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Kapitel 9

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Ryu hatte sich vom Tisch erhoben und wollte gehen, da stellte sich Kitsune in ihren Weg.

„Ich begleite dich selbstverständlich, wenn du nichts dagegen hast“, sagte er mit einem strahlenden Lächeln und zwinkerte Ryu zu. Kitsune hatte wirklich das Talent, weibliche Wesen für sich einzunehmen. Er hatte dieses gewisse Etwas, eine Mischung aus Eitelkeit und Unterwürfigkeit, vor allem wusste er, wie man sich einschmeicheln konnte. Außerdem sah er zwar ein wenig fremdartig, aber verdammt gut aus.

Er machte mit seinem rechten Arm eine einladende Geste, die Ryu zu verstehen gab, dass sie voran gehen sollte und er folgen würde. Sie verließen die Caféteria und passierten das Klassenzimmer. Als Ryu hinter der geschlossenen Tür die wütende Stimme ihres Klassenlehrers vernahm, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie musste zweimal auf den Lageplan schauen, damit sie sich in den verwirrend vielen Gängen und Fluren nicht verlief, aber schließlich stand sie aufatmend vor der Tür mit der großen blutroten Nummer 13. Ryu drehte sich um und lächelte Kitsune an, sie wusste nicht, was sie machen sollte. Zuerst wollte sie sich ärgern, dass sie so schüchtern war, aber zum Glück fiel ihr ein, dass dieser Kitsune gar kein richtiger Mensch war, sondern unter seiner glatten ebenmäßigen Haut in Wahrheit ein ganz anderes Wesen steckte.

Kitsune hatte ihre Verlegenheit bemerkt und sagte schnell: „Mein Zimmer ist in der Nähe, wir treffen uns hier und gehen dann zusammen zum Sportplatz.“ Er setzte eine Spur zu schnell und automatisch sein gewinnendes Lächeln auf und strich mit der Hand an ihren Haaren entlang.

„Ja...“, flüsterte Ryu und vergaß sich schon wieder in seinen verführerischen Augen. Kitsune sah ihr noch ein Moment lang tief in die Augen und ging.

Ryu kam wieder zu Sinnen, sie fühlte sich, als wäre sie aus einem wunderschönen Traum aufgewacht. Sie konnte ja wohl schlecht mit einem Monster ausgehen, egal, wie lieb und nett es sich auch gegenüber ihr verhielt, wenn Kitsune herausfände, dass sie ein Mensch war, dann würde er sie wahrscheinlich töten und auffressen wollen.

Sie ging schnell in ihr Zimmer und öffnete den Schrank, dort fand sie zusammengefaltete Sportsachen. Sie nahm sich ihren Stapel heraus und legte sich ihre Sachen auf dem Bett zurecht. Dann schaute sie zum Hochbett. Dort schlief, in die Bettdecke gekuschelt, die kleine Larea immer noch tief und fest, als wäre es mitten in der Nacht.

„He, Larea“, rief Ryu, stellte sich auf die Zehenspitzen und rüttelte Larea an der Schulter. „Aufwachen, du hast schon die ersten drei Stunden Unterricht verpasst!“, rief Ryu. Doch Larea murmelte nur etwas Unverständliches und wälzte sich so auf die Seite, dass sie Ryu den Rücken zu kehrte. Ryu versuchte es noch einmal, zwickte Larea in die Backe und zog an ihren Haaren, doch auch dies hatte keinen Erfolg. Larea schlief weiter.

Ryu gab die Versuche auf, das kleine Mädchen doch noch wach zu bekommen, und zog sich in großer Eile um.

Als sie sich gerade die Sportschuhe zuband, klopfte es an der Tür. „Herein“, sagte Ryu und Kitsune betrat ihr Zimmer. Er trug schwarze Sportkleidung, die ihm perfekt stand. Seine muskulösen wohlgeformten Arme waren frei und schrien Ryu förmlich an, dass sie angefasst werden wollten.

