Читать книгу Lorandor – die Macht des Fayriaths - Jan Michel Kühn - Страница 10

Kapitel 6: Feenzauber

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Asyra wachte auf. Sie musste sich erst einmal besinnen, wo sie war und was sie hier machte. Noch immer hatte sie Kopfschmerzen, Hunger, Durst und nun brannte zu allem Überfluss auch noch ihr ganzer Rücken. Jetzt fiel es ihr wieder ein: Zuprecht! Hatte er nicht ein Loch in seiner Schulter? Sie öffnete ihre Augen. Auch wenn sie es schaffte, es kostete sie unglaublich viel Anstrengung. Sie sah nur wieder das Holzhaus mit dem Tisch und den zwei Stühlen. Auf dem einen Stuhl saß eine Person, die sie müde angrinste. Asyras Eingeweide erfroren, als sie ihn erkannte. Auf dem Stuhl saß Zuprecht in seiner echten Gestalt. Doch nur die schwarzen Augen sagten Asyra, dass ihr Freund vor ihr saß, da nur Kobolde solche besaßen. Er sah furchtbar aus. Eine Bandage, die die gesamte rechte Schulter verband, war voller Blut, sein Arm hing schlaff herunter. Sein Gesicht hatte einige neue Narben, die allesamt noch blutig waren, und auch der Rest seines Körpers sah nicht besser aus. Nur die schneeweiße Kleidung, die er trug, machte den Anblick etwas erträglicher. Er grinste noch immer, erhob sich langsam und brachte ihr etwas Wasser, das er aus einem kleinen Eimer neben dem Tisch in einen Kelch füllte.

„Wie geht es dir? Probiere den Mund aufzumachen, dann kann ich dir das Wasser geben.“ Seine Stimme war höher als sie es in menschlicher Gestalt war. Sie wollte antworten, doch nur ein heiseres „schlecht“ kam ihr über die Lippen. „Am besten du redest so wenig wie möglich. Du hattest Glück. Wir beide!“ Er setzte den Kelch an ihre Lippen und sie trank dankbar aus. „Noch etwas?“ Sie nickte. Zuprecht musste ihr noch drei weitere Kelche Wasser bringen, bis endlich ihr Durst gestillt war.

Dann setzte er sich neben sie aufs Bett. „Nachdem er dich getroffen hatte, hat dein Zauber auch seine Arme erreicht. Er konnte sich einige Sekunden lang nicht bewegen und ich habe dich dann geheilt, sonst wärst du wohl auf der Stelle verblutet. Dein gesamter Rücken blutete, allerdings konnte ich die Wunden nur notdürftig schließen. Ich wollte dich mitnehmen, aber dann hat das Ungeheuer mir einen Zauber auferlegt.“ Seine Augen wurden glanzlos und er schaute aus dem Fenster. „Nun, in meiner Not hab ich das einzig Sinnvolle gemacht, das mir einfiel. Ich merkte, dass ich dich mit meinem Fuß berührte und ich zerbrach meine Träne, die schon seit Generationen in unserer Familie weitergereicht wurde. Und diese führte uns nun hierher.“

