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Оглавление1. Der Bäcker und Soldat
Die ersten Lebensjahre ohne Parteibuch und SS-Uniform
1893–1932
Deutsches Reich, China, Japan
1.1 Der Geselle: Kindheit und Ausbildung, 1893–1913
Vom Hagenberg aus hatte man schon immer einen weiten Blick über die Höhen des Westerwaldes und des Siegerlandes bis hin ins Siebengebirge. Am Bergkegel vorbei führten seit dem Mittelalter die bedeutenden Handelswege Köln–Leipzig und Köln–Frankfurt. Grund genug für den Grafen Heinrich III. von Sayn, um das Jahr 1200 an dieser Stelle eine Burg zu errichten. Der Berg gab der „Hachenburg“ ihren Namen und später der dazugehörigen Stadt. Auch um die Wende zum 20. Jahrhundert herum war die zum Barockschloss erweiterte Burg noch der höchste Punkt der „Löwenstadt“.
Nicht weit entfernt, etwa 35 Kilometer nördlich von Hachenburg, liegt das westfälische Siegen. Hier bekamen die Eheleute Helene Haas (geb. Montanus) und Adolf Haas am 14. November 1893 einen Sohn. Sie nannten ihn Emil Gustav Ludwig Tillmann Hermann Adolf, riefen ihn aber nur Adolf.33 Etwa anderthalb Jahre nach der Geburt ihres Sohnes zog die Familie nach Hachenburg. Der Vater verkaufte seine Siegener Zigarren- und Tabakhandlung und wurde in der neuen Heimat Inhaber des Hotelrestaurants „Westend“, heute eine beliebte Pizzeria. Bekannt war das „Westend“ vor allem wegen der alten „Westendhalle“, in der zahlreiche kleinere und größere Feste gefeiert wurden.34 Hierher lud der nationalpatriotische Adolf Haas senior auch seine Kameraden vom „Kriegerverein Hachenburg-Altstadt“ ein. So auch am 14. November 1897 – genau am 4. Geburtstag seines Sohnes –, als der königliche Landrat im Namen von Kaiser Wilhelm II. dem Verein feierlich eine neue Fahnenschleife übergab. Von 1909 ist eine Ansichtskarte des Hotels überliefert, auf dem vermutlich die Familie, einschließlich des 15-jährigen Adolf Haas junior mit Schirmmütze, zu sehen ist.35
Ausschnitt einer 1909 versandten Ansichtskarte vom Hotelrestaurant „Westend“ in Hachenburg, auf der vermutlich die Familie Haas und Hotelangestellte zu sehen sind.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte der junge Adolf Haas seine Schulbildung nach acht Jahren Volks- und Realschule bereits beendet. In den folgenden drei Jahren erlernte er in Wiesbaden das Handwerk des Konditors und arbeitete danach in Barmen, Bad Kreuznach und Mannheim. 1913 stand sein 20. Geburtstag an und damit der Militärdienst.36 Im Oktober meldete er sich zur Kaiserlichen Marine in Cuxhaven, wohl in der Sehnsucht nach Abenteuern in der Ferne. Anregungen hatte er durch Bekanntschaften seiner Eltern mit Offizieren bekommen, die in Ostasien dienten. So lud Adolf Haas senior am 28. März 1914 in seinem Gasthaus beispielsweise zu einem Lichtbildvortrag über „China, Land und Leute“ ein.37 Sein Sohn war zu diesem Zeitpunkt bereits am anderen Ende der Welt.
1.2 Der Verteidiger: Der kurze Erste Weltkrieg in Tsingtau (China), 1913–1914
Die Beute stand schon lange fest, man suchte nur noch nach einem Vorwand, um loszuschlagen: Ende des 19. Jahrhunderts versuchte das wirtschaftlich und militärisch aufstrebende neue Deutsche Reich den Rückstand beim kolonialen Wettlauf der europäischen Industriestaaten aufzuholen und errichtete seit 1884 mehrere „Schutzgebiete“ in Afrika und in der Südsee. Von den wenigen Überseegebieten, die noch übrig waren, hatte derweil vor allem ein großes Land die Aufmerksamkeit von Kaiser Wilhelm II. und seinen Beratern erregt: China. Schon seit Jahren wollte man einen Hafen im „Reich der Mitte“ bauen, um es zu „durchdringen“, genauer gesagt, auszuplündern. Da kam der Mord an zwei deutschen Missionaren im November 1897 durch chinesische Banden gerade recht. Wilhelm II. ließ die chinesische Bucht von Kiautschou (Jiāozhōu) im Süden der Shandong-Halbinsel am Gelben Meer besetzen und erpresste von der Regierung Chinas einen Pachtvertrag für das „Schutzgebiet Kiautschou“. Eine beispielhafte Demonstration skrupelloser „Kanonenbootdiplomatie“. Die Hafenstadt Tsingtau (Qingdao) wurde zum bedeutenden Stützpunkt für das ostasiatische Kreuzergeschwader, zur Hauptstadt und zum florierenden, internationalen Wirtschaftszentrum der neuen „Musterkolonie“, in die man rund 200 Millionen Mark investierte.38 Die Verteidigung der Kolonie oblag einer „Schutztruppe“, die bis 1914 auf 2600 Mann angewachsen war. Darunter auch ein Matrosenartillerist aus Hachenburg.
