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Kapitel 2: Durch die Augen einer Hexe

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Die Frau mit den langen grauen Haaren, welches glatt von ihren Schultern hing, ging eine der vielen Treppen ihres Palastes hinunter. Neben ihr wand sich ein smaragdgrünes Krokodil. Sie schaute auf die Stadt, die sich am Fuße des Palastes befand, in der um diese Zeit nur noch die wenigsten Wesen auf der Straße unterwegs waren. Die Häuser waren aus einfachem, wenn auch wunderschönem rotem Backstein und zählten einst zu den schönsten Gebäuden Lorandors. Doch seit dem Bau oder besser dem Erschaffen der Kristallburg verblasste ihre Schönheit vor dem Glanz des riesigen Palastes.

Dieser Palast und ihre Vorliebe für wertvolle Edelsteine waren der Grund, warum ihre Untertanen sie nur noch die Diamantene Hexe nannten. Ihr gefiel der Name. So lernte das mindere Volk wenigstens, sich vor ihr zu fürchten und andere Völker einzuschüchtern. Die Menschen waren schwach und zerbrechlich. Die wenigen Freien, die es noch gab, waren in den Süden oder den Nordwesten zu den restlichen freien Königreichen geflohen, einige zu den Elfen in die Ewigen Wälder im Norden, der Rest zu den Kobolden oder den letzten Zwergen in die Berge.

Reane lachte laut. Ja, sie war die mächtigste Frau von Lorandor und weder Elfen, Triliten, Zwerge noch die Kobolde konnten ihr was anhaben.

„Ralosch!“ Sie schickte ihren Geist nach dem Zwergen-Diener aus, der das Eindringen seiner Herrin in seinen Geist gar nicht bemerkt hatte. „Warum bist du nie zur Stelle, wenn man dich braucht? Los, komm her!“ Sie merkte, wie der Zwerg vor Angst bebte, als sie ihn im Geist förmlich anbrüllte. Es machte ihr Spaß, zu sehen, wie die Schwächeren den Mächtigeren unterlagen. Erneut lachte sie laut.

Nach kurzer Zeit kam der Zwerg herbeigeeilt. Mit weiten Augen und in Lumpen gewickelt, stand er vor ihr. Er schnaufte heftig, ließ aber das Ritual der Treue nicht aus. Er verbeugte sich, stand wieder auf, ballte beide Hände zur Faust und drückte sie gegeneinander. „Ihr habt mich gerufen, Herrin?“ Der Zwerg hatte eine feste Stimme, doch Reane wusste, dass ihn die Ruhe sehr viel Konzentration kostete. Die Hexe lächelte ihn an: „Du weißt, was mir in letzter Zeit große Sorgen bereitet?“ Ralosch nickte. „Nun, ich will sie endlich aus dem Weg geräumt haben! Ich will, dass nichts von ihr übrig bleibt, überhaupt nichts! Asyra läuft nun schon seit einigen Wochen in meinem Reich herum und schwächt nicht nur unsere Garnisonen, sondern erweckt bei den Menschen wieder das Gefühl, dass sie sich MIR widersetzen können!“ Reane sagte dies alles im ruhigen Ton, doch je mehr sie darüber nachdachte, um so mehr stieg der Zorn in ihr auf. Was dachte sich die Elfe überhaupt dabei, einfach durch ihr Reich zu spazieren und all ihre Mühen, die Widerstände im Volk einzudämmen, zu zerstören?

Der Zwerg, der noch immer darauf wartete, dass sie weitersprach, schaute ihr weiterhin fest in ihre eisblauen Augen, vor denen das gesamte Volk panische Angst hatte. Sie wandte sich um und sah wieder auf die Stadt. Ein Lächeln zuckte durch ihre Mundwinkel, als ihr ein vorzüglicher Gedanke kam, den sie Ralosch sofort mitteilte: „Nun, wieso sollten wir unsere Kräfte nicht wirklich mal messen? Soll sie es doch mit der aufnehmen, die sie glaubt, schwächen zu können. Ralosch, bereite mir ein Bad vor! Ich werde mich gleich entspannen wollen!“ Der Zwerg verbeugte sich so tief, dass sein langer Bart den Boden berührte. Dann eilte er rasch die Treppe hinauf und verschwand in den großen Kristallen des Palastes.

