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IM MOTEL

GROSSSTADT-TARZAN VERDURSTET IM REGENWALD

Die kleinsten Chilischoten sind die schärfsten

Auch Nico ist inzwischen angekommen. Sein Flug war weniger ereignisreich. Viel mitbekommen hat er ohnehin nicht, denn die Nacht vor dem Abflug hatte er mit seinen Freunden feiernd verbracht, sodass ihm der Schädel noch jetzt ganz schön brummt. An den fauligen Geruch, auf den er eigentlich achten wollte, denkt er auch nicht mehr. Stattdessen steigt er gleich ins Deluxe-Taxi und lässt sich vom englischsprachigen Fahrer in das Viertel bringen, das ihm zuvor die freundliche Dame aus seinem Praktikumsbüro für eine erste Unterkunft empfohlen hat. Dabei muss er das Taxi nicht mal mit ausgestrecktem Arm und Handfläche nach unten heranwinken, wie es ihm sein Vater gesagt hat, denn die Taxen stehen auf dem Flughafen natürlich nur so Schlange. Die Dame aus dem Büro hat den Namen des Viertels auch gleich auf Koreanisch aufgeschrieben, sodass Nico nur auf die Silben zeigen muss: Sin-chon. Sie meinte damit das Universitätsviertel und zum Glück hat sich das der Taxifahrer beim Anblick des jungen Nico auch gleich gedacht.

TAXI IST (NICHT) GLEICH TAXI

Die schwarzen Taxis, Deluxe-Taxi, koreanisch mobeom taeksi, bieten laut übereinstimmender Meinung der Expats in Korea den gleichen Service wie normale Taxis, nur zu deutlich erhöhten Preisen – der Koreaneuling outet sich durch die Wahl eines solchen Taxis sofort als blutiger Anfänger. Die normalen Taxis waren früher metallic-grau, inzwischen werden sie in Seoul einheitlich lehmfarben eingetüncht, wenn sie neu zugelassen werden. Der Wandel wird also in wenigen Jahren vollzogen sein. Ob ein Taxi frei ist oder nicht, sieht man am LED-Display in der Frontscheibe, aber nur wenn man Koreanisch kann: yeyak heißt reserviert, bin cha heißt leeres Auto.

Als das Taxi ihn am U-Bahnhof Sinchon abgesetzt hat, fühlt sich Nico wie erschlagen: Eine sechsspurige Straße kreuzt sich mit einer achtspurigen, an allen Ecken Hochhäuser und ein Haufen Menschen, die er schon durch den reinen Umstand, dass er stillsteht, zu behindern scheint. Wo er asiatisches Marktgewusel erwartet hat, umweht ihn an den Glitzerfassaden ein Duft von Seife, Waffeln und Hamburgern.

Weil Nico etwas Geld sparen will, geht er die erste Nacht nicht wie von Papa empfohlen in ein nahes Luxushotel, dessen Schild schon aus der Ferne sichtbar ist, sondern er will ein Motel ausprobieren. Diese seien laut dem Online-Artikel, den er vor einiger Zeit überflogen hat, sauber, preiswert, modern – kurzum die perfekte Alternative zu den überteuerten Bettenburgen Seouls. Als er auf der Straße nach »Motel« fragt, schauen ihn jedoch alle verständnislos an. Ein Mädchen springt sogar mit deutlich angewidertem Blick zur Seite.

Nach etwas Suchen findet er endlich eines. Doch beim Betreten überkommt ihn ein leichter Schauer: Die Rezeption ist eingebunkert hinter einer Milchglasscheibe, in die eine winzige Durchreiche eingelassen ist. Eine ältere Frau schaut nur kurz durch das Loch und fragt trocken: »Alone?«, was Nico bejaht. Sodann zeigt die Dame mit ihren Fingern eine Vier. Nico versteht zunächst nicht recht, doch als sie auf einen Zettel »40.000 Won« schreibt, kapiert auch er, dass es offenbar im Vorhinein ans Bezahlen geht.

