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Kapitel 7: Auf der Blau Pfeil

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Der Hafen war voll von schwitzenden Männern, schreienden Frauen und spielenden Kindern. Asyra kannte die Menschenstädte. Überfüllt, auf engstem Raum gebaut und stinkend wie eine Horde Oger. Man kannte die Weberin im Dorfe außerhalb der Stadt besser als die eigene Nachbarin. Die ruhigen Elfenstädte, gebaut in den Baumkronen riesiger und uralter Bäume, mit Bewohnern, die sich alle untereinander kannten und respektierten, gefielen ihr einfach besser. Zwar war Ghulan keine große Hafenstadt wie Seg oder Südwart, jedoch noch immer eine Stadt, die auf jeder Karte eines vernünftigen Navigators eingezeichnet sein sollte.

Sie waren kaum angekommen, schon war Zuprecht losgeeilt, um einen Seefahrer zu suchen, der sie bis nach Drachenfels bringen sollte. Er meinte, sie solle hier am Hafen warten, bis er zurückkomme. Nun wartete sie schon fast eine Stunde, allerdings machte ihr das Warten nichts aus. Zu Hause hatte sie manchmal Tage oder Wochen gewartet: auf ein Familienmitglied oder auf Freunde. Da packte sie eine Hand von hinten und Asyra schnellte herum. Es war Zuprecht, in der Hand hielt er zwei Pergamentstücke, auf denen sich jeweils ein blaues gestempeltes Wachssiegel befand. „Komm endlich! In einer Stunde lichten wir die Anker und hissen die Segel“, erzählte er strahlend. „Ich brauchte zwar etwas, um den alten Knauser zu überzeugen, aber letzten Endes musste ich gerade mal zehn Udamantia bezahlen! Für die Verpflegung für uns beide brauchen wir uns auch keine Sorgen zu machen.“

Asyra rollte mit den Augen. Sie würde ohne Probleme ihr ganzes Geld für diese Schifffahrt weggeben. Was waren schon einige Münzen, auch wenn sie aus Gold, Silber oder Kupfer waren! Es war totes Material, ohne Gefühle und ohne Seele. Während sie sich über diese Sachen Gedanken machte, folgte sie Zuprecht zu einem Steg, an dem ein dreißig Schritt langer prachtvoller Dreimaster hielt. Die Planken schienen aus bestem Holz gemacht, die drei Masten ragten zehn Schritt in die Höhe und die bereits gespannten Segel schienen brandneu zu sein. Am Bug stand in goldener Schrift Blau Pfeil, was wohl der Name des Schiffs war. Sie gingen zu einem böse drein blickenden Mann, der sie mürrisch fragte: „Ihr wünscht?“ „Wir sind die Gäste. Hier sind die Papiere.“ Zuprecht war sichtlich bemüht, den Ton zu halten. Der Mann musterte sie. Sein Blick blieb an der blutigen Bandage hängen, die er einige Zeit mit offenem Mund betrachtete. „Noch nie einen Verwundeten gesehen?“, blaffte Zuprecht ihn an. Der Mann schaute wieder hoch und nun Asyra fest in die Augen, während er seine zu Schlitzen verengte: „Dass Ihr mir ja nicht mit Eurem Hokuspokus das Schiff in den Abgrund zieht. Die Magie hat schon zu viel Schaden angerichtet.“

