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7. Kapitel

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Der Umkleidebereich im Double Diamonds erinnert mich an ein Spa. Es gibt hier verschiedene Umkleideräume, Duschen und eine lange Anrichte, an der man sich schminken kann. Um die Ecke stehen eine Reihe von Spinden, doch sie knarren und quietschen nicht, wenn man sie aufmacht, weil sie nicht aus Metall, sondern aus Holz gefertigt sind. Außerdem müssen sie sanft dämpfende Verschlussmechanismen aufweisen, da ich noch keinen von ihn habe zuschnappen hören.

Direkt hinter der Eingangstür befindet sich eine Sitzecke. Clubsessel umgeben einen Couchtisch und an der hinteren Wand stehen zwei Ohrensessel, zwischen denen eine gepolsterte Sitzbank Platz gefunden hat. Auch hier gibt es eine Kaffeebar ähnlich jener in Vinces Büro. Darunter reihen sich mehrere Minikühlschränke mit Glasfronten, in denen sich Wasserflaschen, Energydrinks und Softgetränke tummeln. Auf dem Couchtisch steht sogar eine Obstschale. Das Einzige, was fehlt, sind flauschige weiße Bademäntel mit dem Logo des Double Diamonds darauf.

Bisher bin ich noch nie in einem Stripclub gewesen, aber das kann nicht normal sein. Im vorderen Bereich sah der Laden genau so aus, wie man es von einem Stripclub erwarten würde, und hatte auch ein entsprechendes Flair. Laut und dunkel. Rundumscheinwerfer und tanzende Frauen. Klirrende Gläser und donnernde Beats. Der hintere Bereich wiederum passt überhaupt nicht zu meinen Erwartungen. Hier ist es ruhig und friedlich. Zwischen den beiden Bereichen wurde auf jeden Fall eine schalldichte Isolierung eingebaut, so viel ist sicher.

Nichts hinter den Kulissen im Double Diamonds ist so, wie ich es erwartet habe.

Ich lasse meine Handtasche auf einen der Sessel fallen und gehe hinüber zu Lydia, die vor einem Make-up-Spiegel am Schminktisch sitzt. Der Umkleidebereich ist erstaunlich leer. Doch vielleicht ist das gar nicht so verwunderlich, sondern einfach nur erneut entgegen meinen Erwartungen. Ich höre eine Dusche laufen und bin an einer der Frauen vorbeigegangen, als ich den Umkleidebereich betreten habe, aber ich habe mir einen Raum voller halbnackter Frauen vorgestellt, die hier überall herumwuseln und sich möglicherweise darüber zanken, wer heute Abend die gute Polestange abbekommen hat.

Ich muss meine Fantasie wirklich unter Kontrolle bekommen.

»Du siehst toll aus, Babe«, sage ich zu Lydia, als ich sie erreiche. Denn das tut sie. Rhys wird keine Chance haben.

»Du auch«, entgegnet Lydia und betrachtet mich im Spiegel.

»Ja?« Gespielt überrascht sehe ich an mir herunter, als wäre es eine Art Zufall, dass ich heute Abend gut aussehe. Ist es nicht. Ich habe heute ein zweites Mal geduscht und mein Haar gewaschen, nur damit ich es im Anschluss föhnen konnte, bis es seidig glatt war. Ich habe wirklich dicke Haare, weshalb ich sie nicht jeden Tag bis zur Perfektion föhne und style. Auch dass ich mich von Kopf bis Fuß eincreme und ein wunderschönes Pink auf meine Lippen auftrage, das geradezu Nimm mich schreit, ist nicht alltäglich. Genauso wenig wie mein tief ausgeschnittenes Top, das sich an meinen Körper schmiegt, oder die tiefsitzende Jeans, die meinen Hintern perfekt betont. Möglicherweise habe ich zudem noch etwas schimmerndes Körperpuder aufgetragen, um mein Dekolleté zu betonen.

»Gehst du später ins Hennigan’s?«, fragt Lydia und bezieht sich dabei auf eine Bar in der Nähe unseres Appartements. Ganz offensichtlich versucht sie herauszufinden, warum ich mich so in Schale geschmissen habe, wenn sie doch heute Abend die Hauptattraktion der Auktion ist.

