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Selbst der Hund in der Dorfschule kann nach drei Jahren lesen

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Nach seinem unerfreulichen Erlebnis im Motel braucht Nico erst mal eine Verschnaufpause in vertrauter Umgebung. Bis zur nächsten amerikanischen Kaffeehauskette ist es bekanntlich nie weit, und schon nach wenigen Metern findet Nico, was er sucht. Natürlich gibt es kostenloses W-LAN und so vergeht eine Stunde ganz schnell. Plötzlich klingelt sein Telefon:

»Hallo, hier ist Jane«, meldet sich eine säuselnde Stimme auf Deutsch am anderen Ende.

»Ah … Sie sprechen Deutsch! Das ist ja toll.«

»Ich habe eine schlechte Nachricht. Leider kann ich Sie nicht abholen, sondern wir müssen uns an einem U-Bahnhof in der Innenstadt treffen. Können Sie dahin kommen?«

»Ja, kein Problem. Ich bin ja kein Kleinkind!«

»Gut, ich schicke Ihnen die Infos per SMS.«

»In Ordnung.« Nico legt auf und schon vibriert sein Handy. Die SMS verwirrt aber mehr als sie hilft: Meeting Point: »Green Line, Euljiro-3-ga Stn.«

Wen könnte er um Rat fragen? Die Bedienung scheidet aus. Sie hat vorhin schon nicht verstanden, was er trinken wollte, und nach einigem Verhandeln hatten sie sich auf einen Americano geeinigt.

Also trinkt er seinen wässrigen Amerikanerkaffee zu Ende und verlässt das Café, um auf der Straße nach einem Opfer zu suchen. Eine junge Dame, die ihn gerade zufällig angeschaut hat, muss dran glauben. Nico geht schnellen Schrittes auf sie zu, sie versucht noch wegzuschauen, doch dann geht es los:

»You know Eh-Ull-Yi-Ro-Three-Ga, Green Line?«

»Ye?«

»E-Ull-Tschi-Ro-Three-Ga Station, Green Line, choo choo«, versucht es Nico nun, doch auch sein Körpereinsatz im Darstellen eines fahrenden Zugs führt zu keiner veränderten Reaktion.

»Ne?« Verwirrt wendet sich die Dame wieder ihrem Smartphone zu und dackelt weiter.

Als er die zweite Dame anspricht, springt diese sogar wie ein erschrockenes Häschen davon und kichert ihm noch »No English, sorry« zu.

Also beschließt er, doch im Café nachzufragen. Natürlich kennt keiner den U-Bahnhof. Endlich kommt ihm die Idee, dass der Fehler bei seiner Aussprache liegen könnte, und zeigt den Damen hinter der Theke schlicht die SMS, die ihm Jane geschickt hat.

»Aaaah! Üldschirosamga!«, entfährt es nun gleichzeitig den drei Damen, die sich über die SMS gebeugt haben. Auf eine Serviette schreiben sie ihm den Weg zum U-Bahnhof und wo er umsteigen muss, doch Nico ist noch immer nicht ganz sicher. Also holt die nächste ihren Tablet-PC hervor und zeigt ihm in 3-D den Weg zum Bahnhof.

Tatsächlich. Die Technik hat geholfen, Nico findet problemlos zum U-Bahnhof. Auch das Ticketkaufen ist gar kein Problem: Der Automat auf Englisch ist einfach zu bedienen, und über das T-Money-System hat sich Nico bereits im Internet informiert. Geld rein, Karte aufgeladen raus und dann an den Drehkreuzen auf den Sensor gelegt. Etwas komisch findet er es schon, dass er scheinbar der Einzige mit einer solchen Karte ist, während alle anderen das Portemonnaie auf den Sensor legen, aber egal. Auf jeden Fall ist er jetzt drin. Doch ätsch. Welche Richtung ist nun die richtige?

Die Stationsnamen sind zwar alle auch in Umschrift mit lateinischen Buchstaben angegeben, aber was nutzt das, wenn man mit diesen Bezeichnungen nichts anfangen kann: in die eine Richtung Hapjeong, Sindorim, Sadang, Seocho, Gangnam, in die andere Richtung City Hall, Euljiro-1-ga, Sindang, Wangsimni, Seongsu, Gangbyeon.

Moment. Euljiro, das stand doch in der SMS. Warum aber 1-ga? Egal, probieren geht über studieren.

Wenige Minuten später zeigt sich: Glück gehabt, nach Euljiro-1-ga kommt 3-ga, es war also die richtige Richtung.