Mit diesen Worten schickte er sie auf das Schiff und führte sie unter Deck zu einem kleinen Zimmer. „Da schlaft Ihr. Wenn die Flut einsetzt, fahren wir los.“ Der Mann reichte ihnen einen kleinen, rostigen Schlüssel und ging wieder zum Steg. Zuprecht öffnete die Tür, die sich mit einem leisen Quietschen öffnete. Das Zimmer war voller Stroh, zwei Decken lagen auf einer kleinen Holzkiste und ein kleiner Nachttopf stand in der Ecke. Es roch nach altem Fisch und Rum und da Asyras feine Nase dies besonders intensiv aufnahm, musste sie sich beherrschen, um sich nicht zu übergeben. „Das sieht ja ganz gemütlich aus“, sagte Zuprecht und schaute Asyra an, die angeekelt auf den Nachttopf schaute. „Es ist doch nur für einige Tage.“ Sie richteten ihre Sachen ein und gingen dann, um sich auf dem Deck umzusehen. Auf dem Deck liefen acht Männer umher, während eine Frau mit langem, braunem Haar und sonnengebräunter Haut ihnen Befehle zubrüllte. „Die Segel hissen, die Flut setzt jeden Moment ein und ihr faulen Hunde habt noch nicht den verfluchten Anker eingezogen. Habt ihr den Rum schon eingeladen?“, sie schrie aus vollem Hals. Die Männer legten noch einen Zahn zu und der Schweiß rann an ihren Körpern in Strömen hinunter. Zuprecht und Asyra gingen über das Deck und versuchten dabei so wenig wie möglich im Weg rumzustehen, doch die Frau brüllte: „He! Ihr da! Steht, wenn Ihr nichts zu tun habt, nicht nutzlos rum, sondern macht Euch vom Acker!“

„Heute sehr gut gelaunt, die Gute“, flüsterte Zuprecht, wobei die Ironie in seiner Stimme unüberhörbar war. Sie gingen wieder unter Deck und zu ihrem Zimmer. Gerade als sie die Tür aufschlossen, ging ein Ruck durch das gesamte Schiff und sie hörten, wie Wasser gegen die Planken schwappte. „Nun, auf zu den Dracheninseln.“, richtete sich Asyra an Zuprecht. „Und meine erste Schifffahrt!“, fügte Zuprecht hinzu. Sie war schon einmal auf einem Schiff gewesen: über den Salzersee auf der Durchreise nach Boanien.

„Ihr seid also die Gäste?“ Es war die Frau, die sie eben erst weggeschickt hatte, die ihnen ihre Hand hinhielt. „Mein Name ist Wenala von Seg, Kapitänin vom Blauen Pfeil.“ Zuprecht nahm an und schüttelte die Hand, während er sich vorstellte: „Zuprecht Silberzunge, Krieger und Gesandter der Kobolde.“ Dann stellte sich Asyra vor: „Asyra Tre’latha, auf der Suche nach dem Fayriath. Unser Ziel ist es, die Welt von Reanes Herrschaft zu erlösen.“ Wenala schaute etwas verwirrt, da sie wohl noch nie etwas von Fayriath gehört hatte. Asyra musterte sie genau. Die etwas große Nase und die dünnen Lippen passten nicht so richtig zusammen. Es waren die braunen, strengen Augen, die ihr die Autorität verliehen, die sie ausstrahlte. Ihre braune Haut, die Asyra an Bronze erinnerte, war mit etlichen Tattoos bemalt, die Drachen, Nixen und andere Wesen zeigten. „Ich wollte mich nur vorstellen. Nun ... Ich muss dann auch wieder nach oben“, beendete Wenala das Gespräch. Sie dreht sich um und ging wieder auf das Deck.

„Merkwürdig, sie war gar nicht überrascht, eine Elfe oder einen Kobold mit auf dem Schiff zu haben. Dabei sind doch besonders die Menschen so distanziert, wenn es um andere Geschöpfe als sie geht“, stellte Zuprecht trocken fest. Auch Asyra war es aufgefallen: „Besonders Elfen sind auf Schiffen ungern gesehen. Das hat mir ein alter Seefahrer erzählt, kurz bevor ich über den Salzersee gefahren bin.“ „Ach, freuen wir uns doch. Besser, als von einem Gartak zerfleischt zu werden“, beschwichtigte er sie. Der Kobold war wieder optimistisch und fröhlich, seit sie von den Feen weg waren, daher fügte sie in Gedanken hinzu: „Oder bei Feen zu leben.“

Sie gingen los, um das Schiff zu erkunden. Es wirkte von innen viel kleiner als von außen und Asyra fühlte sich so eingeengt nicht wirklich wohl, Zuprecht hingegen war entzückt von dem Schiff.

