Читать книгу Lorandor – die Macht des Fayriaths - Jan Michel Kühn - Страница 5
Kapitel 1: Der Anfang
ОглавлениеDer Abend brach an und Asyra freute sich über die kühle Luft, die nach dem heißen Sommertag ihr Gesicht kühlte. Auch wenn der Elfe mit dem langen nussbraunem Haar die Aussichten, bald neue Lebewesen zu töten, so wenig gefiel wie die Landschaft, in der sie sich befand. Ihre blassgrüne Kleidung, die ihr wie angegossen passte, war einer der wenigen grünen Flecken in dieser Steppe.
Diese war der totale Gegensatz zu den blühenden Wäldern von Symaya, die Stadt, welche die Elfe über alles liebte. Dort wuchsen die Bäume so hoch, dass man vom Boden nicht einmal mehr die Baumkronen sehen konnte. Hunderte Elfen und Tiere lebten hier, alle in Harmonie und ohne Streit. In Symaya machte man sich keine Gedanken darüber, dass die Diamantene Hexe ihre Armee wieder zusammenrief, um mit ihr in den Krieg zu ziehen. Aber sie hatte einen anderen Weg eingeschlagen, sie wollte nicht tatenlos die Menschen sterben sehen, sich in den Bäumen verstecken und warten, bis sich alles legte.
Schon seit langem sah sie ihre Berufung in den Träumen, die Berufung, den Jungen zu finden, der das Fayriath in sich trug.
Jetzt war sie hier, weit weg von zu Hause, mitten in der Welt der Menschen, um irgendwo einen Jungen zu finden, von dem sie nicht mal wusste, wo er lebte. Sie wusste nur von seinem Aussehen und dass sein Name Zoran war. Dazu musste sie sich ständig mit Trupps der Diamantenen Hexe herumschlagen, die ihre Reise nicht nur erheblich verlängerten, sondern auch an ihren magischen Kräften zehrten.
Sie ging weiter durch die trockene Landschaft, die sich nicht sehr veränderte, nur hier und da war ein kleiner Strauch noch an einer Stelle grünlich oder ein kleines Bäumchen rankte aus der Erde. Asyra begriff nun, wieso die alten Geschichten, dies den Zyala’ari val’aye nannten, was in ihrer Sprache soviel bedeutete wie Der tote Wald. Die Sonne tauchte das Land in einen roten Glanz, was dieser trostlosen Gegend etwas Schönheit verlieh, denn es sah so aus, als ob sich die Sonne mit der Erde vereinte.
Je mehr die Sonne verschwand, um so mehr eroberte die Nacht den Himmel. Die Sterne leuchteten ihr wenigstens etwas den Weg in dieser Neumondnacht. Die Menschen mit ihren schlechten Augen würden hier wohl nichts sehen können, doch mit den wachsamen Augen einer Elfe konnte sie alles genau erkennen. Endlich konnte sie in einiger Ferne das sehen, worauf sie die letzten drei Tage zugesteuert war: Ein Dorf, mit nicht mehr als 200 Einwohnern, irgendwo im Nichts und abgeschnitten vom Rest der Welt, primitive Bauernhäuser, jedoch unter der harten Knute der Diamantenen Hexe. Asyra wusste nicht genau, was sie veranlasste, genau diesen Ort anzulaufen. Warum sollte der legendäre Krieger in so einem Dorf nicht auffallen? Sie hatte sich schon so oft Gedanken über dieses Thema gemacht, aber nun interessierte sie nur noch, wie lange sie noch bis zum Dorf brauchen würde. Sie schätzte, dass es nur noch fünf oder sechs Meilen waren.
