Читать книгу Faithless Love - Jana Reeds - Страница 7
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Carmen
Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen, während ich über die gerade gelesenen Berichte nachdachte.
„Hey, nicht einpennen!“, riss Paco mich nach kurzer Zeit aus meinen Überlegungen. Ich öffnete die Augen und schaute zu ihm auf. Er saß auf meiner Schreibtischkante und grinste auf mich herab. „Oh, hab ich dich etwa geweckt?“, fragte er ironisch und ich rollte mit den Augen.
„Nein, hast du nicht. Aber trotzdem, danke, dass du mir einen Kaffee mitgebracht hast.“ Bevor er reagieren konnte, nahm ich ihm seine Tasse aus der Hand und nippte an dem heißen Getränk.
„Ey, das war meiner! Hol dir selbst einen“, protestierte er.
Nun war ich es, die breit grinste. „Stimmt, aber die Betonung liegt auf ‚war‘.“
„Wie die kleinen Kinder, bis einer heult“, mischte sich nun Carlos ein und gesellte sich zu uns. „Ihr solltet euch lieber mal um die Piraten kümmern. Seht zu, dass ihr was aus denen rauskriegt. Bisher schweigen sie alle standhaft.“
Ich nahm noch einen Schluck von dem gemopsten Kaffee, dann stellte ich die Tasse auf den Tisch und griff nach den aufgeschlagenen Berichten zu dem Überfall auf diesen reichen Amerikaner.
„Mal ernsthaft, Jungs. Glaubt ihr echt, dass wir es hier mit Piraterie zu tun haben? Irgendwas passt da doch nicht.“ Ich hieb mit dem Finger auf den Stapel protokollierter Aussagen der Crew. „Das kommt mir alles irgendwie komisch vor. Euch etwa nicht?“
Paco zuckte mit den Schultern, unser Geplänkel von eben war vergessen, jetzt waren wir beide wieder im Ermittler-Modus.
„Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst“, meinte er. „Was passt dir daran nicht?“
„Ich kann es nicht genau sagen, es ist ein Bauchgefühl. Irgendwie ergibt das Ganze für mich kein schlüssiges Bild. Ich meine – Piraterie? Hier? Das ist schon mal das Erste, worüber ich stolpere.“ Ich nickte zu der Wand im hinteren Teil des Büros, an dem mehrere Fotos mit Fahndungsaufrufen hingen. „Wir haben es hier mit Menschenhändlern zu tun, mit Schleuserbanden, die Flüchtlinge ins Land bringen, aber Piraten? Hat einer von euch schon mal davon gehört, dass es hier einen Überfall durch Piraten gab?“
Carlos holte Luft und setzte zum Sprechen an, doch ich ahnte, was kommen würde, und unterbrach ihn sofort. „Ich meinte in diesem Jahrtausend, Carlos. Nicht die Geschichten, die dir dein Großvater zum Einschlafen erzählt hat.“
„Was soll denn das heißen? Mein Großvater stammte nachweislich von einem der größten Piraten des achtzehnten Jahrhunderts ab.“ Empört schaute er mich an.
„Alter, das sind irgendwelche Kindermärchen. Du glaubst das doch nicht immer noch?“, fragte Paco und warf mir einen amüsierten Blick zu, den ich kichernd erwiderte.
„Doch, Carlos ist fest davon überzeugt, dass er Freibeuterblut in den Adern hat.“
„Ja, lacht ihr ruhig. Ist mir egal. Ich glaube meinem Großvater. Punkt!“ Ärgerlich, weil wir uns über ihn lustig machten, verzog er das Gesicht. „Wir sollten uns lieber um den Fall kümmern.“
„Wir waren gerade dabei, als du uns mit den Geschichten deines Opas unterhalten wolltest. Also, zurück zum Thema. Dein Bauchgefühl, Carmen. Sprich weiter.“ Paco schaute mich auffordernd an.
„Richtig … Die Tatsache, dass es hier bisher niemals Piraten gegeben hat, macht mich stutzig. Außerdem … Ich frage mich, wie sie ausgerechnet auf diese Schatztaucher gestoßen sind. Woher wussten sie, dass der alte Fischkutter in Wahrheit ein getarntes Bergungsschiff ist?“
Paco nickte nachdenklich, aber Carlos schien nicht zu begreifen, warum ich der Sache nicht so recht traute.
„Das haben die Leute von der Crew doch selbst erklärt. Sie hatten Besuch von Paparazzi. Irgendjemand ist auf die Jacht und den reichen Amerikaner aufmerksam geworden, der hier auf den High-Society-Events aufgetaucht ist. Die wollten mehr über diesen Tyler erfahren und haben dabei durch Zufall den Tauchroboter entdeckt. Entweder einer der Fotografen hat diese Infos weiterverkauft oder selbst ein paar Leute angeheuert.“
Langsam schüttelte Paco den Kopf und kratzte sich nachdenklich am Unterkiefer.
