Читать книгу Royal Horses (3). Kronennacht - Jana Hoch - Страница 12
ОглавлениеGlaubst du nicht, das gibt Ärger?«, fragte ich, während ich keine Viertelstunde später Hand in Hand mit Edward auf die kleine Stallanlage im Park zulief. Dass wir den Unterricht schwänzten, war eine Sache. Aber das Abendessen? Lucius würde garantiert einen Wutanfall bekommen, wenn wir nicht erschienen. Edward antwortete nicht sofort und ich beobachtete, wie sich bei jedem Atemzug kleine weiße Wölkchen vor seinem Gesicht bildeten. Es war noch einmal kälter geworden, und bevor wir nach draußen gegangen waren, hatte ich mein Kleid gegen eine Jeans und warme Sachen getauscht.
»Ja, das gibt Ärger, definitiv«, gab Edward zu. »Aber du hast dir nach den letzten Tagen auch mal eine Pause verdient.« Er drückte meine Hand und führte mich zum Stall.
Der Geruch von Heu und Pferden beruhigte mich sofort und ich atmete tief ein und wieder aus, um auch die letzte Anspannung von mir abfallen zu lassen.
Wir putzten Tira, Edwards dunkelbraune Stute, und er legte ihr einen Halsring um und nahm sie mit in die angrenzende Reithalle. Dort tippte er auf sein Smartphone und sogleich erklangen leise Pianoklänge aus unsichtbaren Lautsprechern. Es war nicht diese wilde, dramatische Musik, die Francis bevorzugte, sondern eine ruhige, angenehme Melodie.
»Was hast du vor?«, fragte ich. Edward lächelte und führte Tira in die Mitte der Reitbahn.
»Tja, da ich dich um deine Tanzstunde gebracht habe, dachte ich, ich gebe dir auch eine … auf meine Art.«
Mein Herz begann, aufgeregt zu schlagen. Mir war zwar immer noch nicht ganz klar, worauf er hinauswollte, aber ich liebte es, ihn mit seinen Pferden zu sehen. Auch wenn ich mittlerweile wusste, wie ihre Kommunikation funktionierte, hatten die Momente nichts an ihrer Magie verloren. Es faszinierte mich jedes Mal aufs Neue, wie fein die Pferde auf Edward reagierten und was sie bereit waren, für ihn zu tun. Auch jetzt genügte ein kaum merkliches Handzeichen, damit Tira sich in Bewegung setzte und um Edward herumlief. Dabei hielt sie den Kopf die ganze Zeit in seine Richtung und achtete genau auf seine Körpersprache. Edward drehte die Schultern und sofort tat Tira es ihm nach und wechselte die Richtung.
»Tira ist eine Perfektionistin«, sagte Edward, ohne den Blick von seiner Stute abzuwenden. »Ich kenne kein Pferd, das so anspruchsvoll ist wie sie. Wenn man nicht vollkommen bei ihr ist, sich nur auf sie konzentriert und jede Bewegung richtig ausführt, zeigt sie einem deutlich, dass man es nicht wert ist, mit ihr zu tanzen. Sieh genau hin.« Edward ließ seine Schultern hängen und führte die nächste Bewegung eher beiläufig aus. Tira ignorierte es und trottete weiter gerade aus. Nach zwei weiteren Runden vergrößerte sie den Zirkel und wandte sich ab.
