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Einträgliche musische Events

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Am nächsten Tag haben Papa und Kai einen Kompromiss geschlossen. Kai hat sich bereit erklärt, das Internat in Nordtirol, das Papa für ihn gefunden hat, zu besuchen und dort sein Abitur zu machen. Papa hat es ihm daraufhin freigestellt, immer wenn er wolle, der „Stimme der Natur“ oder dem „Anruf des großen Geistes der Kunst“ zu folgen oder ihm zu antworten. Er müsse nur bereit sein, die versäumten Lernstoffe mit der Hilfe von seinen Lehrern nachzuholen.

Was Papas Betrieb angeht, so ist Kai bereit, sich in seinen Ferien von Papa in die Geschäfte einführen zu lassen und Papa auf seinen Geschäftsreisen zu begleiten. Allerdings will Kai sich selber seine Zeit einteilen und sich die Projekte auswählen, die er kennen lernen will. Ansonsten will er seinen eigenen Interessen nachgehen und die „Natur besuchen“ oder seine bekannten „Kunstflüge“ absolvieren.

Wir, Mama, Papa und ich können diese seine „Ticks“ nicht sehr ernst nehmen, aber wir dürfen ihm das natürlich nicht zeigen. Mama und Papa sind der Meinung, dass sich diese weltfremden Schwärmereien mit zunehmendem Alter und zunehmendem Verstand „auswachsen“. Denn welcher halbwegs gescheite Erwachsene lässt sich schon ein Erbe wie unsere Firma entgehen, denken sie. Aber ich bin mir nicht sicher, dass sie Recht haben. Kai ist ein sturer Hund! Was der sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das führt er auch zu einem Ende, egal, ob er dabei Pleite geht oder ins Gefängnis muss oder ob er sogar dabei draufgeht. Der wird immer verwegenere Bergtouren unternehmen und immer unverständlichere Gedichte machen oder Bilder malen und, wenn nötig, für seinen Hunger auch einmal einen Mundraub begehen. Der Typ ist völlig unbelehrbar und wie von einem anderen Stern.

Selbst von mir lässt er sich nicht helfen, obwohl ich ihm unbedingt helfen will. Dabei hat er die Stirn, mir zu sagen, ich hätte doch keinen Durchblick, was in dieser Welt abgehe. Ich sei noch ein Küken, das erst einmal aus seinem Nest klettern solle, um die Welt kennen zu lernen. Dabei wollte ich ihn an unserer neuen Betriebsgesellschaft beteiligen.

Wir haben nämlich die Idee von Papa aufgegriffen und eine Event-Gesellschaft gegründet. Papa hat uns ein Startkapital von 1000 DM gestiftet und daher bin ich zur Präsidentin der Gesellschaft gewählt worden. Ich habe dann gleich Klaus Dieter zum Vizepräsidenten ernannt und wollte auch Kai zu meinem zweiten Stellvertreter ernennen. Er hätte damit Anteil an unseren Gewinnen gehabt und wäre wenigstens finanziell schon einmal etwas abgesichert gewesen. Aber der sture Bock hat mich ausgelacht und mir entgegengehalten, er habe für solcherlei kapitalistische Kindereien keinen Sinn und seine Zeit sei ihm zu kostbar, um sie für erfolglose Geschäfte zu vergeuden. Das Leben sei kein Kinderspiel, sondern eine ernste Sache und man müsse sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass der Rest von Natur, den es noch gebe, intakt bleibe und der Rest von moralischem Bewusstsein, den es bei wenigen Menschen noch gebe, durch Kunst und Wissenschaft gestärkt und erhalten bleibe. Das seien Ziele, für die es sich lohne als verantwortungsvoller Zeitgenosse einzutreten, aber doch nicht für das lächerliche Papier, auf dem eine wertlose Zahl stehe und das man Geld nenne.

Nun, ich habe diese abgehobenen Gedanken nicht kritisiert – es hätte sowieso keine Wirkung bei Kai, aber ich habe ihm gesagt: „Schließen wir eine Wette ab! Wer von uns nach 10 Jahren besser dasteht, Du mit deinem Waldläuferleben und deinen brotlosen Künsten oder ich mit meinen kapitalistischen Kindereien und meiner eigenen Familie zusammen mit Klaus Dieter. Da hat er mich wieder ausgelacht und mir gesagt, er wolle mir meine Illusionen nicht nehmen. Wir lebten in zwei verschiedenen Welten, die unvergleichbar seien, und daher könne er meine Wette nicht annehmen, aber treffen könnten wir uns alle 10 Jahre und uns über unser Leben austauschen. Er brauche halt gelegentliche Kontakte zu der sogenannten realen Welt und schließlich sei ich seine Schwester, zu der er immer Kontakt haben wolle – auch wenn unsere Lebenswege in ganz andere Richtungen gingen. Das war nun wiederum lieb von ihm und ich habe ihm deswegen einen Kuss gegeben.

