Читать книгу Narzisse - Jasmin Cools - Страница 3
Prolog
ОглавлениеEines habe ich in meinem Leben gelernt: Wenn der letzte Atemzug verstrichen ist, sind die Menschen am schönsten – so rein und fehlerlos. Es gab nur einen, der es auch lebendig geschafft hat, mir den Atem zu rauben. Strahlend wie die Sonne am frühen Morgen, schön wie die schweigende Nacht – kein Vergleich war gut genug, um Rose Carter zu beschreiben. Sie war schlichtweg perfekt. Ihre Haare von einem satten Goldton, ihre Augen hellblau und in der Lage dazu, jeden mit ihrem Blick zu bannen. Ihr Mund besaß einen sanften Schwung, und die Lippen wirkten stets rosig, forderten geradezu zum Kuss heraus. Rose hatte ihr Leben lang nicht ein Gramm Fett zu viel am Körper gehabt. Ihre Bewegungen waren fließend, ihre Schritte anmutig, und die Art, wie sie jemanden ansah, ließ denjenigen erstarren. Sie sprach auf eine Weise, die sie gebildet, jedoch nicht abgehoben erscheinen ließ. Ja, Rose war vom Leben reich beschenkt worden. Alles an ihr war makellos, und die Tatsache, dass sie dies wusste, ließ sie unwiderstehlich wirken.
Auch ich verfiel ihr auf so tragische Weise, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jemals wieder eine Andere auch nur anzusehen. Der Mensch strebt nach Perfektion und ist, wenn er sie gefunden hat, unfähig, sie zu vergessen oder einzutauschen. Als ich Rose das erste Mal sah, wollte ich sie besitzen. Ich hätte, ohne zu zögern, mein gesamtes Leben aufgegeben, um mit ihr zusammen zu sein – egal unter welchen Umständen. Es klingt verrückt, doch so war es. Ich wollte diese Frau besitzen, ihr alles geben. Rose war erotisch und selbstbewusst. Gleichzeitig wirkte sie schutzbedürftig und verletzlich wie ein Kind. Sie konnte frech sein, süß, hochmütig, schüchtern – gerade so, wie es die Situation erforderte.
Ich wollte derjenige sein, der sie eines Tages vor den Traualtar führt. Doch das wollten viele Männer. Umso bedrohlicher war Rose für die Frauen. Ich sah deren Blicke – aggressiv, lauernd, eine Hand fest am Oberarm ihrer Ehemänner. Rose konnte immer haben, was sie wollte, und meist nahm sie es sich auch. Sie hätte glücklich sein können, sorglos, aber das war nicht ihr Stil. Sie zog das Unglück magisch an. Wer mit Rose in Kontakt war, der hatte Ärger am Hals.
Rückblickend bin ich froh, dass ich sie nie besessen habe. Trotzdem denke ich immer noch jeden Tag an sie. Schließlich war sie es, die das Schönste und Hässlichste in mir zum Vorschein gebracht hat. Ich werde wohl nie von ihr loskommen.