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Professor Zufall

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Sebastian rückte die Schale unter dem Mikroskop mehr in die Mitte, ging einen Schritt zurück und schaute gemeinsam mit Di Matteo auf den Bildschirm. Er brauchte nicht in das Gesicht des Italieners zu schauen, um die Enttäuschung zu spüren. Es hatte wieder nicht funktioniert.

»Cazzata«, fluchte der Dicke und ließ sich schnaufend auf einem Laborhocker nieder, um sich danach mit einem Tuch über die mit Schweißperlen bedeckte Stirn zu wischen. Sebastian wollte gar nicht erst wissen, wie er außerhalb des temperierten Komplexes zerfließen würde. Sicherlich kein schöner Anblick.

In diesem Moment öffnete sich mit einem Zischen die gläserne Schleuse des Labors und Sebastian schaute zur Seite. Heiderlein kam mit zügigen Schritten heran, während hinter den Glasscheiben im ebenfalls glasumfassten Laborvorraum ein Dutzend Arbeiter weitere Kisten mit Hilfe des Liftes herunterschafften. Trotz der guten Dämpfung war der Lärm beträchtlich, den sie dabei machten. Kein Wunder, der Lift war in der Lage, mehr als drei Tonnen zu heben und machte daher mit seinen kräftigen Gelenken mächtig Lärm. Außerdem warf die wenige Meter über ihnen befindliche Decke den Schall nur zu gut zurück. Ein Labor in der obersten Reihe des Glas-Stahl-Labor-Gitters zu haben, hatte eben auch Nachteile. Das Schott im Dach des Bunkers war offen und das Tageslicht fiel bis hier unten. Sebastian strich sich über den Nacken. Die UN machte wirklich keine halben Sachen. Der Lift war eine geniale Idee, um zügig Dinge von oberhalb des Bunkers direkt in die geschützte Laboratmosphäre zu schaffen, ohne durch das Labyrinth von Gängen zu müssen. Da war etwas Lärm zu verkraften. Jetzt aber nahm Heiderlein seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag, als sie heranrauschte und mit ihrem österreichischen Akzent fragte, ob bereits Resultate vom letzten Versuch vorliegen würden.

Sebastian zeigte auf den Bildschirm und nach einer Sekunde schüttelte die dürre Frau den Kopf.

»Das kann doch nicht sein! Zwei Wochen harter Arbeit! Und wieder keine Ergebnisse, die man als solche bezeichnen kann!«

Sebastian zuckte mit den Schultern, was er augenblicklich bedauerte, als ihn der Blick des Todes traf.

»Finden Sie das etwa nebensächlich, Herr Born?«

»Jetzt ist es aber gut, Werteste! Wir stehen alle unter demselben Druck, Resultate zu erbringen. Hören Sie auf, sich hier wie eine Feldherrin zu geben!« Di Matteos Wangen waren deutlich gerötet und sein Atem ging stoßweise.

Die Vogelscheuche baute sich vor dem deutlich kleineren Mann auf, der ihr Körpergewicht sicherlich vier-, wenn nicht fünfmal auf die Waage brachte. Ein ungleicher Kampf, als sie sich anstarrten. Heiderlein war derartige Duelle gewohnt, der Italiener hatte lediglich seinem Temperament nachgegeben.

Sebastian beeilte sich, die Wogen zu glätten. »Ja, der Versuch hat nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht. Aber was haben wir auch erwartet? Zwei Wochen sind in der Welt der Wissenschaft wie eine Sekunde!«

Heiderlein ruckte zu ihm herum und stieß dabei fast eine Versuchsanordnung einer anderen Gruppe, die gerade frei hatte, vom mittigen Labortisch. Die Reagenzgläser wankten bedrohlich, und nur Di Matteos schnellem Eingreifen hatten sie es zu verdanken, dass jetzt keine Scherben aufzukehren waren. Alle erstarrten. Dann lachten sie gemeinsam los, sogar Hungerhaken konnte es sich nicht verkneifen. Sebastian atmete aus, die Spannung war gelöst.

Sebastian schaute auf den Bildschirm, ging dann zum Terminal und ließ den Drucker losrattern. Mit dem Blatt in der Hand ging er zu seinen Mitforschern hinüber und sie schauten gemeinsam auf die Daten.

»Die Aufnahmefähigkeit des Meerwassers für Kohlenstoffdioxid wurde so gut wie gar nicht beeinflusst.« Di Matteo schüttelte den Kopf und einen Schokoriegel aus dem Ärmel.

»Da hatte ich mir von den Bakterien mehr erhofft.« Heiderlein konnte es sich offensichtlich nicht verkneifen, einen Seitenblick auf Sebastian zu werfen, und der hatte den Wink verstanden. Die Idee war gewesen, Wasser durch spezielle Bakterien mehr CO2 als bisher aufnehmen und dann dort durch eben diese Bakterien abbauen zu lassen. Seine Idee. Hatte ja toll funktioniert! Er knibbelte an den eigentlich wieder gut verheilten Fingern, dank Melanies gutem Einfluss, und ging im Kopf die möglichen Fehlerquellen durch. Sebastian seufzte.

»Ehrlich gesagt, weiß ich dann hier erst mal nicht weiter. Ich bleibe dabei. Die Idee, von den extrem anfälligen CO2-Lagerstätten an Land weg- und zum Meer hinzukommen, halte ich weiterhin für richtig.«

»Absolut, Herr Born«, pflichtete der Italiener kauend bei. »Aber entweder übersehen wir irgendetwas, oder das Bakterium ist einfach noch zu schwach auf der Brust.«

Sebastian nickte in Richtung der Schleuse.

