Читать книгу Royal Horses (3). Kronennacht - Jana Hoch - Страница 10

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Wieder und wieder hämmerte ich mit dem Daumen auf den Button, aber das Display meines Handys blieb schwarz. Unnützes Teil! Es hatte wohl wegen der Kälte einfach den Geist aufgegeben. Dabei hatte ich mich noch gefreut, dass der Wecker nicht klingelte und die Zeit so langsam verstrich. Mist!

Ich konnte nur hoffen, dass mein Unterricht noch nicht angefangen hatte. Oder noch schlimmer, dass Nicholas aus einer der Türen im Korridor spaziert kam und mich in meinem Aufzug sah: dunkle Ränder unter den Fingernägeln, zerzauste Haare. Wahrscheinlich hatte ich sogar noch Pferdesabber auf der Wange, nachdem Sparky mir seine Nüstern ins Gesicht gedrückt hatte. Außerdem war die Vorderseite meines Mantels voller Erdflecken. Nein, so konnte ich Nicholas unmöglich unter die Augen treten, wenn ich mir nicht einen Vortrag darüber einfangen wollte, dass eine Dame sich niemals auf den Boden legte, schon gar nicht die Freundin von Prinz Tristan. Ich sah schon bildlich vor mir, wie er den Kopf in den Nacken legte, sich die Haare raufte und irgendeinen Gott fragte, womit er mich verdient hatte. Wir hatten schon so einige durch: Zeus, Gaia, Ganesha und noch ein paar andere, von denen ich zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten.

Ich lief schneller. Noch drei Türen bis zu Edwards Zimmer – das nun auch mein Zimmer war. Geschafft! Erleichtert drückte ich die Klinke herunter und schlüpfte hindurch. Jetzt nichts wie duschen und das Handyladekabel suchen. Aber zuerst tippte ich mit dem Finger auf den Spiegel neben der Tür. Sofort verdunkelte er sich und es erschien ein Menü, über das ich so ziemlich alle Angestellten des Palasts herbeizitieren oder etwas zu essen bestellen konnte.

Ganz oben leuchtete mir die Uhrzeit entgegen. Shit!

Mir blieben noch nicht einmal fünfzehn Minuten, ehe ich im Grünen Salon erscheinen musste. Und zwar mit ordentlich gekämmten Haaren und sauberer Kleidung. Noch im Laufen pellte ich mich aus meinen Klamotten. Ich warf sie von mir und zog eine Spur durch den Wohnbereich und einmal quer durch das Schlafzimmer bis ins Bad. Rasch fischte ich das Haargummi aus meinen Haaren, band mir einen ordentlichen Zopf und trug einen Spritzer Parfüm auf. Anschließend rannte ich zu Edwards begehbarem Kleiderschrank, wobei eigentlich war es eher ein Kleidersaal. Jedenfalls war er deutlich größer als mein eigenes Zimmer in Clapham, und wenn man wollte, konnte man bestimmt eine Party mit mehr als zehn Leuten darin feiern. Ich steuerte auf die Kleiderstangen zu, an denen die Sachen hingen, die Francis, mein Stylist, für mich ausgesucht hatte, und wählte ein schlichtes petrolfarbenes Kleid mit rundem Ausschnitt und langen Ärmeln. Es reichte mir bis zu den Knien und würde Nicholas hoffentlich besänftigen, falls ich doch ein, zwei Minuten zu spät kam. Immerhin wusste ich, wie sehr er Jeans verabscheute. Er nannte sie die Mode der Unkultivierten, und das, obwohl selbst Edward und Lianna regelmäßig Jeanshosen trugen.

Im Schnelldurchlauf scannte ich alle Schuhe, die mir zur Auswahl standen – es waren bestimmt über zwanzig Paar –, und entschied mich für blaue Pumps mit niedrigem Absatz. Ja, so konnte ich gehen. Und jetzt nichts wie los! Ich stürmte aus dem Ankleidezimmer und eilte zum Schreibtisch, auf dem meine Unterlagen zusammen mit meinen Schulsachen verteilt lagen. Wo waren bloß die verdammten Unterrichtsnotizen? Ach da, vergraben unter einem Stapel mit Matheaufgaben und einer Tüte Weingummi. Ich klemmte sie mir unter den Arm, lief zurück in den Wohnbereich und auf direktem Weg weiter auf den Flur. Eine Sekunde hielt ich inne und lauschte. Nichts. Ein Blick nach links und rechts. Ebenfalls nichts. Das genügte mir. Der Gang war leer und ich begann zu rennen.