„Das passt nicht. Du hast recht, Carmen, da stimmt was nicht. Mann, dass wir da nicht früher drüber gefallen sind.“ Er rollte mit den Augen, als wäre er genervt, dass er so blind gewesen war. „Der Tauchroboter war an der Jacht – überfallen wurde hingegen der Fischkutter. Woher sollte der Fotograf – oder sonst jemand – gewusst haben, dass diesem Tyler zwei Schiffe gehören? Das konnte niemand wissen, außer …“
Nun ging anscheinend auch Carlos ein Licht auf. „… außer er gehörte zur Crew.“
Einen Moment schauten wir uns nur schweigend an.
„Okay, ich werde die Befragungen noch einmal durchgehen, womöglich fällt mir irgendwo eine Ungereimtheit auf“, sagte Carlos. „Paco, du knöpfst dir die Jungs in den Zellen vor, vielleicht schaffst du es, sie zum Plaudern zu bringen.“
„Soll ich dann ins Krankenhaus und diesen Juan befragen?“, fragte ich.
„Meinst du, der ist schon vernehmungsfähig? Und kann er sich überhaupt an irgendwas erinnern? Der Kerl ist nur knapp mit dem Leben davongekommen. Denk mal dran, wie wir ihn aus dem Wasser gefischt haben.“
Ich zuckte mit den Schultern. Okay, ganz Unrecht hatte Carlos nicht, der Typ war mehr tot als lebendig gewesen. Selbst nach meiner nicht unbedingt sanften Ohrfeige hatte er bloß kurz die Augen geöffnet, nur um danach direkt wieder in der Bewusstlosigkeit zu versinken. Noch immer sah ich sein Blut an meinen Händen, sah mich selbst, wie ich verzweifelt versuchte, die Blutung seiner Bauchwunde zu stillen. Sah, wie blass der Mann unter mir war, wie schlaff sein trainierter Körper.
Bis heute wusste ich nicht, woran es lag, doch dieser Fall beschäftigte mich mehr als jeder andere zuvor. War es, weil ich das erste Mal mit Piraterie zu tun hatte? Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten. Juan Alvarez war nicht der Erste, den ich vor dem Ertrinken gerettet und bewusstlos aus dem Wasser gefischt hatte. Unzählige Flüchtlingsboote kenterten in der Meerenge vor Cadiz, regelmäßig bargen wir Menschen, die kaum mehr atmeten, Kinder, die nach ihren Müttern schrien. Leichen.
Jedes Menschenleben, das verloren ging, war eines zu viel. Ich nahm immer ein Stück davon mit nach Hause und brauchte oft Tage, um einzelne Schicksale zu verdauen. Doch dieses Mal … Irgendetwas war anders. Ich träumte von den Piraten, vom Überfall, als wäre ich selbst an Bord gewesen, als wäre ich diejenige, die den Schuss abfing. Ich spürte die Wunde, die ich bei Juan erstversorgt hatte, als wäre es meine. Jeden Morgen erwachte ich schweißgebadet und schaffte es erst nach einer langen, heißen Dusche und einem Kaffee auf meinem Balkon in der Morgensonne, die Spuren der Nacht abzuschütteln.
Es war bisher noch niemals vorgekommen, doch bei diesem Fall fehlte mir zum ersten Mal in meiner Karriere die innere Distanz.
Und das war nicht gut!
Eines der ersten Dinge, die ich in der Ausbildung gelernt hatte, war, dass man immer einen gewissen Abstand wahren musste, ansonsten ging man in diesem Job kaputt. Und diesen Abstand musste ich unbedingt wiederfinden. Dazu sah ich nur noch eine Möglichkeit – die direkte Konfrontation.
„Das werden wir dann ja sehen, ob er sich erinnert. Auf jeden Fall denke ich, er hat genug Zeit gehabt, sich auszuruhen. Und ein paar Fragen werden seiner Genesung schon nicht im Wege stehen.“ Ich zuckte gleichmütig die Schultern, doch Carlos wirkte noch immer zweifelnd.
„Ich fahre dahin und schaue, was ich aus ihm rauskriegen kann“, betonte ich erneut. Zur Bekräftigung stand ich auf, holte meine Collegetasche aus der untersten Schublade meines Schreibtisches und packte alles ein, was ich für die Vernehmung brauchen würde.
Zögernd nickte Carlos. „Okay, na gut. Aber reiß ihm nicht gleich den Kopf ab!“
Ich hob stirnrunzelnd den Blick. „Was soll das denn heißen? Natürlich bin ich nett zu ihm.“
Paco gluckste leise. „Ja, genau!“
Ich warf ihm nur einen scharfen Blick zu, schnappte mir meine Jacke und verließ das Büro.
Innerlich grinste ich jedoch. Natürlich wusste ich, wie die Männer des Reviers mich hinter meinem Rücken nannten. Gottesanbeterin. Zwar fraß ich keine Männer, aber ich hatte im Laufe der Jahre durchaus gelernt, mich ihnen gegenüber durchzusetzen. Und dass ich damit erfolgreich war, erkannte ich an diesem Spitznamen. Für mich war es ein Zeichen der Anerkennung und bedeutete, dass meine männlichen Kollegen Respekt vor mir hatten. Fröhlich vor mich hin summend, stieg ich vor der Wache in mein Auto und machte mich auf den Weg zum Krankenhaus.