Adolf Haas hatte während seiner Ausbildung in der „Stammabteilung der Marineartillerie-Abteilung Kiautschou“ in Cuxhaven von Oktober 1913 bis zum 12. Januar 1914 unter anderem gelernt, 15- und 30,5-Zentimeter-Artilleriegeschütze zu bedienen, Minen aufzuspüren und den Flaggendienst korrekt auszuführen.39 Noch zwanzig Jahre später sagten seine Vorgesetzten bei der SS, seine Haltung sei durch und durch „soldatisch“ gewesen, er hätte besonders die Kommandosprache und den Exerzierdienst beherrscht.40 Mit dem Dampfer „Patricia“ war Haas nach mehrwöchiger Fahrt über Singapur und Hongkong am 22. Februar 1914 in Tsingtau eingetroffen und wurde in den Iltis-Kasernen einquartiert.41 Allzu verloren dürfte er sich nicht gefühlt haben. Immerhin glich das Straßenbild mit Villen, Kirchen und Häusern nach europäischem Baustil eher einer deutschen als chinesischen Kleinstadt und die einheimische Bevölkerung wohnte ohnehin in strikt getrennten Vierteln. Als Teil der deutschen Kolonialherrschaft erlebte Adolf Haas zum ersten Mal, wie systematisch Bevölkerungsgruppen diskriminiert und ausgebeutet wurden.42 Ob und wie er sich daran beteiligte, wissen wir nicht.
Am „4. Januar geht es nach China", schrieb Adolf Haas Mitte Dezember 1913 an einen Freund. Auf der Vorderseite der Postkarte posiert er mit seinen Kameraden aus der „Stammabteilung der Marineartillerie-Abteilung Kiautschou" in Cuxhaven (hintere Reihe, dritter von rechts).
Bereits kurz nach der Gründung der deutschen „Musterkolonie in Kiautschou hatten Großbritannien, Russland und Japan ebenfalls „Siedlungsprojekte“ in Nord-Ost-China gestartet und mit der Jahrhundertwende untereinander Bündnisse geschlossen.43 Eine Eskalation des Interessenskonflikts in China und im ostasiatischen Raum schwebte seitdem jahrelang bedrohlich über der Region – bis zum Sommer 1914, als sich die Staaten Europas in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ stürzten. „Doch nicht nur in Europa sollte ein wildes Ringen und Kämpfen stattfinden, nein auch zu uns in das ferne Ost-Asien sollten die Kampfarme schlagen“, schrieb der junge Matrosenartillerist Adolf Haas rückblickend über den Beginn des Weltkrieges.44
Am 8. August 1914 schloss sich Japan der Entente an und erklärte dem Deutschen Reich später den Krieg. Doch das eigentliche Ziel war China. Japan begehrte die Kohlevorräte auf der Halbinsel Shandong – dazwischen stand die deutsche Kolonie mit der Garnisonsstadt und dem Stützpunkt Tsingtau im Weg. So begannen japanische und britische Kriegsschiffe am 27. August gemeinsam, den Hafen zu blockieren. Seit den ersten Septembertagen landeten insgesamt etwa 58.000 japanische Soldaten an der chinesischen Küste.45 Wenige Wochen, nachdem der Gastwirt Adolf Haas im Hachenburger „Westend“ zu einem Lichtbildvortrag über „China, Land und Leute“ eingeladen hatte, erreichte der Weltkrieg genau dort seinen Sohn. Obwohl Tsingtau kaum gegen einen Angriff von Land geschützt, bald vom Nachschub abgeschnitten war und ohnehin nur über knapp 5000 Soldaten verfügte, gaben die Befehlshaber den Stützpunkt nicht auf – immerhin hatte ihr Kaiser die Verteidigung seiner „Musterkolonie“ zur obersten Priorität erklärt. In den Wochen nach der Mobilmachung schickte man den Matrosenartilleristen Adolf Haas junior von einer Artilleriestellung zur nächsten. „Gut ausgebildet u. vorbereitet können wir den Gegner mit Ruhe erwarten“, schrieb Adolf Haas später in sein Tagebuch.46
Ende September 1914 schlossen japanische und britische Truppen den Belagerungsring und Tsingtau geriet unter ein Dauerbombardement von Land, Meer und aus der Luft.47 Nach einem Monat war auch Adolf Haas mit den Nerven am Ende: „Wann und wie wird das Drama enden?“, notierte er im Rückblick an den 3. November.48 „Unser Werk ist ein Schutthaufen.“ Vor seinen Augen zerriss eine Granate seinen besten Freund. „Warum soll ich es verschweigen ich habe geweint wie ein kleines Kind. Ich habe die Stücke von ihm zusammen gefügt und habe ihn mit genommen.“ Sie hatten kaum noch genug Munition, um gegen das „gelbe Gesindel“ zurückzuschießen, riskierten aber weiter ihr Leben für einen aussichtslosen Kampf.