Edward lächelte. »Sie ist eine Lady. Und wenn wir ein Date haben, erwartet sie, dass ich mich durch nichts ablenken lasse und nur Augen für sie habe.« Er richtete sich wieder auf und stieß einen Pfiff aus. Sofort wirbelte Tira herum und kam angetrabt. »Jeder, der wirklich etwas über Höflichkeitsformen lernen möchte, sollte nicht zu Nicholas in den Unterricht gehen, sondern einen Tag mit diesem Pferd verbringen. Nicht wahr, mein Mädchen?« Edward schenkte seiner Stute einen so liebevollen Blick, dass es in meinem Bauch ganz warm wurde. Er streichelte ihr über die Stirn und ließ sie wieder um sich herumlaufen, aber dieses Mal behielt er den Fokus bei ihr. »Meine Pferde haben mir mehr beigebracht als alle Lehrer, die ich jemals hatte. Über Respekt, Achtsamkeit und auch darüber, sich selbst nicht als überlegen zu betrachten. Viele Menschen halten sich für die klügsten Wesen auf der Erde, aber wenn es um das Leben oder um Beziehungen geht, wissen Pferde so viel mehr als wir. Und sie lehren einen Demut.« Auf ein unsichtbares Zeichen hin ließ Edward Tira antraben und immer noch blieb sie bei ihm. »Wenn ich mit Tira zusammen bin, geht es nicht darum, was wir nach außen hin darstellen oder ob wir jemanden beeindrucken können. Es geht um das, was zwischen uns ist, und darum, dass wir in diesem Moment beide wir selbst sein können. Nur dann …«
Blitzschnell wechselte er die Richtung und Tira stieg auf die Hinterbeine, wendete auf der Stelle und sprang in den Galopp. »… tanzt sie mit mir.«
Na klar, niemanden beeindrucken, Edward. Ich lächelte in mich hinein, zog unauffällig mein Handy aus der Tasche und öffnete die Kamera. Gerade als Tira abermals herumsprang, drückte ich auf den Aufnahmebutton. Edward bemerkte es nicht. Er deutete Tira an, sich neben ihm aufzureihen, führte sie in eine Seitwärtsbewegung und brachte sie dazu, sich vor ihm zu drehen. Fasziniert beobachtete ich, wie er sie wieder auf sich zuholte und sie antraben ließ. Die Stute rundete den Hals und gewann mit jedem Schritt weiter an Ausdruck. Schließlich galoppierte sie um ihn herum und kam auf ein Zeichen zu ihm. Edward streichelte ihr über den Hals und lachte leise. Eine Gänsehaut löste sich von meinem Nacken. Er lachte. Nicht dieses aufgesetzte Lachen, das die Kameras von ihm zu sehen bekamen. Dieses Lachen war ehrlich und aus dem Moment heraus entstanden. Etwas, das immer noch selten war wie ein besonderes Geschenk.
Ich stand auf und lief mit meinem Handy ein paar Schritte auf Edward zu, um die Szene noch näher einfangen zu können. Diesmal bemerkte er es und erst dachte ich, er würde mich bitten, das Video auszustellen. Doch dann lächelte er mir nur zu und sprang leichtfüßig auf Tiras Rücken. Ich schüttelte den Kopf und grinste. Einmal als ich versucht hatte, auf diese Art auf Sparky aufzusteigen, war ich wie ein gestrandeter Wal auf ihm gelandet und wieder heruntergerutscht, bevor ich ein Bein über ihn schwingen konnte. Angeber! Das Wort lag mir schon auf den Lippen, doch bevor es mir herausrutschen konnte, schloss ich den Mund wieder. Ich wollte den Zauber, der uns umgab, nicht zerstören.
Edward lenkte Tira um mich herum und ließ sie wieder antraben. »Siehst du, wenn du keine Zügel hast, kannst du nur noch mit deinem Körper kommunizieren, mit deiner Atmung und deinem Gewicht.« Er atmete hörbar ein und sofort galoppierte Tira an. Beide Ohren aufmerksam zu ihm nach hinten gedreht, verkürzte und verlängerte sie ihre Sprünge, wechselte den Zirkel und zeigte schließlich sogar eine Reihe von Galoppwechseln und Traversalen. Mittlerweile kannte ich die Begriffe für die unterschiedlichen Dressurlektionen. Pirouetten, Piaffe, Passage. Edward hatte sie mir in den vergangenen Wochen mehrfach vorgeritten und mir erklärt, was sie bewirkten. Zumindest, was das Sehen betraf, war ich also schon einmal ein Profi. Ob ich allerdings jemals so reiten können würde wie er, wagte ich zu bezweifeln.
»Greta, kannst du mir den Reithelm von der Bande bringen?«
»Klar.« Ich beendete das Video, steckte das Handy zurück in die Manteltasche und lief los, um den Helm von der Reitbahnbegrenzung zu holen. Als ich Edward ihn hinhielt, grinste er bloß und sprang ab. »Der ist nicht für mich, sondern für dich«, sagte er und klopfte auf meinen Kopf.
»Für … mich?«, wiederholte ich verwirrt und sein Lächeln wurde noch breiter. »Ich habe dir doch eine Tanzstunde versprochen, oder? Und tanzen lernt man nicht nur vom Zusehen.«
Abermals sah ich von Tira zu Edward und wieder zurück. Meinte er das ernst? Bisher war ich nur ein einziges Mal auf Tira geritten, als ich mit Edward zusammen frei über das Feld galoppiert war. Seither war Sparky so etwas wie mein Pferd geworden und ab und an ließ Edward mich auf Mariscal reiten. Allerdings nie ohne Zügel. Dass er mir jetzt anbot, auf Tira zu reiten, bedeutete mir mehr, als er sich vermutlich vorstellen konnte.
