseits erwähnt. Stellen wir uns einmal vor, Ihre Waffen töten mich, und wir sehen uns dort wieder. Könnte das nicht problematisch sein?«

»Nein, überhaupt nicht. Dann werden Sie mir nämlich durch Gottallahs Gnade aus übergroßem Entzücken längst verziehen haben.«

»Darin sehe ich eine kühne Aussage, zumal Sie mich kaum kennen. Vielleicht bin ich gar nicht so versöhnlich. Bisher wüsste ich keinen Grund, um zu Ihnen eine gütliche Haltung einzunehmen. Ob mit oder ohne Gottallahs Billigung, Sie beabsichtigen Raubmord. Halten Sie sich denn für unfehlbar?«

»Unfehlbar ist nur Gottallah.«

»Wenn Sie fehlbar sind, können Sie sich irren.«

»Ich kann mich nicht irren, weil ich im Namen Gottallahs spreche.«

»Sie tun mir leid. Der Autoritäre ist immer ein verkümmerter Rebell. Vielleicht hatten Sie einmal die besten Ansätze.«

»Was für ein Unfug. Dann müsste der Rebell ja der verhinderte Autoritäre sein.«

»Keineswegs. Er ist die künftige Autorität. Nebenbei: Wir sind keine Rebellen. Wir verkörpern eine Gemeinschaft, die auf Eigenständigkeit pocht. Also Freiheit.«

»Wissen Sie, welchen Rat für uns in einem derartigen Fall die Genesis enthält?«

»Nein, Exzellmir. Aber ich möchte es durchaus erfahren.« Zwei Minuten achtunddreißig Sekunden.

»›Lasst uns den Träumer erschlagen, und wir werden sehen, was aus seinen Träumen wird.‹ Denn afflabit Deus, et dissipabuntor. Genau das ist es, worum unser Gespräch sich dreht.«

»Ach ja, Deus providebit.« Sedigeros merkte, dass L'Edefere stutzte. Vermutlich hatte er nicht angenommen, dass sein Verhandlungspartner Altsprachen beherrschte. Flüchtig lenkten Donnerschläge Sedigeros ab. Arethusas' kurze Tagesdauer entfesselte heftige atmosphärische Turbulenzen, weil Luftmassen unterschiedlicher Temperatur in ihrem Umwälzungsprozess nie zur Ruhe kamen und in der Folge häufig elektrische Großentladungen entstanden. (Darum krönte ein Kranz aus Blitzableitern und Antistatikfeld-Projektoren jede Kuppelstadt.) Das Gleißen grellen Gewitterns, Gespinsten ähnlich, zerriss die minus hundertdreißig Grad kalte Winternacht. Mit schroffem Prasseln zerschellten dicke Tropfen Methanregens an der metalloiden, molekularflexiblen Wandung des Gebäudes. »Ich habe den Eindruck, Sie sprechen nur für sich, Exzellmir. Allerdings findet zwischen uns und der KKK eine gefährliche Konfrontation statt. Erübrigen Sie kein Bedauern für die Menschen und sonstigen Lebewesen, die Ihrem Befehl unterstehen?«

L’Edefere schmunzelte geringschätzig. »Soll das eine Drohung sein? Was haben Sie bloß vor, Chefkoordinator?«

»Also wirklich, Götterliebling: Wenn Sie das Ende vorzeitig erfahren, wie könnten Sie dann verstehen, was geschieht?«

Der Konteradmiral-Imam wölbte die Brauen. »Und was sollte geschehen, außer dass Sie sich unterwerfen?«

»Es heißt doch im Buch der Sprüche: ›Der Frevler Weg ist wie finstere Nacht, sie wissen nicht, woran sie scheitern werden.‹ Gibt Ihnen das nicht zu denken?«

Sichtlich ärgerte es L’Edefere, von Sedigeros Zitate aus den eigenen folkloristischen Dienstanweisungen zu hören. In plötzlicher Nervosität zupfte er an seinen Pleureusen.

In diesem Augenblick verließ Basilisk den Planetenschatten. Die Drohne hatte die Beschaffenheit eines Zykloden von ungefähr zweihundert Meter Durchmesser. Noch zweiunddreißig Sekunden.

Sedigeros sah L’Edefere den Kopf zur Seite drehen. Auf einmal gellten im Hintergrund Alarmsignale. Anscheinend hatten die Instrumente der Stympaliden die Drohne erfasst. Vermutlich versuchten die Pavian-Piloten nun Ausweichmanöver einzuleiten, indem sie ihre mit der plasmatronischen Sensorsteuerung gekoppelten Neurochips benutzten, um die Reaktionen der Präventiv-Reflexautomatiken zu beschleunigen.

»Was ist das für ein absurdes Gebilde?« Verkniffen starrte L’Edefere in die Optik. Seine Stimme klang äußerst gereizt. »Hat der Gesteinigte Satan es geschissen?«

Sedigeros hatte genug von seinem kurios-spiritistischem Gerede. »Ich kann Ihnen bestätigen: Gewisse Entschlüsse werden nicht leicht gefällt. Das ›Gebilde‹ ist die Satellitendrohne Basilisk. Um einen störungsfreien Ablauf des Quarztransports zu gewährleisten, ist sie mit Impulskonzentratoren ausgerüstet, deren Stoßwellen Orbitalschrott vernichten. Für Basilisk gehören Ihre Raumschiffe in diese Kategorie.«

Mit einem Mal wirkte L’Edeferes Gesicht kalkig. »Hören Sie zu, Chefkoordinator … Vielleicht ist ja doch eine Einigung möglich, so Gottallah will. Beachten Sie, wir haben vieles zu bieten. Gottallah schenkt durchaus den Lohn dieser Welt.«

»Der Tod nimmt keine Geschenke an.«

L’Edeferes Bild zerstob. Sedigeros’ Gemüt verharrte in einem Zustand ungewohnter Härte und Kälte, von dem er sich wünschte, ihn nie, nie wieder erleben zu müssen, während die beiden Megalo-Orlogiganten in einem gewaltigen grellweißen Feuerball verglühten und ein riesenhafter Schwaden bald rötlichen Funkenflugs sich in Arethusas’ Orbit ausbreitete wie eine Siegesfahne.

Am Horizont der Syrtis Sarang Singa zeichnete sich fahle Dämmerung ab. Das Jahr ist lang gewesen, dachte Sedigeros. Aber die Tage bleiben kurz. Guten Morgen, Basilisk.

NOVA Science-Fiction 30

Подняться наверх