»Ähm, ich weiß nicht, vielleicht?« Ich hoffe nicht. »Also, wie sieht der Plan aus? Ist Rhys schon hier? Bist du dir sicher, dass du das durchziehen willst, Lydia?«

»Ja, das bin ich. Wenn Rhys auftaucht, werde ich es machen. Die Sache ist, Payton, dass er mich einfach umhaut. Ich glaube, dass er möglicherweise mein Schwan ist.« Ich schwöre, dass über ihrem Kopf kleine Herzchen tanzen, als sie mir davon erzählt, dass Schwäne ein Leben lang mit ihrem Partner zusammenbleiben, weil sie ihn mit Bedacht auswählen.

Möglicherweise bin ich dann ein Stachelschwein. Ich habe einmal gelesen, dass das Stachelschwein-Weibchen die Männchen zu sich lockt und eins von ihnen auswählt, es dann aber so lang warten lässt, bis sie bereit ist für die Paarung. Sobald sie genug hat, macht sie dem Männchen klar, dass es sich verpieseln soll, weil sie lieber allein sein will. Natürlich beschreibe ich das Verhalten des Stachelschweinweibchens mit meinen eigenen Worten, aber ihr versteht, was ich meine.

Lydia ist ein monogamer Schwan.

Ich wiederum bin ein pedantisches Stachelschwein.

»Falls wir später nicht mehr reden können, sage ich dir jetzt, dass ich wirklich stolz auf dich bin, Lydia.« Ich ziehe sie ihn eine Umarmung, passe dabei aber sorgfältig auf, dass ich nicht ihre Haare oder ihr Make-up ruiniere. »Es ist völlig irre, aber ich bin stolz auf dich, weil du das verfolgst, was du möchtest.«

»Sei jetzt noch nicht stolz auf mich. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob es funktioniert. Vielleicht endet das Ganze damit, dass Vince mich an einen zwielichtigen Händler aus Iowa verkauft. Das wissen wir schließlich noch nicht, oder?«

»Apropos Vince, hast du ihn heute Abend schon gesehen? Er wird hier sein, oder?«

Bitte, bitte, bitte sei hier. Bei meinem Glück wäre es so typisch, wenn er einen Geschäftspartner hätte, der sich abends und nachts um den Stripclub kümmert, damit er seine Samstagabende mit einer Person, die definitiv nicht ich bin, verbringen kann.

Ein Räuspern lässt uns wissen, dass wir nicht allein sind. Es ist Vince. Er hat seine Hände in seine Hosentaschen geschoben und grinst. Keine Ahnung, was ihn amüsiert, denn ich habe meine Gedanken ausnahmsweise mal alle für mich behalten. Was mein Herz anlangt, sieht es anders aus, denn das möchte mir bei seinem Anblick förmlich aus der Brust springen. Mein Puls hat sich mit seiner Ankunft auf jeden Fall beschleunigt. Verknallt sein ist seltsam.

Er hat jetzt ein anderes Hemd an als zuvor. Das vorige hatte kaum erkennbare Streifen, aber dieses hier ist strahlend weiß. Darüber trägt er jetzt zudem ein schwarzes Jackett. Es lässt ihn sexyer aussehen, als es einem Mann erlaubt sein sollte. Intellektuell. Einflussreich. Sinnlich. Ich sollte mir wohl besser ein anderes Hobby zulegen, als jedes Detail an Vince zu analysieren, aber zu einem anderen Zeitpunkt. Vielleicht nächste Woche. So etwas wie Kalligraphie oder das Ausmalen von Malbüchern für Erwachsene.

»Iowa ist wirklich schön. Es sind die aus Maryland, vor denen du dich in Acht nehmen solltest.«

Oh Scheiße. Er hat Lydias Worte gehört, als sie gesagt hat, dass er sie womöglich an einen zwielichtigen Geschäftsmann aus Iowa verschachern würde, der nicht Rhys ist. Nicht dass Rhys zwielichtig wäre. Ist er nämlich nicht, zumindest nicht wirklich. Eventuell ein bisschen blöd, aber nicht zwielichtig. Moment, das ist nicht nett. Schließlich weiß ich, dass er schlau ist. Er ist halt nur gerade etwas liebesdoof. Aber das ist schon in Ordnung, denn Lydia wird ihn wieder zurechtbiegen.