Asyra glaubte nun zu wissen, was diese Träne war. Es war die Träne einer Fee, die sie einem guten Freund oder Verliebten gab. Diese führte sie direkt zur Fee oder ihren Nachkommen. Nun erzählte Zuprecht weiter und Asyra lauschte gebannt: „Mein Urururgroßvater hatte sie einst bekommen. Wir landeten hier und wurden gleich von drei Feen gefunden. Sie konnten den Zauber brechen, den das Monster über mich gesprochen hatte, sonst wäre ich wohl nicht mehr hier.“ Also doch, es war eine Feenträne. Feen waren seltene Begegnungen in Lorandor. Sie lebten nur noch vereinzelt in den Wäldern und an Seen. „Da ... Danke“, brachte Asyra immer noch heiser hervor. Sie war noch sehr schwach, doch sie empfand tiefe Dankbarkeit für den Kobold. Ihr wurde bewusst, dass sie ihm sein Leben verdankte. „Die Feen meinen, wenn sie Magie benutzen, wirst du morgen schon wieder normal sprechen und in vier oder fünf Tagen wieder laufen können.“ Der Kobold stand vom Bett auf und legte sich selbst hin. „Ich kann meinen Arm nicht mehr heilen, nur ein Heiler auf den Dracheninseln wird mir noch helfen können.“ Diese Nachricht erschütterte Asyra bis ins Mark. Spaßte der Kobold? Ein Krieger brauchte immer seinen Schwertarm und ohne diesen wäre er eher eine Last als eine Hilfe. Asyra sammelte ihre Kraft, was sie viel mehr Konzentration kostete als erwartet. Dann schickte sie Zuprecht eine gedankliche Botschaft, indem sie seinen Geist umfasste: „Wenn nur dieser dir helfen kann, dann werden wir zu den Dracheninseln reisen. Wir brauchen den Jungen, das ist mir bewusst. Doch wenn wir zurückreisen würden, dann würde der Gartak uns in Stücke reißen, bevor wir wissen, dass er da ist.“ Er schaute ihr direkt in die Augen „Aber du weißt, was man von den Dracheninseln sagt?“ Nun sprach auch er in ihrem Geist. Die Dracheninseln waren eine fast unerforschte Inselgruppe weit draußen auf dem Meer der Hundert Perlen. Dort lebten die letzten Drachen in den Drachenbergen, die sich über alle Inseln erstreckten. Dort wuchsen die wundersamsten Pflanzen, aber die Überfahrt war mehr als nur gefährlich. Nicht nur dass Felsen, die sogenannten Drachenzacken, überall aus dem Wasser ragten, auch die gefährlichen Affenkraken lebten dort, zwei bis drei Schritt hohe Wasserbewohner, die den Oberkörper eines Pavians hatten, jedoch mit blauem oder grünem Fell, das am Unterkörper in acht Tentakel übergingen. Diese traten meist in Rudeln auf und zogen Schiffe mit kompletter Besatzung auf den Grund des Meeres.

Nur die Stadt Drachenfels gab es auf der Insel, doch nur selten fuhren Schiffe dort hin. Aber Asyra hatte ihren Entschluss gefasst. Zuprecht brauchte ihre Hilfe und sie würde ihren Lebensretter nicht im Stich lassen. Und sie könnte sich auf den Dracheninseln nach dem Jungen umhören, denn wer sagte, dass der Junge im Reich von Reane lebte?

Noch während sie überlegte, wie sie am besten auf die Inseln kommen würden, hörte sie von hinten eine der drei Piepsstimmen: „Ihr seid aufgestanden? Wartet, rührt euch nicht, ich hole meine Schwestern!“ Leises Flügelschlagen, danach kehrte wieder Stille ein, nur Zuprecht murmelte: „Verfluchte Feen! Ich werde nie verstehen wie mein Urururgroßvater sich je in eine verlieben konnte. Ein Glück das sie niemals zusammen fanden. Feenblut in meinen Adern?“ Er schüttelte sich bei dem Gedanken.

Nach einigen Sekunden hörte sie wieder leises Flügelschlagen. Und dann sah Asyra die drei kleinen Feen, zwei Spann lang, mit weißen Flügeln und langem nussbraunem Haar. Einige Strähnen hingen ihnen in das kindliche Gesicht. Sie trugen alle ein himmelblaues Gewand, welches ihnen bis zu den Füßen reichte. Kichernd flogen sie glücklich umher, sodass Asyra sie für ihre Munterkeit und Gesundheit nur beneiden konnte. Dann blieben sie plötzlich in der Luft stehen, während ihre Flügel fleißig weiter flatterten. Die Fee in der Mitte lächelte: „Schön, dass du aufgewacht bist. Schon seit zwei Tagen bist du hier, aber du wolltest einfach nicht aufwachen. Ich bin Getrana.“ Die Fee hatte wunderschöne, leuchtend blaue Augen. Dann zeigte sie auf eine Fee mit strahlenden gelben Augen und kleiner Stupsnase, die rechts neben ihr stand: „Das da ist Atrina, sie ist die jüngste von uns dreien.“ Nun zeigte sie auf die Fee links neben ihr. Mit ihren vollen roten Lippen, smaragdgrünen Augen und elegant geschwungenen Augenbrauen war sie wohl selbst für eine Fee von atemberaubender Schönheit: „Dies ist Sitrana, sie ist die zweitjüngste von uns. Sie hat sich um dich gekümmert.“

