Читать книгу Lydia - die komplette Reihe - Janine Zachariae - Страница 6

3. Ein Tag, der alles ändert

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Ihr Wecker klingelte um 7 Uhr 30.

Lydia machte die Jalousie hoch und öffnete das Fenster, sog die frische und kühle Luft ein und ging schließlich nach unten, um Kaffee aufzusetzen. Ihr Vater schlief am Wochenende immer bis 8 Uhr, während Sam erst nachts nach Hause kam und nicht vor Mittag aufstand.

Kurz bevor sie in die Küche kam, drang bereits der Duft von frischem Kaffee zu ihr durch und sie wunderte sich.

»Guten Morgen, Schwesterchen!«

»Steve!« Sie fiel ihm um den Hals. »Ich dachte, du kommst erst heute Nachmittag.«

»Ich wollte dich noch sehen, bevor du an die Arbeit musst und dir viel Glück wünschen!«

Er sah sie an und musste über ihren kurzen Pyjama lachen.

»Danke.« Sie setzte sich.

»Lydia, es tut mir leid!«

»Was denn?«, hakte sie überrascht nach.

Er stand auf, um ihr eine Tasse Kaffee einzugießen, und druckste etwas herum, ehe er sich räusperte.

»Das ich dich drängen wollte, weiter zur Schule zu gehen und irgendwas zu studieren.«

»Ach, schon vergessen.« Sie machte eine abfällige Handbewegung. »Das war die Sorge eines Bruders.«

In der Zwischenzeit hatte er ihr ein Brötchen mit Marmelade gemacht. Er brauchte diese Beschäftigung, denn so konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht wahrnehmen.

»Ich habe nachgedacht«, meinte der Brünette und setzte sich wieder. »Wenn du wirklich Buchhändlerin werden willst, unterstütze ich dich voll und ganz. Du kennst dich mit Büchern aus und ich denke mal, du passt ganz gut in den Laden von Madlen. Du strahlst immer so, wenn du über Bücher redest und das sollst du beibehalten.«

»Danke.«

»So, das wäre also gesagt. Sam hat gemeint, du hast einen Freund?!«, fragte ihr Bruder sie neugierig, legte seinen Kopf etwas schief und zog eine Augenbraue hoch.

»Tom? Ja, aber wir sind wirklich nur Freunde. Du hast ihn ja am Donnerstag gesehen.«

»Ja, und ich hab gesehen, wie du ihn angesehen hast und wie er dich. Da lag schon was in der Luft.«

Sie verschränkte ihre Arme und tat so, als sei sie leicht eingeschnappt. Lydia atmete tief durch und erzählte ihm, was am Tag zuvor alles geschehen war. Das Tom sie kurz vor der Schule eingeholt hatte und sie schließlich auch abholte.

»Du solltest dich doch auf die Aufgaben konzentrieren und nicht nach Jungs Ausschau halten!«, belehrte er sie und lachte dabei selber.

»Hab ich ja. Nur in meinen Denkpausen«, sie hob ihre Arme hoch, so dass Steve ihren Bauch sehen konnte, »hab ich eben aus dem Fenster geschaut.« Schließlich erzählte sie ihm ganz genau was passierte, wie sich Svenja verhalten hatte und strahlte, als sie über Toms Reaktion berichtete. Lydia vertraute Steve alles an. Sie verstanden sich blind und konnten auch mit dem Humor des anderen sehr gut umgehen.

»Scheint ein netter Junge zu sein.«

»Ja, das ist er. Ich hab ihm noch die Gegend hier gezeigt und dann sind wir zu ihm.

Papa hat ihn aber vorher noch gesehen, da ich ihm Bescheid sagte, dass ich zu den Nachbarn gehe.

Tom hat mir dann das Haus gezeigt - wirklich krass, total schick und elegant mit Kamin und so was. Dann sind wir in sein Zimmer.«

»Und, was habt ihr da gemacht?« Steve zog die linke Augenbraue hoch, als würde er sonst was erwarten.

»Wir haben seine CDs sortiert«, erwiderte sie.

»Ja, ja, das hätte ich jetzt auch behauptet!«

»Hey«, sie hob ihre Hände, »du kennst mich doch. Was du immer gleich denkst. Seine Mutter hat uns dann zum Kaffee gerufen.«

»Hast du gesagt, dass du keine Milch verträgst?«

»Natürlich. Und weißt du was? Tom verträgt auch keine Milchprodukte! Das ist komisch.«

»Was für ein Zufall!«, bestätigte Stephen.

Sie biss von ihrem Brötchen ab und nahm einen Schluck vom Kaffee.

»Ja, und seine Mutter hatte Kuchen gekauft, der eben aus laktosefreien Zutaten war.« Dann musste sie an das denken, worüber sie sich gestern ebenfalls unterhalten hatten. In der Nacht träumte sie von ihrer Mutter, einer Frau, der sie nie begegnet war. All die Fragen, brachten es wieder zum Vorschein. Schon früher hatte sie solche Träume gehabt. Manchmal schwebten Bücher in der Luft und eine Frau fing sie auf, um dann zu sagen: ›Lydia, was für ein schöner Name.‹ Es verwirrte sie stets, doch sie hatte noch nie mit jemanden darüber gesprochen.