»Haha, du Witzbold«, versucht Lydia abzulenken. Es ist offensichtlich, dass sie sich unwohl fühlt, weil er es gehört hat, und sie sich immer noch nicht ganz sicher ist, was die ganze Sache angeht.

»Ich meine es ernst«, erwidert er und richtet seinen Blick auf mich. »So ernst wie ein Fallschirmspringer.«

Oh mein Gott, er hat sich an unser erstes Gespräch erinnert. Ich frage mich, ob er heute an mich gedacht hat, während ich gleichzeitig an ihn gedacht habe. Ich glaub, ich falle gleich in Ohnmacht. Zwischen uns beiden fliegen auf jeden Fall die Funken. Wir ziehen einander an. Eine herrliche Anziehungskraft ist hier am Werk.

Ich befeuchte meine Lippen und bringe mich innerlich wieder ins Gleichgewicht, ehe ich ihn anlächle. »Ja, der war gut. Die Sicherheit ist beim Fallschirmspringen ja definitiv gegeben.«

Vince nickt mir zu, den Hauch eines Schmunzelns im Gesicht, dann wendet er sich wieder an Lydia. »Es hat funktioniert«, sagt er. »Er ist hier.«

Anschließend verschwindet Lydia mit Vince, um die Liebe ihres Lebens zu ködern, sie bei der Auktion zu ersteigern und mit nach Hause ins Bett zu nehmen. Ködern ist vielleicht etwas zu hart ausgedrückt, schließlich ist es zu seinem Besten. Auf jeden Fall ist es verdammt viel Mühe, nur um flachgelegt zu werden, so viel ist mir klar.

Ich plumpse auf einen der Sessel und lasse meine Beine über der Lehne baumeln, ehe ich mir auf die Unterlippe beiße, um mich davon abzuhalten, wie eine Irre zu grinsen. Weil. Vince. Hier. Ist. Ich werfe den Kopf in den Nacken und denke über all die Dinge nach, die ich mit ihm anstellen möchte. Oder von denen ich möchte, dass er sie mit mir macht. Ich muss herausfinden, ob er Single ist, bevor ich mich noch mehr in ihn verknalle.

»Ist alles in Ordnung?«

Die Frage kommt von Staci. Sie ist eine der Tänzerinnen hier, jene, die Lydia heute zum Einkaufen begleitet und ihr dabei geholfen hat, sich für den Abend fertig zu machen.

Ich richte mich auf und lächle sie an. »Ja, mir geht’s gut. Ich hänge nur meinen Tagträumen nach … Ähh, ich warte auf Lydia, meine ich. Sie ist gerade rausgegangen.« Ich deute in Richtung der Tür, um meine Worte zu unterstreichen.

»Cool«, sagt Staci und wirft ein Make-up-Täschchen auf die Schminkanrichte. Dann kramt sie darin herum. Sie trägt eine Yogahose und ein T-Shirt. Ihr Haar ist feucht und glatt gebürstet. Folglich nehme ich an, dass sie sich gleich auf den Heimweg machen und nicht auf die Bühne gehen wird.

»Fertig für heute Abend?«, frage ich, als sie einen Spritzer Feuchtigkeitscreme auf die Fingerspitze gibt und sich das Gesicht eincremt.

»Jap.« Sie nickt und wirft die Gesichtscreme zurück in ihr Täschchen, bevor sie das Ding in ihrer Handtasche verstaut. »Zu Hause warten nur Netflix und Entspannung auf mich. Ich kann es kaum erwarten. Es war eine lange Woche.« Sie schiebt sich ihre Handtasche über die Schulter und mir wird klar, dass das meine Chance ist, ein paar Informationen über Vince zu bekommen.

»Hey, kann ich dich etwas fragen?«

»Klar.« Sie nickt abwesend, während sie ihr Gewicht verlagert und ihr Handy aus ihrer Tasche kramt, ehe sie sich zu mir umdreht und mich ansieht.

»Was weißt du über Vince?«

»Vince?« Sie wirkt ein wenig irritiert, so als habe sie eine derartige Frage nicht von mir erwartet. »Tja, er ist mein Boss?« Sie beendet den Satz wie eine Frage, scheinbar unsicher, welche Art von Informationen ich möchte. Keine Ahnung, wie das möglich ist, ich meine, man muss sich ihn doch nur angucken.