Sitrana schaute verlegen zu Boden und knetete ihre Hände. „Du hattest selbst im Schlaf einen geistigen Schutzwall um dich, daher konnten wir deine Wunden nur mit Pasten und Salben heilen“, sprach nun Atrina, die ganz aufgeregt zu sein schien, dass sie endlich mal eine Elfe kennenlernen durfte. „Du musst ihn entfernen, sonst kann unsere Heilmagie noch weniger nutzen, als sie es eh tun wird. Die Wunde wird zwar keine bleibenden Schäden hinterlassen, doch die Narbe wirst du wohl ewig behalten.“ Wenn Asyra vorher schon bleich war, dann war sie jetzt ganz weiß, denn die Vorstellung, dass ein Körper Narben oder Verstümmlungen hatte, war für Elfen ganz und gar abschreckend. Dass sie jetzt eine Narbe über den gesamten Rücken haben würde, schockierte sie. „Senkst du deinen Schutzwall jetzt?“ Atrina sah sie schief mit ihren wundervollen Augen an. Asyra nickte, doch es war so anstrengend, als ob sie Stunden gelaufen wäre. Dann baute sie die Barrikade ab, die ihren Geist umgab. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie sie noch um sich hatte. Dann fingen die Feen an zu singen. Und schlagartig, als der Geist der drei Feen den ihren berührte, fiel sie in eine Art Trance und hörte immer wieder den gleichen Singsang: „Eraldera Ferula Gersimerle Truio.“ Sie wusste nicht, was diese Worte bedeuteten, es war ihr auch egal. Viel zu schnell kehrte die Wirklichkeit zurück. Ein Ruck durchfuhr ihren Körper. Es war bereits dunkel und Mondlicht schien in die kleine Hütte. Die drei Feen ließen sich erschöpft auf den Boden nieder. Asyra versuchte sich aufzurichten. Sie schaffte es, doch ein leichtes Ziehen war immer noch zu spüren. „Wie lange hat es gedauert?“, fragte sie erstaunt. „Sechs Stunden, aber jetzt ist das Schlimmste verheilt, nur die Narbe wird bleiben. Du wirst erst in einigen Tagen wieder uneingeschränkt handeln können.“ Getrana flüsterte die Worte eher, als dass sie sie sprach.

