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Kapitel 9 – Jetzt – Zweifel
ОглавлениеZu Hause ließ Rose sich ein Schaumbad ein. Noch immer war sie wütend über diesen Mann aus der Bar, der sie so gleichgültig behandelt hatte. Rose zwang sich zur Entspannung. Sie schlürfte ein Glas Champagner, ließ sich von leiser Norah-Jones-Musik einlullen und wäre beinahe eingeschlafen.
Nach einer Stunde wickelte sie sich in ein Handtuch und setzte sich auf ihr Sofa. Sie sah sich in ihrer Wohnung um. Seit sie 17 Jahre alt war, lebte sie hier. Manchmal genoss sie die allumfassende Stille, die Einsamkeit, doch heute war sie erdrückend. Sie dachte darüber nach, eine Party zu geben, verwarf den Gedanken aber wieder. Vielleicht sollte sie nach Crumbville fahren. Beim Gedanken an die unterkühlte Miene ihrer Schwester, die stumpfen Augen ihrer Mutter und den glasigen Blick ihres Vaters wurde Rose übel. Nein, Crumbville war definitiv keine Option.
Gelangweilt warf sie einen Blick auf ihr Mobiltelefon. Eine weitere Nachricht von Billy befand sich darauf. Sie widerstand dem Impuls, sie zu löschen, und hörte sie sich an. Der Gute klang inzwischen etwas verzweifelt. »Rose, ich bin‘s, Billy von gestern. Du fehlst mir unglaublich. Ich glaube, zwischen uns gibt es eine Verbindung. Ich denke, du könntest die Eine sein.«
Sofort hellte sich Rose‘ Stimmung auf. Ein Verrückter mehr, der von ihr besessen war. Vielleicht konnte aus ihrem langweiligen Abend doch noch ein lustiger werden. Grinsend legte sie das Handy weg. Er würde wieder anrufen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zehn Minuten später vibrierte ihr Telefon. Sie ließ es lange klingeln, bis sie endlich abhob. »Wer ist da?«
»Oh Rose, endlich erreiche ich dich.«
»Mit wem spreche ich?«
»Billy, von gestern. Ich habe dir schon ein paar Mal auf die Mobilbox gesprochen.«
Sie brummte nachdenklich, als würde sie angestrengt überlegen. Dann sagte sie: »Bedaure, ich erinnere mich nicht. Ich hatte gestern mehrere Verabredungen«. Sie musste in sich hineinlachen. Es war so einfach, Männer zu demütigen.
Betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Rose musste ihr Gesicht in das Sofakissen drücken, um nicht laut loszulachen. »Also, ich habe mich gefragt, ob du Lust hast, mit mir essen zu gehen…heute Abend.« Billys Stimme klang unsicher, verletzt. Rose‘ Worte hatten ihn getroffen.
Versöhnlich sagte sie: »Gern. Wie wäre es mit Cocktails um 21 Uhr im Foxy? Hol‘ mich ab!« Sie legte auf, ohne seine Antwort abzuwarten. Er würde kommen. Rose machte sich eine Gesichtsmaske für das Shooting am nächsten Tag und legte sich wieder auf ihr Sofa.
Ein Klingeln ließ sie aufschrecken. Der Blick auf ihr Handydisplay verriet, dass Josie anrief. Schwer seufzend nahm sie ab. »Schwesterherz, was gibt es?«
»Spar‘ dir die Floskeln! Du weißt genau, was los ist. Ich brauche dich hier, Rose. Mum geht es immer schlechter. Sie hat heute gar nichts gegessen und starrt nur an die Wand. Sie schminkt sich nicht, sie wäscht sich nicht. Sie verwahrlost einfach.« Ihre Schwester klang wirklich verzweifelt. Es war ungewöhnlich für sie.
Rose und Josie hatten einander noch nie um Hilfe gebeten. Die Schwestern hatten nichts als Verachtung füreinander übrig. Josie hatte Rose der Aufmerksamkeit ihrer Eltern beraubt. Sie war wie eine Fremde für Rose. Es spielte keine Rolle, was in ihrem Leben geschah, ob sie lebte oder tot war. Rose hatte sie nie etwas bedeutet. »Und nun?«, fragte sie ohne Rührung.