UNTERWEGS MIT BUS, BAHN UND TAXI: KARTE STATT KLEINGELD

Im öffentlichen Verkehr läuft alles über das Bezahlsystem T-Money. Man lädt eine Karte auf und hält diese dann in Bus, Bahn und Taxi einfach gegen einen Sensor. Viele Kreditkarten in Korea haben eine integrierte T-Money-Card, sodass man einfach nur sein Portemonnaie auf den Sensor zu legen braucht und der Betrag wird bequem vom Bankkonto abgebucht. Zudem spart es gerade in Bussen enorm Zeit, wenn alle nur einmal den Sensor antippen, anstatt mit Kleingeld zu hantieren. Aufladbar ist die Karte nicht nur in U-Bahnhöfen, sondern auch in allen Convenience Stores (siehe Episode 18) und vielen anderen Läden. In der U-Bahn kommt man nur auf die Bahnsteige, wenn man den Sensor aktiviert hat. Schwarzfahren wird so zu einem Kunststück, da man unter den Augen des Bahnhofspersonals über Zäune oder unter Drehkreuzen hindurchmüsste. Aber beim Preis einer Fahrt von etwa einem Euro ist Schwarzfahren ohnehin den Aufwand kaum wert.

1-ga, 2-ga, 3-ga und so weiter sind Bezeichnungen für Kreuzungen großer Straßen. Ro ist die Bezeichnung für Straße. Die U-Bahn-Station Euljiro-3-ga ist also vom westlichen Beginn an die dritte große Kreuzung der Eulji-Straße, einer Hauptstraße des alten Zentrums in Seoul. Und Eulji war ein berühmter General, der vor Urzeiten die Chinesen hoch im Norden ordentlich ärgerte, aber das führt jetzt zu weit.

Mit nur geringer Verspätung kommt Nico am verabredeten Treffpunkt an, wo Jane schon auf ihn wartet: »Ah, da sind Sie ja! Sie haben sich wohl schnell zurechtgefunden. Sind schon ein richtiger Seouler.« Sie grinst ihn an. Nico ist beeindruckt: Die Frau ist groß, schlank, gepflegt mit einem gut sitzenden Trenchcoat und High Heels und wallenden schwarzen Haaren. Wenn das seine Betreuerin ist, steht einem angenehmen Praktikum nichts mehr im Wege.

»Nein, Seoul und ich, das dauert noch etwas. Sie sind, glaube ich, bisher das Beste, was ich hier gesehen habe«, bemerkt Nico in einer Art, die zumindest er charmant findet.

Jane lächelt höflich, bemerkt dann aber kühl: »Es heißt übrigens nicht Se-ul, das machen alle falsch.«

Autsch, die Offensive ging wohl ins Leere.

»Wie denn dann?«, fragt Nico nun, ernsthaft neugierig.

»Seoul, wie in Soul of Asia.«

»Ach so. Aber im Französischen wird es doch sogar mit Accent geschrieben: Séoul.«

Daraufhin zuckt Jane nur mit den Schultern: »Also eo ist ein offenes o und das eu wie ein Euljiro, das müssen Sie einfach wie ein kurzes deutsches ü aussprechen. Lassen Sie uns das mal testen.«

»Testen? Wollen wir nicht vielleicht erst einmal irgendwo reingehen und … einen Kaffee trinken?«, fragt Nico nach.

»Ja, können wir machen. Aber gucken Sie, ich schreibe hier einen Städtenamen … Daejeon. Wie würden Sie das aussprechen?« Während sie also zum nächsten Café laufen, hält Jane Nico das Display ihres Smartphones hin.

»Da-e-dschon.«

»Nein, Dädschon. Das ae wird zusammengezogen, so wie bei Chondä.«

»Wie bei was?«

»Der große Autokonzern, Chondä, Hyundai geschrieben.«

»Ach, Hi-un-dai!«

»Nein, Chondä, sag ich doch gerade.«

Inzwischen sind sie im Café angekommen. Wenn er Jane so zuhört, versteht Nico nun auch, warum das vorhin bei ihm mit dem Bestellen nicht geklappt hat: Aus Green Tea Vanilla Latte, wie es auf dem Menü über der Kasse hängt, wird in Janes Mund plötzlich ein nokcha banillalatä und aus einem Caramel Frappuccino garamelpuraputschino.

»Na, ich werde es wohl noch lernen«, sagt Nico halb zu sich und halb zu Jane, als sie sich hingesetzt haben. »Aber sag mal, wie kommt es, dass du Jane heißt? Und dass du so gut Deutsch sprichst?«

»Ich habe eine Zeit lang in Deutschland studiert. Und das mit dem Namen, ach, das hat keinen besonderen Grund. Ich fand den Namen einfach schön.« Jane ignoriert, dass Nico so schnell ins Duzen gewechselt ist.