Eine Dame rennt niemals, hörte ich Nicholas’ Stimme in meinem Kopf. Sie schreitet in gehobenem Tempo. Allerdings würde er noch ganz andere Sachen sagen, wenn ich zu spät kam, und ganz davon abgesehen, galt diese Regel bestimmt nur für normale Situationen und das hier war eindeutig ein Notfall! Schnell rauschte ich weiter und erreichte den Grünen Salon mit klopfendem Herzen. Vor der Tür blieb ich stehen, straffte die Schultern und wartete darauf, dass meine Atmung sich beruhigte. Von drinnen hörte ich bereits Stimmen. Komisch. Ob James zu meinem Unterricht gekommen war? Aber für gewöhnlich tat er das nur zu den Tanzstunden. Um Edward ein wenig eifersüchtig zu machen, hatte er mit einem Augenzwinkern verkündet. Und weil es ihm Spaß machte.

Noch einmal lauschte ich, aber jetzt war da nichts als Stille. Also schön! Ich strich mir über den Rock und stellte mich noch gerader hin. Erst letzte Woche hatte Nicholas zu mir gesagt, alle Hunde der Königin hätten eine bessere Haltung als ich. Selbst der kleine pummlige mit den Stummelbeinen, der immer nur schwerfällig hinter den anderen herdackelte. Diese Aussage nahm ich immer noch persönlich und ich wollte ihm keine Gelegenheit für einen weiteren Spruch bieten.

Entschlossen reckte ich das Kinn, streckte meine Hand nach der Türklinke aus und … sprang zurück, als die Tür plötzlich von innen geöffnet wurde.

Keine Sekunde später erschien Lucius auf dem Flur, die Lippen zu einer blutleeren Linie gepresst und das Gesicht so blass, dass seine Haut fast nahtlos in seinen weißen Anzug überging. Er sah aus wie ein Geist. Ein Geist, der entweder außer Atem oder aber ziemlich wütend war. Unsere Blicke trafen sich und ich wappnete mich innerlich gegen eine Schimpftirade, weil ich zu spät zum Unterricht kam. Ich setzte zu einem Knicks an, aber Lucius blickte nur auf seine Uhr, warf mir ein kühles »Guten Tag, Miss Hayes« zu und eilte den Korridor entlang. Für einen Moment stand ich wie angewurzelt da. Erst als er um die Ecke verschwunden war, wagte ich es, mich zu bewegen. Ich trat durch die Tür zum Salon und schloss sie leise hinter mir.

Nicholas saß, die Beine übergeschlagen, auf einem der grünen Sofas und tat, als wäre er in einen Hefter mit Unterlagen vertieft. Mit seinem beigefarbenen Anzug und den hochglänzenden Lederschuhen gab er wie immer das perfekte Bild eines Upper-Class-Gentlemans ab. Heute jedoch das Bild eines ziemlich angepissten Gentlemans. Er rührte sich nicht einmal, als ich auf ihn zutrat und unsicher vor der Sitzgruppe stehen blieb. Ein Blick auf die hölzerne Standuhr hinter ihm verriet mir, dass ich zu spät war. Ich räusperte mich leise, doch Nicholas blätterte nur seelenruhig die nächste Seite um und las weiter.

»Komm schon, es sind doch nur ein paar Minuten«, versuchte ich, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. »Und außerdem wäre ich pünktlich gewesen, wenn mein Handy nicht …« Ich brach ab, weil er seinen Hefter zur Seite legte. Zuerst dachte ich, er wolle etwas sagen, doch er griff nur nach dem Glas, das auf dem Tisch stand, trank einen Schluck und widmete sich dann wieder seiner Lektüre, als wäre ich gar nicht im Raum. Okay, jetzt kam ich mir endgültig vor wie die letzte Idiotin.