»Was ist denn?«

»Ach, nichts.«

Er guckte sie skeptisch an, denn er spürte sofort, wenn sie was bedrückte.

»Steve! Dachte ich mir doch, dass ich dein Auto vorhin gehört habe!«

»Morgen, Papa!«, riefen beide.

»Ich werde mich mal anziehen gehen«, sagte Lydia, nahm sich die zweite Brötchenhälfte und verschwand.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer aß sie es. Sie hatte Hunger und wollte fit sein.

Steve ging ihr hinterher, sein Vater trank die erste Tasse Kaffee immer gerne in Ruhe.

»Was ist denn?« Er hielt sie sanft am Arm fest.

»Nichts, wirklich.« Langsam ging sie in ihr Zimmer und hoffte, er würde nicht weiter nachfragen, denn sie wollte nicht weinen. Auf keinen Fall! Nicht jetzt! Nicht heute!

»Hey, Schwesterchen, du kannst es mir erzählen!«, bohrte er weiter nach.

»Es ist nur ...« Sie stockte und sah in seine braunen Augen. »Als ich fast die ganze Zeit mit Tom gestern zusammen war, haben wir uns viel unterhalten. Und da kam es natürlich vor, dass gefragt wurde, wie meine Eltern so sind.

»Oh.«

Sie setzten sich beide auf ihr Bett und er nahm vorsichtig ihre Hand in seine. Es war eine gewohnte Geste und Berührung und sie schloss für einen Moment die Augen. Lydia hatte noch Zeit, es war erst zehn vor acht.

»Aber«, sie lächelte tapfer, »da ich ja eh nichts weiß, hab ich nichts gesagt. Nur halt, dass Papa sich arrangieren musste mit der Arbeit, als ich noch ein Baby war. Und ihr euch immer um mich gekümmert habt, als ich dann etwas größer wurde.

Ich meinte auch, dass es sicherlich schwierig war, nach drei Jungs, ein Mädchen großzuziehen.«

»Na ja, du warst ja wie ein Junge«, sagte er leicht neckisch.

»Bis du mir dann erzählt hast, ich sollte nicht mehr so oft Fußball mitspielen«, erinnerte sie ihn.

»Ich hab dir immerhin die ›Bravo‹ immer hingelegt.«

»Ich weiß. Das fand Tom übrigens total amüsant. Er wollte wissen, ob ich denn alles gelernt habe, was es darüber zu lernen gibt.«

Steve legte seinen Kopf schief und pikste seine kleine Schwester. »Und haste?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Aber ich war ja auch mit dir zusammen in der Drogerie, als du Binden und so was gebraucht hast«, flüsterte er tröstend.

»Was dir aber schon peinlich war!«

»Klaro, ich bin ja auch ein Mann!«

Da schubste sie ihn wieder und er kitzelte sie durch.

»Aufhören! Aufhören!«, japste sie.

Steve haute sich demonstrativ mit seiner linken Faust auf die Brust - als sei er Tarzan.

»Na gut, ich geh wieder runter. Du musst dich ja noch schick machen. Aber ich glaube, das ist hoffnungslos.«

»Hey!«, sie gab ihm einen sanften Tritt.

»Autsch!«

Er stand auf, sah aus dem Fenster und musste stutzen.

»Ist er das?«

»Mmh?« Sie richtete sich auf und er winkte. »Jupp«, bestätigte sie, öffnete das Fenster und rief: »Guten Morgen! Das ist Steve!«

»Morgen und Hi!«, begrüßte er sie. Die Sonne blendete ihn und Tom zwinkerte.

»Wusstest du, dass er hier reinschauen kann?«, wollte Steve etwas besorgt wissen.

»Ja, wir haben es gestern Abend festgestellt!«

»So, so! Dann will ich euch zwei Turteltauben mal alleine lassen! Bis heute Nachmittag, Tom!«

Natürlich sagte er Turteltauben extra laut.

»Ach Kleines, zieh dir den mal lieber an!«

Auf einem Stuhl lagen ihre Klamotten und oben drauf ihr BH, den er ihr entgegen schmiss.

»Du bist so blöd, natürlich zieh ich das an, woher sollte ich denn wissen, dass ich mit dir solange unten sitze und hier oben noch!« Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Tom beobachtete und grinste. »Bis dann!«

Nachdem Steve das Zimmer verlassen hatte, wollte Tom wissen, wann sie losmusste. Sie sagte es ihm und fügte hinzu: »Ich muss mich jetzt anziehen. Da ich das ja nicht im Zimmer machen kann, geh ich mal ins Bad!«

»Ach du, von mir aus kannst du dich gerne umziehen. Ich schaue auch nicht mit beiden Augen hin. Indianer-Ehrenwort!« Er symbolisierte das Zeichen und grinste. Sie musste darüber so lachen, das sie sich zurückhalten musste, sonst würde Sam doch noch wach werden.

»Also, bis später dann.« Sie schloss wieder das Fenster und schnappte sich ihre Sachen.

*

Steve machte sich schon Sorgen um Lydia, seit jeher im Grunde.

Nicht wegen Tom, sondern weil sie manchmal wirklich eine Mutter brauchte. Er wartete etwas, ehe er zögernd an die Badezimmertür klopfte.

»Ich bin’s, bist du schon angezogen?«

Lydia öffnete. Sie war gerade dabei, sich die Zähne zu putzen.