Kriegsmüde wurde Adolf Haas erst drei Tage später im Schützengraben. Sie hatten sich seit zwei Wochen nicht waschen können, „gestern u. heute nichts zu essen bekommen u. ein paar Tage nicht geschlafen“, notierte er. „Da ist man besser aufgehoben wenn man erschossen wird. mir ist es egal.“ Um zwei Uhr nachts erwischte es ihn, als japanische Soldaten die letzte Verteidigungslinie durchbrachen. „Ich wurde verwundet an der rechten Schultern durch Schrappnelschuß leicht.“ Wenige Stunden später, am Morgen des 7. November 1914, als die letzte Artilleriemunition verschossen war, zerstörten die Deutschen die Verteidigungsanlagen, versenkten die verbliebenen Schiffe im Hafen und hissten die weiße Fahne auf dem Signalberg, der letzten übrig gebliebenen Festung. „Wir haben geweind wie die Kinder aber was half es, es mußte so sein“, schrieb Haas.
So verschwand Tsingtau, wie es die chinesische Historikerin Yixu Lü ausdrückte, „auf wenig ruhmreiche Art aus der Geschichte“.49 Nicht einmal zu einer „heldenhaften“ Seeschlacht sei es gekommen. Als der Krieg ausgebrochen war, hatte sich das Ostasiengeschwader auf einer Inspektionstour der Kolonien in den Karolinen und Marianen befunden. Nur der Kleine Kreuzer „SMS Emden“ hatte noch in Tsingtau vor Anker gelegen, war aber entkommen und erlangte mit seinen Raubzügen im Indischen Ozean internationale Berühmtheit, bis er am 9. November 1914 zu einem Wrack zusammengeschossen wurde. Am selben Tag verbreitete sich die Nachricht von der Kapitulation Tsingtaus durch das „Hachenburger Tageblatt“ in Adolf Haas‘ Heimatstadt: „Der Tag wird kommen, an dem die deutsche Kultur im fernen Osten von neuem den Platz einnehmen wird, der ihr gebührt, und die Helden von Tsingtau werden nicht vergeblich ihr Blut vergossen und ihr Leben geopfert haben.“50 Die Hachenburger empfanden sicherlich Stolz, dass einer von ihnen zu den „Helden von Tsingtau“ gehörte, wie man sie schnell in Ansichtskarten und Romanen glorifizierte. Ein wichtiger Trost für Adolf Haas und die rund 5000 Soldaten und Zivilisten, die mit der Kapitulation von Tsingtau in japanische Kriegsgefangenschaft gerieten. Sie wurde für ihn eine bittere Erfahrung, prägte ihn aber auch kulturell für sein ganzes Leben.
1.3. Der Gefangene: Hunger, Langeweile und deutsche Kultur in Osaka, Tokushima und Bandō (Japan), 1914–1920
Die deutschen Kolonialträume waren ausgeträumt, nun folgte die harte Realität der Kriegsgefangenschaft. Gemäß ihrem eigenen Ehrenkodex hatten die Japaner erwartet, dass ihre deutschen Feinde eher den Tod suchen, als sich ergeben würden. Auf eine so große Zahl von Gefangenen waren sie nach der Kapitulation von Tsingtau daher nicht vorbereitet.51 Sie gestatteten ihnen aber, ihre Toten mit allen Ehren zu beerdigen, gaben ihnen „Reis und Rindfleisch“ und „behandelten uns sonst einigermaßen gut“, schrieb Adolf Haas.52 Per Schiff kamen er und 466 weitere Gefangene Ende November 1914 in ein notdürftig eingerichtetes Militärlager nahe der Hafenstadt Osaka.53 „Das Leben dort war miserabel“, beschwerte sich der junge Marineartillerist, während es den feindlichen Gefangenen in Deutschland weit schlechter erging. „In den erdegestrichenen Bretterhütten war es sehr kalt u. auch das essen war nichts wert u. stets zu wenig. Japaner kochten. Es gab meistens Reis mit Zwiebeln u. ein Stück Fisch mit 3 Kartoffeln. Die Zeit vertrieben wir uns mit Flicken, Kartenspielen u. Schreiben“.54 Um sich als neue Weltmacht zu profilieren, bemühte sich Japan, die internationalen Abkommen zur Kriegsgefangenschaft einzuhalten und die schlechten, provisorischen Verhältnisse der ersten Unterbringungen zu verbessern.55 „Die Kost war bedeutent besser wie in Osaka“, schrieb Haas über das Kriegsgefangenenlager in Tokushima, in das er Mitte Dezember wechselte. „Wir hatten also keinen schlechten Tausch gemacht. Auch Weihnachten verlebten wir hier ganz gemütlich.“56