Sie wollten eben wieder zurück zu ihrem Zimmer gehen, als sich plötzlich eine Tür öffnete und ein Geschöpf herauskam, das sie beide noch nie gesehen hatten, doch sofort erkannten. Die eindreiviertel Schritt hohe waschbärenähnliche Gestalt hatte ein goldgelbes Fell mit stechenden königsblauen Augen. Zwischen den jeweils vier Krallen befanden sich feine Schwimmhäute, ebenso zwischen den vier Zehen. Ein Beutel hing von seinem Gürtel, der das fließende Gewand, das er trug, fest an den Körper band. Es war ein Trilit. In seiner Hand hielt er einen abgebissenen Apfel und schien nicht weniger überrascht zu sein als die beiden. Doch er fasste sich schneller als Zuprecht und Asyra und fing das Gespräch mit tiefer Stimme an: „Guten Tag. Mein Name ist Gart Treaten. Geboren in Wartenberg, ausgebildeter Magier.“ Er hielt ihnen die Hand hin und dieses Mal nahm Asyra an: „Asyra Tre’latha. Auf der Suche nach dem Fayriath und der Erlösung von Reane, geboren in Symaya.“ Der Trilit schaute nun Zuprecht an und hielt ihm die Hand hin, die dieser annahm und sich vorstellte: „Zuprecht Silberzunge. Krieger und Gesandter der Kobolde, geboren in Wertesch.“ „Ein Krieger, sagt Ihr? Von Euch gibt es in Eurem Volk ja nicht allzu viele, sagt man. Doch Ihr sollt unglaublich mächtig sein“, sagte er schwer beeindruckt. Ein Lächeln umspielte Zuprechts Mundwinkel, während er erwiderte: „Nun, aber von den wenigen Magiern unter Euch hört man auch nur Positives.“ Auch Asyra wusste, dass ein magiebegabter Trilit noch seltener vorkam als ein Magier bei den Zwergen. Sie zählten jedoch trotzdem zu den mächtigsten magischen Wesen Lorandors.

„Sagtet Ihr nicht, Ihr wolltet Reane stürzen? Was wollt Ihr dann auf den Dracheninseln?“, fragte Gart, und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. Zuprecht zeigte auf seine Schulter und erklärte: „Ein Gartak hat uns verfolgt und uns fast zerfleischt, aber wir konnten fliehen. Mein Arm wurde dabei so schwer verletzt, dass nur der Heiler Zoran der Baumweise ihn heilen kann.“ Bei der Erwähnung des Gartaks hatten sich Garts Augen geweitet, wahrscheinlich hielt er sie für irre. „Das ist ... unglaublich! Und Ihr belügt mich nicht? Wenn ... dann ... sind die letzten freien Reiche in großer Gefahr!“, stotterte Gart ungläubig. „Nun, erzählt mir mehr davon, kommt mit hier rein, da ist genügend Platz.“

Er führte sie in den Raum, aus dem er gerade gehen wollte, wo vier Stühle und ein Tisch standen. Sie setzten sich und erzählten, wie sie sich kennengelernt hatten, dann eines Nachts vom Gartak überrascht wurden und zu den Feen fliehen konnten. Danach erzählte der Trilit, dass er durch ganz Diamantia gewandert sei und dass er nun auf dem Weg zu den Dracheninseln sei, um einen echten Drachen zu sehen und von ihm eventuell das eine oder andere zu lernen. Sie redeten bis in den Abend. Erst als ein junger Matrose mit kurzen lockigen Haaren kam und sie zum Essen rief, standen sie auf und gingen zum Essen.

„Das nennen die Essen?“, fragte Gart mit angewidertem Blick, als er das heutige Essen, etwas Wasser mit trockenem Brot und Trockenfleisch und für Asyra drei Scheiben Gurken, sah. „Da kann ich ja selbst was besseres zaubern.“ Und mit diesen Worten öffnete er seine Tasche, die an seinem Gürtel hing, und holte eine ein Finger lange, vollkommen klare Kristallkugel heraus. Er schaute sich um, dass auch keiner der eifrig essenden und glücklich schwatzenden Matrosen ihm zuschaute und schon im nächsten Moment hatte er das Brot mit der Kristallkugel und den Worten „Tiwale“ berührt. Mit dem Brot und dem Trockenfleisch passierte jedoch nichts und die beiden anderen fragten sich, ob der Zauber eventuell schiefgelaufen war. Aber als er in das Brot biss, zuckte das Fell um seinen Mund und es erinnerte an ein Lächeln. Als er ihre fragenden Blicke sah, erklärte er ihnen: „Der Zauber verändert mit einer Illusion den Geschmack des Essens.“

Nachdem Essen trennten sie sich und gingen in ihre Unterkünfte, verabredeten sich aber schon für den folgenden Tag.