»Was hattest du den Nachbarn über deine/ unsere Mutter gesagt?«

Sie sah ihn verdutzt an, spülte ihren Mund aus und meinte:

»Das sie scheinbar überfordert war. Sie hatte ja schon drei Jungs und dann noch ein Mädchen, das war vielleicht zu viel.«

»Glaubst du das?« Sie zuckte die Schultern.

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, weißt du?! Der Gedanke, sie würde uns vermissen, ist angenehmer als alles Negative. Sam war ja auch erst drei, als sie fortging. Für ihn ist es ja noch schwerer. Ich hab früh gemerkt, dass keiner von euch darüber reden will und hab es dabei belassen. Natürlich wollte ich alles wissen, aber Papa sah dann immer geknickt aus und ich wollte ihn nicht verletzen oder euch. Sowieso, was er alles aufbrachte, um alles unter einen Hut zu bringen, mit zwei sehr kleinen Kindern und euch, die schon etwas größer waren, finde ich bewundernswert«, gab sie zu und sagte: »Tom fragte mich, ob ihr Jungs mich nicht als Belastung gesehen habt.« Mit ihren großen Augen blickte sie Steve nun an und hielt den Atem an, unsicher, was sie denken sollte.

»Du und eine Belastung? Ich hab dich und Sam einfach immer geschnappt und bin mit euch zum Fußballplatz gegangen.

Da wart ihr ja schon selig und du konntest sehen, wie dein Lieblingsbruder«, dabei zeigte er auf sich selbst, »ein Tor nach dem anderen schoss.«

»Davon träumst aber auch nur du.«

Um für etwas Farbe im Gesicht zu sorgen, benutzte sie eine getönte Tagescreme, die zu ihrem Teint passte, nahm etwas Puder, um den Glanz wegzubekommen, benutzte Wimperntusche und Lipgloss vervollständigte alles.

Ein letzter Blick im Spiegel zeigte ihr, dass sie mit ihren 15 Jahren gut genug aussah, um sich so vor die Tür zu wagen.

Als sie sich zurechtmachte, bemerkte sie, wie Steve sie beobachtete. Sie lächelte ihn an und er zuckte leicht zusammen.

Manchmal war es einfach zu deutlich: Dieser Schritt, den dieses Mädchen zur Frau gerade vollbrachte. Für Stephen war es immer wieder ein Schock.

*

Halb neun verließ sie das Haus. Sie war nervös, freute sich aber total. Als sie aus der Tür ging, stand Tom schon da.

»Guten Morgen.« Sie lächelte. Er nahm ihre Hand in seine.

Verlegen schaute sie ihn an. Als sie außer Sicht der Häuser waren, blieb er stehen.

Er drehte sie zu sich. Sie schauten einander tief in die Augen und küssten sich, es war ein zärtlicher, aber zaghafter Kuss.

Dann küssten sie sich noch einmal. Dieser war etwas intensiver, vorsichtig tasteten sie sich mit ihrer Zunge vor.

Verliebt sahen sie einander an. Dann wünschte er ihr Glück und drehte sich um.

Er sah ihren Vater, der aber sofort wieder ins Haus ging. Ob er ihnen hinterhergegangen war, wusste Tom nicht.

Kurz darauf trommelte Herr Schaf alle zusammen und telefonierte sehr lange, besonders mit Michael.

Irgendwas war seltsam.

»Guten Morgen, Lydia, du bist aber früh da!«

»Guten Morgen. Tut mir leid«, sagte sie zurückhaltend.

»Das muss es nicht, ist schön. Lieber überpünktlich als zu spät.«

»Ja, das sage ich auch immer, Madlen.« Die Chefin lächelte und wies sie ein. »Zuerst sortierst du die Bücher ein. Im Lager sind die ganzen Exemplare. Wie du siehst, sind einige Lücken in den Regalen, die füllst du auf.«

»Alles klar, mach ich.«

»Wenn du Fragen hast, weißt du ja, wo du mich findest.«

»Danke, wie lange hab ich Zeit?«, erkundigte sich Lydia.

»Sehen wir dann.« Madlen wollte sie nicht unter Druck setzen, aber Lydia wusste, wie es gemeint war. Also sah sie sich im Laden um, bemerkte - Reihe für Reihe - fehlende Bücher und holte diese mit einem kleinen Wagen, der extra dafür vorgesehen war - wie sie es schon oft beobachtet hatte. Madlen sah ihr immer wieder dabei zu, begrüßte aber freundlich Kunden.

Während Lydia einen schweren Stapel in den Händen hielt und diese gerade einräumen wollte, wurde sie von einer Frau angesprochen:

»Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen,

wo ich die Kinderbuchabteilung finde?« Lydia legte die Bücher weg und zeigte in die Ecke.

»Dankeschön.«

»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

»Äh, ja. Für meinen Neffen, er wird 8, aber eigentlich weiß ich nur, dass er gerne liest.«

»Kommen Sie!« Sie begleitete die Frau zu den Büchern.

»Hier, das wird Ihrem Neffen sicher gefallen!« Sie reichte ihr eins, welches auch nicht zu teuer oder zu dick war.