Dann sah sie etwas, was ihr ganz und gar nicht gefallen wollte: eine Gruppe aus fünf Menschen mit zwei Fackeln, wahrscheinlich Straßenräuber, vielleicht auch Späher, Asyra konnte sie nicht unterscheiden. Alles, was sie wusste, war, dass diese Männer bestimmt nicht nur nett mit ihr reden wollten. Sie alle hatten ihre Schwerter, Knüppel und Säbel bereits gezogen. Nur einer hatte einen Stab. Er schien ein Magier zu sein. Nun meldete sich etwas Warmes an ihrer Brust. Die Kette, die ihre Mutter ihr vor ihrem Abschied geschenkt hatte, die sich immer dann erhitzte, wenn ein Magier in ihrer Nähe den Geist zu ihr ausschickte. „Was macht Ihr reizende Dame noch um diese Zeit hier draußen? Wisst Ihr nicht, dass es gefährlich ist, sich außerhalb des Dorfes aufzuhalten?“, neckte einer der Männer sie. Auch wenn sie jetzt noch zutraulich wirkten, Asyra wusste, dass sie vorhatten, sie zu töten.
Da spürte sie auch schon, wie ein fremder Geist probierte, in den ihren zu dringen. Der Mann tastete sich – wie ein Blinder an einer Panzerglaswand – an ihrem Geist entlang, ohne einen Halt zu finden, und doch unermüdlich eine Schwachstelle suchend. Asyra war so konzentriert, dass sie nicht mehr hörte, was der Mann mit dem Langschwert und dem Schild sagte. Plötzlich und ohne Vorwarnung rief einer der Männer, wahrscheinlich der Magier: „Sie ist es! Schlagt sie nieder!“
Asyra blieb nicht viel Zeit. Sie sammelte einen Teil der Kraft, die ihren Körper durchströmte, in ihrer linken Hand und zog mit der Rechten blitzschnell ihren Säbel. Die meisten Menschen würden alle ihre Konzentration darauf aufwenden müssen, die Kraft zu bündeln, sie jedoch nicht. Mit ihrem Säbel blockte sie den einen Schlag eines der Männer, den zweiten ließ sie mit einem Gedanken die Beine, Arme und den Mund fesseln. Sie kickte dem Mann das Schwert aus der Hand und stieß ihren Säbel durch den Hals des Kämpfers. Sie spürte, wie die Muskeln und Adern aufrissen. Es widerte sie an, so etwas zu tun. Blut spritzte ihr ins Gesicht und auf ihren Arm, als sie den Säbel aus dem Hals des Kriegers zog, um den kommenden Schlag abzublocken. Sie sammelte ihre Kraft erneut und zeigte mit zwei Fingern auf den Mann, der einen schweren Knüppel und ein Schild trug. Ein heller Blitz erfüllte die Nacht und sofort fiel der Mann stöhnend zu Boden. Doch bevor dieser anfangen konnte zu schreien, war er bereits tot. Er hatte ein breites Loch im Bauch, aus dem es schwer rauchte. Ein Krieger mit Säbel sprang sie von der Seite an und ließ eine Salve von Angriffen auf Asyra niederprasseln. Für einen Menschen war er bestimmt ein guter Kämpfer, doch Asyra konnte seine Schläge ohne Probleme abwehren. Kaum hatte der Mann seine Salve beendet, bückte sich Asyra und gab dem Mann einen Fußfeger. Dieser verlor den Halt, sodass er auf den Rücken fiel. Ohne zu zögern, stieß sie den Säbel durch seinen Brustkorb, wobei das Knacken der Knochen unüberhörbar war. Das Blut floss rasend schnell aus dem Körper. Asyra schloss die Augen für einen Moment, denn ihr wurde schlecht, als sie daran dachte, was sie gerade tat.
Als sie die Augen öffnete, war einer der beiden letzten Männer genau vor ihr und ließ sein Schwert auf sie niederfahren. Überrascht sprang sie einen Schritt zur Seite. Dabei vernachlässigte sie kurz ihre mentale Schutzmauer, was der feindliche Magier sofort nutzte, um ihr einen Zauber aufzuerlegen. Anscheinend war es ein ungeübter Zauberkundiger, denn Asyra spürte, dass der Zauber den Mann anstrengte, obwohl es kein schwerer Spruch war.