Sie schüttelte sich, als wolle sie die vielen Fantasien abstreifen, die sich in ihrem Kopf versammelt hatten und sie bedrängten. Er schien ebenfalls Fantasien zu haben, denn Ryu fiel auf, dass ihr Oberteil einen ziemlich tiefen Ausschnitt hatte und Kitsune permanent hinein starrte. Das machte ihr nichts aus, denn so hatte sie das Gefühl, Kitsune etwas bieten zu können.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis es Kitsune endlich gelang, seine Blicke von ihrer Oberweite zu wenden. Er lächelte sie verlegen an. „Tut mir leid, natürliche Schönheit haut mich einfach um“, sagte er und legte wieder wie auf Kommando sein verführerisches Lächeln auf. „So, wir sollten jetzt aber wirklich los“, fuhr er fort, nahm Ryu an die Hand und zog sie aus dem Zimmer.

Sie hasteten quer durch das Gebäude in Richtung Nordtor. Alle Gänge sahen gleich aus, hier fiel es wirklich schwer, die Orientierung nicht zu verlieren und sich nicht hoffnungslos zu verlaufen. Kitsune schien das nicht sonderlich schwer zu fallen, er schnüffelte nur kurz an den Abzweigungen und schien dann Bescheid zu wissen. Schwieriger fiel ihm die Orientierung schon an den zahlreichen Treppen, die zumeist in die Tiefe führten. Hier warf er den Kopf hin und her und witterte, was Ryu stark an ein wildes Tier erinnerte. Ryu war überwältigt von der großen Anzahl der Türen, an denen sie vorüber kamen. Warum brauchte eine Schule so unendlich viele Zimmer?

Endlich gelangten sie zum Nordtor, dort wartete Kronos, der ungeduldig von einem Bein auf das andere trat und nervös mit den Armen schlenkerte. Als er Kitsune bemerkte, verfinsterte sich seine Miene und er starrte ihn vorwurfsvoll an, als wolle er ihm die Schuld für ihre Verspätung geben.

„Warum habt ihr so getrödelt? Ich warte schon eine halbe Ewigkeit! Der Unterricht fängt gleich an!“, zischte er aufgebracht, drehte sich auf dem Absatz um und rannte in Richtung des Sportplatzes.

Als sie am Sportplatz ankamen, hatten sich dort schon die meisten Mitschüler eingefunden. Einige scharrten mit den Füßen, andere balgten sich und kugelten durch das Gras, andere jagten einander und versuchten sich zu fangen. Es herrschte ein wildes Durcheinander und die Luft war erfüllt mit Schreien, Fauchen und Verwünschungen. Das änderte sich schlagartig, als die Sportlehrerin auftauchte und einen hellen durchdringenden Kreischton ausstieß, der auch in Ryus Ohren äußerst bedrohlich klang. Danach dauerte es keine Minute und die Schülerinnen und Schüler hatten sich halbwegs ordentlich in Reih und Glied aufgestellt.

Die Lehrerin war äußerst schlank und sehr groß und hatte unendlich lange Beine. Ungewöhnlich für eine Sportlehrerin war ihr wallendes lilafarbenes Haar, das ihr bis weit unter die Schultern fiel. Wenn man genauer hinschaute, konnte man feststellen, dass es keine Haare im eigentlichen Sinn waren, sondern kleine Flaumfedern, die beim geringsten Lufthauch auf und nieder wallten.

Sie war mit einer sehr kurze Shorts und einem Top bekleidet, das nur knapp ihre flache Oberweite bedeckte. Ihre orangefarbenen Augen passten perfekt zu ihrem bräunlichen Teint.

Das Einzige, was wirklich untypisch für eine Sportlehrerin war, waren die langen spitzen wie Krallen geformten Fingernägel. Ryu wunderte sich insgeheim, dass ihr die langen Nägel auf den ersten Blick als ungewöhnlich auffielen und nicht der Rest des schrillen Aussehens.

„Still gestanden!“, kreischte die Lehrerin und rannte hektisch durch die Reihen der Schülerinnen und Schüler und ordnete sie. Ryu reihte sich ein, straffte sich, hielt Hände und Arme still und tat alles, um nicht unangenehm aufzufallen. Sie hatte sich vorgenommen wie ein Fisch im Schwarm mit zu schwimmen. Aber sie hatte sich unnötig Sorgen gemacht, denn zwei andere Schüler tanzten aus der Reihe und gerieten sofort ins Blickfeld der Lehrerin. Der dicke Junge, der in der Klasse vor Ryu gesessen hatte, stand zwei Schritte vor seiner Reihe, aus seiner Turnhose tröpfelte unaufhörlich Wasser. Als er bemerkte, dass er vor seiner Reihe stand, wollte er zwei Schritte zurück und fiel schon nach dem ersten mit einem lauten Platscher auf den Rücken, wobei aus allen Öffnungen seiner Sportkleidung Wasserfontänen spritzten und sich eine große Pfütze um ihn bildete. Die Sportlehrerin stutzte, rannte in Windeseile auf ihn zu und zerrte ihn an den nassen Haaren auf die Beine.