Zum Zeitvertreib begann Adolf Haas Tagebuch zu schreiben. Zumindest ein Heft mit 140 Seiten aus der Zeit 1915 bis 1916 ist als eines der wenigen selbst verfassten Dokumente erhalten geblieben. Leider liegt dieses wichtige Schriftstück heute nicht öffentlich zugänglich in einem Archiv, sondern befindet sich im Besitz von seinen Nachfahren. Eine Kopie gelangte glücklicherweise in die Hände von Hans-Joachim Schmidt, einem der besten Kenner der Geschichte von Tsingtau und der deutschen Kriegsgefangenen in Japan. Seit 2002 veröffentlicht er die Ergebnisse seiner bemerkenswerten selbst finanzierten Recherchen auf seiner Homepage „Die Verteidiger von Tsingtau und ihre Gefangenschaft in Japan (1914–1920)“.57 Adolf Haas gehört zu den prominenteren Personen in seiner umfangreichen Datenbank. In dem erhalten gebliebenen, kleinformatigen Tagebuchheft widmete er sich meist nur mit kurzen Einträgen dem Lagerleben. Es ging um Ausbruchsversuche, Gottesdienste, Kaisers Geburtstag und den Monatslohn, mit dem sich die Gefangenen das Nötigste kaufen konnten. „Nichts Besonderes, die Behandlung geht noch“, notierte er knapp Anfang März 1915. Ausführlicher verarbeitete er seine Erinnerungen an die Kämpfe in Tsingtau. Er notierte alle Parolen von August 1914 bis zur Kapitulation, zählte die einzelnen Befestigungen auf, schrieb heroische Gedichte von anderen ab, versuchte sich aber auch an eigenen Reimen und Prosa – selbst die „Erinnerung einer freiw. Krankenschwester“ scheint aus seiner Feder zu stammen.
Die verschiedenen Einträge zeigen, dass die Erfahrungen an der Front und in Gefangenschaft Adolf Haas keineswegs den späteren Weg zum Nationalsozialismus geebnet haben. Für ihn gilt, was der Historiker Thomas Weber für den Meldegänger Adolf Hitler und die meisten Frontsoldaten feststellte: „Die Mehrheit dieser Männer wurde durch den Krieg weder brutalisiert noch radikalisiert oder politisiert, sondern kehrte mit einem mehr oder weniger intakten, vor dem Weltkrieg erworbenen Weltbild in ihre Heimatstädte, Dörfer und Weiler zurück.“58 Adolf Haas äußerte sich in seinem Tagebuch nur zweimal rassistisch über die Japaner. Einmal beschreibt er, wie sie das „gelbe Gesindel“ in Tsingtau mit MG-Feuer „weg geputzt“ hätten. Und als die japanischen Bewacher in Tokushima ihren Gefangenen nautische Instrumente abnahmen, erregte er sich: „Die gelben Hunde aber wir werden uns schon rächen u. wenn wir ihnen die ganzen Palmen hier, mit Eßigsäure tränken müßten die Schufte.“59 Seine rebellischen Gedanken setzte er wohl nie in die Tat um. Dass der Erste Weltkrieg und die jahrelange Gefangenschaft nicht die maßgebliche „‚Urkatastrophe‘ in der Biografie des späteren SS-Schergen Adolf Haas“ waren, meint auch Markus Müller. Der Lehrer für Deutsch und Geschichte aus Nister, ganz in der Nähe von Haas‘ Heimatstadt Hachenburg, hat sich als Erster intensiv mit dessen Tagebuch beschäftigt. Die beiden rassistischen Äußerungen müsse man, so Müller, „wohl noch im chauvinistischen Grundtenor des späteren Kaiserreiches lesen“.60 Seine Zeit als Soldat und Gefangener habe aber „sicherlich ihren Beitrag dazu geleistet, jede Form menschlicher Regung bei Bedarf zu unterdrücken“.