Asyra und Zuprecht waren unglaublich müde, ohne wirklich zu wissen, warum. Sie legten sich auf das Stroh, das am ganzen Körper kratzte, und dessen Staub unglaublich in der Nase juckte. Dennoch schliefen sie beide sehr schnell ein und zum ersten Mal seit langem schrie Zuprecht nicht mehr im Schlaf.

*

Einige der Drachenzacken ragten hier und da aus dem Wasser. Zuprecht und Asyra schauten vom Deck der Blau Pfeil auf das schäumende, tiefblaue Wasser.

Sie waren schon fünf Tage unterwegs und sollten voraussichtlich morgen den Hafen von Drachenfels erreichen. Beide fühlten sich nicht gut, sie hatten sich in den letzten Tagen nur von Brot, Fleisch und Gurken ernährt. Gut geschlafen hatten sie auch nicht, das Stroh kratzte und der Nachttopf stank auch unerträglich, obwohl sie diesen nie benutzten. Gewaschen hatten sie sich seit ihrem Aufbruch von den Feen auch nicht mehr, was besonders Asyra missfiel, sodass sie sich entschloss, heute endlich wieder ihren Körper zu reinigen. Sie sammelte ihre Kraft in den ausgestreckten Händen und blieb so mehrere Sekunden stehen, bis sie endlich genügend Kraft gebündelt hatte, was ihr in dieser Situation wesentlich schwerer als sonst fiel. Als sie bereit war, riss sie die Hände hoch und holte damit eine riesige Wasserkugel aus dem Meer, die jedoch reglos in der Luft blieb. Beide standen dort, nur mit ihrer schmutzigen weißen Kleidung, die sie von den Feen erhalten hatten. Ihre Waffen und andere Habseligkeiten hatten sie in ihrem Zimmer gelassen. Dann ließ Asyra die Kugel langsam zu ihnen schweben, bis beide plötzlich ganz in der Kugel standen. Es war wie eine Wanne, doch diese wurde nur mit der Kraft Asyras zusammengehalten. Sie wuschen sich und ließen sich Zeit dabei, da die Matrosen gerade unter Deck waren, um zu essen.

Als sie sich fertig gewaschen hatten, ließ Asyra die nun viel schmutzigere Kugel ins Meer zurückgleiten. Danach sammelte sie ihre Kraft erneut, um ihre Kleidung zu trocknen, und als sie fertig war, trocknete sie auch die Kleidung von Zuprecht. „Hast du Hunger? Ich selbst nicht, aber wenn du willst …“, fragte Asyra Zuprecht, doch dieser schüttelte den Kopf. Als sie sich umdrehten, sahen sie Gart, der ihnen zuwinkte und rief: „Ah, hier seid ihr ja. Ich hab euch schon gesucht.“ In den letzten Tagen hatten sie sich gut mit dem Triliten angefreundet. Da er allein reiste, hatte er sie oft aufgesucht, um sich mit ihnen zu unterhalten, weil die Matrosen, wenn sie mal nicht arbeiten mussten, lieber unter sich waren. Er hastete auf sie zu, wobei er seine Kristallkugel, wie so oft, in seiner Tasche ließ. „Ihr glaubt mir nicht, was mir gerade eingefallen ist ...“ Jäh brach er den Satz ab, als ein Ruck durch das gesamte Schiff ging. Zuprecht murmelte: „Was zum ...“ Doch auch sein Satz ging unter in einem wilden Schreien, das vom Unterdeck zu ihnen hochdrang. Gart öffnete seine Tasche und holte die kleine klare Kugel heraus, während Zuprecht und Asyra schon zur Treppe zum Unterdeck gelaufen waren.

Sie hasteten den Gang entlang zum Speisesaal, aber bevor sie diesen erreicht hatten, kamen ihnen schon einige Matrosen entgegen, die brüllten: „Affenkraken! Sie werden uns töten!“ Den dreien lief es eiskalt den Rücken herunter, denn gegen Affenkraken zu kämpfen war wahrlich kein Kinderspiel.