»Woher wissen Sie das?«

»Ich habe drei Brüder. Gut, die sind alle schon erwachsen, aber ich weiß, was sie mögen. Männer tun nämlich immer so, als seien sie schon zu groß für so was, aber tief in ihrem Herzen sind sie manchmal immer noch wie 8-Jährige.« Die Frau lachte dabei und stimmte ihr zu.

»Haben Sie vielen Dank!«

»Sollte Ihr Neffe es doch nicht mögen, können Sie es innerhalb von 14 Tagen - mit Kassenbeleg - umtauschen.«

»Gut zu wissen, danke.« Daraufhin bezahlte die Kundin das Buch bei Madlen und die Chefin rief Lydia zu sich.

Irgendwie hatte sie nun Angst, einen Fehler gemacht zu haben.

»Tut mir leid, hab ich was Falsches gesagt?«

»Nein, im Gegenteil. Das war wirklich klasse.«

»Danke!«

Lydia ging zurück an ihre Bücher und sortierte weiter ein, als wieder ein Kunde zu ihr kam. Dieser beschrieb ein Buch, wusste aber nicht mehr, von wem es war, nur noch ansatzweise den Titel.

»Meinen Sie das?« Lydia zeigte ihm ein Werk, welches erst neu erschienen war.

»Ja, genau. Das Cover kommt mir bekannt vor. Danke!«

»Gerne. Es ist wirklich klasse! Ich lese es auch gerade.«

Obwohl sie immer wieder gestört wurde, war sie schnell mit dem Einräumen der Bücher fertig. »Die Zeitschriften müssen noch einsortiert werden. Zeitungen hab ich heute Morgen gemacht, aber einige Zeitschriften sind veraltet«, erklärte die Chefin des Ladens. Lydia sah sich die Ordnung genau an und versuchte es sich einzuprägen.

»Was machst du da?«

»Oh, ich will nichts durcheinanderbringen, daher versuch ich, mir erst mal alles zu verinnerlichen. Geht schneller, als wenn ich später noch mal von vorne anfangen muss«, stammelte Lydia und fühlte sich erwischt.

»Okay, mach so, wie du denkst.«

›Das war bestimmt nicht gut, wie ich gerade geredet habe‹, dachte sie verwirrt.

Auch hier wurde sie oft unterbrochen.

Diesmal sollte sie über Zeitschriften und Bücher informieren und über das, was sonst noch an Schreibkram in der Ecke stand.

Es war erst 12 Uhr, als Madlen zu ihr trat.

»So, Lydia, lass uns mal über deine Leistung reden.« Eine andere Kollegin war gekommen, die nun für Madlen übernahm.

Sie gingen beide nach hinten in ihr Büro. »Setz dich!«

Lydia hatte ein ungutes Gefühl und knetete vor lauter Nervosität ihre Hände.

»Wie fandest du den Tag?«

»Schön. Sehr interessant, ich habe viel gelernt. Am tollsten war es, dass ich die Bücher einräumen durfte und ich Kunden beraten konnte. Ich meine, sie haben mich immer so freundlich angesehen. Außer der eine, der etwas gereizt war, aber ich glaube, das hab ich auch gut im Griff gehabt. Ich hatte sehr viel Spaß. Aber ich glaube, ich war zu langsam beim Einräumen«, versuchte Lydia ihre Eindrücke zu erklären.

Wenn das Mädchen nervös war, war ihre Artikulation nicht immer die Beste. Madlen hörte aufmerksam zu.

»Freut mich, dass du so viel Spaß hattest.« In ihrer Stimme lag etwas Eigenartiges, als wäre es was schlechtes. Madlen beobachtete Lydia schon sehr lange.

»Ich meine, es war schon Arbeit, aber ich war glücklich und bin dankbar für die Chance«, rechtfertigte sie sich.

»Das war nicht als Kritik gedacht!«

Sie bemerkte Lydias Unsicherheit und versuchte, sie etwas zu beruhigen. »Ich hatte schon einige gehabt, die Probearbeiten mussten.

Viele waren launisch, haben die Kunden nicht richtig beraten oder nur hingezeigt.

Sie haben sich den Kunden nicht so angeschaut.

Ich habe sie ja schon alle extra zu dir geschickt.«

»Das dachte ich mir dann irgendwann«, bestätigte Lydia.

»Du bist intelligent, weißt viel über Bücher und bist freundlich«, sagte die Chefin.

»Also, ich denke mal, vieles war Glück.«

»Aber nicht bei zehn Kunden, die ich dir geschickt habe.«

»Meine Familie hat mich immer gefordert. Wenn ich ein Buch wollte, haben sie es mir geschenkt und zu vielen Anlässen haben sie mir eine breite Palette an Lesestoff mitgebracht.«

Madlen lachte.

»Im Grunde hatte ich dich ja so auch eingeschätzt. Als du mir die Bewerbung gegeben hast, war ich froh darüber. Du kommst seit Jahren hierher und schaust dich immer um.

Nimmst dir ein Buch nach dem anderen und guckst es dir an, dann legst du es meist wieder an die richtige Stelle. Oder du findest eins, welches falsch steht und packst es zurück.

Eigentlich hättest du gar nicht Probearbeiten müssen, nicht für mich. Aber ich wollte, dass du selbst feststellst, ob du - auch im Stress - noch diese Ausbildung toll findest. Ich meine, irgendwann wird es noch härter. Du musst vielleicht auch mal auf eine Messe oder eine Lesung organisieren.