Markus Müller recherchierte auch für die Zeit nach den letzten Tagebucheinträgen. Als das Lager Tokushima Anfang April 1917 aufgelöst wurde, gehörte Adolf Haas mit 205 Gefangenen zu den Ersten, die in das nahe gelegene neue Musterlager im kleinen Ort Bandō (heute Naruto) kamen. Dass Bandō zum bekanntesten damaligen Kriegsgefangenlager in Japan wurde, lag vor allem an seinem äußerst verständnisvollen Lagerkommandanten Matsue Toyohisa. Er entstammte einer alten Samurai-Familie und hatte großen Respekt vor dem deutschen Militär. Im Gegensatz zu einigen anderen japanischen und den meisten deutschen Lagern, geschweige denn von Adolf Haas‘ späteren Wirkungsstätten, waren in Bandō die Bedingungen äußerst human. Es gab keine Zwangsarbeit, keinen überflüssigen Drill, dafür Selbstverwaltung und viele Freiheiten für die knapp tausend Gefangenen. Unter Matsue Toyohisa ähnelte das Lager bald einer deutschen Kleinstadt mit einem bunten kulturellen Angebot: Es gab mehrere Lokale, eine Bibliothek, Lagerdruckerei, Bäckerei und Konditorei, zwei Teiche zum Baden sowie Sportplätze für Fußball, Schlagball, Tennis und Turnen, außerdem Pachtland für Gartenbau und Viehzucht, Werkstätten für Handwerk und Kunst, Vortragsabende und sogar ein Orchester sowie Theater-, Puppenspiel- und Gesangsgruppen. Der gelernte Konditor Adolf Haas arbeitete in den Jahren 1917/18 nicht etwa in der prestigeträchtigen Konditorei „GEBA“, auf deren Backtradition sich noch heute japanische Bäckereien und Konditoreien wie „Doitsuken“ („Deutsches Haus“) berufen.61 Haas half dagegen in der Lagerbäckerei, ganz gewöhnliche Brötchen und Brote für die täglichen Rationen zu backen.62
Blumen auf dem Tisch, Fotos, Bilder und Zeitungsausschnitte an der Wand, Insassen mit Pfeife und Musikinstrument – so sieht kein gewöhnliches Kriegsgefangenlager aus. Das Foto stammt höchstwahrscheinlich aus dem japanischen Lager Bandō (ca. 1917–1921) und zeigt Adolf Haas (vorne rechts, sitzend in weißer Uniform) mit einem Brot und einem großen Schneidemesser.
Dem Adressbuch des Lagers von 1917/18 zufolge engagierte sich Haas offiziell in keiner der „vielen kulturellen oder sportlichen Einrichtungen des Gefangenenlagers“, schreibt Markus Müller.63 Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass sich der Mittzwanziger über Jahre den kulturellen und sportlichen Angeboten komplett entzog: Immerhin hatte er in seinem Tagebuch eifrig eigene und fremde Lyrik gesammelt. In Osaka hatte er begeistert berichtet, dass „schöne Gedichte vorgetragen wurden“ und dass es bald „Turngeriste“ geben werde. „Es ist ja dies auch ein sehr schöner Sport.“64 Vor allem seine spätere laienhafte Kunstliebe spricht dafür, dass ihn das Lagerleben in Bandō nachhaltig prägte. Vom 8. bis 19. März 1918 konnten beispielsweise Gefangene und japanische Besucher in der „Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit“ 450 im Lager angefertigte Gegenstände wie Spielsachen, Holzarbeiten, Theaterkostüme, Kunstwerke und Lebensmittel bestaunen. Auch die groß angekündigte Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie am 1. Juni 1918 durch das Lagerorchester mit einem Chor aus 80 Männern ließen sich wohl die wenigsten Gefangenen entgehen.65 Das Konzert ist der Höhepunkt des deutsch-japanischen TV-Dramas „Ode an die Freude“ („Baruto no gakuen“, 2006), das anschaulich die Geschichte des Lagers erzählt, wenn auch ein wenig romantisiert.66 Eine wichtige Rolle spielt zufälligerweise ein junger Bäcker. Heute zählt die Neunte Sinfonie zu den beliebtesten Stücken in Japan. Seit 1982 wird sie jedes Jahr an verschiedenen Orten erneut aufgeführt, in Osaka sogar mit 10.000 japanischen Laiensängern.
Trotz der vielseitigen Ablenkung und Freiheiten litten die Gefangenen nicht selten unter Langeweile, dem Mangel an Privatsphäre sowie der jahrelangen Ungewissheit über den Kriegsverlauf und ihre Heimkehr. Am schlimmsten erlebten sie die „Stacheldrahtkrankheit“ im letzten Jahr in Bandō. Die Nachricht von der Niederlage Deutschlands hatte sie Ende 1918 bitter überrascht. Mit dem Ersten Weltkrieg endete jedoch nicht sofort ihre Gefangenschaft. Das besiegte Deutschland konnte weder Schiffe schicken noch eine Rückreise finanzieren und Japan kooperierte erst nach der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages im Juni 1919.67 Mehrfach hatte Adolf Haas über die Jahre mit einem „Fräulein Gertrude Stahl“ aus Hachenburg geschrieben. Im Juli 1919 kritzelte er auf einer Postkarte aus der Lagerdruckerei, die für Spenden für die „notleidenden Kameraden in Ost-Sibirien“ warb: „Gertr. ich glaube, man ist hier in Gefangenschaft ein andrer Mensch geworden. man ist irre geworden an der Menschheit.“68 Auf ihre Frage, wann er nach Hause kommen werde, antwortete Haas: Wohl 1920, sollte dem nicht Matthias Erzberger im Wege stehen, der Chef der Waffenstillstandskommission, der als Befürworter des Versailler Vertrages von nationalen Rechten gehasst wurde und 1921 ermordet werden sollte.