»Hat er eine Freundin?«

»Ahh.« Jetzt lächelt sie und betrachtet mich mit neu erwachtem Interesse. »Ich glaube nicht.«

»Wie kann das sein?«

»Ich weiß nicht.« Sie lacht. »Ich denke, er arbeitet einfach sehr viel. Er ist ein recht ernster Typ, findest du nicht?« Sie zuckt mit den Schultern, so als hätte sie noch nie darüber nachgedacht.

»Also datet er keine von euch Tänzerinnen?«, bohre ich nach, da ich wirklich wissen muss, wofür ich heute Abend gewappnet sein muss. »Ganz ungezwungen vielleicht?«

»Nein, definitiv nicht. Das ist hier eine Art unausgesprochene Regel. Vince überschreitet diese Grenze nicht.«

Was ich höre, ist, dass ich freie Bahn habe, um mit Vince ein paar Grenzen zu überschreiten. Er wird mit jeder Sekunde interessanter.

»Ich glaube nicht, dass er seit Gwen eine ernsthafte Beziehung hatte«, ergänzt sie und wirft mich damit aus der Bahn.

War Gwen eine Tänzerin, die ihm das Herz gebrochen hat? Ist sie mit einem Kunden durchgebrannt? Hat sie sich den Knöchel gebrochen, während sie ihre Stripper-High-Heels getragen hat, sich in Arizona zur Ruhe gesetzt und Vince dadurch gezwungen, diese Regel einzuführen, keine Beziehung am Arbeitsplatz zu führen? Oder hatte Gwen mit dem Club gar nichts zu tun? Vielleicht war sie ja seine Jugendliebe … und ist mit seinem besten Kunden durchgebrannt – einem Techniknerd, der Millionen mit seiner eigenen App verdient hat.

Ich muss meine Fantasie wirklich in den Griff bekommen.

Ich möchte gerade nach weiteren Informationen bezüglich der Sache mit Gwen fragen, als Stacis Handy klingelt. Sie nimmt den Anruf entgegen und entschuldigt sich bei mir, weil sie dringend losmuss. Ich nehme mir einen Bund Trauben und lehne mich wieder im Sessel zurück. Dann werfe ich mir die Trauben in den Mund, während ich warte. Praktisch sofort nach Stacis Verschwinden geht die Tür wieder auf und Lydia eilt herein. Kaum ist die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, lässt sie sich dagegen sinken.

Sie trägt ein Männerjackett über dem Negligé, in dem sie auf die Bühne gegangen ist, und es braucht keinen Astrophysiker, um zu erkennen, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um Rhys’ Jackett handelt. Nicht dass hier ein solcher rumhängen würde, um seinen Senf zu dieser ganzen Angelegenheit zu geben. Wobei, wer weiß? Möglicherweise hängt unten sogar eine ganze Gruppe von Astrophysikern herum. Vielleicht ist Astrophysik ein Fachgebiet, in dem es vor kinky Arschlöchern nur so wimmelt, aber ich wette eher auf jede Menge Jungfrauen, die noch bei ihren Müttern leben. Allerdings liege ich das ein oder andere Mal auch gern mal falsch, von daher verlasst euch nicht auf meine Worte.

»Schickes Jackett«, begrüße ich sie, ehe ich mir eine weitere Traube in den Mund stecke.

»Payton.« Sie stemmt sich von dir Tür ab und kickt sich ihre High Heels nacheinander von den Füßen. Sie landen geräuschvoll auf dem Boden, und Lydia atmet keuchend aus. »Das war schrecklich.«

»Was ist passiert?« Ich setze mich auf und bereite mich innerlich auf das Schlimmste vor, aber um ehrlich zu sein, wette ich noch immer darauf, dass es sich bei dem Jackett um das von Rhys handelt. Weil er es nicht ertragen konnte, sie öffentlich in noch weniger als einem Badeanzug stehen zu sehen, also hat er sie in Neandertalermanier mit seinem Jackett bedeckt. Du Frau. Ich Mann.

Mein. Grunz.

