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ZWEI WELTEN

KALTE SCHÖNHEIT TRIFFTHEISSBLÜTIGE GROSSMAMA

Mit einem Stein zwei Vögel erlegen

Noch vor Semesterbeginn gibt es für Julia eine Einführung an der Uni, wo sie unter anderem erfährt, dass sie sich beeilen muss, wenn sie einen Platz im Studentenwohnheim ergattern will, denn die Plätze seien heiß begehrt. Das versteht Julia nicht, denn der Spaß am Studieren ist doch, endlich auf eigenen Beinen zu stehen und sich seine eigene kleine Wohnung einzurichten. Als sie dann noch hört, dass man sich im Studentenwohnheim selbst die kleinen Zimmerchen mit anderen Ausländern teilen müsse, beschließt sie, sich lieber selbst auf die Suche zu machen. Aber wie?

Zu Julias Glück wird ihr gleich ein sogenannter Buddy zugeteilt, also ein koreanischer Mitstudent, der Neuankömmlingen beim Eingewöhnen helfen soll. Julias Buddy ist ein Germanistikstudent namens Sewon Kim beziehungsweise auf Koreanisch Kim Sewon, denn der Nachname kommt hier zuerst.

NACHNAMEN: DIE MÜLLER-MEIER-SCHMIDTS VON KOREA

Dass Sewon mit Nachnamen Kim heißt, ist keine große Überraschung: Es ist der mit Abstand häufigste Nachname in Korea, fast 19 Millionen Koreaner tragen ihn. Er leitet sich übrigens vom chinesischen Zeichen für Gold ab. Nimmt man Park und Lee noch dazu, hat man bereits knapp 30 der 50 Millionen Koreaner mit Nachnamen versorgt. Daneben sind häufige Nachnamen zum Beispiel Cho, Yun, Choi, Kang, Han, Jang, Shin, Lim, Ryu oder Jeong.

Julias sehr speziellem Bild von einem Koreaner, das geprägt ist durch die Schmachtfetzen, die sie sich tagein, tagaus angeguckt hat, entspricht unser Sewon so gar nicht, denn er ist nicht sonderlich hochgewachsen, nicht spindeldürr-muskulös-elfengleich, und außerdem hat er auch keinen Porsche und managt nicht halbtags den Konzern von Papi – sondern studiert eben Germanistik und führt Austauschstudentinnen über den Campus. Wenig glamourös das Ganze. Da er aber einige Jahre in Deutschland gelebt hat und mehr als passabel Deutsch spricht, hat er einen entscheidenden Vorteil: Er und Julia verstehen sich auf Anhieb. Julia ist über einen solchen Anschluss in der Ferne doch sehr erfreut. Jetzt kann kaum noch etwas schiefgehen.

Nach der Einführungsveranstaltung setzen sich die beiden erst einmal bei einem Kaffee zusammen.

»Ehrlich gesagt, ich bin froh, mit jemandem auf Deutsch reden zu können«, gesteht Julia.

»Ich finde es auch super, mein Deutsch mal wieder anzuwenden. In der Uni kommen wir ja kaum zum Reden.«

»Hast du nicht viel im Studium mit Deutsch zu tun?«

»Na ja, die Professoren interessiert es eigentlich wenig, ob man sprechen kann – es kommt hauptsächlich darauf an, so zu interpretieren, wie der Professor es hören will. Manchmal wünsche ich mir das deutsche Bildungssystem zurück.«

Julia lacht. »So was höre ich zum ersten Mal. Du scheinst also in Korea nicht allzu glücklich zu sein?«

»Was ist schon Glück! Wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, kommt man mit diesem Konkurrenzdenken hier nicht so gut zurecht. Es gibt viel, worauf man achten muss. Da ist Deutschland doch entspannter.«

»Deutschland und entspannt? Das ist mir aber auch neu!«

»Aber es stimmt. Das Leben ist in Deutschland einfach viel ruhiger, alles läuft langsamer.«

»Dann magst du lieber wieder nach Deutschland?«, fragt Julia und fügt unbedacht hinzu: »Für Ausländer ist es sicher viel einfacher in Deutschland als hier. Was mir allein schon in den ersten Tagen passiert ist, da könnte man ein Buch drüber schreiben.«