»Sollen wir erst mal was Essen gehen und dann weitermachen?«

Dass der Italiener dafür sofort zu haben war, überraschte wohl keinen, aber selbst die Österreicherin nickte zustimmend. Es gab noch Zeichen und Wunder.

Eine Stunde später – der Küchenchef hatte das Buffet gerade frisch aufgefüllt und Di Matteo hatte darauf bestanden, alles mindestens einmal probieren zu müssen – gingen sie zurück zum Labor. Sie bogen gerade um die letzte Ecke des Gangs, der zum großen Zentralraum führte, als sie den Lärm hörten. Rufe, ein lautes Getöse. Sie schauten sich fragend an und fingen an zu laufen, wobei der Italiener sofort zurückfiel.

Sebastian öffnete die Tür mit seinem Zahlencode und eilte in die Haupthalle. Überall auf der Metallbalustrade standen Leute, hauptsächlich Arbeiter und Personal, und schauten zum gläsernen Laborkomplex herüber. Sebastian eilte um aufgetürmte Kisten herum und dann konnte auch er den Aufruhr sehen: Ein Mann mit Atemmaske und Tank auf dem Rücken zog auf der obersten Ebene gerade eine Frau im weißen Kittel in die Schleuse zum Laborvorraum – ihrem Labor – und von dort auf den Lift zu ihnen herunter. War das die junge Japanerin, mit der er heute Morgen gefrühstückt hatte? Tanaka oder so? Die Geologin, die vor allem abends in diesem Labor arbeitete? Er hatte sie bisher kaum gesehen, da sie normalerweise im Nebenlabor im Abschnitt Gamma tätig war, aber sie hatte heute Morgen gesagt, dass ein paar der per Lift angelieferten Kisten für ihre Forschungen bestimmt waren und sie daher ein paar Sachen in dem hauptsächlich von Sebastians Gruppe genutzten Labor zwischenlagern wollte.

Der Sicherheitsmann zog sich die Atemmaske vom Gesicht, als der Lift unten ankam und legte die zierliche Japanerin auf den Betonboden. Ihr Gesicht war blau angelaufen, sie bewegte sich nicht.

»Sanitäter!«, rief die Wache über das Gemurmel der herumstehenden Gaffer. Zwei Sanitäter mit Notfallkoffer und Trage drängten sich durch die Menge. Der ältere von beiden beugte sich über die am Boden Liegende, fühlte Puls und Atmung und machte sich dann geschwind daran, den Beatmungsbeutel zusammenzusetzen, während er seinen Kollegen anwies, die Frau zu intubieren. Dann folgte die Wiederbelebung. Die Umstehenden hielten den Atem an, Di Matteo kam nun auch an und schnaufte auf Brusthöhe neben Sebastian wie ein alter Dampfkessel.

»Was ist denn los?«, wollte er wissen, aber Sebastian schüttelte nur den Kopf.

Nach bangen Momenten kam Regung in die zierliche Frau und die Sanitäter hoben sie sofort auf die Trage und brachten sie weg, während der Wachmann mit aschfahlem Gesicht aufstand, seine Rettungsausrüstung aufhob und ihnen entgegen kam. Sebastian ging auf den Endzwanziger zu und konnte noch die Druckstellen der Atemmaske auf dem jungen Gesicht sehen.

»Was war hier los?«

Der Angesprochene zuckte mit den Achseln. »Es wurde Gasalarm in ihrem Labor ausgelöst, ich war der Erste vor Ort. Hab die Frau dann am Boden liegen sehen, mitten im Schleusenausgang zum Laborraum. Dann hab ich sie halt rausgeholt.« Er schulterte die Atemflasche und schaute Sebastian müde an. »Darf ich dann?« Sebastian beeilte sich, Platz zu machen, nicht ohne dem Mann anerkennend auf die Schulter zu klopfen, der ihm ein gequältes Lächeln schenkte. War schon was anderes als die endlosen Übungen.

Sebastian berichtete der erschrockenen Heiderlein und dem mittlerweile sitzenden Di Matteo von den Worten des Wachmanns und sie schauten sich fragend an.

»Kann das etwas mit unserem Versuch zu tun haben?«, brach der Italiener als Erster das Schweigen.

Heiderlein schaute ihn strafend an. »Wohl kaum. Denn Sie haben doch sicherlich die CO2-Flasche verschlossen, bevor wir gegangen sind, oder etwa nicht? Das war Ihre Aufgabe!«

Der Dicke wurde schlagartig bleich.

Sie fuhren zu dritt hoch zu ihrem Labor. Sebastian ging zur Schleuse des Laborvorraums und tippte auf dem angebrachten Display herum.

»Komisch«, murmelte er.

Heiderlein trat hinter ihn und zuckte mit den Achseln, bevor sie sagte: »Nichts mehr vom CO2 zu sehen. Die Lüftung muss es nach draußen befördert haben.«

Sebastian schüttelte den Kopf. »Das ist es eben. Die Lüftung ist überhaupt nicht angesprungen.« Er zeigte auf das Sicherheitslog, das er auf dem Display anzeigen ließ. »Der Computer hat den Gasalarm wegen zu hoher CO2-Konzentration ausgelöst, anschließend versucht, die Lüftung zu starten und von dort aber eine Fehlfunktionsmeldung erhalten.« Er tippte auf einen anderen Eintrag, der daraufhin farbig unterlegt erschien. »Und dennoch ist die CO2-Konzentration jetzt kaum noch messbar. Wie kann das sein?« Er drehte sich um und schaute in die gleichsam ratlosen Gesichter seiner Kollegen.

Froststurm

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