Der Zweite, der unangenehm auffiel, war der Junge mit den roten Haaren und unaufhörlich lachen musste. Offensichtlich fand er auch auf dem Sportplatz alles komisch, stieß sein kreischendes Lachen aus und hüpfte dabei auf der Stelle, wobei der Boden unter seinen Füßen in hellen Flammen brannte. Merkwürdigerweise schien ihm das überhaupt nichts auszumachen. Die Sportlehrerin spurtete zu ihm hin, trampelte die Flammen rings um ihn her aus, stemmte eine Faust unter sein Kinn und hämmerte mit der anderen so lange auf dem Kopf, bis sein hysterisches Gelächter verstummte.

Dann stellte sich die Sportlehrerin auf einen kleinen Erdhügel vor die Reihen und nickte zufrieden. Jetzt schien alles seine Ordnung zu haben. „Mein Name ist Diva Kelaino, ich bin von nun an eure Sportlehrerin. Und ich warne jeden von euch – bei mir wird nicht aufgegeben! Niemals! Denn ich hasse es, wenn jemand aufgibt. Und wer es dennoch tut, wird sich bald wünschen, niemals geboren worden zu sein. Und nun fangt an zu laufen, immer schön im Kreis herum auf der Laufbahn. Ihr habt drei Stunden Zeit, eure Kreise zu ziehen. Und wehe, jemand macht unerlaubt eine Pause und bleibt stehen, dann hagelt es Strafaufgaben! Und glaubt mir, diese Aufgaben möchte keiner von euch machen, sie werden euch Blut, Schweiß und Tränen kosten!“, kreischte sie. Dann stieß sie wieder ihren hohen Pfeifton aus und deutete auf die Laufbahn.

Alle Schüler liefen los und erreichten die Laufbahn, nur der fette Junge stürzte nach dem ersten Schritt zu Boden und kullerte in der Pfütze, die sich rings um ihn bildete, hilflos hin und her.

Als Kitsune, der neben Ryu trabte, bemerkte, wie mitleidig Ryu zu dem Gestürzten schaute, sagte er: „Das ist Galo Medon. Du brauchst kein Mitleid mit ihm zu haben, denn er ist ein Megalodon, ein Gestaltenwandler.“

„Ein Megalodon?“, fragte Ryu ungläubig.

„Ja, ein Vorfahre des weißen Hais, sehr plumpe Viecher und nicht gerade intelligent, aber im Wasser richtige Bestien und wahre Killermaschinen. Ich würde niemandem raten, mit Galo Medon in einen Pool zu steigen, das wäre absolut tödlich“, fuhr Kitsune fort. Dann erhöhte er seine Schrittzahl und schloss zu Kronos auf. Ryu beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten. Ryu wunderte sich über sich selbst, mit welcher Selbstverständlichkeit sie Kitsunes Erklärung zu dem Jungen, der sich nun tröpfelnd und undicht bis auf die Laufbahn gewälzt hatte, hingenommen hatte. Eigentlich hätte sie schreiend die Flucht ergreifen müssen....

„Drecks Zentauren“, schimpfte Kitsune nach ein paar Runden und zeigte auf einen gut gebauten Schüler, der in weiten Galoppsprüngen seiner muskulösen dicht behaarten Beine an der Spitze sprintete.

Ryu merkte, wie ihr schwindelig wurde, Megalodons, Zentauren – in welche Welt war sie denn hier geraten? Nein, das konnte kein Schule sein, das war ein Albtraum! Aber sie gab die Hoffnung nicht auf, dass sie ihm schnell entrinnen konnte.