Dafür bekommt er dann auch einen Schlüssel und einen schicken Kulturbeutel überreicht, in dem zu seinem Erstaunen neben einer Zahnbürste und einem Einwegrasierer auch Kondome und Gleitcreme enthalten sind …

Im Zimmer angekommen der nächste Schock: Das Bad mit riesiger runder Whirlpool-Badewanne ist nur durch eine Glasscheibe vom Schlafbereich abgetrennt. Je mehr er sich umschaut, desto unheimlicher wird ihm das Ganze. Wie er sich so auf seinem Bett mit Massagefunktion hinlegt, wird ihm klar, wo er hier gelandet ist. Und offenbar hat er ein Zimmer mit thematischer Ausrichtung »Urwald« erwischt. Mitten im Raum überragt eine künstliche Palme alles und einige Bambusstangen dienen als Kleiderhaken. Auch die Kuscheltiere, die in allen Ecken des Zimmers lauern und einen wahren Streichelzoo ergeben, huch, was macht denn der Pinguin im Regenwald, irritieren Nico zunächst ein wenig. Was mit der starken Liane, die quer durchs Zimmer hängt, von den Vorbenutzern schon so alles angestellt worden sein mag, möchte Nico sich dann gar nicht mehr ausmalen.

Na ja, bei dem Preis beschwert man sich besser nicht. Apropos Preis, da kommt er ins Grübeln. Wie viel sind 40.000 Won denn eigentlich? Am Rechner, der natürlich auch im Zimmer steht, schnell ins Internet gegangen und geschaut: aktueller Wechselkurs 1.300 Won und ein paar Zerquetschte, also knapp 31 Euro für ein großes Zimmer mit riesigem Fernseher und kostenlosem Internet. Durchaus in Ordnung. Länger als nötig will er diesen Computer aber auch nicht benutzen, denn was er so in der Favoritenleiste und auf dem Desktop an Seiten und Dateien entdeckt, lässt ihn über die hygienische Beschaffenheit der Tastatur ins Grübeln kommen.

HIGH-SPEED-WELTMEISTER

In allen Messungen der Internetgeschwindigkeit liegt Südkorea regelmäßig ganz weit vorne – meist auf Platz eins. Als in Deutschland noch viele Haushalte gar nicht am Netz waren oder mit Modem surften, war in Korea bereits flächendeckend Breitband verlegt. Die Spitzenposition hat man einem ambitionierten Plan der Regierung Kim Dae-jung zu verdanken. Dem Friedensnobelpreisträger, der im Ausland eher für seine Aussöhnung mit Nordkorea und seinen Kampf für Demokratisierung bekannt ist, galt das Internet als möglicher Ausweg aus der Asienkrise 1997. Während die Aussöhnung mit dem Norden durchaus unterschiedlich beurteilt wird, ist der Erfolg der Internetpolitik unbestritten.

Nico greift zu seiner Geldbörse und holt seine ersten Won heraus. Fasziniert betrachtet er das Geld mit den vielen Nullen, das er sich jetzt zum ersten Mal in Ruhe anschaut. Der gelbe Schein, mit 50.000 Won mehr als eine Nacht im Motel wert, zeigt eine strenge Dame mit ausgefallenem Haarknoten. Nicht gerade K-Pop-sexy. Der grüne Schein, der 10.000er: alter Mann drauf. Der braune, der 5.000er: noch älterer Mann drauf und hinten seltsamer Gemüsegarten mit allerlei Getier. Und auf dem blauen, 1.000er dann, genau: noch ein alter Mann.

Die Münzen enttäuschen ebenfalls mit der Motivwahl: alter Mann, Kranich und Pagode.

Nach der nur kurzen Entdeckerfreude bemerkt Nico, dass er verdammt Durst hat. Er traut sich aber nicht, die Getränke aus der Minibar zu nehmen. Zweimal läuft er vorbei. Tür auf, Tür zu. Und noch einmal schaut er. Schaut genau, ob nicht irgendwo eine Preisliste für Getränke rumliegt wie in normalen Hotels. Aber sich nach dem langen Flug noch in einen Supermarkt zu werfen? Das wäre auch zu viel des Guten. Hin- und hergerissen überlegt er eine ganze Weile, die Kehle brennt immer mehr. Soll er vielleicht einfach das Leitungswasser trinken? Und warum stehen die Becher in einem Panzerschrank aus UV-Licht? Vielleicht wird ja damit das Wasser gereinigt, denn einen Wasserkocher kann er nirgends entdecken.

SHOPPINGPARADIES 24 – ÖFFNUNGSZEITEN

Kaufhäuser sind mit Ladenschluss um 19 oder 19:30 Uhr recht früh dran. Die meisten Supermärkte haben bis 22 oder 23 Uhr auf, die kleineren Kioske (bzw. »Convenience Stores«) sogar rund um die Uhr. Schnell muss hingegen sein, wer zu einer Bank möchte, denn diese machen oft bereits um 16:30 Uhr für den Publikumsverkehr zu.