»Es tut mir leid«, startete ich einen neuen Anlauf. »Ich bin schon seit Stunden wach, ehrlich. Aber bei der Kälte ist mein Handy ausgegangen und …«

»Bitte erspar mir diese Ausreden.« Nicholas sah auf und in seinem Blick spiegelten sich gleichermaßen Enttäuschung und Verärgerung. »Wir beide wissen, wie sehr ich Unpünktlichkeit hasse, und dafür gibt es keine Entschuldigung, außer du musstest auf dem Weg von deinem Zimmer hierher noch irgendjemandes Leben retten. Musstest du das?«

»Ähm … nein.«

»Eben. Und alles andere interessiert mich nicht.«

Ich schluckte. Was sollte ich jetzt tun? Mich einfach hinsetzen und abwarten? Oder besser stehen bleiben und hoffen, dass ich durch irgendeinen Zufall gerettet wurde? Vielleicht ging ja der Feueralarm los oder Loki, Liannas Frettchen, kam hereingeschossen und zerfetzte die Sofakissen. Aber wie wahrscheinlich war das? Mit einem tiefen Atemzug wagte ich einen letzten Versuch. »Nicholas, bitte … ich …«

Wieder brach ich ab, weil er mich ansah wie einen Welpen, der es nicht rechtzeitig in den Garten geschafft hatte.

Er legte seine Unterlagen auf den Tisch und stand auf. »Athene, warum bestrafst du mich mit so einer Schülerin?«, murmelte er, lief einige Schritte auf und ab und drehte sich schließlich zu mir um. »Alleine dass du auch noch versuchst, dich rauszureden, zeigt mir nur, dass du das alles hier überhaupt nichts ernst nimmst. Ich hoffe wirklich inständig, dass dies mein erstes und letztes Quereinsteigerseminar für Prinzessinnen ist.«

Ich schluckte und überlegte, was ich sagen konnte. Tut mir leid? Nein, eigentlich wollte ich mich nicht entschuldigen, nur weil er gerade aus einer Mücke einen Elefanten machte. Es waren immerhin nur ein paar Minuten gewesen. Nicholas tat aber gerade so, als hätte ich die komplette erste Stunde verschlafen. Und was sollte das Gerede davon, dass ich unseren Unterricht nicht ernst nahm? Er wusste, dass dies nicht stimmte.

Warum sonst sollte ich so verrückt sein, mir neben meinem normalen Schulunterricht, den ich täglich online absolvierte, auch noch Zusatzstunden in Tanz, Kunst, Geschichte, und Höflichkeitsformen der verschiedensten Länder aufzuladen? Bei all den Royals, die ich auswendig lernen musste, rauchte mir bereits der Kopf, und wenn ich abends ins Bett ging, zählte ich längst keine Schafe mehr, sondern Thronfolger. Prinz Benedict – England, Prinzessin Birga – Dänemark, Prinz Hildor – Schweden … Ich ließ mich in Kleider stecken, in denen ich kaum Luft bekam, und vom vielen Laufen in hochhackigen Schuhen taten mir andauernd die Füße weh.

»Ich nehme das alles sogar sehr ernst«, antwortete ich, wenn auch etwas leiser als gewollt.

»Ach ja?« Nicholas zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann solltest du vielleicht anfangen, das auch zu zeigen. Am besten damit, dass du ab heute mindestens zehn Minuten vor der Zeit zum Unterricht erscheinst, damit ich seiner Hoheit nicht noch einmal erklären muss, warum meine Schülerin noch nicht da ist. Ich habe nämlich keine Lust, ihn wieder zu belügen.«

Ihn zu belügen?

Nicholas schnaubte. »Ich habe ihm gesagt, du wärst längst da gewesen, aber ich hätte dich in die Bibliothek geschickt, um Unterlagen zu holen, die ich dort vergessen habe.«

Sein Ausdruck wurde eine Spur weicher und ich sah ihn noch eine Sekunde lang verwirrt an, ehe ich begriff, was er gesagt hatte.

»O … danke.« Ich senkte den Kopf und jetzt tat es mir plötzlich doch leid, weil er für mich den Kopf hingehalten hatte. »Morgen bin ich eher da. Versprochen. Und übermorgen und am Wochenende. Jeden Tag.«

»Das hoffe ich.« Nicholas nickte mir zu und ich spürte, wie die Anspannung zwischen uns abflachte. Er seufzte und fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das silbergrau melierte Haar.

Dann setzte er sich wieder, deutete mir an, auf dem Sofa gegenüber Platz zu nehmen, und tippte auf den Hefter, den er auf den Tisch gelegt hatte.