Asyra war beeindruckt. Sie hatte schon einmal eine Fee gesehen, einige wenige lebten in den Ewigen Wäldern. Auch wusste sie von der Macht, die Feen in ihre Magie einbringen konnten. Jedoch einen Körper innerhalb weniger Stunden zu heilen, was normalerweise Wochen oder Monate dauern würde, hieß unglaubliche Kräfte freizulassen, die sie nicht solchen kleinen und kindlich wirkenden Lebewesen zugetraut hätte. „Vielen Dank, ihr könnt mir nicht glauben, wie viel ihr mir geholfen habt!“ Sie log nicht, denn die Feen hatten nicht nur sie, sondern auch Zuprecht gerettet und sich die letzten Tage um die beiden gekümmert, auch, wenn sie sich nicht daran erinnern konnte. Obwohl Asyra wusste, wie erschöpft die Schwestern waren, wechselte sie noch einige Worte mit ihnen. Sie sagten ihr, dass sie nicht weit vom Feensee entfernt waren, wo sie sie gefunden hatten und wo sich der Heiler für Zuprecht, der Zoran der Baumweise hieß, befinden könnte. Beim Thema Zuprecht fiel Asyra etwas auf. Sie waren schon mehrere Tage hier, aber noch immer waren die Narben von Zuprecht blutig und frisch. Als sie die Feen fragte, antworteten diese mit gesenktem Blick: „Die Narben können wir nicht heilen. Wenn der Kobold nicht gelogen hat, dann habt ihr gegen einen Gartak gekämpft. Diese Wesen sind nicht nur unglaublich zäh, wie ihr bestimmt wisst, sondern außerdem von mächtiger und bösartiger Magie durchdrungen. Der Zauber, den das Monster auf den Kobold gelegt hat, ähnelt sehr dem wohl weitverbreiteten ‚Darkota Deltratea‘, bei den Kobolden auch als ‚Strakort Trexark‘ bekannt. Die Menschen hingegen nennen ihn einfach Dornenstrauch-Zauber. Nun, normalerweise fügt der Zauber dem Opfer nur einige Kratzer zu, doch bei einem so mächtigen und bösartigen Wesen wirkt der Zauber wohl zehnmal so stark. Und ein Dorn hat dann wohl die Schulter des Kobolds durchbohrt und seinen gesamten Körper aufgerissen. Und die böse Magie, die den Zauber durchdrang, wirkte noch sehr lange nach. Die Wunden platzen immer wieder auf, weswegen sie nur sehr langsam verheilen.“ Diese Nachricht erschütterte Asyra. Plötzlich merkte sie, wie müde sie war. Und auch die Feen schienen nur allzu gerne schlafen zu wollen. „Legen wir uns hin, morgen werden wir weiterreden!“ Alle stimmten Asyra zu. Die Feen schliefen in drei winzigen Betten, die alle nebeneinander standen. Nach einem schnellen „Gute Nacht“-Austausch bei den Feen schliefen diese schnell ein. Asyra horchte noch etwas, wie Zuprecht laut schnarchte. Der Arme. Wie musste es sein, seinen rechten Arm nicht mehr schwingen zu können? Als Kämpfer niemanden mehr verteidigen zu können? Doch noch etwas machte ihr Angst. Wo war der Gartak und suchte er sie noch? Sie versuchte nicht allzu viel darüber nachzudenken und dann meldete sich ihr Rücken mit einem leichten Ziehen.

Nicht einmal sie selbst glaubte daran, dass sie ohne den Jungen jemals den Gartak oder gar Reane selbst besiegen könnte. Sie musste endlich diesen Jungen finden! Denn sonst war Lorandor dem ewigen Untergang geweiht!

*

Die Tage vergingen schleppend. Noch war Asyra zu schwach, um etwas zu unternehmen, daher blieb sie meist im Haus. Es war ein schönes Haus, untergebracht in einer Fichte, am Rande des Saphiertannenwalds und nicht weit weg vom Feensee. Allerdings konnte sie diese Aussicht nicht genießen, denn wenn sie längere Zeit saß oder stand, fing ihr Rücken wieder an zu ziehen. Dies konnte sich bis ins Unerträgliche steigern. Die Feen kamen immer wieder vorbei, redeten mit Asyra und gaben ihr Ratschläge für die folgende Reise. Auch gaben sie ihr die gleiche, schneeweiße Kleidung wie Zuprecht, da ihre alte zerrissen wurde, als der Gartak ihr mit den Schwertern den Rücken aufgeschlitzt hatte. Doch etwas anderes machte Asyra unglaubliche Sorgen: Immer wenn die Feen anwesend waren, wurde Zuprecht sehr still, war ständig nervös und war bei dem kleinsten Streit sofort zornig. Asyra war nicht entgangen, dass er sehr oft im Schlaf schrie und immer wieder aufschreckte. Sie ging damit besser um. Immer wieder sah sie das grauenhafte Löwengesicht des Gartak, das ihnen aus den giftgrünen Augen böse entgegenblickte. Aber schon nach einigen Tagen hörten diese Träume auf und mit ihnen verschwand auch das Ziehen am Rücken. Die Narbe allerdings blieb und zog sich über den gesamten Rücken. Die Feen rieten ihr, noch bis zum Ende der Woche zu warten, und so verbrachte Asyra ihre Zeit damit, sich im Säbelkampf unten auf der Wiese zu üben. Zuprecht schaute ihr dabei zu. „Wie wäre es mit einem Kampf gegen mich?“, schlug er irgendwann vor. „Keine Angst, das geht schon. Ich werde ihn einfach nicht benutzen.“ Dabei zeigte er auf den Arm und seine Schulter, während er lächelte. Es war das erste Lächeln, das Asyra von ihm gesehen hatte, seit sie vor fünf Tagen aufgewacht war.