Doch er zeigte Wirkung, denn Asyra wurde jäh in ihrem Ausweichmanöver unterbrochen. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Körper, als das Schwert ihr die Schulter aufriss. Asyra schrie auf, auch wenn die Wunde nicht sehr tief war. Dabei merkte sie, wie der Lähmzauber seine Wirkung verlor, und setzte zum Gegenangriff an. Sie sammelte die Kraft, während ihr Widersacher zum zweiten Schlag ansetzte.
Diese nutzte sie, um selbst einen Zauber zu sprechen, der sie unglaublich leicht werden ließ. Sie schnellte an ihm vorbei und bevor der Krieger wusste, wie ihm geschah, war er bereits tot. Der Säbel steckte ihm im Rücken und die Spitze ragte aus seinem Bauch.
Asyra überlegte nicht lange, sondern ließ ihren Säbel im toten Körper stecken, blies den Geist des Magiers mit einem geistig erzeugten Windstoß von sich weg und ging zu einem brutalen Gegenangriff über. Der Magier, der mit dieser Aktion überhaupt nicht gerechnet hatte, schaffte es nicht, seinen Geist vor ihrem zu verschließen. Asyra, die nun im Geist des Mannes war, las all seine Gedanken und spürte seine Emotionen. Die Angst, die sie ihm bereitete, das Grauen vor dem Tod und die Panik, die ihm das Denken vernebelten.
Asyra sprach direkt in seinen Geist hinein und der Magier zuckte zusammen: „Für wen arbeitet Ihr? Warum greift Ihr eine Wehrlose an?“ Er sank auf die Knie und fing an zu wimmern, antwortete dann aber: „Unsere Herrin ist die Diamantene Hexe, ihr gehört unser Gut, unser Dorf, unser Land! Sie weiß, dass Ihr jenen aus der Legende sucht. Sie will es verhindern und hat ein Kopfgeld in Höhe einer Grafschaft auf Euch ausgesetzt.“
Asyra war sichtlich überrascht. Sie war nicht davon ausgegangen, dass dieser Magier alle Informationen bereitwillig preisgeben würde und hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie magische Mittel benutzten müsste.
„Ja, das ist mein Belangen. Ihr könnt Euch zwar gegen die Kraft von Reane verteidigen, doch wenn Ihr wirklich Eure Reiche erhalten wollt, braucht Ihr das Fayriath.“ Es war sehr unüblich und galt in diesen Regionen als mutig, den Namen der Diamantenen Hexe auszusprechen. „Wenn Ihr mir helfen wollt, sagt mir, ob ich hier einen Jungen mit eigenartigen Kräften, nussbraunem Haar und blonden Strähnen finde.“ Der Mann war sichtlich verdutzt. Sie sah, wie in rascher Bildabfolge Jugendliche und junge Erwachsene in seinen Gedanken erschienen, doch keines der Bilder wollte auf die Beschreibung passen. Mittlerweile hatte er sich wieder erhoben, schaute aber immer noch starr auf den Boden. „Nein, hier im Dorfe kenne ich keinen Jungen, der auf Eure Beschreibung zutrifft. Aber Ihr könnt ja versuchen, die Bauernhöfe im Süden des Dorfes aufsuchen.“ Er zeigte in Richtung des Dorfes. „Es sind in dieser Gegend natürlich nicht viele, aber einige werden es schon sein.“
Asyra schaute an ihm vorbei. Der Mann log nicht, dafür hatte er zu viel Angst. Sie hatte zwar damit gerechnet, aber es war trotzdem eine Enttäuschung, zu erfahren, dass sie wieder mehrere Tage gegangen war, nur um dies zu erfahren.
