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1. Straftatbestände

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Die Überschrift führt zu Abgrenzungsfragen zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Verbots- bzw. Blankettmerkmalen und zu der Diskussion, inwieweit bei Blanketttatbeständen auch der Verweis auf die Ausfüllungsnorm und damit die Existenz des Verbots bzw. Gebots zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen zählen. Die Auseinandersetzung ist deshalb so intensiv, weil sie mit Irrtumsfragen und der Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum verknüpft ist. Irrtumsprobleme sind in diesem Abschnitt nicht zu erörtern, aber es ist nicht zu übersehen, dass die vorrangige Frage nach dem Tatbestandscharakter Einfluss auf die Irrtumsdiskussion hat. Allerdings wird auch diese Aussage in Frage gestellt. So ordnet Cornelius in seiner Schrift zur verweisungsbedingten Akzessorietät bei Straftatbeständen die Verweisungsmerkmale als Tatbestandsmerkmale ein, lässt aber offen, ob dies auch für den Irrtumsbereich Gültigkeit hat.[62]

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Als klassische normative Tatbestandsmerkmale gelten die Merkmale „fremd“ und „rechtswidrig“ der §§ 242, 246, 249 StGB, Tatbestandsmerkmale, die durch die Zivilrechtsordnung „ausgefüllt“ werden. Von daher läge es durchaus nahe, auch bei weiteren Strafvorschriften, die auf Zuwiderhandlungen gegen andere Gesetze verweisen, von einem normativen Tatbestandsmerkmal auszugehen.[63] Wenden wir uns unter diesem Blickwinkel der Auslegung einer konkreten Vorschrift zu und greifen § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB (übereinstimmend § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB) auf. Nach einer ersten Ansicht spricht für die Einstufung der Elemente „entgegen dem Handelsrecht“ und „in der vorgeschriebenen Zeit“ als Tatbestandsmerkmale schon die Aufnahme in den gesetzlichen Straftatbestand, auch wenn die Merkmale durch die handelsrechtlichen Normen noch weiter ausgefüllt werden müssen.[64] Demgegenüber „eliminiert“[65] die oft noch als h.M. bezeichnete Ansicht diese Elemente, indem sie in ihnen Blankettmerkmale sieht, die im Wege des so genannten „Zusammenlesens“ durch die Normen des Handelsrechts ausgefüllt – genauer: ersetzt – werden, so dass sich etwa folgender Straftatbestand ergibt (vgl. § 264 HGB): „Wer … es unterlässt, die Bilanz seines Vermögens … innerhalb der ersten sechs Monate des (folgenden) Geschäftsjahres aufzustellen.“[66] In der Literatur ist inzwischen eine dritte Ansicht sehr verbreitet, die aus der Irrtumsperspektive die Abgrenzung zwischen Blankett- und normativen Tatbestandsmerkmalen für zweitrangig hält, sondern für entscheidend erachtet, was den Unrechtstyp und den sozialen Bedeutungsgehalt des Tatbestandes ausmacht, und darin den maßgeblichen Bezugspunkt für den Vorsatz sieht. Im Lichte dieser Lehrmeinung wird sich oft zeigen, dass bloßes Tatsachenwissen nicht ausreicht, um vorsätzliches Handeln bejahen zu können, hierfür vielmehr auch das Wissen um das Verbot bzw. Gebot erforderlich ist.[67] Namentlich Tiedemann[68] und Roxin[69] sehen insoweit in der Existenz der ausfüllenden Norm ein normatives Tatbestandsmerkmal, eine Auffassung, die nach der Einschätzung von Roxin[70] „in neueren Arbeiten immer mehr Anhänger gefunden (hat) und … sich wahrscheinlich allgemein durchsetzen“ wird. Im Ganzen zeigt sich, dass die dritte Ansicht zumindest sehr nahe bei der ersten Ansicht liegt. Gleichermaßen nahe liegt es dann doch, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen und jedenfalls und auch dann, wenn er in den Verweisungstatbestand das Ver- oder Gebot ansprechende Merkmale wie „entgegen“ oder „zuwiderhandelt“ aufnimmt, darin konsequent normative Tatbestandsmerkmale zu sehen, die das Ver- bzw. Gebot zu einem Tatbestandsmerkmal machen.