„Aber du hast ja nicht mal eine Waffe!“, fiel Asyra auf. Und nun merkte sie, dass der Kobold, obwohl er ein Krieger war, weder eine Waffe, noch eine Rüstung getragen hatte. Zuprecht schien ihre Gedanken lesen zu können, denn er antwortete: „Noch habe ich mein Schwert nicht gebraucht, wieso es also mit mir herumschleppen?“ Und mit diesen Worten holte er einen runden Schwertgriff aus seiner Tasche, der mit einem pfirsichkerngroßen Bernstein verziert war, und hielt ihn mit seiner linken Hand fest. „Grasch!“, sagte der Kobold. Noch während Asyra sich Gedanken machen konnte, was er damit vorhatte, flirrte die Luft vor und hinter dem Griff. Dann wurde aus dem Flimmern feste silberne Materie und schon im nächsten Moment hielt Zuprecht ein hervorragendes Langschwert in der Hand, der Bernstein bildete den Knauf, während die Parierstange aus reinem Gold bestand. Asyra war schwer beeindruckt. Sie wusste, dass von Kobolden geschmiedete Schwerter magische Kräfte entfachten, wenn sie mit einem Losungswort, was meist auch dem Namen des Schwertes entsprach, angesprochen wurden. Zwar wusste sie, dass Kobolde Magie in ihre Waffen einbauen konnten, aber eine Klinge aus dem Nichts zu erschaffen, war selbst für eine von Kobolden geschmiedete Waffe recht selten. „Bereit?“, fragte Zuprecht, doch er wartete die Antwort nicht ab und ließ einen Schlag von der Seite auf die Elfe herabfahren. Asyra wich mit einem Sprung nach hinten aus und suchte sich sicheren Halt, wobei sie Zuprecht nicht aus den Augen ließ. Dieser setzte nun zu einem Angriff auf die Beine an, den Asyra mit einem Sprung über die Klinge wirkungslos machte. „Halt, einen Moment“, unterbrach Zuprecht den Kampf und ließ die Waffe sinken. „Wie wäre es, wenn ich eine kleine Sicherheitsvorkehrung anlege, damit wir nicht noch mehr Schmerzen erleiden müssen.“

Asyra, die den Vorschlag eigentlich vor dem Kampf machen wollte, nickte. „Traxonock“, murmelte Zuprecht, schnippte jedoch nicht wie gewohnt mit den Fingern, da er links sein Schwert hielt und sein rechter Arm schließlich komplett unbrauchbar war. Die Schwerter leuchteten hell. „Nun sind sie von einem unsichtbaren Polster überzogen“, erklärte Zuprecht. „Wollen wir während des Kampfes von unserer Magie Gebrauch machen?“ „Solange es nicht gefährliche Magie ist“, willigte Asyra ein. Und schon setzte sie zu einem Angriff an, der Zuprechts Schwertarm treffen sollte. Dieser blockte und schob das Schwert von sich, sodass Asyras gesamter Körper ungeschützt war. Natürlich nutzte er sofort die Gelegenheit, aber auch sie hatte sich bereits gewappnet.