„Danke für diese Informationen, sie waren sehr hilfreich. Nun ...“
Jetzt spürte sie wieder ein neues Gefühl im Geiste des Mannes. Die Angst, ja die pure Panik vor dem Kommenden. Er glaubte fest daran, dass er den folgenden Tag nicht mehr erleben würde. Doch Asyra zog sich aus dem Geist des Mannes zurück und zog den Säbel aus dem Körper, dem sie vor einigen Minuten das Leben entrissen hatte. Sie machte ihre Klinge an der Hose einer der Männer sauber, während sie ihre Wunde nebenbei heilte, und lief dann weiter, an dem verdutzten Magier vorbei, in die Dunkelheit.
Im Dorf angekommen, suchte sie eine Schlafmöglichkeit. Sie entdeckte eine Taverne, doch dort schienen zu viele Leute zu feiern. Sie mochte diese Enge nicht. Außerdem würde sie als Fremde bestimmt eine Menge Aufmerksamkeit erregen, aber sie musste unentdeckt bleiben. Je weniger Reane etwas über sie wusste, desto sicherer war sie. Ausgelaugt und müde wie sie war, ging sie weiter und entdeckte eine weitere Taverne, deren Name auf einem kleinen Holzschild neben dem Eingang stand: Zur grünen Wiese.
Asyra schmunzelte. Der Optimismus der Menschen hatte sich hier von Kleinigkeiten wie unfruchtbarem Land nicht erschüttern lassen. Sie überlegte kurz und hatte dann ihren Entschluss getroffen.
In der Hoffnung, gleich einen erholsamen Schlaf zu genießen, stieß sie die Tür auf. Es roch nach Schweiß, altem Stroh und Bier. Anscheinend lagen die besten Zeiten dieser Taverne schon einige Jahre zurück, denn hier saßen nur ein oder zwei junge Burschen. Eine Frau mit blonden Haaren und einem für einen Menschen hübschen Gesicht eilte herbei: „Ihr wünscht?“
„Ich würde hier gerne für ein oder zwei Nächte verweilen“, beantwortete Asyra die Frage der Wirtin. Die Frau schaute an Asyra hinunter und schien kurz zu überlegen, nickte dann und fragte: „Wünscht Ihr den Schlafsaal oder ein Zimmer für Euch allein?“ Asyra war es eigentlich egal. Da sie aber befürchtete, dass wieder ein Soldatentrupp mitten in der Nacht erscheinen würde, erwiderte sie: „Das Einzelzimmer wäre mir recht. Für meine Mahlzeiten werde ich selbst sorgen.“ Sie war in den Geist der Frau eingedrungen und wusste daher schon, dass sie dies als Nächstes gefragt hätte. Nach dem Bezahlen bekam sie einen Schlüssel für ihre Tür und einen weiteren für die Truhe, die wie bei den meisten Gasthäusern in Einzelzimmern stand. Asyra hatte nie verstanden, warum die Menschen immer so viel Wert auf ihren Besitz legten. Wenn sie wirklich etwas bräuchten, könnten sie es doch bei sich tragen oder sich eben nicht an so viele Sachen binden.
Die Dame führte sie nach oben zu einem kleinen Zimmer: „So, da wären Ihre Gemächer. Sagt, wo kommt Ihr her und was macht Ihr in so einer trostlosen Gegend? Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber neugierig bin ich schon.“ Asyra lächelte sie an: „Ich bin auf der Durchreise und komme aus dem Westen Boaniens. Meine Verwandten, zu denen ich reise, leben in Salumarien.“ Diesen Satz hatte sie gut einstudiert. Da Boanien an der Küste lag und Salumarien mitten im Herzen von Lorandor und der kürzeste, wenn auch gefährlichste Weg durch die Steppe ging, würde es wohl niemandem verdächtig vorkommen. Die Frau lächelte zurück und ging dann wieder, drehte sich noch mal um, hob die Brauen und schüttelte den Kopf. Asyra wusste nicht, was es war, aber irgendwas sagte ihr, dass sie diese Frau nicht zum letzten Mal gesehen hatte.