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Vorwort von Thomas Rahe, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Adolf Haas, der erste Kommandant des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, ist bisher kaum Gegenstand der Historiografie geworden. Weder die Forschungsliteratur zur Geschichte der Konzentrationslager Niederhagen/ Wewelsburg und Bergen-Belsen noch die einschlägigen Studien zu SS-Tätern gehen ausführlich auf seine Lebensgeschichte und insbesondere seine Bedeutung als KZ-Kommandant ein. Das mag auch darin begründet sein, dass seine SS-Karriere im Schatten seines Nachfolgers Josef Kramer steht, der seit 1933 im KZ-Dienst tätig war, 1944 als Kommandant von Auschwitz-Birkenau im Zentrum des Holocaust agiert hatte und 1945 im ersten KZ-Prozess auf deutschem Boden als prominentester Angeklagter in einem aufsehenerregenden Verfahren wegen seiner Massenverbrechen in Auschwitz und Bergen-Belsen zum Tode verurteilt und gehängt wurde.

Anders als Kramer hat Adolf Haas nie vor Gericht gestanden, sodass zu ihm und seinem Handeln in den Konzentrationslagern keine Prozessakten vorliegen. Auch hat er keine Diensttagebücher, Memoiren oder Reden hinterlassen. Wie in vielen ähnlichen Fällen waren und sind die Angehörigen nicht bereit, der Forschung Einblicke in die familiäre Überlieferung zu geben, wie Dokumente, Briefe und andere persönliche Aufzeichnungen, oder für Interviews zur Verfügung zu stehen.

Die Häftlingstagebücher aus den Konzentrationslagern wie auch die Erinnerungsberichte und Interviews der Überlebenden zeichnen ein widerspruchsvolles Bild von Adolf Haas, das nicht recht in die gängigen Schemata der NS-Täter passt. Haas war weder ein sadistischer Exzess-Täter noch ein kalter Schreibtischtäter. Er war ein SS-Karrierist aus der Provinz, aber er stand nicht am untersten Ende der Verbrechenshierarchie, sondern zählte als einer von insgesamt etwa 50 KZ-Kommandanten1 durchaus zum inneren Zirkel der Macht. Seine in manchen Berichten beschriebene Behäbigkeit und Bequemlichkeit konnte schnell in brutale Unberechenbarkeit umschlagen. Wenn in einigen Erinnerungsberichten ehemaliger Häftlinge des KZ Bergen-Belsen konstatiert wird, Haas sei „kein Judenfresser“ gewesen, so sagt dies vielleicht mehr über die Erwartungen jüdischer Häftlinge gegenüber dem Kommandanten eines NS-Konzentrationslagers aus als über seine tatsächliche politisch-ideologische Prägung. Auch Haas war zutiefst überzeugt von der Notwendigkeit und Berechtigung der rassistischen Verfolgungspraxis des Nationalsozialismus. Allein die enorme Todesrate unter den Häftlingen des KZ Niederhagen/Wewelsburg unter dem Kommando von Haas offenbart seine Fähigkeit und Bereitschaft, sich an dieser Verfolgungspraxis bis zum tödlichen Ende zu beteiligen. Seine gelegentlich auch im KZ Bergen-Belsen zur Schau getragene Jovialität unterschied ihn durchaus von manch anderen SS-Führern, aber sie sollte nicht als Ausdruck von Empathie missverstanden werden. In ihr offenbarte sich vielmehr eine selbstherrliche Willkür als Ausdruck absoluter Macht.

Es gehört zu den Vorzügen der biografischen Studie von Jakob Saß, dass er die Vielgestaltigkeit und auch Widersprüchlichkeit der Person und des Handelns von Adolf Haas nicht interpretatorisch einebnet. Er hat für die Darstellung des Agierens von Adolf Haas in den Konzentrationslagern vor allem die Erinnerungsberichte von Überlebenden in beeindruckender Weise ausgewertet. Jakob Saß bezieht durchaus auch andere Quellen wie etwa die SS-interne Überlieferung in seine biografische Untersuchung mit ein, um einen multiperspektivischen Blick auf das Leben von Adolf Haas werfen zu können. Seine dominierende Perspektive ist aber, soweit es um die Rolle von Haas in den Konzentrationslagern geht, die der Häftlinge bzw. Überlebenden und so macht er gewissermaßen aus einer Quellennot eine historiografische Tugend. Nicht zuletzt diese Betonung der Perspektive der Verfolgten auch im Kontext der Täterforschung macht seine Studie auch für die Bildungsarbeit in den Gedenkstätten ausgesprochen hilfreich.

Dr. Thomas Rahe

Gedenkstätte Bergen-Belsen, Dezember 2018

GEWALT, GIER UND GNADE

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