Irgendwie liebe ich solchen Mist. Es ist süß.

»Lawson ist da draußen. Und Canon!«

»Oh.« Ich mache es mir wieder in meinem Sessel bequem. »Nun ja. Sie sind Freunde, das macht also Sinn.«

»Warum ist es mir nicht durch den Kopf gegangen, dass sie möglicherweise hier sein würden? Ich schäme mich so.« Sie zieht das Jackett enger um sich und knabbert besorgt auf ihrer Unterlippe herum.

»Hat dich Rhys bekommen, oder was?«

»Ich weiß nicht.«

»Wie kannst du das nicht wissen?«

»Weil ich es nicht weiß. Eben noch stand ich mitten im Scheinwerferlicht auf der Bühne und plötzlich wickelt er mich in sein Jackett und befiehlt mir, mich anzuziehen.« Sie dreht sich um, um aus dem Negligé zu schlüpfen und sich rasch etwas überzuziehen.

»Klingt, als würdest du mit Rhys gehen.«

Sie werden wirklich hübsche Babys bekommen. Lydia wird selbstgemachte Biobabynahrung herstellen und sie in winzigen Portionen in einer Vintage-Eiswürfelschale, die sie bei Goodwill erstanden hat, einfrieren; und Rhys wird sie für den Rest ihres gemeinsamen Lebens mit einer Mischung aus Erstaunen und Verehrung ansehen. Ich wiederum werde hin und wieder babysitten, mit den Kindern Eis essen gehen, das nicht bio, dafür aber unter Bergen von Süßigkeiten begraben ist, und sie dann mit einem Zuckerrausch, schokoverschmiert und vollgekrümelt wieder bei ihren Eltern abliefern.

Ganz offensichtlich werde ich mir für diese Ausflüge eines ihrer Autos ausleihen müssen.

Lydia faltet sorgfältig Rhys’ Jackett zusammen, als die Tür geöffnet wird.

Es ist Vince. Vince, der tatsächlich ein echtes Lächeln im Gesicht hat. Er hat seine Hände in den Hosentaschen vergraben und seine Körperhaltung ist entspannt, ganz im Gegensatz zu Lydias Haltung vor einigen Minuten. Sein Blick ruht einen Moment auf mir, ehe er seine Aufmerksamkeit auf Lydia richtet. Er hat neugierige Augen, so würde ich sie jedenfalls beschreiben. Ein Funken Interesse liegt darin, wenn er mich ansieht. Amüsiertes Interesse, aber das finde ich gut. Natürlich kann es auch sein, dass ich das nur hineinprojiziere, weil ich es darin sehen möchte. Aber wenn ich schon mal dabei bin, dann würde ich sagen, dass er außerdem ausgeruht aussieht. So als könne er eine ganze Nacht wachbleiben, wenn es sein muss.

»Nach einem kleinen Bietergefecht habe ich ihn auf fünf hochgehandelt«, berichtet Vince Lydia.

»Wen auf fünf hochgehandelt?«, fragt sie und hat dabei einen verwirrten Ausdruck im Gesicht, so als hätte sie schon wieder vergessen, warum sie hier ist.

»Rhys«, sagt Vince und sieht sie an, als sei sie verrückt. »Ging es nicht genau darum, Lydia?«

Genau! Das ist genau das, was ich gerade beschrieben habe! Vince und ich sind so dermaßen auf einer Wellenlänge. Gott, die heutige Nacht wird der Wahnsinn werden.

Lydia lässt sich in den Sessel neben meinem fallen und streitet mit Vince darüber, wie viel Rhys für sie hätte bezahlen sollen. Wie es scheint, dachte Vince, dass er großzügig war, weil er Rhys nur Fünfhunderttausend statt einer Million für sie abgeknöpft hat. Und Lydia dachte, dass Rhys sich mit einem Groupon-Deal aus der Affäre ziehen würde.

Mein Leben ist eindeutig viel unterhaltsamer geworden, seit ich mit Lydia zusammengezogen bin. Das hatte ich nicht erwartet, um ehrlich zu sein. Denn sie ist eher der ruhige Typ und vor allem braver als ich. Allerdings nur, wenn sie nicht gerade ihre Jungfräulichkeit an ihren Boss verkauft, versteht sich.