Ryu hatte nicht die beste Kondition, aber sie riss sich zusammen und aktivierte all ihre Kräfte, denn Letzte wollte sie auf gar keinem Fall werden, denn sie fürchtete sich vor den schlimmen Drohungen der Sportlehrerin. Nach zehn Minuten war sie schon ziemlich außer Atem und konnte sich nicht vorstellen, ohne Pause drei Stunden durchzuhalten. Kronos und Kitsune wie auch die meisten anderen Schüler zeigten keine Ermüdungserscheinungen. Ryu verminderte ihre Schrittzahl und wurde langsamer, um nicht anhalten zu müssen, und fiel immer weiter zurück. Kitsune blickte sich zu ihr um, dann wurde auch er langsamer, bis Ryu zu ihm aufgeschlossen hatte, und zuckelte neben ihr her. Ryu dankte es ihm mit einem gequälten Lächeln.

Die Minuten verrannen wie in Zeitlupe, jede Bewegung schmerzte, ihre Lunge pfiff, dann war es soweit: Ryu konnte nicht mehr, ihr Atem stockte, die Beine versagten ihr den Dienst, ihr wurde schwarz vor Augen und sie stürzte total erschöpft zu Boden, wobei sie sich am Knie verletzte. Sie war in Schweiß gebadet, die Sportkleidung klebte triefnass an ihrer Haut, es bereitete ihr große Mühe, sich wenigstens aufrecht hinzusetzen, denn schlimmer Schwindel quälte sie.

Mit großer Erleichterung bemerkte sie, dass sie in dieser misslichen Lage nicht allein blieb. Kitsune beugte sich zu ihr herab und sah sich besorgt die Wunde an ihrem Knie an. Dort war die Haut aufgeschürft und Blut strömte hervor

„Tut es schlimm weh?“, fragte Kitsune mitfühlend.

Ryu zuckte bloß mit den Schultern, ihre Erschöpfung war so groß, dass sie keinen Schmerz fühlte.

Sekunden später baute sich Frau Kelaino vor ihr auf. „Keine Pause!“, schrie sie und wiederholte wie von Sinnen: „Keine Pause! Keine Pause!“, wobei sich ihr Haar aufplusterte und sie heftig mit den sehnigen Armen schlug. Ryu machte sich ganz klein, um nicht getroffen zu werden.

Jetzt kam auch Kronos und stellte sich schützend vor Ryu. „Sehen Sie das nicht, Frau Kelaino? Ryu ist verletzt und blutet stark. Bitte, erlauben Sie mir, Ryu ins Sanitätszelt zu bringen“, bat Kronos.

Frau Kelaino stutzte, betrachtete Ryus Knie, wobei sie beim Anblick des Blutes ganz nervös wurde.„Einverstanden“, keuchte sie. „Bring sie schnell weg, sonst werden die anderen noch aufmerksam, und wer weiß, was dann geschieht!“

Kronos half Ryu, auf die Beinen zu kommen, aber sie taumelte und schien gar nicht zu wissen, wo sie war. Deswegen hakte Kronos sie unter und legte einen Arm schützend um ihre Schulter. „Stütz dich ruhig auf mich, ich halte das schon aus“, sagte er aufmunternd. Als Ryu das Bein mit dem verletzten Knie bewegte, spürte sie einen Schmerz, als schnitte jemand mit Rasierklingen darin herum. Deswegen setzte sie den Fuß nicht auf, sondern bewegte sich hüpfend neben Kronos her.

Als Kitsune, Ryu mit Kronos sah verfinsterte sich seine noch so selbstverliebte Miene. Wenn seine Blicke hätten töten können, wäre Kronos auf der Stelle gestorben.

„Was soll das? Warum spielst ausgerechnet du den barmherzigen Samariter? Das steht einem wie dir nicht zu!“, schrie er und wollte die Laufbahn verlassen. Aber sofort versperrte ihm Frau Kelaino den Weg und trieb ihn mit Fausthieben und schrillem Keifen auf die Laufbahn zurück.

Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, ließen die Schmerzen ein wenig nach, das Blut hörte zu fließen auf und Ryu fühlte erleichtert, wie ihr rasender Puls sich beruhigte. Schließlich hatten sie das Ende des Sportplatzes erreicht. Hier stand ein lang gestrecktes Zelt. Kronos schlug die Zeltbahn vor dem Eingang zurück und führte Ryu hinein. Im hinteren Drittel des Zeltes stand eine einfache Liege, auf die sich Ryu setzte, wobei sie bemüht war, ihr verletztes Knie nicht zu belasten.