»Seine Hoheit hat einige Änderungen in unserem Stundenplan und auch hinsichtlich deiner Sicherheit vorgenommen. Deswegen war er eben hier und wollte uns sprechen.«

Ich tat, als hätte ich den immer noch leicht angefressenen Tonfall nicht gehört. »Hinsichtlich meiner Sicherheit?«

Nicholas nickte, jedoch nicht zu mir, sondern seitlich an mir vorbei.

»Miss Cole, setzen Sie sich doch bitte zu uns.«

Miss was? Sofort fuhr ich herum und tatsächlich: Eine Frau war gerade zur Tür hereingekommen. Absolut lautlos. Sie mochte so alt sein wie mein Bruder, Mitte zwanzig, und war komplett in Schwarz gekleidet. Stiefel, Hose, Rollkragenpullover. Alles schwarz. Die blonden Haare hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie sah tough aus, aber auch auffallend hübsch. James würde es bestimmt bereuen, dass er meiner heutigen Unterrichtsstunde keinen Besuch abgestattet hatte.

Ich sah zurück zu Nicholas und hoffte, dass er meine stille Frage verstand. Was um alles in der Welt hatte dieses Supermodel in meinem Unterricht zu suchen? War sie jetzt so etwas wie meine neue Catwalktrainerin? So wie bei dieser Modelsendung, die Livy so liebte?

»Greta, das ist Octavia Cole«, sagte Nicholas und Missletzte-Woche-war-ich-noch-auf-dem-Cover-der-Vogue ließ sich mit der Geschmeidigkeit eines Panthers neben mir auf das Sofa sinken. Sie überschlug die Beine und drapierte einen Arm auf der Lehne, als wäre sie jetzt gerade ebenfalls bei einem Fotoshooting. Alles, ohne auch nur ein einziges Mal zu lächeln. O Gott, eine wie die hatte mir gerade noch gefehlt. So wie die sich gab, war sie mindestens so übellaunig und divenhaft wie Cy, die durchgeknallte Katze meines Bruders. Und mit der konnte ich es keine Stunde alleine im selben Raum aushalten, ohne dass Kissen flogen.

Nicholas räusperte sich. »Seine Hoheit wünscht, dass du ab sofort deinen eigenen Personenschutz bekommst, der dich überallhin begleitet und dafür sorgt, dass die Sicherheitsregeln eingehalten werden.«

Beinahe hätte ich gelacht. Lucius wollte, dass jemand für meine Sicherheit garantierte? Wohl kaum! Wie ich ihn einschätzte, konnte ich von dem nächstbesten Bus überfahren werden und er würde keine Träne vergießen. Er wollte mich immer noch loswerden, je eher desto besser. Das spürte ich, auch wenn er so gut wie nie mit mir redete. Seine Blicke genügten, um mich wissen zu lassen, dass er nur auf den richtigen Moment wartete, um mich aus dem Palast zu verbannen. So wie vor ein paar Wochen, als er mir doch tatsächlich eine riesige Summe Bestechungsgeld angeboten hatte, damit ich Edward verließ. Eine Entschädigung für meine Unannehmlichkeiten hatte er es genannt. Bei der Erinnerung daran spürte ich sofort, wie ich innerlich hochfuhr. Ich musterte Kitty-Cole mit zusammengekniffenen Augen. Wie eine Personenschützerin sah sie nun wirklich nicht aus.

»Ich brauche keinen eigenen Personenschutz«, sagte ich und wechselte einen schnellen Blick zwischen Octavia und Nicholas. »Wenn ich mit Edward unterwegs bin, ist Sixton ja eh immer bei uns.« Zumindest meistens.

Nicholas gab ein zischendes Geräusch von sich. »Und was war letzte Woche, als du dich heimlich mit deiner Freundin Olivia Campbell getroffen hast?«

Woher wusste er das? Ich biss mir auf die Lippe. Blöde Frage. In diesem Palast gab es überall Kameras und irgendein Superstreber aus dem Sicherheitsteam, der mich beim Rausschleichen auf seinen Monitoren entdeckt hatte, war bestimmt sofort zu Lucius gewatschelt und hatte mich verpetzt. Großartig!

»Ja, ich bin zu Livy gefahren. Na und?« Meine Stimme klang trotziger als beabsichtigt, aber die Vorstellung, dass Lucius mich überwachen ließ, gefiel mir ganz und gar nicht. »Ich bin freiwillig im Palast und ich kann jederzeit gehen. Seine Hoheit kann mich hier nicht einsperren, auch wenn es für ihn wahrscheinlich komplett unverständlich ist, dass ich noch ein Leben außerhalb dieser Mauern habe.«

Nicholas schnalzte mit der Zunge. Falscher Ton, schon klar.