»Denkt er, er bekommt dafür eine Sexparty?«, fragt Lydia an Vince gewandt, als ich mich wieder in ihr Gespräch einklinke. Ich war davon abgelenkt, jedes Detail seines Aussehens in diesem Anzug zu analysieren. Ist es komisch, die Art und Weise zu mögen, wie das Jackett seine Schultern umspannt? Ich stehe nämlich ziemlich darauf. »Denn ich werde es nicht mit seinen Freunden treiben oder so etwas Komisches. Unter keinen Umständen.« Scheinbar vertritt sie da einen festen Standpunkt.

»Ich würde es tun«, flöte ich dazwischen. »Man lebt ja nur einmal, habe ich recht?«

Vince hält inne und starrt mich eindringlich an, ehe er sich mit der Hand über den Kiefer reibt und seufzt. »Ich habe keine Ahnung, worauf der Mann abfährt«, antwortet er. »Ich bin mir sicher, dass ihr beiden das schon klären könnt. Allein. Ohne mich.« Sein Ton verrät mir, dass er am Ende ist, was diese Scharade hier angeht. Ich kann es ihm nicht verübeln, es ist ja nicht mal eine echte Auktion. Klar, es ging um echtes Geld, aber die Auktion war ein Fake.

»Du akzeptierst die Bedingungen. Es ist an der Zeit, dass du dir dein Rhys-Abzeichen verdienst.«

»Was zur Hölle ist ein Rhys-Abzeichen?« Vince sieht zwischen uns hin und her, ehe er den Kopf schüttelt. »Egal, ich will es im Grunde gar nicht wissen. Er ist draußen und wartet auf dich. Du hast die Wahl. Sein Geld werde ich ihm aber nicht zurückgeben. Der Idiot hat wahrlich mehr, als er braucht.« Den letzten Teil murmelt er nur noch, sodass man ihn beinah nicht versteht.

Da sind wir uns definitiv einig. Rhys verdient es, eine halbe Million Dollar zu verlieren, da Lydia vor ein paar Wochen umsonst mit ihm nach Hause gegangen wäre. Ich liebe es, wie wir schon jetzt der gleichen Meinung sind, was unsere Freunde betrifft. Wie ein Team. Wir haben so viel gemeinsam, dass es schon fast lächerlich ist.

Weniger als fünf Minuten später verabschieden wir uns von Lydia, die ihren ersten Schultag hat, ähh, Quatsch, die heute das erste Mal Sex haben wird. Schließlich haben wir noch keine Kinder, da es nicht möglich ist, schwanger zu werden, nur weil man jemandem mit den Blicken die Kleider vom Leib reißt.

Ich umarme Lydia ein letztes Mal, während Vince ihr die Tür aufhält. Ich glaube kaum, dass Vince meine Hilfe dabei bräuchte, sie hinauszubegleiten, aber ich habe nicht vor, ihn auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Lydia ist nicht die Einzige, die heute Nacht flachgelegt wird.

»Hals- und Schwanzbruch!«, rufe ich Lydia hinterher, als sich die Tür hinter ihr schließt.

Und dann bin ich mit Vince allein.

Endlich.

Die sexuelle Spannung zwischen uns ist jenseits von Gut und Böse. Aber so was von.

Ich wette, wir werden direkt hier im Flur Sex haben. Bestimmt kann er sich nicht lang genug zurückhalten, damit wir es zurück in sein Büro oder in die Besenkammer schaffen, was okay ist, da ich bereit bin. So dermaßen bereit.

Er steht so dicht hinter mir, dass ich die Hitze und die Energie, die zwischen uns hin und her surrt, spüren kann, ohne dass wir einander überhaupt berühren. Ich lasse mir Zeit, bevor ich mich umdrehe. Ich will diesen Moment auskosten und für immer in Erinnerung behalten. Ich befeuchte meine Lippen, als ich mich schließlich umwende und mich auf Augenhöhe mit seiner Brust befinde. Er ist so herrlich groß, breit gebaut und männlich. Ich stoße den Atem aus und lasse meinen Blick nach oben wandern, bereit, meinen Kopf für einen Kuss zurückzulehnen.

Doch er lacht.

Über mich.

Just One Word: Verrückte Mädchen küssen besser

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