„Ich habe Durst, schlimmen Durst“, krächzte Ryu. „Meine Kehle ist ganz ausgedörrt.“

Kronos blickte sich um, aber außer der einfachen Liege gab es im Zelt nichts.

„Ich schaue draußen hinter dem Zelt nach. Irgendwo gibt es da bestimmt etwas zu trinken“, meinte Kronos und rannte hinaus.

Kaum war Ryu allein, machte sich der Schmerz im Knie mit einem heftigen Pochen wieder bemerkbar. Besorgt beugte sie sich zu ihm hinab, als sie vor dem Zelt Schritte und Flüstern vernahm. Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

Dann wurde die Zeltbahn vor dem Eingang zurück geschlagen. Die unheimliche Frau, die in der Klasse hinter ihr gesessen und sie mit ihrer gespaltenen Zunge belästigt hatte, huschte hinein, gefolgt von einem fetten großen Kerl, der am Eingang zurück blieb und wie ein Wachposten die dicken Arme über der Brust verschränkte.

Die junge Frau fixierte Ryu mit ihren wimpernlosen Augen, ihr Leib wiegte sich beim Gehen hin und her wie ein schwankendes Rohr im Wind, während ihre schmale lange gespaltene Zunge vor ihren Lippen züngelte.

Ryu wollte schreien, aber sie bekam keinen Ton hervor. Sie schaffte es noch nicht einmal, ihre Arme schützend vors Gesicht zu heben. Jetzt spürte sie den kalten Atem der jungen Frau, ihr Gesicht war ganz nah und ihre Schlangenzunge berührte Ryus Gesicht. Ryu schloss die Augen und zitterte am ganzen Leib.

„Du...“, zischte sie. „Du riechst nach Mensch!“

Ryu riss vor Schreck die Augen ganz weit auf, sie wollte die furchtbare Frau von sich stoßen, aber sie konnte sich nicht bewegen, so als hätte die Frau sie mit ihrem starren Blick verhext. Als die schwarze gespaltene Zunge ihr Gesicht abtastete, glaubte Ryu, dass ihre letzte Stunde geschlagen habe.

Auf der Haut der jungen Frau bildeten sich reptilienartige Schuppen, dann sperrte sie ihren Mund auf, immer weiter und weiter. Gewiss würde sie Ryos Kopf mit einem Biss verschlingen....

In diesem Moment stürmte Kronos, in der Hand eine Wasserflasche, ins Zelt. Überrascht blieb er stehen und starrte zur Liege. Auch die junge Frau, die davor kniete, hatte Kronos bemerkt und drehte sich zu ihm um. Ihre wimpernlosen Augen fixierten ihn und schienen die gewünschte lähmende Wirkung zu haben. Kronos war vor Schreck stehen geblieben, Der dicke Kerl baute sich vor Kronos auf und pumpte jede Menge Luft in Brustkorb und Backen. Kronos wich einen Schritt zurück und machte dann zwei zur Seite, aber als er weiter rennen wollte, stand der dicke Kerl, wie durch Zauberhand bewegt, wieder vor ihm und versperrte ihm den Weg. Aber diesmal bückte sich Kronos und schlüpfte durch seine Beine.

Vor der Liege angekommen, zischte die junge Frau: „Ein Hybrid und ein Mensch, wie süß!“ Dann betastete ihre gespaltene Zunge Kronos Gesicht.

„Ihr habt hier nichts zu suchen“, grollte eine tiefe Stimme.

Alle schauten zum Eingang. Dort stand Stan, seine Augen glühten, und als er eine Hand zur Faust ballte, fing diese an zu qualmen. Die junge Frau duckte sich, stieß ein furchtsames Zischeln aus und schlängelte sich aus dem Zelt. Ihr Begleiter ließ die Luft ab, machte sich ganz klein und trat ebenfalls den Rückzug an.