»Machst du Witze? Als Deutsche wirst du hier doch auf Händen getragen! Deutschland hat vielleicht viele Ausländer, aber das heißt noch lange nicht, dass das Leben dort einfach ist als Ausländer. Es ist schon ganz gut, dass ich hier bin. Hier ist meine Heimat. Ich wünsche mir nur oft, dass die Koreaner etwas deutscher wären. Aber in Deutschland hätte ich mir gewünscht, dass die Deutschen etwas koreanischer wären. Mir hat mal in Deutschland jemand gesagt, das Land sei eine kalte Schöne. Korea ist eher schrumpelig, aber dafür heißblütig!«

»Aber ich dachte, Korea heißt Land der Hohen Schönheit.«

»Ha ha, ja, in der Dynastie danach hieß es auch Joseon, also Land der Morgenstille, aber spürst du davon etwas?«

»Bislang war ich morgens noch nicht früh genug wach, um das zu überprüfen. Egal, dann lass uns mal gleich richtig koreanisch-heißblütig an die Sache herangehen und mir eine Wohnung suchen, okay?«

»Ja, dafür bin ich da. Von mir aus können wir gleich morgen loslegen.«

»Super, und dann können wir morgen vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und auch noch ein Bankkonto eröffnen.«

»Ja gerne. In Korea heißt diese Redensart übrigens ›zwei Vögel mit einem Stein erlegen‹.«

Gwaenchana! – Passabel!

Grundsätzlich ist dieses Gespräch ja ganz harmonisch abgelaufen und Julia konnte eine Menge lernen. Zwischendurch war sie aber aus doppelter Unwissenheit recht schnell mit ihrem Urteil, dass es als Ausländer in Korea schwerer sein muss als in Deutschland.

Die Geschichte der Einwanderung nach Korea ist eine kurze, sie hat erst mit dem Wohlstand des Landes und der Öffnung für die Welt in den 1990ern begonnen. Auch heute wird Dunkelhäutigen und dem großen Heer an Arbeitsmigranten aus Südostasien vielfach mit Ressentiments begegnet. Oft ist es aber nicht Rassismus, sondern schlicht Unwissenheit, wie man mit einem Ausländer umzugehen hat und wie das Leben im Ausland aussieht. Julia wiederum, als hellhäutige, westliche Ausländerin in Korea, noch dazu aus dem hoch entwickelten Deutschland, kann eher mit einem Bonus und einer positiven Diskriminierung rechnen. Was sie bislang an »Problemen« erlebt hat, ist nun wahrlich nichts, worüber sie sich allzu sehr beschweren kann. Vor tätlichen Übergriffen oder Beschimpfungen ist sie in Korea so gut wie sicher.

Trotz Willkommenskultur und Multikulti – Hunderte Erfahrungsberichte koreanischer Austauschstudenten in Deutschland zeigen, dass auch Asiaten in Deutschland längst nicht so normal begegnet wird, wie man sich das vorstellt: Schiefe Blicke, rassistische Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Übergriffen sind auch heute in Deutschland – leider – keine Seltenheit. Auch Sewons Deutschlandbild scheint einige Kratzer abbekommen zu haben. Viele Koreaner kommen zum Studium nach Deutschland, weil es vergleichsweise wenig kostet und internationales Ansehen genießt. Selbst wenn sie nicht diskriminiert werden, sind sie dabei dann oft von der abweisenden, kalten Art der Deutschen und der Reguliertheit des Lebens regelrecht abgeschreckt. Andersherum kritisieren sie oft die Regellosigkeit und Oberflächlichkeit ihrer eigenen Landsleute, wenn sie zurückkehren: Wer beide Systeme gut kennt, ist mit keinem richtig zufrieden.

Auch viele Auslandskoreaner (gyopo) schweben zwischen den Welten, ohne sich wirklich irgendwo heimisch zu fühlen. Gleichzeitig ist es eine ungemeine Bereicherung, beide Arten des Lebens kennengelernt zu haben, da es immer wieder anregt, über scheinbar selbstverständliche Dinge nachzudenken. Gleichzeitig muss man auch verstehen, dass viele Koreaner, obwohl sie nach Innen die Fehler ihres Landes sehr gut kennen und es auch schonungslos, geradezu brutal kritisieren, vor Ausländern vor solcher Kritik zurückschrecken und lieber ein manchmal überhöht positives Bild zeichnen. Man fällt ja auch nicht beim ersten Date mit den dunklen Seiten seiner Familiengeschichte durch die Tür. Je mehr Gemeinsamkeiten das Gegenüber mit einem selbst findet, desto offener wird man über die Unterschiede sprechen können.

Fettnäpfchenführer Korea

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