Du kannst auch mal zehn Kunden auf einmal hier haben und jeder will gleichzeitig was wissen.«

»Sie kennen doch meine Brüder, oder?« Madlen nickte vorsichtig. »Dann wissen Sie sicher auch, dass es manchmal nicht leicht mit ihnen ist«, sagte sie und lächelte.

»Na ja gut, deine Brüder waren als Kinder schon sehr schwierig und du als Mädchen wurdest immer mitgeschleppt«, erwiderte sie.

»Ja, aber wenn ich nicht zu Wort kam, habe ich trotzdem irgendwie die Aufmerksamkeit auf mich ziehen können.« Nun lachte Madlen, weil sie sich noch daran erinnern konnte, wie Lydia als Kind war.

»Also, du würdest hier gerne drei Jahre eine Ausbildung machen? Die Schule ist im Blockunterricht und in der Stadt«, erklärte sie.

»Ja, ich weiß. Ich hab sie mir mal angesehen. Ja, unbedingt. Ich bin mir sicher, Sie würden es nicht bereuen!«

Madlen nickte.

»Das denke ich auch.« Sie holte den Ausbildungsvertrag und reichte ihn ihr. »Da du noch nicht volljährig bist, muss dein Vater ihn unterzeichnen.«

»Im Ernst?«

»Ja, du wirst zwar nächste Woche 16, aber bist trotzdem noch nicht alt genug«, erklärte Madlen, während sie noch einmal kurz auf ihre Unterlagen spähte.

»Nein, ich meinte, ich bekomme wirklich die Lehrstelle?«

»Ganz richtig!«

Lydia sprang auf und umarmte sie.

»Danke, danke, danke. Ich danke Ihnen tausendmal!«, sagte Lydia freudestrahlend.

»Du musst nur deine Prüfungen bestehen!«

»Klar, ohne Abschluss geht’s ja nicht. Aber wenn ich Mathe gestern nicht total vermasselt habe, besteht kein Grund zur Sorge. Ich müsste schon eine 6 schreiben, um auf fünf in dem Fach zu kommen.«

Daraufhin verabschiedeten sie sich und Lydia war total glücklich.

»Ach ja, wenn du in den Ferien samstagvormittags zwei Stunden das Lager aufräumen willst, sag Bescheid. Natürlich gegen Bezahlung«, bot die Ladenbesitzerin ihrem Lehrling in Spé an.

»Sehr gerne! Danke, ich melde mich, wenn ich mein Zeugnis habe. Aber ich bin spätestens in einer Woche wieder da, wenn die neuen Bücher erscheinen.«

Lydia hüpfte fast den ganzen Heimweg, so zufrieden war sie.

»Hallo, ich bin wieder zu Hause!«, rief sie, als sie die Tür aufschloss. Es war gerade mal halb eins.

»Och, so früh? Ich wollte dich abholen kommen!«, begrüßte sie ihr Bruder.

Er wirkte etwas niedergeschlagen, aber weil Lydia so fröhlich war, bemerkte sie den seltsamen Gesichtsausdruck nicht.

»Wer gute Leistung zeigt, muss halt nicht lange machen!«, sagte sie und grinste.

Sie nahm Steve an die Hand und zerrte ihn ins Wohnzimmer, zu Sam und ihrem Vater.

»Ich hab euch was mitzuteilen!«, sagte sie triumphierend.

»Du hast die Lehrstelle?«, riet Sam.

»Ja! Ist das nicht klasse! Papa, du musst nur unterschreiben. Hier«, sie reichte es ihm.

»Und, was ist, wenn ich nicht unterschreiben will?« Die

Stimme ihres Vaters klang so gar nicht nach ihm.

»Das ... das versteh ich nicht«, stammelte sie. Sie blickte sich um und sah Steve fragend an, doch er schüttelte nur betrübt den Kopf.

»Wir haben uns vorhin noch mal unterhalten«, erklärte er ihr emotionslos.

»Nein!«, sagte sie in einem bestimmenden Ton. »Nein!«

»Du musst eines Tages mal für dich sorgen können und gut verdienen. Du sollst dir später keine Sorgen ums Geld machen. In einem Buchladen kannst du immer nebenbei jobben. Aber hier geht es um deine Zukunft!«, sagte ihr Vater streng.

»Nein! Das ... Nein!« Lydia verstand die Welt nicht mehr.

»Du gehst aufs Gymnasium und wirst dann an einer Universität studieren«, sagte ihr Vater, in einem Ton, der keine Widerrede gestattete.

Lydia wusste nicht, was sie erwidern sollte. Hatte sie nicht erzählt, was sie darüber dachte?

»Was ist los mit euch? Wollt ihr mir das wirklich kaputt machen? Ich dachte, ich kann mich auf euch verlassen!« Sie richtete sich hauptsächlich an Steve, er hatte es ihr versprochen. Hatte ihr versichert, er würde hinter ihr stehen.

Irgendwas musste vorgefallen sein. Wie konnten sie ihre Meinung innerhalb von drei Stunden ändern?

So drastisch auch noch! Da erst entdeckte sie einen Brief in der Hand ihres Vaters.