»Du meinst, ich soll …?«, fragte ich noch einmal, nur um sicherzugehen. Edward lächelte und nickte. Da ich immer noch keine Anstalten machte, mich zu bewegen, nahm er mir den Helm aus den Händen, öffnete den Verschluss und setzte ihn mir auf den Kopf. Ganz sanft hob er mein Kinn und schloss das Band. Dann beugte er sich vor und küsste mich. »Na los, rauf mit dir«, raunte er mir zu und trat einen Schritt zurück. Ich stellte mich neben Tira und ließ mir von ihm nach oben helfen. Im Gegensatz zu Sparky war sie schmal gebaut und statt der dicken Mähne fielen ihr nur ein paar dünne Strähnen über den Hals. Vorsichtig tastete ich danach, aber Edward griff nach meiner Hand und öffnete meine Finger.
»Du wirst dich nicht festhalten müssen«, sagte er. »Achte einfach darauf, dass du im Gleichgewicht bleibst und nicht nach vorne kippst. Sei ganz entspannt. Wie … wie auf einem Sofa.«
Ich kicherte, teils über den komischen Vergleich, teils vor Aufregung. Tira fühlte sich so ungewohnt an. Außerdem war sie größer, und obwohl es im Vergleich zu Sparky maximal dreißig Zentimeter Unterschied sein konnten, kam mir der Abstand bis zum Boden plötzlich doppelt so weit vor.
»Wenn du bereit bist, atmest du deutlich ein und drehst dich in die Richtung, in die du reiten möchtest. Okay?«
Ich nickte, nahm mir jedoch erst noch einen Moment, um mich innerlich zu sammeln. Dann streichelte ich Tira über den Hals, atmete tief ein und ließ sie antreten. Genau wie Edward erklärt hatte, drehte ich mich nach links und Tira folgte meinen Bewegungen.
»Gut so«, sagte Edward. »Und jetzt lenk sie näher an mich heran und lass den Zirkel anschließend wieder größer werden. Falls Tira etwas nicht versteht, kannst du den Halsring zu Hilfe nehmen. Aber eigentlich brauchst du den bei ihr nicht. Stell dir einfach vor, du hättest Zügel, und mach alles genauso.«
Einfach alles genauso machen. Okay. Ich kreiste mit den Schultern, um mir selbst die Spannung zu nehmen, dann richtete ich mich gerade auf und stellte die Hände auf, wie wenn ich wirklich Zügel halten würde. Kaum dass ich ihr das Zeichen gab, einen Kreis zu laufen, wendete sie ab und lief enger um Edward herum. Er ließ mich größere und kleine Kreise reiten, Kehrtwendungen und zum Schluss eine Schlangenlinie. Mit jedem Schritt den Tira tat, gab sie mir mehr Sicherheit. Die anfängliche Anspannung fiel von mir ab und ich fühlte mich schwerelos. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Es war, als könne Tira meine Gedanken lesen, als wüsste sie, was ich von ihr wollte, noch bevor ich mich selbst entschieden hatte. Berauscht von meinen Gefühlen, atmete ich abermals deutlich ein und Tira trabte sofort an.
»Soso, werden wir jetzt übermütig, ja?« Edward verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte gespielt tadelnd den Kopf. Doch auf seinen Lippen lag ein Lächeln und seine Augen funkelten stolz. Ich ließ Tira einen Kreis um ihn herumtraben und konzentrierte mich auf meinen Sitz. Die zierliche Stute machte raumgreifendere Bewegungen als Sparky und ich musste aufpassen, dass ich nicht nach vorne kippte oder ins Rutschen geriet.
»Atmen!«, rief Edward mir zu und beinahe hätte ich gelacht. Ja, das hatte Yorick bei meinen Reitstunden auch immer zu mir gesagt. Ich öffnete meine Finger, die ich fest um Tiras Halsring geschlossen hatte, und sog tief die Luft ein. Tira trabte noch etwas schneller und ein Anflug von Angst breitete sich in mir aus.
»Alles gut!«, rief Edward sofort. »Lass sie ruhig laufen und sie das Tempo finden, in dem sie entspannen kann. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Das fühlt sich schneller an, als es in Wirklichkeit ist, und du kannst sie jederzeit durchparieren, indem du deutlich ausatmest. Probiere es mal.«
Ausatmen. Durchparieren. Das hatte ich mit Sparky schon hundert Mal gemacht. Es war leicht. Ich musste einfach nur … Tira drehte beide Ohren in meine Richtung, wurde langsamer und hielt schließlich an. Überrascht schnappte ich nach Luft. Dieses Pferd war unglaublich! »Ich habe noch nicht einmal das Kommando gegeben«, sagte ich, leicht überrumpelt, und streichelte ihr über den Hals.
»Aber du hast es gedacht, richtig?« Edward kam zu mir, stellte sich neben Tira und kraulte sie an der Stirn. »Wenn du beim Reiten an etwas denkst, dann sendest du schon Signale. Deine Schultern drehen ganz leicht, du verlagerst dein Gewicht. Dir mag das selbst nicht auffallen, aber Tira spürt es. Deswegen ist es so wichtig, ein Bild von dem im Kopf zu haben, was man reiten möchte, um sie nicht zu verwirren.« Er grinste mich an und sah aus, als hätte er eine Idee. »Willst du mal auf ihr galoppieren?«
Galoppieren? Hatte ich mich verhört? Nein, ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu erkennen, dass er es ernst meinte.