Vater ist nach einer Woche wieder abgefahren. Nach ein paar Tagen hat er angerufen und uns mitgeteilt, dass Oma gestorben sei. Wir sollten aber um Himmels willen nicht zu der Beerdigung kommen. Das sei ihr letzter Wille gewesen und er habe ihr versprochen, ihn zu respektieren. Seine zweite Frau werde auch nicht bei der Beerdigung anwesend sein. Sie habe sich nach Amerika abgesetzt, nachdem er die Scheidung eingereicht habe. Er komme in zwei Wochen, um Kai zu der Mexikoreise abzuholen. Danach bringe er Kai wieder zurück und bleibe noch gerne einige Tage bei uns, um sich von den vielen Strapazen zu erholen. Mutter sagte ihm, sie freue sich, wenn er komme, und wolle Kai für die Mexikoreise mit Klamotten und Sprachführer ausrüsten.

Ich bin mit der Schule, dem Reiten und meinem neuen Präsidentenamt voll ausgelastet. Ich muss jetzt Verhandlungen mit der Schulleitung führen, dass sie uns die Aula für unsere Samstagsdiscos zur Verfügung stellt. Da ergeben sich ganz unvorhergesehene Probleme. Man muss Sicherheitsbestimmungen genügen und einige Lehrer als Aufsichtspersonen gewinnen. Wir müssen einen Reinigungsdienst organisieren, der nach der Veranstaltung den Raum wieder in einen zivilisierten Zustand bringt. Es darf kein Alkohol verkauft und konsumiert werden. Rauchen ist auch verboten. Unalkoholische Getränke und eingepackte Kekse auch Chips und Süßigkeiten dürfen wir verkaufen, aber keine selbstgemachten Brötchen oder selbstgebackenen Kuchen. Hygienevorschriften! Um Mitternacht muss Schluss sein. Die Musik darf einen für die Nachbarschaft erträglichen Geräuschpegel nicht überschreiten. Unsere Eintrittspreise müssen „jugendverträglich“ sein und wir müssen eine Kaution von 500 DM hinterlegen, falls irgendwelche Schäden angerichtet werden und Reparaturarbeiten nötig sind. Falls wir selber Songs von lebenden Komponisten vortragen wollen, müssen wir Gemagebühren bezahlen. Unsere Bilanzen müssen sich im Rahmen von Wohlfahrtsveranstaltungen bewegen. Das heißt, wir dürfen keine privaten Gewinne machen, sonst kommt uns das Gewerbeamt auf den Hals.

Ich frage mich, ob angesichts dieser Auflagen das ganze Projekt noch Sinn hat. Klaus Dieters Mitwirkung habe ich mir nur dadurch sichern können, dass er bei jeder Veranstaltung mit seiner Band auftreten und eigene Nummern vorstellen kann, um Reklame für seine Band zu machen. Denn der halbe Erfolg auf dem Weg zum millionenschweren Geschäftsmann sei eine wirksame Reklame für seine Produkte, hat er mir anvertraut. Auch meine Klassenkameraden waren nicht gerade begeistert, dass sie alle acht Tage zum Reinigungsdienst antreten sollten, und auch die Lehrer waren höchstens bereit, alle zwei Monate eine zusätzliche Aufsicht zu machen. Schließlich bedrängten uns aber alle unsere Freunde und Freundinnen, ihnen einen billigen Discoabend zu bieten. Und so habe ich mich entschlossen unsere Geschäftsidee in eine Wohltätigkeitsveranstaltung umzuwandeln.

Die findet also jetzt alle zwei Monate statt und die erste Disco kann bereits in vier Wochen stattfinden. Wir, die Betreibergesellschaft, verdienen zwar keinen Pfennig dabei, aber wir trösten uns damit, dass wir für das spätere Erwerbsleben hierdurch Erfahrungen sammeln können und unter Umständen unseren zukünftigen Konkurrenten im Geschäftsleben gewachsen, wenn nicht sogar überlegen sein werden.