»Kind, du bist klug. Die zwei Jahre kannst du auch noch zur Schule gehen, danach suchst du dir auf einem Campus eine Wohnung.«

»Ach, darum geht es? Ich ... Ich versteh euch nicht!« Lydia gestikulierte wild, ihre Stimme zitterte. Steve konnte sie nicht ansehen, es brach ihm das Herz. Er wollte sie doch immer nur beschützen.

Sie lief auf ihr Zimmer, suchte nach einer passenden CD und atmete erst einmal tief durch, als sie die ersten Klänge wahrnahm. Sie schloss die Augen, lauschte der Musik und wischte sich ihre Tränen weg.

*

»Wir müssen es ihr erklären!«, flüsterte Stephen verzweifelt, nachdem sie die Tür zugeschmissen hatte.

»Sie wird es nicht verkraften und verstehen. Nicht mal ich kapiere es«, sprach Sam.

»Sie wird es nicht erfahren! Aber sie darf nicht hierbleiben!«, entschied ihr Vater.

*

Tom war in seinem Zimmer und hatte die Szene mit angesehen. Da sein Fenster geöffnet war, hörte er den Knall, als die Tür zu ging.

»Hey!«, schrie er.

Lydia saß weinend auf ihrem Bett, runzelte ihre Stirn, als sie etwas hörte und blickte aus ihrem Fenster. Seufzend öffnete sie es gänzlich, da es nur angekippt war.

»Was ist denn los? War die Arbeit so schlimm? War die Chefin gemein?«

»Was? Nein. Ich hab die Lehrstelle.«

»Hey, Glückwunsch. Aber warum siehst du dann so betrübt aus?«, erkundigte sich Tom.

»Meine Familie will nicht, dass ich die Stelle annehme.

Ich bin ja noch keine 18 und somit darf ich das nicht alleine bestimmen.«

Tom wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, und blickte ihr nur in die Augen. Sie lächelte etwas verhalten, aber ihr Kopf war einfach zu voll und fühlte sich so schwer an. Es klopfte an ihrer Tür, doch sie ignorierte es und drehte stattdessen ihre ›Green Day‹ CD lauter.

»Lydia!«, sagte jemand mit einer leisen, sachten Stimme.

»Steve«, schluchzte sie und wischte sich die Tränen weg.

Schnell versteckte sich Tom, blieb aber am Fenster und versuchte zu verstehen, worüber sie sprachen. Es musste doch eine Lösung für dieses Problem geben. Vielleicht war es nur ein Missverständnis gewesen.

Die Musik wurde leiser und er spähte etwas aus seinem Versteck hervor und konnte sehen, wie Steve am Radio stehen sehen.

»‹Green Day‹, ja, die mag ich auch sehr gerne.« Steve setzte sich zu Lydia.

»Du hast mich angelogen!« Sie stieß ihn weg. »Du hast mich belogen und gesagt, du würdest hinter mir stehen. Du hast gesagt, du stehst mir bei, wenn ich wirklich die Ausbildung haben will. Du hast dich noch heute früh bei mir entschuldigt, weil du am Donnerstag auf mich eingeredet hast.«

Er begriff schnell, dass sie verletzt war, und nahm ihre Hand in seine.

»Kleines, du verstehst das nicht«, flüsterte er und streichelte mit seinem Daumen behutsam über ihren Handrücken.

»Was soll ich nicht verstehen!« Sie zog ihre Hand weg und stand auf. »Dann erkläre es mir! Erkläre mir, warum ihr euch meinetwegen schämt? Warum es unter eurem Niveau ist, wenn nicht alle in der Familie den gleichen Wissensstand erreicht haben? Bin ich euch im Weg?«

»Nein, du bist nicht im Weg«, seufzte er.

Lydia blickte auf und sah einen schmerzhaften Ausdruck in seinen Augen. Irgendwas stimmte nicht.

Es lief aus den Rudern. Dabei wollte Steve es niemals so weit kommen lassen. Er wollte es erklären, ihr die Wahrheit sagen, konnte aber nicht. ›Das würde sie nicht verkraften‹, ging es ihm durch den Kopf. ›Sie würde daran zerbrechen.‹

»Schwesterchen, ich würde mich nie deinetwegen schämen!«

»Du nicht, aber die andren sicherlich«, sagte sie traurig.

»Nein, das glaube ich nicht. Sie wollen nur dein Bestes. Wir wollen alle nur dein Bestes«, sprach er und flüsterte. »Ich will dich doch nur beschützen.«

Doch bevor sie etwas erwidern konnte, kam ihr Vater rein.

»Lydia, hier sind die Formulare fürs Gymnasium.«

Sie sah es sich an.

»Was?« Sie musste noch mal drauf sehen. »Nein, oh nein. Nein, nein, nein«, schrie sie.

Tom blickte hoch, als er sie schreien hörte, beobachtete aber weiterhin unauffällig die Lage.

Sam kam hinzu.

»Lydia, du schreist wie ein Kind.«

»Na und, Sam. Dann bin ich halt noch eins, so wie ihr mich behandelt. Was ist nur los mit euch?« Alle schauten zu Boden, keiner sagte was.

»Wenn das so ist, geht einfach.« Sie öffnete die Tür. Sam und Sascha gingen. Tränen rannen ihr die Wange runter.