»Glaubst du, dass ich das kann?«
»Klar. Immerhin hast du genug auf Sparky geübt und … ich denke, dass du jetzt so weit bist.« Er sah mir in die Augen und in mir begann etwas zu kribbeln. Normalerweise machten Jungs einem Komplimente, schenkten Blumen, teure Ohrringe oder organisierten ein romantisches Date, wenn sie zum Ausdruck bringen wollten, was sie empfanden. Edward dagegen … Edward war anders. Nie im Leben wäre es ihm eingefallen, mir einen Strauß Rosen zu kaufen oder mich ins Theater oder ins Freilichtkino einzuladen. Stattdessen ließ er mich sein Pferd reiten, seinen größten Schatz. Und das bedeutete mir mehr als jede romantische Geste.
Edward streichelte Tira noch einmal über die Mähne, trat zurück und nickte mir zu. »Zeig, was du kannst, Vlad Girl.«
Ich grinste und lenkte Tira an Edward vorbei auf einen großen Kreis. Kaum dass ich daran gedacht hatte zu traben, wurde Tira schneller und dieses Mal ließ ich sie laufen, wie Edward es gesagt hatte. Ich fühlte mich immer noch durchgeschüttelt, aber nach zwei Runden wurde es besser und ich fand heraus, wie ich sitzen musste, um mein Gleichgewicht zu halten. »Sieht gut aus!«, rief Edward mir von der Mitte des Zirkels aus zu. »Jetzt wieder einatmen und …« Er schaffte es nicht mehr, den Satz auszusprechen, denn Tira sprang sofort an. Nach dem schnellen, holprigen Trab hatte ich gedacht, dass ich im Galopp ebenfalls das Bedürfnis haben würde, mich festzuhalten. Doch Tira galoppierte so ruhig, dass es leicht war, mit ihren Bewegungen mitzugehen. Sie hielt beide Ohren nach hinten gedreht und achtete auf jedes meiner Zeichen. Mein Blick fiel auf meine Hände, die immer noch den Halsring festhielten, und einem inneren Impuls folgend, ließ ich ihn los und breitete die Arme aus, so wie Edward es mit mir gemacht hatte, bei unserem ersten gemeinsamen Ritt über das Feld. Ein Lachen entwich mir und in diesem Augenblick fühlte ich mich vollkommen frei von meinen Ängsten und Sorgen. Keine Gedanken an Lucius oder Nicholas, kein schlechtes Gewissen, dass ich die Schule vernachlässigte. Es gab nur noch Tira und mich. Ohne wieder nach dem Halsring zu greifen, atmete ich tief ein und langsam und deutlich wieder aus. Tira fiel erst zurück in den Trab und hielt genau dann an, als ich das letzte bisschen Luft aus meinen Lungen entließ. Ich beugte mich vor und schlang ihr die Arme um den Hals, überrollt von meinen Empfindungen. Noch vor einem halben Jahr hatte ich nie erwartet, dass Pferde mir jemals so wichtig werden würden oder dass ich mir einmal wünschen würde, eine Verbindung zu ihnen zu haben und reiten zu können wie Edward. Und obwohl natürlich immer noch Welten zwischen uns lagen, was das Wissen über Pferde betraf, kam es mir so vor, als würde ich jeden Tag mehr verstehen, worauf es wirklich ankam. Ich konnte es auch.
Es war in mir.
In Zeitlupe rutschte ich von Tiras Rücken und sah zu Edward. Er kam zu mir und lächelte, eine Mischung aus Unbeschwertheit und Stolz in den Augen. Die letzten Schritte lief ich auf ihn zu und schlang ihm die Arme um den Hals. Edward zog mich näher an sich, legte eine Hand sanft um meinen Hinterkopf und küsste mich lange.
»Du bist einfach umwerfend.«
Bei seinen Worten hatte ich das Bedürfnis, ihn noch fester an mich zu ziehen und ihn nie wieder loszulassen.
»Warum kann es nicht immer so sein wie jetzt?«, flüsterte ich, fast mehr wie zu mir selbst. Edward löste sich von mir und sah mich an. »Nur wir und die Pferde?«
Ich nickte und kurz glaubte ich, einen traurigen Zug um seine Lippen zu erkennen. Doch schon im nächsten Moment war er verschwunden und Edward hauchte einen Kuss auf meine Schläfe und legte seine Stirn gegen meine. »Das wird es, Greta. Das wird es.«