»Wie jetzt, du hast den Namen ausgewählt?«, fragt Nico ungläubig.

»Ja klar, mein koreanischer Name ist Yunhee, Jane ist nur mein englischer Name.«

Jetzt wird Nico einiges klar. Das hat er schon oft gehört, dass sich Asiaten andere Namen geben, weil deren eigene für Westler zu schwierig auszusprechen seien. Aber Yunhee? Das geht doch.

»Yunhee, das klingt wie Juni, der deutsche Monat«, bemerkt Nico.

»Stimmt, das ist schön. Ich bin wie ein Sommerregen, so sagen Sie doch in Deutschland, oder?«, sagt Yunhee nun kichernd und zupft sich am Gürtel ihres Mantels.

»Aber dein Nachname? Roh? Das klingt nicht so schön. So wie roher Fisch.«

»Ha ha, ja, dann ist mein Name wohl Sommersushi. Nein, aber im Ernst, ich heiße eigentlich No.«

»Nein?«

»Nein, No.«

»Wie No? Wie yes or no?«

»Ja, No.«

»Also, dein Nachname wird Roh geschrieben, aber No ausgesprochen?«

»Ja, No.«

»Ach so.«

Jetzt müssen beide lachen.

»Du kannst mich ruhig auch duzen, wenn du magst.«

»Ja, also wenn Sie unbedingt wollen … ich meine, also wenn du willst, dann mache ich das.«

»Und mein Name? Wird der so geschrieben, wie er gesprochen wird? Schreib mir bitte mal meinen Namen auf Koreanisch!«

»Ganz einfach, schau: Ni-ko«, tippt Yunhee jetzt in ihr Smartphone ein, wobei aus dem c in Nicos Namen ein k wird – im koreanischen Alphabet sind beide zu einem Buchstaben zusammengefasst.

»Und was bedeuten die Zeichen?«

»Ähm, na ja, Ni-ko, wie man es spricht …«

»Nein, ich meine die asiatischen Zeichen haben doch immer so eine besondere Bedeutung … so wie Sommersushi.«

Yunhee verdreht die Augen und seufzt leicht genervt, offenbar hat Nico etwas Falsches gesagt. Seltsam, vorhin fand sie den Sommersushi-Scherz doch selbst lustig. Frauen …

»Nein, wir schreiben ganz normal wie im Alphabet, N und i sind eine Silbe, k und o sind die nächste, zwei Silben, Ni-ko. Fertig«, antwortet Yunhee mechanisch, als hätte sie diese Erklärung schon tausend Mal geben müssen.

»Und das bedeutet jetzt gar nichts?«, fragt Nico recht enttäuscht über die simple Auflösung.

»Nun ja, wenn man es wörtlich übersetzt, heißt dein Name ›deine Nase‹.« Jetzt muss Yunhee doch ein wenig lächeln.

»Das ist ja ähnlich doof wie roher Fisch«, gibt Nico schmunzelnd zurück.

»Ja, wenn ich Frau Sommersushi bin, bist du jetzt Herr Nase.« Yunhee kichert.

»Übrigens, unser Großkönig Sejong, der hat das Alphabet damals 1443 erfunden, und er meinte, dass ein dummer Mensch es in zehn Tagen schafft, Hangeul zu lernen, ein weiser Mann an nur einem Morgen. Wie lange wirst du wohl brauchen?«

»Puh, also heute Morgen schaffe ich es gerade noch, einen Kaffee zu halten. Aber lass uns das mit dem Lernen mal im Auge behalten. Vielleicht kannst du mir ja helfen.«

SOUL OF ASIA

Obwohl der beliebte, progressive Bürgermeister Seouls, Park Wonsoon, der bei den Kommunalwahlen 2018 als erster Amtsinhaber überhaupt zum zweiten Mal wiedergewählt wurde, inzwischen in einer seiner umstritteneren Entscheidungen das vielseitig interpretierbare »I Seoul U« zum offiziellen Slogan hat machen lassen, ist »Soul of Asia« weiterhin bekannt. Wer länger in Korea ist, wird merken, dass sich Stadtväter landauf und landab für keinen noch so üblen englischen Wortwitz zu schade sind. Kreativ ist man auch bei der Bezeichnung der Bewohner Seouls; diese nennen sich auf Englisch nämlich gerne »seoulites«, um zu unterstreichen, dass sie die Elite sind.

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