Seinen 26. Geburtstag musste Adolf Haas am 14. November 1919 noch in Gefangenschaft feiern. Einen Monat später war er nach fünf Jahren endlich wieder ein freier Mensch. Rund ein Viertel der Bandōer entschied sich wegen der unsicheren Lage in der Heimat, nach Tsingtau oder China zurückzukehren, in Niederländisch-Indien meist als Polizist zu arbeiten oder in Japan zu bleiben. Dort trugen sie dazu bei, dass sich die deutsch-japanischen Beziehungen in den 1920er-Jahren schnell normalisierten.69 Adolf Haas zog es nach Hause. Die zweimonatige Reise mit dem Schiff „Hōfuku Maru“, zusammengedrängt mit mehr als 940 Personen, wurde seine letzte Seefahrt. An seine Zeit als Matrose erinnerte nur noch ein tätowierter Anker auf der rechten Hand.70
1.4 Der Konjunkturritter: Hoffnungen und Krisen in den Weimarer Jahren, Hachenburg 1920–1932
Er war ausgezogen, um für sein Kaiserreich zu kämpfen. Zurück kehrte er in eine Republik. Dass es ihnen in der japanischen Kriegsgefangenschaft sehr gut ergangen war, bemerkten Adolf Haas und die anderen Heimkehrer sofort, als sie am 25. Februar 1920 in Wilhelmshaven ankamen, dort wo 1918 die Novemberrevolution mit einem Matrosenaufstand begonnen hatte. Eine jubelnde Menschenmenge begrüßte sie, aber auch viele unterernährte Kinder, die um Brot bettelten.71 Der junge demokratische Staat kämpfte noch mit den Folgen des Weltkrieges und der Niederlage. Die Krisenjahre nach 1918 und die Inflation hatten auch Haas‘ Heimatstadt „mit voller Wucht getroffen“, schreibt der Stadtchronist Stefan Grathoff.72 „Wer nur über Bargeld verfügte, war arm dran, wer Waren und Gegenstände von Wert besaß, konnte mit ihnen Tauschhandel betreiben.“ Der heimgekehrte Adolf Haas hatte weder das eine noch das andere.
Den Kriegsgefangenen machte es die deutsche Gesellschaft nicht leicht, im neuen, wirtschaftlich geschwächten Deutschland ihren Platz zu finden. Rechtlich waren sie den Frontsoldaten bei Versorgungsansprüchen und Entschädigungen nicht gleichgestellt. Zudem mussten sie sich gegen zahlreiche Ressentiments wehren, keine „Drückeberger“ und „Überläufer“ zu sein.73 In seinen späteren Lebensläufen erwähnte Adolf Haas zwar das 1925 verliehene „Frontkämpferabzeichen“ (Ehrenkreuz für Frontkämpfer) und einen „Kolonialorden“ (Kolonialabzeichen), aber nur knapp die Belagerung von Tsingtau und die Gefangenschaft in Japan.74 Als einer der „Helden von Tsingtau“ inszenierte er sich nie, obwohl er selten eine Gelegenheit ausließ, um sich in einem besseren Licht darzustellen.
„Nach meiner Entlassung am 26.2.1920 in W.hafen habe ich sämtliche Arbeiten angenommen die ich bekommen konnte, da mein Beruf darniederlag“, schrieb der gelernte Konditor später.75 Da seine Eltern mittlerweile über 70 waren, übernahm er ohne jegliche betriebswirtschaftliche Erfahrungen zunächst die Leitung der Gastwirtschaft „Westend“.76 Zu seinen Gästen zählte wahrscheinlich auch die fünf Jahre jüngere Lina Emma Müller, eine gebürtige Hachenburgerin. Am 11. März 1922 heiratete das Paar, zwei Jahre später bekamen sie ihr erstes Kind. Im selben Jahr starb sein Vater.77 Entweder wegen der Wirtschaftskrise, eigener Misswirtschaft oder weil die Familie akut Geld benötigte, verkaufte Adolf Haas Mitte der 1920er-Jahre die Gastwirtschaft.78 Als ihr erstgeborener Sohn im Mai 1926 starb, war Lina Haas zum zweiten Mal schwanger.