Reane beugte sich zu dem Krokodil herunter und berührte dessen Geist. Die wenigsten wussten, was für ein mächtiges Wesen es war. „Willst du diese Aufgabe für mich erledigen, mein Kleiner?“ Reane spürte, wie Freude und Dankbarkeit durch den Geist des Krokodils gingen. Zu lange war er schon in dieser Form gewesen und hatte sich nicht mehr auf Jagd begeben. „Herrin,Ihr seid zu gnädig. Ich werde diese Aufgabe mit Freude beenden.“ Kurz blickte er nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand ihn sah. Kein dummer Mensch oder törichter Zwerg sollte sehen, was er wirklich konnte.

Er konzentrierte sich auf die Kraft in seinem gesamten Körper und im nächsten Moment löste sich sein Körper in grauen Nebel auf und wirbelte in einem kleinen Sturm umher. Kurz darauf verschwand der graue Nebel und ein großer, schwarzer Falke mit blutroten Augen war nun dort, wo vorher noch das Krokodil stand. Dies war nicht seine wahre Form, aber es war die praktischste Form zum Reisen. „Wo werde ich sie finden?“ Der Falke sprach zu seiner Herrin im Geist. Reane formte die Hände zu einer Schale und hielt diese weit vom Körper entfernt. Kurz schloss sie die Augen. Die Kraft, die sie in den Handflächen sammelte, wurde zu einer Kugel, die sich zu einer winzigen Karte formte. Es war die Karte von Boanien, eine Provinz, die an Salumarien grenzte. Boanien war eine Region mit vielen Gold- und Marmorminen, aber der Rest der Provinz war größtenteils von einer Steppe bedeckt.

„Sie hat Schutzzauber um sich gewoben. Genau kann ich daher nicht sagen, wo sie ist,“ Der Zorn in Reanes Stimme war begründet, denn immerhin hatte die Elfe es schon wieder gewagt, sie herauszufordern. Zwar hätte sie wohl kein großes Problem, einen Gegenzauber zu finden, doch war sie jetzt nicht in der Stimmung dazu und außerdem wollte sie ihren Diener nicht warten lassen. Der Falke sprang aufs Geländer und drehte sich noch mal um. „Quäle sie ruhig. Die Menschen sollen sehen, wozu ich in der Lage bin.“ Mit einem gellenden Schrei spreizte er die Flügel und flog in die Nacht hinein.

Reane lächelte, wie sie es so gerne tat. Jetzt wird diese törichte Elfe endlich ihr gerechtes Schicksal erleiden. Außerdem hatte sie ihrem Diener und alten Freund auch mal einen Gefallen getan. Sie schaute noch etwas auf die Stadt hinunter. Nur zum Spaß schickte sie ihren Geist aus und drang in das Unterbewusstsein eines Mannes unten in einer Gasse ein.

Dieser war gerade dabei, eine Frau in die Enge zu drängen, um das Geld der törichten Dame an sich zu nehmen. Ohne große Probleme wob sie einen Zauber, denn nun wusste sie, wo sich der Mann befand. Sie hob die rechte Hand, ballte sie zur Faust und drehte diese in Richtung des Diebes. Als sie nach einigen Sekunden endlich bereit für den Zauber war, ließ sie diesen aus ihrer Hand schießen. Eine unsichtbare Welle flog auf den Mann zu. Der Zauber ließ alle Knochen im Körper des Mannes zerbersten, wodurch der eben noch so lebendige Geist nur noch einmal kurz aufflammte und danach nicht mehr da war. Das Lächeln auf Reanes Gesicht wurde breiter.

Sie drehte sich um, ging die Treppe langsam hinauf und durchschritt die Diamantenen Hallen ihres Palastes. Ja, so wie dieser Mann würden nicht nur die Elfe und ihre Probleme ausgelöscht werden, sondern auch die letzten Hoffnungen der Menschen und der Glaube an das Fayriath, denn Reane wusste schon längst, was die Elfe wollte. In ihrem Bad angekommen, schloss sie die Augen. Nicht mehr lange und sie würde die unumstrittene Herrscherin Lorandors sein!

Lorandor – die Macht des Fayriaths

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