Die Kraft fügte sich einige Zentimeter vor ihrer Brust zu einem Kraftschild zusammen, welches das Schwert von Zuprecht abprallen ließ. Nun war auch sie wieder gefasst. Sie musste vorsichtiger sein, eine Sekunde später und sie hätte diesen Kampf verloren. Beide schauten sich einen Moment in die Augen, bis Asyra zu einem Angriff überging und nun erneut versuchte, Zuprechts linken Arm zu treffen, wobei sie nun einen Stich und keinen Schlag ausführte. Zuprecht wich nach hinten aus, doch sie hatte damit gerechnet und stieß erneut nach dem Kobold und diesmal traf sie, wenn auch nur leicht. Im echten Kampf hätte es wohl keine Rüstung durchschlagen, aber da Zuprecht nur ein leichtes, graues Hemd trug, schnitt die Klinge durch den Stoff, wenn auch nicht durch die Haut, da der Zauber ihn schützte. Aber Zuprecht wollte nicht kampflos aufgeben. Auch wenn er mit links kämpfte. Er vollbrachte eine Salve von unglaublicher Geschwindigkeit, die Asyra ihm bei der Verfassung, in der er sich befand, nie zugetraut hätte. Sie blockte zwar alle seine Angriffe ab, aber plötzlich beendete Zuprecht seine Salve und machte einen Sprung nach hinten. Überhaupt nicht vorbereitet auf so eine Aktion, hörte Asyra nur noch: „Traklgok Erikta“

Ein grelles, weißes Licht blendete sie, dann sah sie nur noch schwarz. In ihrem Kopf dröhnte es, sie konnte sich nicht konzentrieren. Als einige Sekunden später das Dröhnen aufgehört hatte und sie wieder klar sehen konnte, stand vor ihr Zuprecht, der grinste und sein Schwert auf ihre Kehle gerichtet hatte: „Ich würde sagen, ich hab gewonnen.“ Die beiden lachten, wie sie es seit Tagen nicht mehr getan hatten. Asyra fiel auf, dass immer, wenn die Feen nicht anwesend waren, Zuprecht viel glücklicher und aufgeschlossener war. Dann fiel ihr wieder ein, wieso: Kobolde und Feen passten so wenig zusammen wie Elfen und Zwerge oder Oger und Menschen. Auch sie haben seit den alten Tagen Streit, weil sie einfach von ganz anderer Natur sind. Die lebhaften, Natur liebenden und wunderschönen Feen, die nichts lieber machten, als das Leben in vollen Zügen zu genießen, und an nichts hingen, passten einfach nicht zu den grimmigen, goldgierigen und greisen Kobolden, deren Lebensziel es war, so viel Gold zu erwerben wie möglich und dabei möglichst wenig zu verlieren.

„Niemals hätte ich geglaubt, dass du mich mit links besiegen könntest!“ Sie hoffte, der Kobold würde es als Kompliment ansehen, nicht als Beleidigung. Ihre Sorgen waren unbegründet, denn der Kobold dankte und antwortete: „Ein echter Kämpfer kämpft mit links genauso gut wie mit rechts.“ Erneut flirrte die Luft um das Schwert und die Klinge verschwand, wie sie gekommen war. Als nur noch der runde Schwertgriff in seiner Hand war, verstaute er diesen wieder in seiner Tasche.

Sie gingen schweigend ein Stück in Richtung Baumhaus, dann blieb Zuprecht stehen und schaute ihr fest in die Augen: „Bist du sicher, dass du zu den Dracheninseln reisen willst, nur damit ich meinen Arm wieder benutzen kann? Es wäre töricht, mich den Menschen unter der Herrschaft der Diamantenen Hexe vorzuziehen. Immerhin ist auch die Reise für dich unglaublich gefährlich!“ Auch Asyra hielt an, dachte kurz nach und antwortete mit Bedacht: „Wenn du glaubst, dass die Rückkehr töricht wäre, dann sind wir aber sehr unterschiedlicher Meinung. Wäre es nicht viel dümmer, jetzt zurückzukehren? Schon einmal haben sie meinen Schutzzauber durchbrochen, wieso sollten sie es nicht noch mal tun? Und außerdem wäre ich ohne dich gar nicht mehr hier, denn ohne dich hätte mich der Gartak bereits im Dorf getötet!“ Sie schauten sich lange in die Augen, dann zuckten Zuprechts Mundwinkel und er schüttelte den Kopf. Fast schien es so, als wollte er noch etwas hinzufügen, entschied sich dann aber anders und seufzte: „Ich kann dich davon nicht abbringen und stören tut es mich auch nicht, wenn du mich begleitest. Aber ich wollte es dir sagen, denn ich will dich nicht ausnutzen.“ Genau diese Gedanken hatte sich Asyra gemacht, als Zuprecht ihr gesagt hatte, dass er sie begleiten wolle. „Hast du dir schon Gedanken gemacht, wie wir dorthin kommen?“