»Darum geht es nicht«, sagte er. »Du bist jetzt eine Person des öffentlichen Lebens. Nein, noch viel mehr als das. Du bist die Freundin eines Prinzen. Die ganze Welt interessiert sich für dich und alles, was du sagst und tust, kann im Bruchteil von Sekunden gegen dich oder die Krone ausgelegt werden. Jegliche Alleingänge stellen in diesen Kreisen ein unkalkulierbares Risiko dar.«

Risiko? Jetzt übertrieb er wirklich. Ja, ich war mit dem Bus nach Belgravia gefahren, um Livy zu besuchen. Aber es war nichts passiert und ich hatte mich sicherheitshalber sogar total promimäßig getarnt: mit großer Nerdbrille und Pudelmütze, unter der ich meine auffälligen roten Haare versteckt hatte. Niemand auf dem Weg hatte mich auch nur schief angesehen oder mir einen zweiten Blick gewidmet. Ich wollte einatmen und ihm genau das sagen, doch Nicholas hob den Finger.

»Greta, ich habe keine Lust, mit dir weiter darüber zu diskutieren. Miss Cole ist ab heute deine Personenschützerin. Das ist beschlossene Sache. Also gehen wir besser direkt zum nächsten Punkt über. Das hier …« Er beugte sich vor und schob den Hefter auf dem Tisch weiter zu mir herüber. »… sind unsere Stundenpläne für die kommenden Wochen. Seine Hoheit hat zusätzliche Einheiten für Tanz-, und Haltungs- und Pressetraining hinzugefügt. Er glaubt, dass wir diese brauchen, damit du Anfang des neuen Jahres am Winterball teilnehmen kannst. Wie du weißt, ist das eine der bedeutsamsten Veranstaltungen, die der Palast ausrichtet, und es werden die einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes anwesend sein, ebenso wie die Presse. Es ist ausgesprochen wichtig, dass du an diesem Tag …«

Ja, schon klar. Nicholas redete weiter, aber ich hörte ihm nicht mehr richtig zu, weil ich schon wusste, was noch kam. Er sprach fast täglich vom Winterball, der hier, im Grantham Hill Palace, stattfinden würde. Zwar erst im Januar, aber es waren schon jetzt alle ganz aufgeregt. Zunächst hatte ich gedacht, dass es sich lediglich um eine Tanzveranstaltung handelte, bei der alles, was Rang und Namen hatte, aufmarschierte, seine besten Kleider trug und das präsentierte, was es zu bieten hatte: die zauberhaften Sprösslinge, Samt und Seide, die brandheiße Diamantenkollektion … oder in Lucius’ Fall auch die verhasste neue Freundin des Enkelsohnes. Tatsächlich war es aber eher eine Art riesige Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der Reden gehalten wurden und die königliche Familie ihre neuen Projekte vorstellte. Im Gegensatz zu der dänischen Hochzeit, zu der ich ohne Weiteres hatte mitkommen können, wurde der Winterball sogar live im Fernsehen übertragen. Und offenbar traute mir niemand zu, diesen Abend zu überstehen, ohne mich und die britische Monarchie vor den Augen der gesamten Welt zu blamieren.

Da ich keine Lust hatte, mir das erneut von Nicholas unter die Nase reiben zu lassen, griff ich nach den Stundenplänen und überflog die einzelnen Spalten.

»Ähm, das kann nicht stimmen«, sagte ich dann. »Hier sind noch Einheiten nach 17 Uhr eingetragen. Aber da habe ich doch Reitunterricht. Und hier …« Ich drehte den Zettel so, dass Nicholas ihn sehen konnte, und deutete auf ein Zeitfenster am frühen Nachmittag. »… erledige ich die Hausaufgaben, die Mister Romero mir über den Schulserver schickt. Wenn ich das nicht mache und meine Prüfungen vergeige, muss ich das Schuljahr wiederholen.«

Was das betraf, war der Direktor meiner Schule ausgesprochen deutlich gewesen. Seit Robert, Edwards Vater, persönlich bei ihm angerufen und ihn um diesen Gefallen gebeten hatte, erlaubte er mir zwar, dass ich den Schulstoff online abarbeitete und mich zu bestimmten Stunden per Livecam dazuschaltete, aber wenn ich die Klausuren in den Sand setzte, würde es keine Sonderbehandlung geben.