Aigu! – Oh weh!

Es fing gut damit an, dass Nico einen Zettel mit der koreanischen Schreibweise seines Ziels dabei hatte, denn er wäre nicht der Erste gewesen, der nach Sinchon (»Neudorf«) gewollt hätte, aber in Sincheon (»Neuquell«) angekommen wäre, einem Wohnviertel am anderen Ende der Stadt. Weil das Problem mit ähnlichen Ortsnamen bzw. Aussprachen nicht nur Ausländern begegnet, wurde der Bahnhof Sincheon inzwischen sogar auf Druck der Bevölkerung umbenannt in Saenae, was auch »Neuquell« bedeutet, aber komplett anders klingt.

Nun aber zu den Fragen, die Nico sich kaum noch zu recherchieren traute – auf einige davon hätte er vermutlich auch im Netz auf die Schnelle keine Antwort gefunden. Der Reihe nach. Ja, man kann das Leitungswasser bedenkenlos trinken, wenn man nicht allzu empfindlich ist, es schmeckt nämlich extrem nach Chlor. Ansonsten ist es unbedenklich, auch wenn viele übervorsichtige Koreaner etwas anderes erzählen mögen. Jede Familie und jede öffentliche Institution hat eigene Wasserspender. Koreaner trinken meist auch in Deutschland kein Leitungswasser; das Gerücht hält sich unter Koreanern standhaft, dass Deutsche so viel Bier trinken, weil das Leitungswasser zu dreckig sei. Das führt dann im Umkehrschluss lustigerweise bei Deutschen zu dem Eindruck, dass das koreanische Leitungswasser extrem schmutzig sein muss – denn Koreaner trinken ja ums Verrecken kein Leitungswasser.

Bleiben wir beim Thema Flüssigkeiten. Bei der Minibar zurückhalten muss Nico sich nicht. Im Motel ist alles inklusive, sogar die Kekse, und niemand sagt etwas, wenn man auch noch das Feuerzeug, die Zahnbürste und alles andere mitgehen lässt. In besseren Motels findet man sogar oft noch eine kleine Snackbar mit Eis und Kaffee auf dem Flur. Dafür gibt es kein Frühstück, aber die meisten Gäste sind ja nur ein paar Stunden da und wollen bei ihrem persönlichen »walk of shame« nicht den anderen Gästen im Frühstücksraum begegnen …

Hätte Nico noch ein bisschen genauer geguckt, hätte er sogar kleine Pins oder Speisekarten von Lieferservices entdecken können, die ihm frittiertes Hühnchen und andere Leckereien inklusive Getränke bis aufs Zimmer geliefert hätten. Und dass die Becher ultraviolett angestrahlt in einer Art Brutkasten ruhen, hat tatsächlich hygienische Gründe; das hält die Gläser trotz Mehrfachbenutzung zuverlässig steril und ermöglicht ungetrübten Trinkgenuss – wenn man sich denn mal trauen würde, den Brutkasten auch zu öffnen.

Ach so, dass die Damen komisch reagierten, als Nico sie nach einem Motel fragte, ist vielleicht jetzt auch verständlicher. Oder wie würden Sie reagieren, wenn Sie jemand fragt, ob Sie einen Ort kennen, an dem man in Ruhe die Briefmarkensammlung durchblättern kann? Kein Koreaner würde einen ausländischen Gast in einem Motel unterbringen, obwohl es tatsächlich die unkomplizierteste Art des Reisens ist, auf diese überall massenhaft anzutreffenden, oft strategisch günstig in Nähe des Haupt(bus)bahnhofs gelegenen Herbergen zurückzugreifen. Ohne vorher zu reservieren, kann man in Korea zu jeder Tages- und Nachtzeit eine moderne Unterkunft mit Internet und TV für um die 30 Euro finden. Wenn das kein Argument für das Motel ist. Natürlich nur, wenn man das Kopfkino ausschalten kann, was die Aktivitäten der Vorbenutzer angeht. Aber mal im Ernst: Wissen Sie, was in Ihrem schicken Hotelzimmer vorher schon für Orgien gefeiert wurden?

Fettnäpfchenführer Korea

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