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Daran anknüpfend wird man weiter sagen können, dass immer dann, wenn der Straftatbestand auf rechtliche Verhältnisse Bezug nimmt, das Rechtsverhältnis und insoweit der Rechtsverstoß normative Tatbestandsmerkmale sind.[71] Daher dürfen in § 292 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Merkmale „unter Verletzung fremden Jagdrechts“ und „Sache, die dem Jagdrecht unterliegt“ nicht im Sinne des Zusammenlesens zu einem Straftatbestand der Art: „Wer auf einem fremden Grundstück eine Abwurfstange findet und sich zueignet, wird … bestraft“ (vgl. § 1 Abs. 1, 5; § 3 Abs. 1 BJagdG) umgeformt werden. Entsprechendes gilt für die in § 289 StGB aufgeführten Rechte. In diesem Zusammenhang ferner bemerkenswert ist § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 UStG, der als steuerrechtlich und daher auch steuerstrafrechtlich (§ 370 Abs. 1 AO) relevante „sonstige Leistungen“ die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von „Patenten, Urheberrechten, Markenrechten und ähnlichen Rechten“ einstuft. Der BGH spricht insoweit von normativen Tatbestandsmerkmalen.[72] Von diesem Blickwinkel aus lässt sich § 106 UrhG wie folgt lesen: „Wer das Urheberrecht eines anderen verletzt, wird … bestraft“.[73] § 143a Abs. 1 MarkenG knüpft ausdrücklich („Wer die Rechte des Inhabers einer Gemeinschaftsmarke … verletzt“) an den Rechtsverstoß an und in § 144 Abs. 1 MarkenG geschieht dies mit dem Wort „entgegen“. In § 142 PatG wird auf das Erfordernis der Patentverletzung durch Bezugnahme auf die Tathandlungen des § 9 PatG Bezug genommen.[74]

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In dem umweltstrafrechtlichen Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten (§§ 324a Abs. 1, 325 Abs. 1, 2, 3, 328 Abs. 3 StGB) wird allgemein ein objektives Tatbestandsmerkmal gesehen, mit der zutreffenden Folge, dass sich der Vorsatz auch auf die Verwaltungswidrigkeit beziehen muss.[75] An dieser Rechtslage würde sich nichts ändern, wenn der Gesetzgeber das Merkmal der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten durch die Variante des § 330d Abs. 1 Nr. 4a StGB, also durch die Merkmale „entgegen einer Rechtsvorschrift, die dem Schutz … dient“, ersetzte.

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Die Meinungsverschiedenheiten spiegelt anschaulich eine Entscheidung des BGH zu § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG a.F. = § 18 Abs. 1 Nr. 1a AWG n.F. wider.[76] In dem Fall hatte der Angeklagte entgegen der zum Tatzeitpunkt geltenden Iran-Embargo-VO Nr. 423/2007 (EG) an eine im Anhang IV der VO aufgelistete Organisation A., insoweit Art. 7 Abs. 3 der VO verletzend, „wirtschaftliche Ressourcen“ in der Form von Tritium geliefert. Da nicht festgestellt war, dass X von der Listung der Organisation A. wusste, bemerkte der BGH, „dass die (mögliche) Unkenntnis von der Listung den Vorsatz des Angeklagten unberührt lässt, weil der Irrtum über den Inhalt und oder die Reichweite einer Ausfüllungsnorm, auf die ein Blankettstraftatbestand wie § 34 Abs. 4 AWG ausdrücklich verweist, sich als Verbots-, nicht aber als Tatbestandsirrtum darstellt“. Der BGH beanstandete lediglich, dass das Landgericht sich nicht mit der Milderung gemäß § 17 S. 2 StGB auseinandergesetzt habe. So betrachtet lautet für den BGH der „zusammengelesene“ Straftatbestand offenbar wie folgt: „Wer in den Iran wirtschaftliche Ressourcen (Tritium) an A. liefert, wird … bestraft.“ Ein solcher Tatbestand verkörpert keinen ausreichenden Unrechtstypus.[77] Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1a AWG soll u.a. bestraft werden, „wer einem Ausfuhrverbot eines veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt“. Der einschlägige Rechtsakt lautete (Art. 7 Abs. 3 VO): „Den in den Anhängen IV und V aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.“ Die Lesart des BGH und des ihm zustimmenden Schrifttums[78] unterschlägt das Ausfuhrverbot, das Zuwiderhandeln und die Konkretisierung des Verbots durch Art. 7 Abs. 3 VO mit der Bezugnahme auf die Listung im Anhang IV.[79] Zustimmung verdient demgegenüber die Bildung eines objektiven Tatbestandes etwa mit dem folgenden Inhalt: „Bestraft wird, wer der Organisation A., die auf der Liste im Anhang IV Iran-Embargo-VO steht, wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung stellt.“[80]

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