Читать книгу Blut zu Blut - Janaina Geismar - Страница 6

Kapitel 4

Оглавление

In der Kanalisation türmten sich die Ratten wie pelzige Legosteine aufeinander. Sie mussten einen Weg finden, um durch das Abflussrohr zu krabbeln. Das Rohr war an der Decke und sie mussten eine Strategie haben, damit sie hinein klettern konnten. Die stärksten Ratten standen eng beieinander, damit die leichteren Ratten auf sie klettern konnten. Das Rohr war nun erreichbar. Eine Ratte schaffte es hinein, sie kratze mit ihren Krallen an der Innenseite des Rohrs und ein knirschendes Geräusch machte sich breit. Sie versuchte Senkrecht nach oben zu klettern und rutschte jedes Mal wieder ab, so dass ihre scharfen Krallen noch mehr furchtbare Geräusche produzierten. Sie sprang mehrmals, doch vergeblich und rutschte immer wieder ab.

Ryu wachte auf und hörte ein Geräusch, das aus dem Bad drang. Sie ging ins Bad und lauschte. Jetzt war alles still, sie wartete noch einen Moment und beschloss, wieder ins Zimmer zu gehen und sich hinzulegen.

Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie ihre Eltern waren, wie sie aussahen, doch da war nichts, das Einzige, was sie wusste, war, dass ihre Mutter langes blondes Haar hatte, aber an ihr Gesicht konnte sie sich nicht erinnern.

Ryu schloss die Augen und stellte sich wieder die Autofahrt vor, der dumpfe Aufschlag, der Unfall, es waren nur wirre Bruchstücke, die wie Teile eines Puzzles in ihr auftauchten und verschwanden. Sie öffnete ihre Augen und starrte die Decke an, etwas stimmte nicht, selbst wenn sie sich ständig an Teile des schrecklichen Unfalls erinnern konnte, fühlte sie dabei weder Freude noch Leid, nur eine große innere Leere.

Keine Trauer, keine Angst, waren es vielleicht gar nicht ihre Eltern? Und die Polizei hatte sich vertan und sie lebten noch? Wenn sie noch am Leben waren, dann musste sie ihre Eltern finden und um sie finden zu können, musste sie hier raus.

Ihr Arm fing an zu jucken und sie kratze sich dort, sie fühlte ein kleines Stechen und Ziehen. Als sie auf ihren Arm blickte, bemerkte sie eine Narbe.

Die Narbe war genau an der Stelle, an der Frau. Sorokin die Spritze angesetzt hatte. Die Narbe sah sehr ungewöhnlich aus, da sie ein Beule nach außen hin besaß.

Sie drückte darauf und fühlte unter dem Fleisch etwas Eckiges. Sofort fing die Narbe wieder an zu brennen. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag Frau Sorokin zu fragen, was es mit der Beule und dem Eckigen im Fleisch darunter auf sich hatte, und schlief ein.

In der Kanalisation türmten sich erneut die Ratten, diesmal würden sie es anders anstellen. Sie würden aufeinander klettern, so dass die unteren fetten Ratten als Fundament dienten und die schlankeren und jüngeren Ratten nach und nach darüber einen Turm bilden konnten. Ein Turm aus vielen kleinen pelzigen Tierchen entstand und wuchs immer höher. Eine Ratte fand Halt und nutzte kleinere Unebenheiten des Rohrs, an denen ihre Krallen Halt fanden, und kletterte hinauf.

Sie musste sich diesmal auf ihre Schnurrhaare verlassen, denn hier war es dunkel, Ratten können allgemein nur sehr schlecht sehen, aber hier gab es noch nicht einmal eine Duftspur, an der sie sich orientieren konnte.

Es wurde nass an den Pfoten und sie bemerkte, dass sie den Rest des Weges tauchend zurücklegen musste.

Zum Glück konnte sie bis zu zehn Minuten die Luft anhalten und vertraute darauf, dass die Strecke, die sie zurücklegen musste, nicht mehr Zeit benötigen würde.

Nach etwas mehr als fünf Minuten konnte sie tatsächlich auftauchen und Luft schnappen. Auch hier war es stockfinster, doch sie spürte einen schwachen Luftzug und sprang mit der Hoffnung los, sich irgendwo festhalten zu können. Doch sie hatte keinen Erfolg, die Wände waren viel zu rutschig und sie fiel immer wieder ins Wasser zurück. Das Wasser tränkte ihren Pelz und machte ihr das Springen immer schwerer.

Einer ihrer Artgenossen schaffte es auch in den dunklen Raum und sie kletterte auf sie. Nun war sie nicht mehr im Wasser und konnte mit voller Kraft springen. Es gelang ihr, sich an einem Vorsprung festzukrallen, und sie drückte den Kopf gegen die Decke.

Die Decke gab nach und sie schob ihren Kopf durch den Spalt, der sich vor ihr auftat.

Draußen fand sie festen Halt und zog den ganzen Leib aus der Enge. Sie fiel und landete auf trockenem Boden.

Sie war klitschnass, aber sie nahm sich keine Zeit, sich zu trocknen und zu putzen, sondern lief sofort weiter.

Mit weiten Sätzen folgte sie einem Duft, dem Duft einer jungen Frau, der immer intensiver wurde. Plötzlich prallte sie gegen etwas Weiches und beschloss, daran hoch zu klettern. Oben angekommen berührten ihre empfindlichen Pfoten etwas Flauschiges, es fühlte sich gut an, daraus könnte sie einen schönen Schlafplatz bauen, doch dafür war jetzt nicht die richtige Zeit. Die Ratte kroch unter weichen Stoff, da war es warm und kuschelig. Dann stieß sie gegen den nackten Arm einer Kreatur, die nicht ihrer Art angehörte. Da musste sie hin und sie schnüffelte, bis sie das gefunden hatte, wonach sie suchte, und biss hinein.

Blut zu Blut

Подняться наверх