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b) Kritik

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Obgleich die Übertragung von in der Fahrlässigkeitsdogmatik schon länger bekannten Elementen auf das Vorsatzdelikt für das Verständnis einzelner Fallgruppen der objektiven Zurechnung hilfreich ist, erscheint eine völlige Gleichsetzung nicht überzeugend. Dass nicht in jedem Fall, in dem eine Vorsatzstrafbarkeit zu bejahen ist, ohne Vorsatz zugleich auch eine Fahrlässigkeit bejaht werden kann, lässt sich zunächst an einem Beispiel verdeutlichen:[113] Auf einer ordnungsgemäß abgesperrten und gesicherten Abrissbaustelle schaufelt Bauarbeiter B in einem oberen Stockwerk Bauschutt in eine große, extra für diese Zwecke angebrachte Röhre, in welcher der Schutt nach unten fällt.

Variante a: Ohne dass B dies merken kann, hat Passant P die Absperrung überwunden und geht am Abrisshaus entlang, um einige Meter Weg zu sparen. Gerade, als er unten am Ende der Röhre vorbeikommt, kommt eine Ladung Schutt unten an; ein Ziegelstein trifft P und verletzt ihn.
Variante b: B ärgert sich, dass immer wieder Passanten den Weg abkürzen; als er P unten am Haus vorbeilaufen sieht, passt er ihn genau ab, wirft eine Schaufel Schutt in die Röhre und tritt – wie erhofft und berechnet – den unten vorbeilaufenden P.

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Während man in Variante a kaum überzeugend eine Fahrlässigkeit (§ 229 StGB) des B annehmen kann, erschiene es in Variante b ebenso befremdlich, den Tatbestand des § 223 StGB zu verneinen, und zumindest äußerst gekünstelt, diese erst mittels Hilfskonstruktionen wie der actio illicita in causa, einer mittelbaren Täterschaft o.ä. zu begründen. Zwar mag man auf den ersten Blick gegen dieses Beispiel einwenden, dass B, der ursprünglich die Kenntnisse aus Variante b hatte (d.h. den P gesehen hatte), aber konkret nicht mehr an die Gefährlichkeit dachte oder auf einen guten Ausgang vertraute (und z.B. P nur erschrecken wollte), natürlich doch wieder fahrlässig handeln würde. Bei dieser Blickweise, welche die (sonst fehlenden) Voraussetzungen des Vorsatzdelikts in das Fahrlässigkeitsdelikt implementiert, würde aber nicht nur die Aussage, dass in jedem Vorsatz- zugleich ein Fahrlässigkeitsdelikt steckt, ihre informative Substanz weitgehend verlieren. Vielmehr würde dann auch eine Voraussetzung des subjektiven Tatbestandes benötigt, um (über den Hebel der dann bejahbaren Fahrlässigkeit) über die objektive Tatbestandsmäßigkeit zu entscheiden.

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Aber auch die Gesetzessystematik spricht gegen einen solchen Gleichsetzungsautomatismus, wie sich an der Regelung des § 16 Abs. 1 StGB zeigen lässt:[114] Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt der Täter im Tatbestandsirrtum (nur) ohne Vorsatz, d.h. aber gleichzeitig offenbar regelmäßig objektiv tatbestandsmäßig. Nach § 16 Abs. 1 S. 2 StGB bleibt die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung unberührt; dies bedeutet aber nach einhelliger Auffassung nicht etwa, dass der irrende Täter sich stets wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts strafbar gemacht hat, sondern nur, dass zu prüfen ist, ob der Irrtum bei Erfüllung aller Sorgfaltspflichten vermeidbar gewesen wäre. Damit geht aber das Gesetz offenbar davon aus, dass in bestimmten Konstellationen zwar der objektive Tatbestand des Vorsatzdelikts, nicht dagegen der Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts erfüllt sein kann. Bei einem „verobjektivierten“ (und damit wohl unvermeidbaren) Irrtum bereits den objektiven Tatbestand zu verneinen, wie es Herzberg es vorschlägt,[115] lässt demgegenüber die gesetzliche Regelung des § 16 Abs. 1 S. 1, 2 StGB in einem ziemlich ungewohnten Licht erscheinen.[116] Denn die nach § 16 Abs. 1 S. 2 StGB unberührt bleibende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit hinge dann allein von der Existenz eines Fahrlässigkeitstatbestandes ab.[117] Der üblicherweise in § 16 Abs. 1 S. 2 StGB gesehene Appell, nach der Feststellung eines vorsatzausschließenden Irrtums gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB dessen Vermeidbarkeit zu prüfen, käme nie zur Anwendung.

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