Haas‘ zweites Kind, eine Tochter, kam ein halbes Jahr später an Heiligabend 1926 zur Welt. Die vierköpfige Familie, einschließlich der verwitweten Mutter, versorgte er in den nächsten Jahren zunächst als Lederarbeiter.79 Seit 1924 erholte sich die wirtschaftliche Lage in der Weimarer Republik, durch US-amerikanische Kredite, eine Währungsreform und vor allem durch das Wirken von Reichsaußenminister Gustav Stresemann. Wie die meisten Deutschen schenkte wahrscheinlich auch Adolf Haas der nationalsozialistischen Bewegung und Adolf Hitler noch wenig Aufmerksamkeit.80 1928 gewann die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) bei den Reichstagswahlen gerade einmal 2,6 Prozent der Stimmen. Ermutigt durch die Konjunktur nahm Adolf Haas im April 1929 seinen Beruf wieder auf. In der Perlengasse 2 – die Familie selbst wohnte in der Nummer 60 – pachtete er im Keller des „historischen Rathauses“ eine Backstube.81 Wie schon in japanischer Kriegsgefangenschaft produzierte der gelernte Konditor jedoch keine Torten, sondern normale Backwaren. Der alte Backofen ist erhalten geblieben. Es ist ein ironischer Zufall, dass heute über der Backstube das Stadtarchiv Hachenburg seinen Sitz hat, das sich unter Jens Friedhoff so engagiert um die Aufarbeitung der Stadtgeschichte und dabei auch der NS-Vergangenheit bemüht. Adolf Haas‘ Traum von einer wirtschaftlich sicheren Tätigkeit als Bäcker währte jedoch nur wenige Monate.
Der alte Backofen im Keller der Perlengasse 2 in Hachenburg ist erhalten geblieben. Hier arbeitete Adolf Haas, bis er seine Bäckerei Mitte 1935 für eine hauptamtliche Tätigkeit bei der SS aufgab.
Seit dem Winter 1928/29 hatten sich wirtschaftliche und politische Probleme in der jungen Republik bereits abgezeichnet. Der New Yorker Börsencrash am 24. Oktober 1929 stürzte das kreditabhängige Deutschland vollends in eine Krise, von der vor allem die Parteien am linken und rechten Rand profitierten. Nach der Reichstagswahl am 14. September 1930 war Hitlers Partei mit 18,3 Prozent plötzlich die zweitstärkste hinter der SPD. Innerhalb kurzer Zeit verdoppelten sich die Mitgliedszahlen der NSDAP, Ende 1931 waren es über 800.000. Zu den „Braunen“ gehörte seit dem 1. Dezember 1931 auch Adolf Haas, NSDAP-Mitgliedsnummer 760.610. Ihren Sitz hatte die Hachenburger Ortsgruppe im „Braunen Haus“ am oberen Ende der Friedrichstraße, heute eine der schönsten Gassen der Stadt.82
Nach eigenen Aussagen hatte Adolf Haas „vor 1929 keiner politischen Partei angehört“.83 Einige seiner Hachenburger Nachbarn erzählten nach dem Krieg, dass er durchaus schon vor seinem Eintritt in die NSDAP politisch aktiv gewesen sei. Allerdings nicht auf der rechten, sondern auf der linken Seite: Er sei früher ein „fanatischer Kommunist“ gewesen, bevor er etwa 1930 eine „radikale Schwenkung zum Nationalsozialismus“ vollzogen habe – also genau in dem Jahr des ersten großen Wahlerfolgs der NSDAP in den Reichstagswahlen.84 Danach habe er „seine ehemaligen Gesinnungsgenossen in brutalster Weise bekämpft“. Dieser Gesinnungswandel mag radikal erscheinen, war aber kein Einzelfall. Hitler selbst diente nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, im Frühjahr 1919, als Soldat der sozialistischen Regierung der Münchener Räterepublik und wurde sogar in einen Soldatenrat gewählt. Nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik durch Reichswehr und Freikorps bemühte sich Hitler, alle Spuren seines sozialistischen Abenteuers zu beseitigen. Dafür trennte er sich nicht nur von linken Ideen, sondern bot sich auch der Reichswehr als V-Mann an und lieferte ehemalige Genossen ans Messer.85 Auf die Farce seines „nationalen Sozialismus“ fielen später schließlich auch Kommunisten rein.
Heinrich Schönker, der als Kind das „Aufenthaltslager Bergen-Belsen“ überlebt und den Kommandanten kennengelernt hat, schrieb in einem Brief: „Wenn damals die Kommunisten an die Macht gelangt wären, hätte Haas versucht, als Kommunist Karriere zu machen. Er war ein Mann ohne Rückgrat.“86 Da Adolf Haas erst ein Jahr nach dem Wahlerfolg der NSDAP in die Partei eintrat, gehörte er wohl tatsächlich zu den vielen „Konjunkturrittern“.87 Ihn trieb weniger eine politische Überzeugung als vielmehr das Bedürfnis, auf der Gewinnerseite zu stehen. Nicht zuletzt signalisierten die Nationalsozialisten, dass sie die ehemaligen, lang diffamierten und vernachlässigten Kriegsgefangenen als Frontsoldaten anerkannten. 1933 lud Hitler sie als Teil des „Frontsoldatentums“ zur „Mitarbeit am neuen Deutschland ein.“88 Der erfolglose Bäcker Adolf Haas wollte jedoch schon bald mehr sein als bloßer „Parteigenosse“. Ihn trieb es zu einem Arm der Partei, der wortwörtlich lieber zum Schlag ausholte als debattierte.