Ryu fiel vor Erstaunen die Kinnlade herunter. Sie hätte mit jedem Anderen gerechnet, aber nicht damit, dass ausgerechnet Stan sie aus ihrer misslichen Lage befreien würde. zumal sie sicher war, dass dieser Stan ganz genau wusste, dass sie ein Mensch und nicht eine dieser seltsamen Bestien war, die nur unvollkommen eine menschenähnliche Gestalt angenommen hatten. Wahrscheinlich wollte er nur, dass dieses böse gemeine Spiel, das er mit ihr trieb, nicht so schnell endete.

Kronos schien ebenso geschockt zu sein wie Ryu, denn jetzt fixierten ihn Stans Augen, und sie glühten, als brodelte die Hölle in ihnen. Aber Kronos hielt diesen tödlichen Blicken stand.

Plötzlich erlosch das Höllenfeuer in Stans Augen, sie wurden matt grau und farblos. Seine Fäuste dampften noch ein wenig, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand aus dem Zelt.

Kronos atmete erleichtert auf und knetete nervös seine Hände. „Ein durch und durch unheimlicher Typ!“, murmelte er. Dann wandte er sich zu Ryu und starrte sie aus großen Augen skeptisch an. „Hey...“, sagte er gedehnt, als müsse er Kraft sammeln, um fortzufahren „Stimmt es, dass du ein …. ein Mensch bist?“ Und während er auf Ryu hinab schaute, wurde sein Blick immer sorgenvoller.

„Ja...“, sagte Ryu leise und senkte ihren Blick. Sie schämte sich, Kronos ins Gesicht zu sehen, denn sie hatte ihn in arge Schwierigkeiten gebracht.

„Jedenfalls brauchst du vor mir keine Angst zu haben“, meinte Kronos. „Ich will hier auch weg, ich habe diese furchtbare Schule so satt! Ich hab' auch schon einen Plan, wie wir das anstellen können“, sagte er und streichelte Ryu's Haar.

Ryu wusste nicht, was sie antworten sollte, denn solch eine Reaktion hätte sie nicht erwartet.

„Lass uns von hier abhauen, zusammen, und sobald wir eine Gelegenheit finden“, fügte Kronos hinzu und Ryu fiel ein Stein vom Herzen. Sie war nicht die Einzige, die aus diesem furchtbaren Gemäuer fliehen wollte.

„Warum willst du von hier weg?“, fragte sie.

Kronos' Blick senkte sich zu Boden, ein Zucken lief durch seinen Leib und er stöhnte leise „Weil ich ein Hybrid bin“, antwortete er und seine Stimme klang deprimiert und hoffnungslos.

„Was bedeutet das, ein Hybrid zu sein? Ist das was Schlimmes?“, fragte Ryu und wartete gespannt auf seine Antwort. Endlich konnte sie Fragen stellen, ohne Angst zu haben, komisch zu wirken.

„Ein Hybrid ist ein Mischwesen. Mischwesen sind nicht sonderlich hoch angesehen. Wenn du es genau wissen willst, bin ich eine Mischung aus Vogel und Säugetier, halb Adler und halb Löwe. Man nennt das Greif“, erklärte Kronos und wandte sich halb von Ryu ab, als schäme er sich seiner Existenz.

„Ein Greif?“, fragte Ryu und hielt den Atem an. Greife gab es doch eigentlich nur in Geschichten oder Sagen. Aber wenn Kronos wirklich ein Greif war, dann verstand sie schon Einiges mehr von dem, was vorgefallen war. Kitsune erwähnte ja einen Zentaurus und diese Beleidigungen mit der Tollwut und den Flöhen waren ihr jetzt auch klar. Auf dieser Schule waren nicht nur die Schüler Monster, sondern auch die Lehrer, jede Minute könnte hier lebensbedrohlich werden. Also musste sie mit Kronos schnell einen Plan austüfteln, um von hier zu verschwinden. Denn wenn dies furchtbare Schlange das nächste Mal attackieren würde, wer weiß, ob dann wieder Stan zur Stelle wäre, um sie zu vertreiben.

Jetzt keuchte es vor dem Zelt, der Eingang raschelte, Kitsune trat ein. Er sah ziemlich mitgenommen aus, seiner Kleider waren vom Schweiß durchtränkt, sein Brustkorb hob und senkte sich. Insgeheim bedauerte Ryu, dass sie einen so attraktiven Burschen bald nie wiedersehen würde.

Blut zu Blut

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