Weil wir mit der Disco eine richtige Wohltätigkeitsveranstaltung machen und die überschüssigen Gelder für die schulische und handwerkliche Ausbildung von Straßenkindern in Haiti spenden sollten und auch für ihre erste Ausrüstung mit Werkzeug, so wollten wir auch uns selber gegenüber wohltätig sein. Wir wollten somit unsere Einnahmen teilen. Denn auch wir haben Wünsche, die uns unsere Eltern nicht erfüllen können oder wollen. Einige möchten ein Brummfietje, also ein Fahrrad mit Motorantrieb, andere eine teure Kamera, einen Plattenspieler, eine Schreibmaschine oder ein eigenes Radio haben, lauter Dinge, die sie von ihrem bescheidenen Taschengeld nicht kaufen können. Also schlug Klaus Dieter vor, dass wir eine Wohltätigkeitsveranstaltung sowohl für Straßenkinder in Haiti als auch für deutsche bedürftige und behinderte Jugendliche machen sollten.

Wir haben ja einige behinderte Kinder in unserer Klasse: Michael sitzt im Rollstuhl wegen einer Querschnittslähmung, Anette hat einen verstümmelten rechten Arm von Geburt an, Marie ist fast blind und Peter hat häufig so starkes Nasenbluten, dass man das Schlimmste befürchten muss und die Lehrer ihn sofort mit Begleitung in die nächste Ambulanz schicken, weil sie kein Mittel finden, um die Blutung zu stillen. Außerdem haben wir ein paar Arbeiterkinder in der Klasse, die wirklich auf vieles verzichten müssen, weil ihre Eltern sich keine der erwähnten überflüssigen Dinge, wie sie sagen, leisten können. Somit lügen wir nicht, wenn wir Reklame für eine Sammlung für „bedürftige“ und „behinderte“ Kinder machen. Um für beide Seiten mehr Geld einnehmen zu können, wollten wir die Veranstaltung splitten. Das Geld von der Disco sollten die Kinder in Haiti bekommen und das Geld aus einer künstlerischen Performance in der Öffentlichkeit sollten unsere bedürftigen Klassenkameraden und wir übrigen erhalten.

Klaus Dieter, unser Experte in geschäftlichen Angelegenheiten, hat uns ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die Menschen eher bereit sind, eine „müde Mark“ herauszurücken, wenn sie wissen, dass ihr Geld einem wohltätigen Zweck zugutekommt. Er hat uns klar gemacht, es sei „Marketing“, mit unseren behinderten Klassenkameraden für unsere Aktion zu werben. Dafür sollten wir Schilder malen und sie unseren behinderten Mitschülern in die Hand drücken. Wir sollten uns einen schönen Tag aussuchen, einen schönen Sonntag und uns dann zu einem der beliebten Ausflugsorte in München aufmachen, z.B. in den Englischen Garten oder den Park von Schloss Nymphenburg oder den von Schloss Schleißheim.

Dort sollten wir unsere Behinderten an einem viel besuchten Platz mit den Schildern aufstellen. Auf dem Schild von Marie sollte stehen: „Dies ist ein herrlicher Tag! Ihr könnt ihn sehen!“ Auf dem Schild von Michael sollten die Worte geschrieben sein: „Dieser Park ist wunderschön! Ihr könnt ihn begehen!“ Auf dem Schild von Anette sollte mit den Worten geworben werden: „Dieser Tag ist dafür gemacht, um glücklich zu sein! Ihr könnt euch umarmen!“ Und auf Peters Schild sollte der Spruch Platz finden: „Ihr geht freiwillig einmal im Jahr Blut spenden. Ich muss unfreiwillig jeden Tag einen Liter Blut verlieren!“

Nachdem Klaus Dieter, unser Marketingfachmann, sah, dass wir von seiner Werbestrategie nicht überzeugt waren, forderte er uns auf, unsere Aktion an zwei verschiedenen Orten, einmal ohne Schilder und einmal mit Schildern zu probieren. Wir würden dann schon erleben, dass er Recht habe. Im Übrigen könnten wir unsere Gedichtvorträge mit dieser Aktion verbinden, um dem Publikum zu signalisieren, dass wir nicht betteln wollten, sondern ihm eine Gegenleistung für seine Großzügigkeit bieten wollten. Dieser Vorschlag fand unsere uneingeschränkte Zustimmung und wir wollten schon anfangen, uns auf unsere Aktion vorzubereiten, da fiel Klaus Dieter noch ein: „Wenn wir euch vier Behinderte an einem Platz konzentrieren, dann wird jeder Spender seine Gabe in vier Teile splitten, aber wenn ihr an verschiedenen Plätzen seid, so kommt jedem die volle Spende in die Büchse, das gibt 75% höhere Einnahmen. Jeder von euch wird von sechs Klassenkameraden unterstützt und jede dieser Gruppen muss ein eigenes Programm haben, sonst erkennen die Leute, dass wir zusammengehören und spenden nur einmal.“