Josie stockte. Rose war, als würde ihre Schwester ein kleines Schluchzen unterdrücken. »Hör mal, Rose. Ich weiß, du liebst mich nicht. Aber du bist immer noch meine Schwester, und ich brauche dich jetzt.«
»Ich wüsste nicht, was ich tun könnte«, entgegnete Rose unwillig. Das Gespräch ging ihr gegen den Strich. Sie wagte es, einen Blick auf die Uhr zu werfen: 20.30 Uhr. »Komm bitte einfach her! Nimm‘ Dad die Whiskyflasche weg, schrei‘ Mum an, tu' irgendetwas, damit alles wieder normal wird!«
»Das ist normal, Josie. Das sind unsere Eltern. Sieh es ein, und zieh aus!«
»Ich werde sie nicht im Stich lassen, so wie du.«
Rose stöhnte genervt auf. »Sie lassen DICH im Stich. Es wird Zeit, die Nabelschnur zu durchtrennen und so zu tun, als seien sie tot. Für mich sind sie das nämlich.« Josie verstummte am anderen Ende. Rose hörte nur noch ihren Atem. Es war, als wäre ihre Schwester in einer Art Schockstarre. »Hör‘ mal, ich bin verabredet zum Cocktail. Mach einfach, dass du da wegkommst.«
»Tu‘ nicht so, als würdest du dich um mich scheren«, sagte Josie verbittert.
Rose sah ihren Gesichtsausdruck förmlich vor sich. »Das tu‘ ich nicht. Ich gebe dir nur einen Rat.« Dann legte sie auf. Das Gespräch hatte sie mehr aufgewühlt, als sie es erwartet hatte. Zornig ging Rose ein paar Schritte hin und her, atmete durch und versuchte, sich zu beruhigen. Schließlich ging sie ans Fenster und sah in den dunklen Nachthimmel.
Irgendwo in Crumbville warf ein 50-jähriger Mann wahrscheinlich gerade eine Flasche Single Malt nach seiner apathischen Frau und seiner weinenden 17-jährigen Tochter. Wie sehr Rose diese Menschen hasste.
Als es an der Tür klingelte, fuhr sie vom Fenster zurück. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es bereits 21 Uhr war. Lustlos zerrte sie ein x-beliebiges Kleid aus dem Schrank und streifte es über, legte Lidschatten und Lippenstift auf und schenkte sich ein Glas Champagner ein.
Um 21.30 Uhr, nach dem fünften entgangenen Anruf von Billy, stellte sie schließlich ihr Glas weg und ging hinunter. Als sie die Tür öffnete, sah sie einen schwarzen Porsche vor dem Haus stehen. Sie hatte gewusst, dass er warten würde. Schlagartig ging es ihr besser. Wie gut es tat, zu wissen, dass sich die Menschen nach einem verzehrten.
Billys Gesicht verriet weder Ungeduld noch Wut. »Hey, Baby«, raunte er zu ihr herüber.
»Fahren wir?«, fragte sie ungerührt.
»Habe ich etwas falsch gemacht?«
Rose verdrehte die Augen. Wie schnell er seine coole Hülle fallen ließ. »Aber nein, Süßer. Ich hatte einen anstrengenden Tag. Ich mach‘ es wieder gut, okay?« Sie konnte ein Leuchten in seinen Augen aufblitzen sehen. Sie hatte schon, ehe er zu reden begonnen hatte, das Interesse verloren.
Während der Fahrt erzählte er ihr von einem Geschäft, das er kürzlich abgeschlossen hatte.
Rose‘ Gedanken flogen zu ihren Eltern zurück. Zu Mum, die an einem Weihnachtsmorgen vor vielen Jahren mit verschleiertem Blick nach draußen in das Schneegestöber gestarrt hatte.