Hitlers Partei stützte sich seit Beginn ihres Aufstiegs auf zwei paramilitärische Organisationen: zum einen auf die „Sturmabteilung“, die SA. Die Schlägertruppe unterstand dem Reichswehr-Veteran Ernst Röhm, einem der ersten NSDAP-Mitglieder. Hitlers persönliche, loyale „Leib- und Prügelgarde“ wurden 1925 die „Schutzstaffeln, die SS. Die kleine Truppe blieb zunächst der Obersten SA-Führung unterstellt und im Schatten der weitaus größeren SA-Verbände, meint der Historiker Bastian Hein. Das habe sich erst geändert, als große Teile der nordostdeutschen SA 1930 und 1931 gegen Hitler und die aus ihrer Sicht „verbonzte“ Parteiführung aufmuckten. Hier konnte sich die SS erstmals als treue „Garde des Führers“ profilieren – und mit ihr Heinrich Himmler, seit 1929 Reichsführer-SS. Himmler sorgte seit Ende 1930 dafür, dass sich die Zahlen der SS-Männer von 3000 bis Anfang 1931 mehr als verdoppelten. Dabei setzte er nicht auf offene Werbekampagnen wie seine Vorgänger, sondern auf Image-Pflege. Durch zahlreiche Reden und Artikel baute er das Bild einer Truppe auf, die nur die gehorsamsten, die körperlich und geistig besten, die „rassisch“ überlegensten, und aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft „männlichsten“ Deutschen aufnehme – der Beginn des Eliten-Mythos der SS.89
Obwohl Adolf Haas selbst kaum dem Ideal von Himmlers erträumter „Elitetruppe“ entsprach, zog ihn wohl genau dieses Image an. Kameradschaft hätte er auch in der weitaus größeren SA finden können. Bei den Aufgaben in der SS gab es keine großen Unterschiede zur SA, weder in der „Kampfzeit“ noch danach in der Phase der Machteroberung: Man prügelte sich mit den Gegnern der Partei, half bei der politischen Arbeit und betrieb Wehrsport.90 Auch eine bezahlte Stelle konnte die SS erst nach 1933 anbieten. Obwohl Adolf Haas in seinen Lebensläufen nie angab, warum er sich nicht für die bereits etablierte SA, sondern für die kleine SS entschieden hatte, lockte ihn wie Tausende andere sicherlich ihr elitärer Ruf.
Ab 1931 begann die SS auch in ländlichen Gebieten, nach dem Vorbild der SA komplexere Hierarchien aufzubauen: Die kleinste Einheit von mehreren Dutzend Mann war ein Sturm. Meist bildeten vier Stürme einen Sturmbann, je drei Sturmbanne eine Standarte, die wiederum in Abschnitte und Oberabschnitte zusammengefasst wurden. Der Westerwald zählte zum Gebiet des SS-Oberabschnitts „Rhein“ (später „Rhein-Westmark“), der seinen Sitz in Wiesbaden hatte. Noch vor der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten bewarb sich Adolf Haas am 1. April 1932 bei der Hachenburger SS. Nach einer Anordnung Himmlers mussten in der Regel alle Bewerber ab Januar 1932 eine Musterung bestehen, bei der ein SS-Arzt über 50 Kriterien bewertete, darunter Größe, Gewicht, Zustand der Muskulatur, Intelligenz, Temperament oder Geltungsbedürfnis. Die „Anwärter“ schafften sich danach eine Uniform an und begannen ihren Dienst auf Probe, bis der Bescheid kam.91 Haas musste gerade einmal eine Woche warten: Ab dem 8. April 1932 war er offiziell ein SS-Mann mit der Nummer 28.943. Mit 38 Jahren zählte er nun im wahrsten Sinne zu den „Alten Kämpfern“ der Partei.92
Mit dem Bedürfnis, der „leistungsfähigsten und opferwilligsten Propagandaorganisation“ anzugehören, verpflichteten er und andere sich bewusst und bereitwillig, die Ziele ihres „Führers“ radikal und ohne Widerspruch zu unterstützen – bis in den Tod. „SS-Mann, Deine Ehre heißt Treue“, lautete ihr Eid. „Die so konzipierte ‚Sippengemeinschaft‘ machte die Schutzstaffel zur radikalsten rassistischen Tat- und Täterorganisation des Nationalsozialismus“, schreibt Bastian Hein.93 Die SS übernahm nicht nur bei der „Verteidigung“ der nationalsozialistischen Bewegung gegen politische Gegner eine Schlüsselrolle, sondern vor allem bei den „volkszüchterischen“ Aufgaben der „Ausmerze“: bei der Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen, „Erbkranken“, „Asozialen“, Zeugen Jehovas, von Sinti und Roma – oder beim Holocaust.