Wir sind dann am nächsten schönen Sonntag in den Englischen Garten gezogen und haben zunächst unsere Schilder im Gebüsch versteckt. Wir haben unsere vier Spendensammler an vier verschiedenen Plätzen abgesetzt, ihnen eine Sammelbüchse vor die Füße gestellt und abgewartet, was passierte. Es passierte eigentlich nichts. Die Leute merkten wohl kurz auf, wenn sie bei einem der Spendensammler vorbeikamen, und machten fiese Bemerkungen über die lieblosen Eltern, die ihre Kinder zum Betteln schickten. Eine Frau sagte zu ihrem mitleidigen Mann, der Marie eine Mark in die Büchse werfen wollte: „Willst Du Kinderarbeit unterstützen?“ worauf der Mann die Mark wieder wegsteckte.

Aber die meisten Spaziergänger nahmen überhaupt keine Notiz von unseren doch sichtlich gehandicapten Kameraden. Sie wollten sich ihr Sonntagsvergnügen in keinster Weise durch die Wahrnehmung von menschlichem Leid trüben lassen und übersahen unsere fantastischen Vier. Die jeweiligen Unterstützer unserer vier „Frontschweine“ hielten sich die ganze Zeit im Hintergrund und benahmen sich so, als hätten sie nichts mit ihnen zu tun.

Als wir nach einer Stunde bis auf einige wenige Pfennige nichts eingenommen hatten, änderten wir unser Verfahren. Wir holten unsere Schilder aus dem Gebüsch und stellten sie neben unseren geduldigen Sammlern auf. Die Unterstützertrupps hängten sich ebenfalls Schilder mit den Titeln und Preisen ihrer Gedichte um und schmetterten als Gratiszugabe einige Folksongs in die Landschaft.

Sofort bildeten sich Menschentrauben um die jeweiligen Sammler und ihre Unterstützer. Es wurde applaudiert und generös das eine oder andere Gedicht angefordert. Auch unsere Sammler durften ihre Gedichte vortragen und wurden auch nach Art und Schwere ihrer Behinderung befragt. Danach gab es meistens eine aufgestockte Spende für ihre Darbietung wie für ihre Auskunft über ihr Leiden. Unter den Zuhörern gab es bald angeregte Diskussionen über diese positive Jugend, die sich hier für Behinderte und deutsche Dichtung engagierte. Und wir lachten uns still ins Fäustchen, dass Klaus Dieters Strategie so optimal aufging, dass am Ende jeder unserer Spendensammler 50 bis 100 Mark eingenommen hatte. Wir hatten jedenfalls am Ende 380 Mark Gewinn, die wir auf Klaus Dieters Rat zunächst zinsgünstig anlegten.

Wir haben das gleiche Programm dann noch an anderen Orten wiederholt und gleichzeitig Reklame für unseren Familienfeierservice gemacht und gebieten mittlerweile über ein sehr angeschwollenes Konto, aber sind in unseren schulischen Leistungen durch unsere vielen geschäftlichen Einsätze sehr abgefallen, was für einige von uns zu sehr einschneidenden Veränderungen ihres Lebens führen kann. Denn entweder geben sie die Mitarbeit an unserem Unternehmen auf, um in der Schule voran zu kommen, oder sie gehen von der Schule ab und führen das Unternehmen weiter, das ihnen mittlerweile ein ausreichendes Einkommen sichern würde.

Ich, als Präsidentin, bin Gott sei Dank nicht so sehr in die Auftritte eingespannt und kann noch beide Aufgaben, Schule und Unternehmen, bewältigen. Obwohl ich natürlich nicht mit einem Achtstundentag auskomme, um allen Anforderungen, die an mich gestellt werden, gerecht zu werden. Meine Mutter hat schon Angst um meine Gesundheit. Sie meint, ich könnte die Managerkrankheit kriegen oder einen Nervenzusammenbruch, aber ich bin zäh und habe Kraft wie zehn Jungen zusammen. Die erschrecken sich doch über jeden Floh, der sie in den Hintern beißt, und rennen zum Arzt. Die sollten mal meine Menstruationsbeschwerden bekommen. Ich glaube, die würden alle ihr Testament machen.


Betty und Kai

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