Rose hatte ihre Hand gehalten und sie gefragt: »Mum, was bedrückt dich?«
Keine Reaktion von der Mutter. Gerade, als Rose aufstehen wollte, hatte sie den Kopf gedreht und ihre Tochter aus leeren Augen angesehen: »Ich warte ständig«.
Es war ein seltener lichter Moment gewesen, den Rose nicht vorbeiziehen lassen wollte. Sie hatte die Hände ihrer Mutter in ihre genommen und sie besorgt angesehen. »Worauf wartest du? Vielleicht kann ich dir helfen.« Möglicherweise konnte sie die Probleme ihrer Mutter beheben und ihr das Lachen zurückgeben. Möglicherweise würde diese dann wieder für ihre Tochter da sein und sie bewundernd ansehen können, wenn sie erkannte, wie perfekt Rose doch war. Aber ihre Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt und etwas gemurmelt.
»Sag’s mir, Mum.« Selten hatte sie sich so eine Antwort von ihrer Mutter gewünscht.
Als sie dann kam, zerbrach etwas in Rose für immer: »Auf das Ende des Leidens«.
Zu diesem Zeitpunkt war Rose 17 Jahre alt, Josie bereits elf. Von da an hatte Rose ihre Mutter sich selbst überlassen. Was brachte es, sich um jemanden zu kümmern, der nur auf den Tod wartete, weil er sein Leben so unerträglich fand?
Rose schüttelte den Gedanken ab und drehte das Radio lauter. »Magst du den Song?«, fragte Billy. Es war eine Jazznummer. Rose hasste nichts mehr als Jazz. Sie nickte dennoch. Billy strahlte übers ganze Gesicht und drehte noch etwas lauter. Dazu bewegte er rhythmisch den Kopf und kam sich dabei unglaublich lässig vor. Rose musste sich anstrengen, nicht die Augen zu verdrehen. »Das ist mein Lieblingssong. Mein Gott, das ist Schicksal.«
»Das überrascht mich nicht«, seufzte Rose. Er passte so wenig zu ihr wie jeder andere Mann, den sie bisher gedatet hatte. Alle lagen ihr zu Füßen und gaben sich jede Mühe, sie zu halten. Doch ausnahmslos alle ließ sie nach einer Zeit zwischen einer Stunde und einem Monat fallen.
Als das Auto vor dem Foxy hielt, stieg sie schnell aus. Einen Moment lang erwog Rose, gleich ein Taxi nach Hause zu nehmen, so sehr fürchtete sie sich vor einem langweiligen Abend mit Mister Erfolgreich. Doch noch mehr fürchtete sie sich davor, allein vor dem Fernseher zu sitzen. Rose brauchte den Kontakt mit Männern, die vorhersehbaren Flirts und die Niedergeschlagenheit in den Gesichtern, wenn Rose sie abblitzen ließ. All das gab ihr ein Gefühl der Macht.
»Darf ich dir die Jacke abnehmen, Baby?«
»Aber sicher«, sagte sie und gab ihm den Mantel, den sie von ihrem letzten Verflossenen bekommen hatte.
»Du siehst großartig aus.«
»Danke, ebenso.« Es war gelogen. Billy sah aus, als hätte er in Haar-Gel gebadet, und roch so penetrant nach Old Spice, dass Rose beinahe übel wurde. Ein paar dunkle, gekräuselte Brusthaare schauten aus seinem Hemd heraus. Sie unterdrückte ein Schaudern und schwor sich, dass sie ihn nicht mit nach Hause nehmen würde.
Als Rose sich gesetzt hatte und Billy nach ihrer Hand griff, zuckte sie zusammen. Seine Hand war ungewöhnlich rau. Ein schmerzhaftes Ziehen fuhr durch Rose‘ Magen, und das Bild eines Mannes tauchte in ihrem Kopf auf. Sie wusste plötzlich, warum sie das Date mit Billy akzeptiert hatte. Er erinnerte sie auf schmerzhafte Weise an Rico Fernandez – den einzigen Mann, den Rose jemals mit dem Wort Liebe verbunden hatte.