Als sie den Speisesaal erreicht hatten, sahen sie, wie zwei Matrosen und Wenala mit ihren Säbeln verzweifelt probierten, einen Affenkraken zu bezwingen. Auf dem Boden erstreckte sich ein Loch mit zwei Schritt Durchmesser. Das Ungetüm war zweieinhalb Schritt hoch und saß auf seinen Tentakeln, die wie Peitschen durch die Luft sirrten. Asyra sammelte ihre Kraft, doch Gart war schneller und strich einmal mit der linken Hand über seine Kugel, die anfing rot zu leuchten, und brüllte: „Yaletra Urgulbeh!“, und richtete die Handfläche auf den Affenkraken. Im nächsten Moment schoss ein drei Finger langer, glühender Feuerpfeil aus der Handinnenfläche von Gart und traf das Monster direkt am Kopf, das laut brüllte und zur Seite kippte, direkt auf einen Matrosen, der sich noch mit einer Rolle zur Seite retten konnte. Im Kopf war ein Brandloch, aus dem es fürchterlich stank. Asyra nutzte ihre Kraft, die sie gesammelt hatte, um den Affenkraken durch das Loch ins Meer zurückzuwerfen und ließ die Bretter wieder zusammenwachsen.

„Wo einer ist, sind meist auch mehr!“ Kaum hatte Zuprecht diesen Satz vollendet, fing das Geschrei an Deck wieder an. Er fügte hinzu: „Ich hole deinen Säbel und mein Schwert, ihr geht schon mal nach oben.“

Gart und Asyra nickten und liefen rechts den Gang zurück aufs Deck, während Zuprecht links zu den Schlafzimmern abbog. Sie wollten eben die letzten Stufen erklimmen, als ein Mann auf sie geschleudert wurde und Asyra umriss. Der Mann schien bewusstlos oder tot zu sein, doch Asyra hatte keine Zeit nachzuschauen. Ohne große Mühe konnte sie ihn von sich herunterzerren und stellte dabei fest, dass Gart schon weitergerannt war.

Als sie endlich auf dem Deck stand, sah sie drei Affenkraken, die mit ihren Tentakeln immer wieder nach den Matrosen griffen. Gart stand neben einem und war schon wieder dabei, einen Affenkraken zu attackieren. Er sagte zwei Worte, die Asyra nicht verstand, und riss seinen Arm hoch. Der Affenkrake versuchte mit einem Tentakel Gart niederzuschlagen, aber kurz bevor er ihn treffen konnte, explodierten alle acht Tentakel in hunderte Teile und grünes Blut floss aus dem Körper des Monstrums. Es brüllte und schlug mit den Fäusten auf die Planken, sodass diese wie Streichhölzer brachen. Der Blutverlust war zu stark. Es fiel in Ohnmacht und verblutete. Angewidert wollte Asyra zu Gart laufen, aber ein anderer Affenkrake hieb mit zwei seiner Tentakel, denen sie jedoch in letzter Sekunde ausweichen konnte, auf sie nieder. Das Holz zerbarst unter den Tentakeln und das Monster brüllte aus reiner Kampfeslust. Asyra deutete mit den Zeige- und Mittelfingern beider Hände auf das Ungetüm und ließ die Kraft aus ihrem Körper fließen. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob es eine kluge Idee war, diesen Zauber anzuwenden, immerhin hatte sie ihn noch nie benutzt. Dann kreuzte sie die Arme und im gleichen Augenblick wurde das Monster gevierteilt. Grünes Blut spritzte ihr entgegen. Nun war nur noch ein Affenkrake auf dem Deck, allerdings schien dieser von ganz besonderer Art zu sein. Er war drei Schritt hoch, sein Oberkörper war eisblau und er hatte statt acht zehn Tentakel, von denen zwei gerade einen Matrosen hochhoben und ihn in der Luft zerquetschten und achtlos ins Meer warfen.

Als das Ungetüm erkannte, dass seine Kameraden nicht mehr am Leben waren, schlug er den anderen Matrosen quer über das Schiff, der gegen einen der drei Masten klatschte und tot zu Boden sackte.