»Mit dem Schulstoff kann ich dir bestimmt helfen. Das kriegen wir danach noch unter.« Nicholas klang zuversichtlich, aber ich schüttelte den Kopf. Er konnte mir sicherlich bei vielem helfen – Laufen auf gruselig hohen Absätzen, Sprachen, Etikette –, aber garantiert nicht bei der Berechnung von Nullstellen einer Sinusfunktion oder der Frage, was Elastomere von Thermoplasten unterscheidet.

»Und was ist mit meinen Reitstunden?«, hakte ich weiter nach. Nicholas seufzte und das war mir Antwort genug.

»Verstehe. Ist wohl gerade nicht so wichtig für Seine Hoheit.«

Nicholas lehnte sich zurück und bedachte mich mit einem tadelnden Blick. »Hör zu, Greta. Niemand kann dich zu etwas zwingen. Und ich werde das ganz gewiss nicht tun. Wenn du also gehen willst, bitte.« Er deutete auf die Tür und mir entwich ein Schnauben.

»Ich will doch einfach nur, dass ihr akzeptiert, dass ich noch ein eigenes, komplett normales Leben habe. Und in diesem würde ich mich eben gerne frei bewegen, ohne das royale Klimbim, die übertriebenen Regeln und die ganze Aufmerksamkeit.«

Nicholas seufzte tief. »Nun, das mit der Aufmerksamkeit hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du den Prinzen in oscarverdächtiger Manier mitten auf den Straßen Londons geküsst hast. Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Und solange du mit ihm zusammenbleibst, wird sich daran auch nichts mehr ändern.«

Es sei denn, wir steigen aus der Monarchie aus, flüsterte mir meine innere Stimme zu und ich presste die Lippen fest aufeinander, damit es mir ja nicht rausrutschte. Nicholas wusste nichts davon. Das war ein Geheimnis, das ich ausschließlich mit Yorick und Edwards Familie teilte. Mein kleiner Lichtblick und der einzige Grund, warum ich mich auf all das hier eingelassen hatte. Nicht mehr lange und sie alle würden ihre royalen Titel ablegen und ein normales Leben führen. Robert würde sich seinen Forschungen widmen, Yorick und Isabelle würden sich nicht länger verstecken müssen und nach ihrer jahrelangen heimlichen Beziehung endlich offiziell zusammen sein können. Was Lianna genau vorhatte, wusste ich noch nicht. Aber Edward und ich würden zurück nach Caverley Green gehen. Keine Auftritte mehr, keine Interviews, keine Schlagzeilen in den Boulevardblättern.

Nicholas’ Gesicht wurde weicher. »Vergiss nicht, dass ich nicht dein Feind bin, ja? Ich habe mich für diese utopische Aufgabe, aus dir eine Dame zu machen, nämlich weiß Gott nicht freiwillig gemeldet. Und umso schneller wir in unserem Plan vorankommen, desto eher lässt Justitia vielleicht Gnade walten. Was auch immer ich ihr getan habe.« Er breitete die Arme aus und sah zu dem Deckengemälde herauf, als könne die Göttin der Gerechtigkeit persönlich herabschweben und ihn von mir befreien.

Normalerweise hätte mich der Anblick wohl zum Lachen gebracht, doch mit der neuen Babysitterin an meiner Seite und den Stundenplänen vor meiner Nase fühlte es sich an, als würde der Raum mit jeder Minute enger werden. Ich fixierte den Hefter mit den Stundenplänen so hypnotisch, als könne ich ihn mit meinem Blick in Flammen aufgehen lassen. Allmählich wurde mir klar, dass ich gar keine Wahl hatte. Wenn es für Lucius auch nur das kleinste Anzeichen dafür gab, dass mir die Situation zu viel wurde, würde er wissen, dass er auf dem richtigen Weg war. Er würde immer weitermachen, in der Hoffnung, dass ich irgendwann einknickte. Aber diese Genugtuung würde ich ihm nicht bieten. Er mochte vielleicht der Prinzgemahl sein, aber Edward und mich konnte er nicht auseinanderbringen, egal, was er auch versuchte.

Ich erhob mich. Mit zusammengepressten Zähnen sagte ich: »Also schön, fangen wir an.«

Royal Horses (3). Kronennacht

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