»Lydia, bitte, du musst verstehen, dass es wirklich das Beste ist.«

»Steve ... geh … bitte«, ihre Stimme versagte. Sie fühlte ein Brennen in ihrer Brust, ihrem Herzen. Als würde ein Funken langsam ein Loch in sie hineinbrennen.

Die Tür schloss sich hinter Steve und er lehnte sich dagegen, atmete tief durch und hasste dieses Gefühl. Er hat es schon immer gehasst, nicht ehrlich sein zu können. In diesem Augenblick aber verfluchte er es, wie noch nie zu vor. Er musste stark bleiben, obwohl er sie am liebsten getröstet hätte.

Als sie alleine war, tauchte auch Tom wieder auf.

»Was ist denn los? Du hast so geschrien!«

Sie versuchte zu lächeln, aber es ging nicht.

»Ich muss weg!«

»Wann kommst du wieder?«, hakte er nach.

»Nein, ich muss weg!«, sagte sie traurig und senkte ihren Blick. »Ich soll ins Internat und dort mein Abi machen!«

»Ich kapier nicht«, sagte Thomas zögernd.

»Ich auch nicht. Ich hab es hier schwarz auf weiß!« Sie hielt einen Zettel in der Hand, schaute erneut drauf und schmiss es achtlos zu Boden. Sie raufte sich ihre blonden Haare und wusste einfach nicht, wieso plötzlich alles aus dem Ruder lief. Es war doch alles gut.

»Ja, aber warum?«

»Hast du nicht hingehört?«

»Ja, aber ich hab nichts raus hören können«, gab er zu und fuhr sich mit seiner Hand durch seine blonden Haare. Sie waren kurz und nun etwas verwuschelt.

»Siehst du! Ich auch nicht«, bestätigte Lydia.

»Und du musst wirklich schon im neuen Schuljahr weg?«

Das Mädchen runzelte die Stirn und war sich sicher, ein Datum erkannt zu haben. Sie beugte sich runter, hob das Blatt auf und wurde noch blasser als zu vor.

»Lydia?«

Sie brach weinend zusammen. Konnte nichts mehr sagen. Tom rannte aus dem Zimmer. Sie hörte, wie es an der Tür klingelte und ging die Treppen runter.

»Lydia ist nicht da!«, hörte sie ihren Vater barsch reden.

»Doch, sie ist da, ich weiß es ganz genau.«

Steve eilte herbei.

»Vater, ich kläre das.«

Sascha war selbst fix und fertig. Er ging in die Küche, zu Sam zurück. Sie telefonierten gerade mit Michael.

»Steve, was ist bei euch los?«

»Lydia geht’s gut. Sie ist ab Montag nicht mehr hier«, erklärte er geknickt.

»Ab Montag?« Er sah ihn fragend an und schüttelte verwirrt den Kopf. Montag? Das war schon sehr bald.

»Ja, es ist ein Platz frei geworden, kurzfristig sozusagen. Sie kann dann ins Internat und dort den Sommer über wohnen.«

»Die Ferien verbringt sie nicht hier?«, wollte Tom wissen. Er runzelte die Stirn, starrte Steve dabei aber an.

Steve schmerzte es zutiefst. Er hasse sich selbst dafür. Hasste es, dass es soweit hat kommen müssen.

»Nein. Sie wird dort Praktika machen und sich komplett auf die Schule einstellen.«

»Was ist mit den Prüfungen?«

»Dort ist es freiwillig, ob jemand seinen Realschulabschluss machen will, obwohl er sich auf das Abitur quasi vorbereitet, oder nicht. Es liegt also an ihr, ob sie die Mündlichen noch machen will«, stammelte Stephan. Ihm ging so viel durch den Kopf, dass er kaum einen klaren Gedanken oder gar Satz zu Stande bringen konnte.

»Wo muss sie hin?«

»Nach ... Bayern.« Steve machte eine kurze Pause, blickte kurz nach hinten und trat einen Schritt hinaus, sodass er die Tür etwas hinter sich schließen konnte.

»Geh wieder in dein Zimmer, und versuche auf Lydia ein Auge zu werfen. Rede mit ihr und versuch sie zu beruhigen. Aber komme nicht noch mal her und verliebe dich nicht in sie!«, flüsterte er. Verwirrt sah Tom ihn an. »Ich weiß, sie mag dich sehr und du sie scheinbar auch.«

Da Tom wusste, dass Stephen nichts mehr hinzufügen würde, fragte er:

»Liegt es meiner Familie?« Steve schwieg, Tom aber glaubte, ein leichtes Nicken vernommen zu haben. »Ihr kennt uns doch nicht!«, flüsterte er.

Steve war bereits im Begriff hinein zu gehen, als er noch einmal innehielt, Tom anschaute und kaum hörbar: »Wenn du wüsstest« sagte. Mit diesem Satz ließ er ihn stehen. Tom war verstört. Was wollte Lydias Bruder nur damit andeuten? Er ging zurück ins Haus.

»Was ist denn los, Tom?«, wollte seine Mutter wissen. Er erzählte es ihr und bemerkte einen eigenartigen Gesichtsausdruck bei ihr.

»Weißt du, was er meinte?«, fragte er sie anschließend. Ja, sie wusste es, sagte ihm aber nichts davon.