Die restlichen Matrosen liefen wieder unter Deck und so waren Gart und Asyra auf sich allein gestellt. Noch war das Wesen einige Schritte von ihnen entfernt. Da es sich auf dem Trockenen nur kriechend fortbewegen konnte, hatten sie wenigstens noch etwas Zeit. Aber plötzlich richteten sich zwei der Tentakeln auf die beiden und mit einem Brüllen wuchsen sie um einige Schritte. Bevor sie es realisieren konnten, wurden sie auch schon von zwei schleimigen Tentakeln einige Schritt nach hinten geworfen. Asyra wurde gegen die Kajüte geschleudert, während Gart sich fangen konnte und festen Stand hatte. Nun hielt er die Kugel zwischen beiden Händen und brüllte: „Artrento!“

Ein rot leuchtender Strahl verband die Kugel und die Augen des Affenkraken. Auf einmal war das Monster vollkommen regungslos und schaute lethargisch drein und auch Gart hatte die Augen geschlossen, wahrscheinlich aus Konzentration. Asyra hatte sich während dieser Zeit aufgerichtet und war unter Schmerzen zu ihm gehumpelt. Plötzlich keuchte Gart auf, brach zusammen und mit ihm der rote Strahl. Bevor Asyra wusste, was passiert war, sirrte ein Tentakel auf sie herab, dem sie dieses Mal jedoch mit einer Rolle ausweichen konnte. Der Affenkrake aber schien seine Meinung geändert zu haben und hob nun seine Tentakeln in Richtung Gart, um ihm den Rest zu geben, als plötzlich jemand rief: „Trosch Zuwekon.“

Im nächsten Moment wurde Gart von einer lila Kuppel umgeben, die zwar die Tentakel abfing, dann jedoch brach. Asyra drehte sich um und sah Zuprecht mit Grasch in der linken Hand auf den Affenkraken zulaufen. Zuprecht sprang – und mit einem Schwerthieb, den Asyra nur als Sirren wahrnahm, schlug er dem Monster einen Tentakel ab, der dumpf auf die Planken aufschlug. Während der Affenkrake wütend brüllte, nutzte Zuprecht die Gelegenheit und schlug auf einen weiteren Tentakel ein, der ebenso leicht von Grasch durchschnitten wurde wie der erste. Nun jedoch hatte der Affenkrake sich wieder gefasst und schlug mit drei Tentakeln gleichzeitig auf Zuprecht ein. Diesmal war es Asyra, die mit ihrer gesammelten Kraft ein Schild um Zuprecht legte. Erschöpft von den Zaubern und Verletzungen der letzten Minuten hielt sie sich an einem der Masten fest, während Zuprecht erneut zum Angriff überging und dem Ungetüm mit zwei schnellen Schlägen einen weiteren Tentakel abschlug. Der Affenkrake torkelte zurück und hieb mit den verbliebenen Tentakeln um sich, riss dabei einen Mast um, der auf ihn stürzte und ihn erschlug. Rotes Menschen- und grünes Affenkrakenblut bedeckte das komplett zerstörte Deck, drei Menschen mit gebrochenen Knochen und drei verstümmelte Affenkraken lagen regungslos darauf. Der Anblick war so abscheulich, dass Asyra sich erbrach. Zuprecht ließ sein Grasch wieder verschwinden und hatte mit einigen Fingerschnippern den Mast wieder repariert und die Löcher geschlossen. Wenala kam mit drei Matrosen wieder aufs Deck und stotterte: „Ist ... ist es vorbei?“ Zuprecht nickte, deutete auf die Leichen und fragte: „Ich weiß nicht, wie ihr Menschen eure Leichen bestattet, daher hab ich sie so gelassen wie sie sind. Die Affenkraken jedoch sollten wir einfach zurück ins Meer werfen.“

Auch Wenala stimmte zu und bellte ihren Leuten einige Befehle zu, die sich erst angsterfüllt den Affenkraken näherten, sie mit einem lauten Platschen ins Wasser warfen und sich dann mit Trauermiene ihren Kollegen zuwandten, wobei sie ihre Tränen nicht zurückhielten. Asyra sah es als angemessen an, ihr Erbrochenes aufzuwischen und so wollte sie Eimer und Lappen holen. Sie fragte Wenala danach, die ihr den Weg zur Besenkammer beschrieb. Mit einem widerlichen Gallengeschmack im Mund ging sie die Treppe hinunter, auf der vorhin noch der Mann gelegen hatte. Anscheinend war er wohl nicht tot und wieder auf den Beinen, denn er war nicht mehr dort.

