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b) Kritik

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Gegen die Figur der „objektiven Zurechnung“ sowie die damit zusammenhängende Betonung der Pflichtwidrigkeit und somit für eine stärkere Betonung des subjektiven Tatbestandes sprechen sich auch bis in die Gegenwart verschiedene Kritiker aus.[100] Die dabei insbesondere von Kindhäuser ebenso detailliert wie scharfsinnig geübte Kritik muss hier aus Gründen des Umfangs auf zwei zentrale Aspekte reduziert werden, die einer Stellungnahme bedürfen, wenn man die Berechtigung dieser Figur im Folgenden zugrunde legen will:

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Zum einen sieht Kindhäuser – explizit auch mit Auswirkung für die Bestimmung des Handlungsunrechts – für das Vorsatzdelikt „kein(en) Raum mehr (…), soll nicht auf Tatbestandsebene die Zurechnung kraft Täterwissen in einem überflüssigen Doppelschritt vollzogen werden.“[101] Eine der subjektiven Zurechnung vorgeschaltete „Zurechnung zur Handlungsfähigkeit eines fiktiven Normadressaten“ sei dysfunktional, da entweder beide „Filter“ identische Wirkung auf unterschiedlichen Prüfungsstufen hätten oder aber sogar der „frühere Filter“ etwas „stoppt (…), was den späteren Filter passieren darf und soll“.[102]

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Daran ist ohne Zweifel richtig, dass die Trennung zwischen objektiver Zurechnung und der Berücksichtigung subjektiver Elemente nicht so klar und scharf vollzogen werden kann, wie es die Terminologie vielleicht glauben macht. Dies wird etwa bei der Berücksichtigung von Sonderkenntnissen des Täters deutlich, die haftungsbegründend wirken können, wenn ein ganz unwahrscheinlicher „objektiv nicht bezweckbarer“ Geschehensablauf vorliegt, den der Täter individuell aber vorhersehen kann.[103] Allerdings sind zum einen nicht alle Fallgruppen der objektiven Zurechnung so „gestrickt“; vielmehr sind etwa im Rahmen des erlaubten Risikos[104] bzw. durch entsprechende Sondernormen auch explizite „Verletzungserlaubnisse“ vorstellbar.[105] Zum anderen bietet es eine zwar gewiss nicht unverzichtbare,[106] aber dennoch wertungsmäßig interessante Feststellung, ob die fehlende Zurechnung auf individuellen Defekten des Täters oder bereits auf dem objektiven Fehlen einer unerlaubten Gefahrschaffung beruht. Die (weniger schlimme Alternative der) Dysfunktionalität dahingehend, dass „zwei Filter“ mit gleicher Wirkung auf verschiedenen Stufen angebracht werden, wird dadurch wettgemacht, dass der Filter nicht nur (im Prüfungsschema und damit in der Begriffsbildung) früher, sondern auch dort angebracht wird, wo er inhaltlich hingehört.

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Zum anderen sei die Vorsatzhaftung auch unabhängig von der Feststellung von Sorgfaltswidrigkeiten, was Kindhäuser mit einem Beispiel zu verdeutlichen sucht: Analysiere man das „Verbot der Brandstiftung durch unsorgfältigen Umgang mit Streichhölzern“, sei offensichtlich die Eigenschaft „‚unsorgfältig‘ nicht verbotskonstitutiv, wenn man das merkwürdige Ergebnis vermeiden will, daß Brandstiftung durch sorgfältigen Umgang mit Streichhölzern erlaubt sei“.[107] Freilich wird dieses Ergebnis weniger „merkwürdig“, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es hier letztlich um einen (bewusst oder unbewusst) abweichenden Begriff der „Sorgfaltswidrigkeit“ geht. Während Kindhäuser in seinem Beispiel die sorgfältige (und damit nicht sorgfaltswidrige) i.S.d. genau überlegten Benutzung der Streichhölzer in den Mittelpunkt rückt (die beim Anzünden eines Hauses in gleicher Weise vorliegen kann wie beim Anzünden der Kerze an einem Adventskranz), wäre nach tradiertem Verständnis die (Sorgfalts‑)Pflichtverletzung bei der vorsätzlichen Brandstiftung in der Verwendung der Streichhölzer im konkreten sozialen Kontext zu sehen. Das vorsätzliche Entzünden eines fremden Hauses kann daher ohne weiteres „sorgfältig“ vorgenommen werden, ohne dass das Verhalten deswegen pflichtgemäß wäre.

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