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2. Milderungsgebot

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Die Anerkennung des Milderungsgebots wurde in der Zeit der Aufklärung als Folge der Proportionalität von Verbrechen und Strafe und der Vermeidung richterlicher Willkür als selbstverständlich vorausgesetzt, zumal damals die Gesetze der Durchführung einer vernunftgeleiteten Reform des Strafrechts durch Abschaffung übertrieben harter Strafen dienten.[15] Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, Gesetze, die nach Begehung der Tat als zu streng oder als nicht mehr erforderlich angesehen und deshalb geändert oder aufgehoben wurden, nicht mehr anzuwenden. Entsprechend enthielt der Code pénal von 1791 eine Normierung des Milderungsgebots.[16] Der Einfluss der Aufklärung spiegelt sich auch in den §§ 18 bis 20 der Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht wider, wonach der Richter gesetzliche Milderungen sogar bereits Verurteilten zugutekommen lassen musste.[17] Bei rechtskräftig Verurteilten konnte die Anwendung der milderen und verhältnismäßigen Strafen nur als Gnadensache erreicht werden.

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Die sodann folgenden Strafrechtskodifikationen der deutschen Partikularstaaten enthielten durchgängig gesetzliche Milderungsgebote. Zu divergierenden Lösungen kam es nur insofern, als teilweise die Anwendung des neuen Strafgesetzes, teilweise die Anwendung des zur Tatzeit geltenden Rechts als Grundsatz normiert wurde, ohne dass sich die beiden Regelungsmodelle im Ergebnis nennenswert unterschieden.[18] In materieller Hinsicht wurde im Milderungsgebot vor allem ein Gebot der Gerechtigkeit gesehen. Lediglich soweit die Milderung auf bereits rechtkräftige, aber noch nicht vollstreckte Strafurteile ausgedehnt wurde, ordnete man die Rechtskraftdurchbrechung weiterhin als Gnadenakt ein.

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Im Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, das für die weitere Entwicklung zentrale Bedeutung erlangte, wurde in Art. IV des Einführungsgesetzes die rückwirkende Anwendung des milderen Gesetzes als Ausnahme vorgesehen; bereits rechtskräftig abgeurteilte Fälle, in denen die Strafe noch nicht vollstreckt war, wurden hiervon ausgeschlossen, um eine Überlastung der Gerichte zu vermeiden. Entsprechende Regelungen enthielt auch das am 1. Januar 1871 in Kraft getretene Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, das dann am 15. Mai 1871 als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich verkündet wurde.

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§ 2 StGB 1871 enthielt in seinem Absatz 1 die Regelung des heutigen § 1 StGB und lautete: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.“ § 2 Abs. 2 StGB 1871 entsprach dem heutigen § 2 Abs. 3 StGB mit folgendem Wortlaut: „Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“

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Das Reichsgericht nahm in der Folgezeit in einer Reihe von Entscheidungen zum Milderungsgebot Stellung und schränkte dabei den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 StGB a.F. in ständiger Rechtsprechung erheblich ein, indem es den Begriff des „Gesetzes“ als „Strafgesetz“ interpretierte[19] und blankettausfüllende Gesetze vom Milderungsgebot mit der Begründung ausnahm, dass nur bei einer Änderung der Strafgesetze von einer geänderten Anschauung über die Strafwürdigkeit die Rede sein könne.[20] Außerdem wurde § 2 Abs. 2 StGB nicht auf kurzfristige Strafverbote, sog. temporäre Strafgesetze, angewendet, deren Aufhebung oder Ablauf nicht auf einer Missbilligung der früheren Strafgesetzgebung beruhte, um zu vermeiden, dass die strafbewehrten Verbote gegen Ende ihrer Geltungszeit jegliche Wirkung verloren.[21] In der damaligen Literatur wurde allerdings sowohl die Abgrenzung der Rechtsprechung zwischen „außerstrafrechtlichen“ und „strafrechtlichen“ Bestandteilen als außerordentlich formalistisch kritisiert als auch die Sonderbehandlung für Zeitgesetze in Frage gestellt.[22]

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