Sie folgte Wenalas Anweisungen und fand nach kurzer Suche den Raum, in dem sich der Eimer befand. Als sie jedoch die Tür geöffnet hatte, wurde das Amulett ihrer Mutter warm und bevor sie ihren geistigen Schutzwall errichten konnte, wurde ihr schwarz vor Augen.

Zwar merkte sie, wie ein fremder, überaus mächtiger Geist in ihren Verstand eindrang, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren, denn als sie zum Gegenangriff überging, fiel sie durch einen heftigen Schmerz, der von ihrer Narbe am Rücken ausging, in eine Ohnmacht, in der alle Bilder der vergangenen Zeit durcheinander wirbelten.

*

Als sie wieder aufwachte, lag sie in ihrem Zimmer auf dem kratzenden Stroh. Langsam kamen die Erinnerungen daran, was passiert war. Sie wollte ihr Erbrochenes aufwischen und war deshalb zu einem Schrank gegangen und dann ... dann war sie in Ohnmacht gefallen und war dann hier wieder aufgewacht. Und hatten ihre Narben nicht geschmerzt? Auch Bilder aus ihren Erinnerungen waren ihr erschienen, von denen viele aus den letzten Wochen stammten! Es musste tief in der Nacht sein, denn man hörte keine lauten Geräusche, die sonst üblich für das Schiff waren.

Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie wild herumfuhr, als jemand sie an der Schulter berührte und leise ihren Namen flüsterte: „Asyra? Bist du wach?“ Doch die schwarzen Augen, die ihr da ins Gesicht schauten, beruhigten sie. Es war Zuprecht, in seinen Leinensack gehüllt, den er zum Schlafen trug. „Wie ... wo ... was ist passiert?“, stotterte Asyra. Zuprecht richtete sich auf und grinste: „Das wüsste ich auch gern! Ein Matrose hat dich gesucht, nachdem du nach mehreren Minuten nicht wiederkamst. Er fand dich zuckend, mit offenen Augen auf dem Boden und weißer Schaum lief aus deinem Mund. Als wir das endlich erfahren hatten, war Gart schon wieder wach und wir liefen zu dir runter. Es muss jemand einen Fluch oder was weiß ich auf dich gelegt haben, es war jedenfalls ein sehr mächtiger Zauber. Ich konnte ihn brechen, doch es kostete mich meine gesamte Kraft!“

Die Worte drangen nur sehr langsam von Asyras Ohren in ihren Kopf. Ihr fielen nur zwei Personen ein, die mächtig genug waren, alle ihre magischen Schilde zu durchbrechen. Der Gartak und Reane. Nun, aber genauso gut konnte es sein, dass sie ohne Grund in Ohnmacht gefallen war, immerhin hatte sie ihre gesamte Kraft aufgebraucht. Doch ihre Kette hatte sich gemeldet, Bilder der letzten Wochen waren vor ihrem geistigen Auge herumgewirbelt und der weiße Schaum und die Zuckungen, die sie laut Zuprecht gehabt hatte, deuteten auf etwas anderes hin als eine normale Ohnmacht.

Zwar beunruhigte sie dieses Ereignis, trotzdem entschloss sie sich, es zu ignorieren, solange es sich nicht wiederholte. Es war naiv, das wusste sie, doch jetzt ewig zu spekulieren, was geschehen war, würde auch nicht mehr helfen. Sie wandte sich an Zuprecht und strich eine Strähne aus ihrem Gesicht: „Seien wir froh, dass nichts Ernsteres passiert ist. Zerbrechen wir uns nicht den Kopf, am Ende wissen wir auch nicht mehr. Lass uns lieber schlafen, damit wir morgen fit sind. Denn fit sollten wir an so einem Ort sein.“ Auch Zuprecht stimmte zu und beide legten sich wieder hin.

Lorandor – die Macht des Fayriaths

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