„Nein, aber das ist wohl das größte Problem. Der Sommer neigt sich dem Ende zu und Sitrana meinte, dass die Schiffe bald auf die Insel fahren, um Gewürze, Obst und Gold zu holen. Wenn wir es noch nach Ghulan schaffen und dort einen Kapitän finden, der uns bis nach Drachenfels mitnimmt, wäre dies wohl kein Problem, sonst müssten wir den Winter hier verweilen“, erklärte Asyra. Sie wusste, dass sie den Kobold überzeugt hatte, denn bei der Erwähnung, dass sie eventuell noch ein ganzes Jahr hier verbringen müssten, hatte Zuprecht die Augen weit aufgerissen und heftig mit dem Kopf geschüttelt.

„Dann lass uns keine Zeit verlieren. Ich könnte morgen bereits aufbrechen, was ist mit dir?“ Nachdem er dies gesagt hatte, war für Asyra klar, dass seine schlechte Laune eindeutig von den Feen kam. Um dieser Feststellung noch die Krone aufzusetzen, kamen die Schwestern ihnen entgegen und Zuprechts Lächeln gefror. Als sie nah genug waren, fing Asyra das Gespräch an: „Gut, dass ihr kommt, wir haben euch etwas mitzuteilen.“ Die drei schauten sie neugierig an, doch sagten sie nichts. Zuprecht vollendete Asyras Satz: „Wir werden morgen abreisen, damit wir noch ein Schiff finden, welches uns bis nach Drachenfels bringen kann.“ Sie fügte hinzu: „Ihr wart uns wirklich eine Hilfe, aber wir müssen weiter, denn in jeder Sekunde die verstreicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Reane hinter unser Vorhaben kommt und den Jungen vor uns findet. Dann waren all unsere Mühen umsonst.“

Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, fingen die Feen wie wild an zu plappern, doch weder Zuprecht noch Asyra verstanden auch nur ein Wort. „Es muss sein! Für die letzten freien Völker und für ganz Lorandor!“, bläute Asyra den drei ein, wobei eine gewisse Schärfe in ihrer Stimme zu hören war. Sie verstummten. Nach einem kurzen Schweigen, in dem sie sich höchstwahrscheinlich im Geist berieten, sprach Getrana für sie alle: „Ihr habt Recht. Euch geht es wieder besser und wir haben alles in unserer Macht Liegende getan, um Euch zu heilen. Nur eine Bitte haben wir. Lasst uns wenigstens Eure Sachen packen, damit Ihr Euch für morgen ausruhen könnt.“ Zuprecht und Asyra nickten. Sofort erhellten sich die Mienen der Schwestern und sie flogen lachend und scherzend zurück zu ihrem Haus. Die beiden anderen folgten ihnen, denn bald würde die Nacht anbrechen und außerdem hatten sie genug trainiert.

Im Haus legten sich Zuprecht und Asyra auf ihre Betten und schauten dabei zu, wie die Sonne unterging. Dabei überlegten sie, wie sie am besten Zoran finden und trotzdem nicht zu spät zu den Booten kommen könnten. Denn laut Atrinas Aussagen blieben die Boote gerade mal zwei Wochen in Drachenfels. Als beide todmüde waren und ihr Vorhaben gründlich durchdacht hatten, war es bereits Mitternacht. Und während sie langsam in den Schlaf fielen, gellte von sehr weit weg, vielleicht sogar aus dem Herzen der Donnernden Faust, ein fürchterlicher Schrei der Wut über den gesamten Kontinent.

Lorandor – die Macht des Fayriaths

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