Dabei wäre es sein Recht gewesen, es zu erfahren!

Er ging in sein Zimmer. Seine Mutter atmete erleichtert aus.

Sie hatte schon Bedenken, dass sich die Kinder so gut verstanden.

»Lydia!«, rief er zu ihr.

»Was war unten los? Warum durftest du nicht hoch? Warum ist Steve mit dir raus?«

»Dein Bruder hat was Seltsames gesagt! Ich fragte, wann du weggehst und er meinte, schon am Montag fängst du in der neuen Schule an. Das bedeutet, du musst morgen los.«

Lydia weinte immer noch und nickte zu dem, was er sagte.

»Bayern!«, stieß er erstaunt hervor.

»Hat er dir gesagt, wo genau?« Er schüttelte den Kopf.

»Bayern, das wäre ja noch schön.«Sie machte eine Pause.

»Eigentlich ist es schon fast in Österreich!« Das fünfzehnjährige Mädchen fasste sich an die Stirn. Sie fühlte sich kühl an, obwohl es warm war. Alles war zu viel für sie.

»Was?!« Er war geschockt.

»Psst! Versuch nicht zu laut schreien.«

»Steve hat mich gebeten, auf dich aufzupassen.«

»Wirklich?«, fragte Lydia verwundert.

»Ja. Ich hab ihn auch gefragt, ob es an meiner Familie liegt.«

»Das ist unmöglich, ihr wohnt doch erst seit Donnerstag hier.«

»Na, das dachte ich mir ja auch, aber ich musste dennoch Nachfragen.« Er versuchte, sich selbst wieder zu fassen, und berichtete ihr von dem Gespräch und allem, was Steve zu ihm gesagt hatte. »Ich stand da wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann hab ich meiner Mutter alles erzählt und sie hat auch so komisch reagiert!«

»Tom, irgendwas stimmt hier nicht. Ich hab euch vorher noch nie gesehen und hab nie meine Familie über jemanden mit dem Nachnamen Hafe reden hören. Aber weißt du, manchmal hab ich so das Gefühl, sie verstummen, wenn ich ins Zimmer komme und überlegen sich schnell ein Thema. Mein Vater bekommt alle paar Monate ein Päckchen oder einen wichtigen Brief, den er behutsam weglegt.«

Tom dachte nach. Hatte er schon mal etwas vernommen oder irgendwas gehört?

»Du, Lydia ... dein Bruder meinte, ich darf mich nicht in dich verlieben. Wie meint er das?« Sie schaute ihn verblüfft mit ihren grünen Augen an und wusste nicht, was sie antworten sollte. Es war einfach alles sehr verwirrend, wie sollte sie nur damit zurechtkommen? Das war doch absurd. Warum sollte er sich nicht in die verlieben? Wieso dürften sie nicht zusammen sein? Um den Kopf wieder etwas klarer zu bekommen, beschlossen sie, einfach weiter in dem Buch zu lesen, welches sie am Abend zuvor schon begonnen hatten. Obwohl sie kaum gedanklich folgen konnten, worum es in diesem Buch eigentlich ging, tat es gut. Es war etwas Solides. Der Inhalt stand schon fest und würde sich nicht mehr ändern. Es war etwas, worauf sie sich verlassen konnten und so verbrachten sie einfach die nächsten Stunden damit und irgendwann folgten sie auch der Geschichte aufmerksam und lachten, wenn es passend war, oder wirkten überrascht, wenn es die Situation vorschrieb.

Langsam begann es allerdings zu dämmern, doch sie wollten noch nicht aufhören. Nicht dieser Blase entkommen, die sie sich gerade aufgebaut hatten. Sie könnte jeden Moment platzten, wie eine Seifenblase im Wind.

Irgendwann vernahm sie ein stumpfes Klopfen und registrierte, wie die Tür geöffnet wurde. Steve meinte, es sei Zeit fürs Abendessen, doch Lydia hatte keinen Hunger. Sie wollte doch nur hier sitzen und mit ihrem Freund Zeit verbringen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann müssten sie sich von einander trennen. Sie fragte sich, ob sie eine Zukunft gehabt hätten oder ob er einfach nur ein guter Freund geworden wäre ...

»Du musst was essen!«, meinte Steve und blickte zwischen Lydia und Tom hin und her. Kurz schien es Lydia, als würde ihm etwas in den Sinn kommen. Ein neuer Gedanke oder eine Erkenntnis, doch dann schaute er wieder nur sie an.

»Ja, ja. Irgendwann. Geh!«, schrie sie und Stephen schloss leise die Tür hinter sich, unsicher, was als Nächstes passieren würde.

*

»Sie will nicht herunterkommen«, sagte Steve zu den anderen, als er die Küche betrat.

»Arme kleine«, meinte Sam betrübt und schüttelte den Kopf und doch ... Es wurde Zeit für die Wahrheit, das war auch ihm bewusst.

Sascha zuckte mit den Schultern und sprach: »Sie sollte sich lieber bald daran gewöhnen. Stephen, wenn sie bis heute Abend nicht runterkommt, wirst du noch einmal mit ihr reden und du hilfst ihr beim Packen. Auf dich wird sie hören.«

»Ich will sie aber nicht Verletzten.«

»Möchtest du, dass ich es mache?«

*

Lydia - die komplette Reihe

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